Bundespatentgericht, Beschluss vom 23.07.2013, Az. 27 W (pat) 109/11

27. Senat | REWIS RS 2013, 3915

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

(Markenbeschwerdeverfahren – "Gegenstandswert und Kosten" – zur Kostenauferlegung – Rücknahme des Widerspruchs – keine von Anfang an erkennbare Aussichtslosigkeit - keine Kostenauferlegung – zur Festsetzung des Gegenstandswertes – zugelassene Rechtsbeschwerde gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 MarkenG i. V. m. § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO)


Tenor

In der Beschwerdesache

 

betreffend die Marke …

(hier: Gegenstandswert und Kosten)

hat der 27. Senat ([X.]) des [X.] am 23. Juli 2013 durch [X.] [X.], [X.] und Richterin Hartlieb

beschlossen:

I. Der Antrag des Beschwerdegegners auf Kostenauferlegung wird zurückgewiesen.

II. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.

III. [X.] wird zugelassen.

Gründe

I.

1

Gegen die rote Bildmarke 303 00 846

Abbildung

2

geschützt für "Parfümeriewaren; [X.]el zur Körper- und Schönheitspflege; Makeup, Lippenstifte, Shampoos, Rasiermittel; Taschen; Ober- und Unterbekleidung" hat die Beschwerdeführerin aus der [X.] 789

3

Abbildung

4

u.a. geschützt für "Seifen; Parfümeriewaren, ätherische Öle, [X.]el zur Körper- und Schönheitspflege, Haarwässer; Leder und Lederimitationen sowie Waren daraus, soweit sie nicht in anderen Klassen enthalten sind; Häute und Felle; Reise- und Handkoffer; Bekleidungsstücke" Widerspruch eingelegt.

5

Die Markenstelle hat den Widerspruch sowie die Erinnerung der Widersprechenden wegen fehlender Verwechslungsgefahr zurückgewiesen und ist dabei teilweise von [X.] und durchschnittlicher Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ausgegangen, weil die Benutzung der graphisch ausgestalteten Bezeichnung [X.] keine erhöhte Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke bewirke.

6

Das Publikum werde das angegriffene Zeichen nicht mit "[X.]" bzw. "XX" benennen; das [X.] Dreieck führe nämlich von einem Buchstabenbild weg. Die Vergleichsmarken würden somit nicht wörtlich gleich benannt.

7

Dagegen hat die Widersprechende Beschwerde eingelegt und zur Begründung vorgetragen, die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sei aufgrund der Bekanntheit von [X.] erhöht. Die graphischen Unterschiede seien marginal. Zumindest werde das Publikum das angegriffene Zeichen als modernisierte Fassung der Widerspruchsmarke auffassen.

8

In der mündliche Verhandlung hat der Senat einen Vergleich angeregt und Zustellung an [X.] Statt beschlossen.

9

In der Folgezeit hat die Beschwerdeführerin ihren Widerspruch zurückgenommen.

Nunmehr hat der Beschwerdegegner beantragt,

der Beschwerdeführerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen und einen Gegenstandswert festzusetzen.

Das hat er damit begründet, die Widersprechende habe in wettbewerbswidriger Absicht gehandelt.

Dem hält die Beschwerdeführerin entgegen, eine Kostenentscheidung sei nur in einem Ausnahmefall angebracht. Der liege hier nicht vor.

Außerdem habe sie den Widerspruch zurückgenommen, bevor der Gegner einen [X.] gestellt habe. Der [X.] sei verspätet (vgl. [X.]/[X.] § 71 Rn. 8). Sie hätte außerdem gar nicht wettbewerbswidrig handeln können, da der Beschwerdegegner geschäftlich nicht aktiv sei.

Ein Gegenstandswert sei dementsprechend nicht festzusetzen.

Der Wert müsste jedenfalls am untersten Rand liegen, da der Inhaber des angegriffenen Zeichens kein besonderes Interesse an ihm dargetan und das Zeichen nie benutzt habe.

II.

Der Antrag des Inhabers des angegriffenen Zeichens auf Kostenauferlegung, über den nach Rücknahme des Widerspruchs gemäß § 71 Abs. 1 und 3 [X.] zu befinden ist, hat keinen Erfolg.

Nach § 71 Abs. 1 Satz 1 [X.], der auch im Falle einer Widerspruchs- oder Beschwerderücknahme anzuwenden ist (§ 71 Abs. 4 [X.]), können einem Beteiligten die Verfahrenskosten auferlegt werden, wenn dies der Billigkeit entspricht.

Bei der zu treffenden Billigkeitsentscheidung darf nicht außer Betracht bleiben, dass eine generelle Versagung der Erstattung von Kosten den in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgten [X.] beeinträchtigt (vgl. Brandi-Dohrn, [X.], [X.] ff.). § 91 ZPO ist in allen Verfahren nach seinem Grundgedanken heranzuziehen ([X.] NJW 2006, 136). Zu diesem Grundgedanken gehört die darin verankerte Unterliegenshaftung. Auch soweit der Gesetzgeber - wie in § 71 Abs. 1 [X.] - einen Kostenerstattungsanspruch nur nach Maßgabe einer Billigkeitsentscheidung zugesteht, darf der Verfahrensausgang daher nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben ([X.] NJW 1987, 2569, 2570 zu § 78 Satz 1 GWB).

Dazu verlangt der im Markenrecht gesetzlich verankerte Grundgedanke der Kostenteilung aber eine Berücksichtigung der Ausgangslage und ob das Verhalten der Beteiligten der prozessualen Sorgfalt entsprach.

Ein Abweichen vom Grundsatz der Kostenaufhebung ist nämlich geboten, wenn ein Verhalten eines Verfahrensbeteiligten die Kosten ganz oder teilweise verursacht hat, das mit der bei der Wahrnehmung von Rechten zu fordernden Sorgfalt nicht in Einklang steht. Dies ist nicht der Fall, wenn ein Beteiligter seine Rechte und Interessen mit den gesetzlich gegebenen [X.]eln verteidigt und dabei den Instanzenweg ausschöpft([X.], [X.], 2. Aufl. 2012 Rn. 598, 599). Es entspricht dem Recht auf gerichtliche Kontrolle (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG), selbst bislang anerkannte Rechtsprechungsgrundsätze einer erneuten gerichtlichen Überprüfung zu stellen (vgl. [X.] [X.] 2010, 529 - Igel plus).

Ob gegen Sorgfaltspflichten nur derjenige verstößt, der trotz ersichtlich fehlender Verwechslungsgefahr Widerspruch einlegt ([X.], [X.]. v. 18. Juni 2009 – 30 W (pat) 108/05, BeckRS 2009, 23711 - [X.]/Spa), kann vorliegend dahinstehen, denn es verstößt jedenfalls nicht gegen die Sorgfaltspflicht, in einem vom Ausgang her offenen Verfahren, bei dem sich zudem Abgrenzungsvereinbarungen anbieten, Widerspruch zu erheben.

Die Widersprechende hat durch die Rücknahme ihres Widerspruchs nicht einer von Anfang an erkennbaren Aussichtlosigkeit Rechnung getragen oder diese gar zugestanden; jede Rücknahme kann auch andere Gründe haben.

Die Widersprechende hat nicht versucht, in einer erkennbar aussichtslosen oder zumindest kaum Aussicht auf Erfolg versprechenden Situation, ihre Interessen durchzusetzen.

Die Waren sind teilweise identisch. Für die Widerspruchsmarke konnte die Widersprechende wegen der Bekanntheit ihres Unternehmens eine gesteigerte Kennzeichnungskraft geltend machen und dieses Argument sowie die Tragweite einer Ausstrahlung der Bekanntheit einer gerichtlichen Überprüfung unterziehen. Ferner warf der Fall die Frage auf, ob bei der schwarz-weiß eingetragenen Widerspruchsmarke eine assoziative Verwechslungsgefahr gegeben sein könnte, wenn sie als in dem Rot des angegriffenen Zeichens gehalten unterstellt wird.

Im Hinblick auf diese Fragen und die graphischen Übereinstimmungen wäre auch im Falle einer eventuellen Zurückweisung der Beschwerde eine Kostenauferlegung nicht billig gewesen.

[X.]

Der Antrag auf Festsetzung des [X.] ist zulässig, da auf beiden Seiten Anwälte mitgewirkt haben und keine Wertvorschriften bestehen. Der Geltungsbereich des Gerichtskostengesetzes (vgl. § 1 [X.]) erstreckt sich nicht auf Wertfestsetzungen vor dem [X.] zur Berechnung der Anwaltsgebühren; diese erfolgt gemäß § 23 Abs. 3 [X.] nach billigem Ermessen.

In Widerspruchsverfahren nach § 42 [X.] richtet sich der Wert nach dem Interesse des Inhabers des angegriffenen Zeichens ([X.]E 11, 166 (168); [X.]E 12, 245 f.; [X.] GRUR 1995, 415; GRUR 1999, 64 f.; [X.], 704 – Markenwert); Interessen des Widersprechenden sind dabei nicht relevant.

Anhaltspunkte für das Interesse des Inhabers der angegriffenen Marke sind u.a. der Umfang der Benutzung und die sich daraus ergebende Bekanntheit einer Marke, die Übereinstimmung mit einer Geschäftsbezeichnung, die Einbindung in eine Markenfamilie, die Kosten für die Entwicklung einer Marke, der beanspruchte Waren- und Dienstleistungsbereich sowie der Schutzumfang (Kennzeichnungskraft) etc., also Kriterien, die auch sonst im Markenrecht zum Tragen kommen.

Der [X.] hat zur Anmeldung der Marke "[X.]" ([X.] 2012, 26) 50.000 € als Gegenstandswert angenommen, ohne dies mit einer besonderen Benutzung zu begründen. Auch sonst hat der [X.] für Rechtsbeschwerdeverfahren deutlich höhere Werte als 50.000 € für Anmeldungen festgesetzt; Werte darunter sind nicht bekannt ([X.]/[X.], [X.], 10. Aufl. 2012 Rn. 27). Dieser Wert erscheint keinesfalls als zu hoch, gelten für Gemeinschaftsmarken doch 250.000 € als durchschnittlich angemessen ([X.] 2012, 200 - [X.]). Das Verhältnis der Anmeldegebühren 7:2 (1.050 € zu 300 €) würde auf den Gegenstandswert umgesetzt sogar mehr als 70.000 € für die nationale Marke ergeben. Die für Unterlassungsansprüche bei bloß drohender Beeinträchtigung, die sich schon aus einer Markenanmeldung (Begehungsgefahr) ergeben kann, üblichen Streitwerte gehen ebenfalls in diese Richtung (vgl. [X.], a.a.[X.], Rn. 222, 332).

Der Senat hält im markenrechtlichen Widerspruchsbeschwerdeverfahren im Regelfall und auch im vorliegenden Verfahren einen Gegenstandswert von 50.000 € für angemessen.

Dabei orientiert sich der Senat an der oben zitierten Rechtsprechung des [X.]. Da sich im Regelfall das wirtschaftliche Interesse des Markeninhabers am Erhalt seiner Marke im patentgerichtlichen Beschwerdeverfahren nicht von seinem entsprechenden Interesse im Rechtsbeschwerdeverfahren unterscheidet, sind keine unterschiedlichen Werte im Beschwerde- und im Rechtsbeschwerdeverfahren anzusetzen. Immer ist schließlich das Interesse dessen maßgeblich, der Markeninhaber ist. Den unterschiedlichen Anforderungen an die Anwälte tragen die unterschiedlichen Gebührensätze ausreichend Rechnung ([X.], a.a.[X.], Rn. 626). Dies entspricht auch der Handhabung in der Verwaltungs-, Arbeits- und Finanzgerichtsbarkeit sowie in der freiwilligen Gerichtsbarkeit nach § 131 [X.] ([X.] GRUR 2012, 1174 – Plus).

Die Vertreter niedrigerer Gegenstandswerte wollen darauf abstellen, dass Marken vor Aufnahme ihrer Benutzung überhaupt noch keinen oder allenfalls einen geringen Wert hätten, zumal Marken in relevantem Umfang als sog [X.] angemeldet bzw. nachfolgend im Widerspruchsverfahren verteidigt würden, ohne dass bereits geklärt sei, wofür sie konkret benutzt werden sollten. In [X.] 2012, 525 – [X.] verweist das [X.] zudem zur Rechtfertigung des Abweichens vom [X.] auf die unterschiedlichen anzuwendenden Vorschriften (PatKostG und [X.] bei [X.] und [X.] sowie [X.] beim [X.]), womit nur für [X.] und [X.] nach § 23 [X.] Regel- bzw. Höchstbeträge gelten. Demgegenüber stellen die Vertreter höherer Streitwerte auch auf die Kosten bzw. Verluste durch Verzögerungen ab ([X.] [X.] 2012, 85 – Allflora; [X.]. v.  26.4.2010 – 27 W (pat) 146/08 – [X.]; [X.]. v. 5.8.2008 - 27 W (pat) 75/08).

Eine Benutzung des angegriffenen Zeichens hat der Beschwerdegegner in der mündlichen Verhandlung verneint. Eine geplante Benutzung in einem Umfang, der Anhaltspunkte für eine Anhebung des [X.] geben könnte, hat er nicht vorgetragen und ist nicht ersichtlich.

IV.

Nachdem die Rechtsprechung der Senate des [X.]s zum Gegenstandswert nicht einheitlich ist, bietet sich eine Klärung über die gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 [X.] i.V.m. § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zugelassene Rechtsbeschwerde an ([X.] [X.]. v. 21.2.2011 – 29 W (pat) 39/09 - [X.] Geysir; a.A. [X.] [X.] 2012, 421 (423); [X.]E 22, 129 (130); [X.]/[X.] a.a.[X.] Rn. 24).

Die Rechtsbeschwerde gegen Entscheidungen in solchen Nebenverfahren ist u.a. deswegen eingeführt worden, um die  unterschiedliche Rechtsprechung auf dem Gebiet des Kostenrechts zu vereinheitlichen (BT-Drucks. 14/4722 S. 116). Da sich die in § 83 [X.] geregelte Rechtsbeschwerde ausschließlich auf Beschwerden nach § 66 [X.] in Hauptsacheverfahren (Monatsfrist gemäß § 66 Abs. 2 [X.]) und nicht auf Beschwerden gegen [X.] gemäß § 63 Abs. 3 Satz 3 [X.] in Nebenverfahren bezieht, soll § 83 [X.] nicht zur Anwendung kommen. Diese Vorschrift soll dem Umstand Rechnung tragen, dass das [X.] wie ein Verwaltungsgericht Verwaltungsakte überprüft und gegen seine [X.]üsse  keine weitere Tatsacheninstanz vorgesehen ist. Einer eigenen [X.] für Nebenverfahren bedarf es im [X.] nicht, weil sein § 82 allgemein auf § 574 ZPO verweist.

V.

Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 33 Abs. 9 [X.]).

Meta

27 W (pat) 109/11

23.07.2013

Bundespatentgericht 27. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

§ 574 Abs 2 Nr 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 23.07.2013, Az. 27 W (pat) 109/11 (REWIS RS 2013, 3915)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 3915

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

27 W (pat) 116/16 (Bundespatentgericht)


27 W (pat) 57/16 (Bundespatentgericht)

Markenbeschwerdeverfahren – "441 Broadway/BROADWAY(Unionsmarke)" – Warenidentität – zur Kennzeichnungskraft – klangliche Zeichenähnlichkeit - unmittelbare Verwechslungsgefahr


27 W (pat) 52/13 (Bundespatentgericht)

Markenbeschwerdeverfahren – "BOSS STAR (Wort-Bild-Marke)/BOSS" – zur Kennzeichnungskraft – Warenidentität – klangliche Verwechslungsgefahr


27 W (pat) 29/13 (Bundespatentgericht)

Markenbeschwerdeverfahren – "Gegenstandswert im Widerspruchsbeschwerdeverfahren"


27 W (pat) 58/16 (Bundespatentgericht)

Markenbeschwerdeverfahren – "MEILENSTEIN (Wort-Bild-Marke)/Wellensteyn" – Warenidentität und -ähnlichkeit – zur Kennzeichnungskraft – klangliche Verwechslungsgefahr – …


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.