Bundesgerichtshof, EuGH-Vorlage vom 21.06.2018, Az. I ZB 61/17

1. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 7364

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Gegenstand

Vorlage an EuGH zur Auslegung der Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Marken: Unterscheidungskraft eines Zeichens bei praktisch bedeutsamen und naheliegenden Möglichkeiten der Verwendung als Herkunftshinweis - #darferdas?


Leitsatz

#darferdas?

Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Marken (ABl. Nr. L 299 vom 8. November 2008, S. 25) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Hat ein Zeichen Unterscheidungskraft, wenn es praktisch bedeutsame und naheliegende Möglichkeiten gibt, es für die Waren oder Dienstleistungen als Herkunftshinweis zu verwenden, auch wenn es sich dabei nicht um die wahrscheinlichste Form der Verwendung des Zeichens handelt?

Tenor

I. Das Verfahren wird ausgesetzt.

II. Dem [X.] wird zur Auslegung von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95/[X.] und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Marken ([X.]. Nr. L 299 vom 8. November 2008, [X.]) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Hat ein Zeichen Unterscheidungskraft, wenn es praktisch bedeutsame und naheliegende Möglichkeiten gibt, es für die Waren oder Dienstleistungen als Herkunftshinweis zu verwenden, auch wenn es sich dabei nicht um die wahrscheinlichste Form der Verwendung des Zeichens handelt?

Gründe

1

I. Die Markenstelle des [X.] hat die Anmeldung der Wortmarke

#darferdas?

- soweit noch von Bedeutung - für folgende Waren der Klasse 25

Bekleidungsstücke, insbesondere T-Shirts; Schuhwaren; Kopfbedeckungen

wegen fehlender Unterscheidungskraft zurückgewiesen. Die Beschwerde der Anmelderin ist ohne Erfolg geblieben ([X.], Beschluss vom 3. Mai 2017 - 27 W(pat) 551/16, juris). Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt sie ihr Eintragungsbegehren weiter.

2

II. Das [X.] hat angenommen, der angemeldeten Wortmarke fehle für die genannten Waren jegliche Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.]. Dazu hat es ausgeführt:

3

Bei dem reinen Wortbestandteil des angemeldeten Zeichens handele es sich um eine in [X.] gehaltene unmittelbar verständliche Frage, die mit dem Fragezeichen entsprechend kenntlich gemacht sei. Die nicht regelgerechte Zusammenschreibung der Wörter und Kleinschreibung des ersten Buchstabes sei ein in der Werbung nicht unübliches stilistisches Mittel, das zudem bei der Formulierung als Hashtag weit verbreitet sei. Bei der Beurteilung des angegriffenen Zeichens in seiner Gesamtheit werde der angesprochene Verkehr das vorangestellte [X.] "#" als Hinweis darauf verstehen, dass es um die schlagwortartige Bezeichnung eines Diskussionsthemas zu der Frage "Darf er das?" gehe. Dem Zeichen könne zwar weder ein beschreibender Gehalt noch ein enger beschreibender Bezug zu den angemeldeten Waren entnommen werden. Es handele sich jedoch um eine aus gebräuchlichen Wörtern der [X.] zusammengesetzte Zeichenfolge, die vom angesprochenen Verkehr stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werde.

4

Das gelte auch und gerade im Zusammenhang mit den beanspruchten Waren "Bekleidungsstücke, insbesondere T-Shirts; Schuhwaren; Kopfbedeckungen". Diese seien oftmals mit "Fun-Sprüchen" oder bekenntnishaften Aussagen versehen. Bei der angemeldeten Bezeichnung handele es sich um eine derartige "Botschaft nach außen". Deshalb sei eine Verwendung der Zeichenfolge als deutlich sichtbarer Schriftzug auf der Vorderseite oder der Rückseite von Bekleidungsstücken wie T-Shirts oder als erkennbarer Schriftzug auf Kopfbedeckungen oder Schuhwaren und somit als Motiv die wahrscheinlichste und zugleich eine praktisch bedeutsame Verwendungsform der Zeichenfolge. Auf ebenfalls denkbare, aber weniger wahrscheinliche und auch praktisch nicht so bedeutsame anderweitige Verwendungen des angemeldeten Zeichens, beispielsweise auf dem Etikett eines Kleidungsstücks, komme es nicht an. Bei der im Vordergrund stehenden Verwendungsform als "Botschaft nach außen" verstünden die angesprochenen [X.]e das angemeldete Zeichen dahingehend, dass dieses zu Überlegungen oder Diskussionen zum Thema "Darf er das?" anregen möchte. Dem stehe nicht entgegen, dass [X.] ursprünglich aus dem Bereich der [X.] Medien stammten. Denn sie würden auch im analogen Bereich und insbesondere in dekorativer Form auf Bekleidungsstücken verwendet und seien so bereits im Zeitpunkt der Anmeldung des Zeichens verwendet worden. Der angesprochene Verkehr sehe in einem gut sichtbaren Aufdruck der Zeichenfolge "#darferdas?" auf Bekleidungsstücken, Kopfbedeckungen oder Schuhen lediglich ein Gestaltungsmittel und keinen Herkunftshinweis.

5

III. [X.] hängt davon ab, ob Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95/[X.] zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Marken ([X.]) dahin auszulegen ist, dass ein Zeichen Unterscheidungskraft hat, wenn es praktisch bedeutsame und naheliegende Möglichkeiten gibt, es für die Waren oder Dienstleistungen als Herkunftshinweis zu verwenden, auch wenn es sich dabei nicht um die wahrscheinlichste Form der Verwendung des Zeichens handelt. Diese Frage lässt sich unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] nicht zweifelsfrei beantworten. Vor der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ist das Verfahren deshalb auszusetzen und diese Frage gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 AEUV dem Gerichtshof der [X.] zur Vorabentscheidung vorzulegen.

6

1. Nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] sind Marken, denen für die Waren oder Dienstleistungen jegliche Unterscheidungskraft fehlt, von der Eintragung ausgeschlossen. Diese Vorschrift setzt Art. 3 Abs. 1 Buchst. b [X.] ins nationale Recht um und ist daher richtlinienkonform auszulegen. Nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. b [X.] sind Marken, die keine Unterscheidungskraft haben, von der Eintragung ausgeschlossen.

7

2. Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b [X.] und § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und die Waren oder Dienstleistungen damit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet. Denn die Hauptfunktion der Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten (zu Art. 7 Abs. 1 Buchst. b [X.] vgl. [X.], Urteil vom 21. Januar 2010 - [X.]/08, [X.], 228 Rn. 33 = [X.], 364 - [X.] [Vorsprung durch Technik]; [X.], Beschluss vom 17. Oktober 2013 - [X.], [X.], 376 Rn. 11 = [X.], 449 [X.]; Beschluss vom 10. Juli 2014 - [X.], [X.], 173 Rn. 13 = [X.], 195 - for you; Beschluss vom 21. Juli 2016 - [X.], [X.]Z 211, 268 Rn. 13 - Sparkassen-Rot).

8

Keine Unterscheidungskraft haben Zeichen, die einen beschreibenden Begriffsinhalt enthalten, der für die in Frage stehenden Waren oder Dienstleistungen ohne weiteres und ohne Unklarheiten als solcher erfasst wird. Bei derartigen beschreibenden Angaben gibt es keinen tatsächlichen Anhaltspunkt, dass der Verkehr sie als Unterscheidungsmittel versteht. Auch Angaben, die sich auf Umstände beziehen, die die Ware oder die Dienstleistung selbst nicht unmittelbar betreffen, fehlt die Unterscheidungskraft, wenn durch die Angabe ein enger beschreibender Bezug zu den angemeldeten Waren oder Dienstleistungen hergestellt wird und deshalb die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Verkehr den beschreibenden Begriffsinhalt als solchen ohne Weiteres und ohne Unklarheiten erfasst und in der Bezeichnung nicht ein Unterscheidungsmittel für die Herkunft der angemeldeten Waren oder Dienstleistungen sieht (vgl. [X.], Beschluss vom 15. Mai 2014 - [X.], [X.], 1204 Rn. 12 = [X.], 1462 - [X.], mwN). Keine Unterscheidungskraft haben ferner Marken, die aus gebräuchlichen Wörtern der [X.] oder einer bekannten Fremdsprache bestehen und die vom angesprochenen Verkehr stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden (vgl. [X.], Beschluss vom 19. Februar 2014 - [X.], [X.], 569 Rn. 26 = [X.], 573 - [X.], mwN).

9

3. Das [X.] hat angenommen, nach diesen Grundsätzen habe die angemeldete Marke "#darferdas?" keine Unterscheidungskraft, weil es sich dabei um eine aus gebräuchlichen Wörtern der [X.] zusammengesetzte Zeichenfolge handele, die vom angesprochenen Verkehr stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werde.

a) Die Rechtsbeschwerde wendet sich ohne Erfolg gegen die Annahme des [X.]s, bei der angemeldeten Wortmarke "#darferdas?" handele sich um eine aus gebräuchlichen Wörtern der [X.] zusammengesetzte Zeichenfolge.

aa) Das [X.] hat angenommen, bei dem reinen Wortbestandteil des angemeldeten Zeichens handele es sich um eine in [X.] gehaltene unmittelbar verständliche Frage, die mit dem Fragezeichen entsprechend kenntlich gemacht sei. Die nicht regelgerechte Zusammenschreibung der Wörter und Kleinschreibung des ersten Buchstabes sei ein in der Werbung nicht unübliches stilistisches Mittel, das zudem bei der Formulierung als Hashtag weit verbreitet sei. Bei der Beurteilung des angegriffenen Zeichens in seiner Gesamtheit werde der angesprochene Verkehr das vorangestellte [X.] "#" als Hinweis darauf verstehen, dass es um die schlagwortartige Bezeichnung eines Diskussionsthemas zu der Frage "Darf er das?" gehe.

bb) Die Rechtsbeschwerde rügt, die zusammenhängende Zeichenfolge ergebe entgegen der Auffassung des [X.]s kein gebräuchliches Wort und erst recht keine verständliche Frage. Ein [X.] zu Beginn einer Frage sei völlig unüblich. Es handele sich auch nicht um einen Hashtag, da Satzzeichen nicht Bestandteil eines [X.] sein könnten. Bei einer Gesamtbetrachtung verfremde das [X.] zusammen mit der Klein- und Zusammenschreibung die Frage "Darf er das?" derart, dass der angesprochene [X.] die Zeichenfolge nicht als Frage auffasse.

cc) Mit dieser Rüge kann die Rechtsbeschwerde nicht durchdringen. Sie ersetzt damit lediglich die tatrichterliche Beurteilung durch ihre eigene Sichtweise, ohne einen Rechtsfehler des [X.]s aufzuzeigen.

(1) Das [X.] hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass der angesprochene Verkehr in dem angemeldeten Zeichen eine Wortfolge erkennt. Nach den Feststellungen des [X.]s ist die Klein- und Zusammenschreibung von Wortfolgen nach einem [X.] weit verbreitet. Zur Begründung seiner Auffassung hat das [X.] auf bereits im Anmeldezeitpunkt bekannte [X.] wie #aufschrei, #blacklivesmatter oder #jesuischarlie verwiesen. Es hat weiter angenommen die angesprochenen [X.]e könnten die kurze, ihrerseits aus nur drei ebenfalls kurzen Wörtern bestehende Zeichenfolge unschwer auf einen Blick erfassen. Weiter hat es festgestellt, dass [X.] - was die Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel zieht - Begriffe oder Wortfolgen sind, die als Schlagworte oder zur Benennung von Diskussionsthemen insbesondere in [X.] Medien wie [X.] dienen und auf weitere Beiträge zu diesem Schlagwort verweisen oder verlinken. Durch die häufige Verwendung von [X.] in der Werbung und in [X.] Medien sind die angesprochenen [X.]e nach den Feststellungen des [X.]s daran gewöhnt, klein- und zusammengeschriebene Wortfolgen - selbst in Fremdsprachen - zu erfassen und gedanklich zu trennen. Insofern trägt das [X.] zur Verständlichkeit der Wortfolge bei und ist dieser, anders als die Rechtsbeschwerde meint, nicht abträglich. Der Verkehr erwartet nach einem [X.] eine zusammengeschriebene Phrase und stellt sich deshalb bereits im Vorhinein auf die notwendige gedankliche Trennung ein.

(2) Das [X.] hat ferner ohne Rechtsfehler angenommen, dass die Wortfolge wegen des Fragezeichens an ihrem Ende auf einen Blick als Frage erfasst wird. Es hat insofern auf das korrekte Satzzeichen, die zutreffende grammatikalische Syntax und die wenigen und kurzen Worte verwiesen. Das ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ändert das vorangestellte [X.] daran nichts. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, dass die angemeldete Wortfolge keinen Hashtag im eigentlichen, technischen Sinne darstellt; ein solcher scheidet bereits deswegen aus, weil bei der Verwendung auf Bekleidungsstücken die einem digitalen Hashtag innewohnende Verlinkung nicht gegeben ist. Dass bei der Verwendung in digitalen Medien ein Fragezeichen nicht Bestandteil eines [X.] sein kann, ist deshalb nicht von Bedeutung. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass die angesprochenen [X.]e bei einem [X.], mit dem sie sowohl in [X.] Medien als auch in klassischen Medien ständig konfrontiert sind, ein Schlagwort oder ein aktuelles Diskussionsthema erwarten (vgl. Bingener/[X.], [X.] 2018, 185, 188). Ein solches Thema kann auch mit einer Frage angesprochen werden.

b) Die Rechtsbeschwerde wendet sich ferner gegen die Annahme des [X.]s, die angemeldete Marke werde vom angesprochenen Verkehr stets nur als eine aus gebräuchlichen Wörtern der [X.] zusammengesetzte Zeichenfolge und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden.

aa) Das [X.] hat angenommen, im Rahmen der Prüfung des Schutzhindernisses der fehlenden Unterscheidungskraft sei auf die wahrscheinlichste Verwendungsform des Zeichens abzustellen. Auf ebenfalls denkbare - aber weniger wahrscheinliche und auch praktisch nicht so bedeutsame - anderweitige Verwendungen komme es nicht an. In Bezug auf die hier in Rede stehenden Waren sei eine Verwendung der Zeichenfolge als deutlich sichtbarer Schriftzug auf der Vorderseite oder Rückseite von Bekleidungsstücken wie T-Shirts oder als erkennbarer Schriftzug auf Kopfbedeckungen oder Schuhwaren die wahrscheinlichste und zugleich eine praktisch bedeutsame Verwendungsform. Eine anderweitige Verwendung des Zeichens für diese Waren, beispielsweise auf dem Etikett eines Kleidungsstücks, sei zwar ebenfalls denkbar, aber weniger wahrscheinlich und auch praktisch nicht so bedeutsam. Bei der im Vordergrund stehenden Verwendungsform als "Botschaft nach außen" verstünden die angesprochenen [X.]e das Zeichen als Anregung zu Überlegungen oder Diskussionen zum Thema "Darf er das?". In einem gut sichtbaren Aufdruck der Zeichenfolge "#darferdas?" auf Bekleidungsstücken, Kopfbedeckungen oder Schuhen sehe der angesprochene Verkehr lediglich ein Gestaltungsmittel und keinen Herkunftshinweis.

bb) Das [X.] ist zutreffend davon ausgegangen, dass bei der Prüfung, ob das Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft besteht, auf die Kennzeichnungsgewohnheiten in dem maßgeblichen Warensektor abzustellen ist (vgl. [X.], Urteil vom 22. Juli 2004 - [X.], [X.], 865, 866 [juris Rn. 36 f.] = WRP 2004, 1281 - [X.]). Hierzu rechnet die Art und Weise, in der Kennzeichnungsmittel bei den betreffenden Waren üblicherweise verwendet werden, und insbesondere die Stelle, an der sie angebracht werden ([X.], Beschluss vom 24. April 2008 - [X.], [X.], 1093 Rn. 22 = [X.], 1428 - [X.]). Im [X.] findet der Verkehr in unterschiedlicher Größe angebrachte Aufdrucke markenrechtlich geschützter Zeichen auf Bekleidungsstücken vor (vgl. [X.], Urteil vom 10. November 2016 - [X.], [X.], 730 Rn. 22 = [X.], 811 - [X.], mwN). Die Antwort auf die Frage, ob der Verkehr ein auf einem Bekleidungsstück angebrachtes Zeichen als Hinweis auf die Herkunft des Bekleidungsstücks oder als bloßes dekoratives Element auffasst, kann nach der Art und der Platzierung des Zeichens variieren. Bei Bildern, Motiven, Symbolen und Wörtern, die auf der Vorderseite oder der Rückseite von Bekleidungsstücken angebracht sind, geht der Verkehr nicht generell davon aus, es handele sich um einen Herkunftshinweis; ob dies der Fall ist, bedarf vielmehr einer Beurteilung im jeweiligen Einzelfall (vgl. [X.], Urteil vom 14. Januar 2010 - [X.], [X.], 838 Rn. 20 = [X.], 1043 - [X.]; Urteil vom 14. Januar 2010 - [X.], juris Rn. 20 - [X.]; [X.], [X.], 730 Rn. 22 - [X.]). Dagegen wird der Verkehr in Zeichen, die sich auf eingenähten Etiketten auf der Innenseite von Bekleidungsstücken befinden, regelmäßig einen Herkunftshinweis sehen (vgl. [X.], [X.], 1093 Rn. 22 - [X.]; [X.], 730 Rn. 22 - [X.]; vgl. auch [X.], Beschluss vom 8. März 2012 - [X.], [X.], 1044 Rn. 20 = [X.], 1398 - [X.]).

cc) Das [X.] hat angenommen, im Rahmen der Prüfung des Schutzhindernisses der fehlenden Unterscheidungskraft sei auf die wahrscheinlichste Verwendungsform des Zeichens abzustellen. Auf ebenfalls denkbare - aber weniger wahrscheinliche und auch praktisch nicht so bedeutsame - anderweitige Verwendungen komme es nicht an. Es ist fraglich, ob diese Auffassung zutrifft. Nach Ansicht des Senats ist nur dann allein auf die wahrscheinlichste Verwendungsform des Zeichens abzustellen, wenn andere mögliche Verwendungsformen des Zeichens nicht praktisch bedeutsam oder nicht naheliegend sind.

(1) Der Gerichtshof der [X.] hat für eine Bildmarke ausgesprochen, dass Art. 7 Abs. 1 Buchst. b [X.]/[X.] keine Verpflichtung entnommen werden kann, im Eintragungsverfahren die Prüfung der Unterscheidungskraft auf andere Verwendungen der angemeldeten Marke zu erstrecken als diejenige, die die prüfende Stelle mit Hilfe ihrer Sachkunde auf diesem Gebiet als die wahrscheinlichste erkennt ([X.], Beschluss vom 26. April 2012 - C-307/11, [X.], 519 Rn. 55 - [X.] [umsäumter Winkel]). Die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b [X.]/[X.] durch den Gerichtshof der [X.] ist auch für die Auslegung von § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] maßgeblich. Das in § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] geregelte absolute Schutzhindernis der mangelnden Unterscheidungskraft ist zwingend von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b [X.] vorgegeben und deshalb richtlinienkonform auszulegen (vgl. [X.] in [X.]/[X.]/Thiering, [X.], 12. Aufl., [X.]. Rn. 23). Die Richtlinienvorschrift entspricht Art. 7 Abs. 1 Buchst. b [X.]/[X.]. Auch wenn es sich beim nationalen Markenrecht und dem Unionsmarkenrecht um voneinander unabhängige Rechtssysteme handelt, kann bei der Anwendung des auf der Markenrichtlinie beruhenden Markengesetzes auf Erkenntnisse zum Unionsmarkenrecht zurückgegriffen werden (vgl. [X.], Urteil vom 16. September 2015 - [X.]/14, [X.], 1198 Rn. 45 = [X.], 1455 - [X.]]; [X.], Urteil vom 27. März 2013 - [X.], [X.], 631 Rn. 23 = [X.], 778 - [X.]/Marulablu; [X.] in [X.]/[X.]/Thiering aaO [X.]. Rn. 36).

(2) Nach der Rechtsprechung des [X.] muss im Eintragungsverfahren für die Annahme der Unterscheidungskraft nicht jede denkbare Verwendung des Zeichens markenmäßig sein. Es genügt, wenn es praktisch bedeutsame und naheliegende Möglichkeiten gibt, das angemeldete Zeichen bei den Waren und Dienstleistungen, für die es Schutz beansprucht, so zu verwenden, dass es vom Verkehr ohne weiteres als Marke verstanden wird (vgl. [X.], Beschluss vom 21. September 2000 - [X.], [X.], 240, 242 - SWISS-ARMY; [X.], [X.], 193 Rn. 22 - [X.]; [X.], Beschluss vom 31. März 2010 - [X.]/09, [X.]Z 185, 152 Rn. 21 - [X.]I; Beschluss vom 24. Juni 2010 - [X.]/08, [X.], 1100 Rn. 28 - [X.]!; [X.], [X.], 1044 Rn. 20 - [X.]). Nach Ansicht des Senats steht diese Rechtsprechung mit den vorgenannten Ausführungen des Gerichtshofs der [X.] in der Entscheidung "[X.]" in Einklang. Diese Ausführungen sind nach Auffassung des Senats dahin zu verstehen, dass bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft die Prüfung nur dann auf die wahrscheinlichste Verwendungsform zu beschränken ist, wenn die übrigen in Betracht kommenden Verwendungsformen nicht praktisch bedeutsam oder naheliegend sind (vgl. [X.], [X.], 1204 Rn. 21 - [X.]; vgl. [X.], [X.] 2012, 455, 458). Es ist nicht gerechtfertigt, einer Marke die Eintragung wegen fehlender Unterscheidungskraft zu versagen, wenn es praktisch bedeutsame oder naheliegende Möglichkeiten gibt, die Marke als Herkunftshinweis für die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen zu verwenden.

(3) Die Frage ist entscheidungserheblich.

Das [X.] hat angenommen, in Bezug auf die hier in Rede stehenden Waren sei eine Verwendung der Zeichenfolge als deutlich sichtbarer Schriftzug auf der Vorderseite oder Rückseite von Bekleidungsstücken wie T-Shirts oder als erkennbarer Schriftzug auf Kopfbedeckungen oder Schuhwaren die wahrscheinlichste und zugleich eine praktisch bedeutsame Verwendungsform. Eine anderweitige Verwendung des Zeichens für diese Waren, beispielsweise auf dem Etikett eines Kleidungsstücks, sei zwar ebenfalls denkbar, aber weniger wahrscheinlich und auch praktisch nicht so bedeutsam. Bei der im Vordergrund stehenden Verwendungsform als "Botschaft nach außen" verstünden die angesprochenen [X.]e das Zeichen als Anregung zu Überlegungen oder Diskussionen zum Thema "Darf er das?". In einem gut sichtbaren Aufdruck der Zeichenfolge "#darferdas?" auf Bekleidungsstücken, Kopfbedeckungen oder Schuhen sehe der angesprochene Verkehr lediglich ein Gestaltungsmittel und keinen Herkunftshinweis.

Die Rechtsbeschwerde macht zwar ohne Erfolg geltend, eine dekorative Verwendung sei weder die wahrscheinlichste noch eine praktisch bedeutsame oder naheliegende Verwendung des Zeichens. Bei Bekleidungsstücken liege es vielmehr nahe, dass eine eingetragene Marke zumindest auch auf Einnähetiketten verwendet werde. Selbst bei einer Verwendung als Schriftzug auf Kleidungsstücken könne das Zeichen auf die betriebliche Herkunft hinweisen, weil es sich dabei nicht um einen "[X.]" oder eine andere bekenntnishafte Aussage handele. Damit ersetzt die Rechtsbeschwerde erneut die tatrichterliche Beurteilung durch ihre eigene, ohne einen Rechtsfehler des [X.]s aufzuzeigen.

Für das Rechtsbeschwerdeverfahren ist aber mangels abweichender Feststellungen des [X.]s zugunsten der Anmelderin davon auszugehen, dass es neben einer dekorativen Verwendung auch andere praktisch bedeutsame und naheliegende Möglichkeiten einer Verwendung des Zeichens für die hier in Rede stehenden Waren, beispielsweise auf dem Etikett eines Kleidungsstücks, gibt. Dem steht nicht entgegen, dass nach den Feststellungen des [X.]s eine solche Verwendung im Verhältnis zu einer Verwendung etwa als Schriftzug auf der Vorderseite eines Kleidungsstücks weniger wahrscheinlich und auch praktisch nicht so bedeutsam und naheliegend ist. Sind der Prüfung der Unterscheidungskraft sämtliche praktisch bedeutsamen oder naheliegenden Verwendungsformen des Zeichens zugrunde zu legen, kann dem angemeldeten Zeichen nach den bisherigen Feststellungen nicht jegliche Unterscheidungskraft abgesprochen werden.

Koch     

      

Löffler     

      

Schwonke

      

Feddersen     

      

Schmaltz     

      

Meta

I ZB 61/17

21.06.2018

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

EuGH-Vorlage

Sachgebiet: ZB

vorgehend BPatG München, 3. Mai 2017, Az: 27 W (pat) 551/16, Beschluss

Art 3 Abs 1 Buchst b EGRL 95/2008, § 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG, Art 267 AEUV

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, EuGH-Vorlage vom 21.06.2018, Az. I ZB 61/17 (REWIS RS 2018, 7364)

Papier­fundstellen: MDR 2020, 744 REWIS RS 2018, 7364


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. I ZB 61/17

Bundesgerichtshof, I ZB 61/17, 30.01.2020.

Bundesgerichtshof, I ZB 61/17, 21.06.2018.


Az. 27 W (pat) 551/16

Bundespatentgericht, 27 W (pat) 551/16, 03.05.2017.


Az. 29 W (pat) 537/20

Bundespatentgericht, 29 W (pat) 537/20, 15.12.2020.


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