Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 05.09.2013, Az. 1 BvR 2447/11

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2013, 3023

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Effektiver Rechtsschutz im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren - hier: erhebliche Bedenken gegen Dauer des fachgerichtlichen Eilverfahrens - Verfassungsbeschwerde jedoch wegen Subsidiarität (Unterlassen der Erhebung einer Entschädigungsklage gem § 198 GVG) unzulässig


Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein verwaltungsgerichtliches Eilverfahren auf dem Gebiet des Schulrechts.

2

1. Der Beschwerdeführer ist Vater eines minderjährigen [X.], der im Schuljahr 2010/2011 die 7. Klasse einer Gesamtschule besuchte. Das Schuljahr endete mit Beginn der Sommerferien am Montag, dem 11. Juli 2011. Im Laufe des Schuljahres bestanden zwischen dem Beschwerdeführer und der Schule seines [X.] Uneinigkeiten über ein vom Beschwerdeführer für sich selbst geltend gemachtes Hospitationsrecht. So beantragte er auch am 13. Mai 2011 bei der Schule, am 27. Mai 2011 im Physikunterricht seines [X.] hospitieren zu dürfen. Dies lehnte der Schulleiter unter Berufung auf eine missbräuchliche Nutzung des [X.] ab.

3

2. Mit Schriftsatz vom 24. Mai 2011 beantragte der Beschwerdeführer unter Berufung auf Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und § 59 Abs. 6 SchulG LSA beim Verwaltungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung dahingehend, die Schule zu verpflichten, ihm "noch in diesem Schuljahr die Möglichkeit der Hospitation im Unterricht seines [X.] […], konkret dem Physikunterricht oder dem Mathematikunterricht […], am 27.05.2011, alternativ am 21.06.2011 zu ermöglichen". Er sei besorgt über die psychische Entwicklung seines [X.] und wolle sich ein eigenes Bild vom Unterricht machen, um einschätzen zu können, welche konkreten Hilfsmaßnahmen ergriffen werden sollten. Da er für seinen [X.] einen Schulwechsel zum neuen Schuljahr anstrebe, sei die Gewährung der Hospitation nur noch im verbleibenden Schuljahr möglich aber auch erforderlich.

4

3. Das Verwaltungsgericht lehnte den Eilantrag am 26. Mai 2011 - per Fax am selben Tag zugestellt - ab. Die Schule habe die Hospitation zu Recht abgelehnt. Es müsse befürchtet werden, dass der Beschwerdeführer mit seiner Anwesenheit den Unterricht erheblich stören werde.

5

4. Der Beschwerdeführer legte am 9. Juni 2011 beim Verwaltungsgericht Beschwerde ein, die am 14. Juni 2011 einschließlich der Gerichts- und Beiakten beim Oberverwaltungsgericht einging. Daraufhin wurde die Beschwerde der Gegenseite gegen [X.] auf dem Postweg zugestellt und diese aufgefordert, bis zum 1. Juli 2011 zu der Beschwerdebegründung Stellung zu nehmen, was diese auch tat. Im Weiteren forderte das Oberverwaltungsgericht eine weitere Akte vom Verwaltungsgericht an und wurden weitere Schriftsätze ausgetauscht. Aufgrund Verfügung vom 5. August 2011 fragte das Oberverwaltungsgericht schließlich beim Beschwerdeführer an, welches Ziel mit der Beschwerde verfolgt werde, da nun das Schuljahr verstrichen sei. Daraufhin stellte der Beschwerdeführer seinen Antrag um und beantragte nunmehr festzustellen, dass der Beschluss des [X.] rechtswidrig gewesen sei.

6

5. Am 18. August 2011 verwarf das Oberverwaltungsgericht die Beschwerde mit der Begründung, das Rechtsschutzbedürfnis sei entfallen und ein Fortsetzungsfeststellungsantrag sei im Eilverfahren nicht statthaft.

7

6. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Rechts auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG wegen einer angeblichen Verschleppung des Beschwerdeverfahrens durch das Oberverwaltungsgericht.

II.

8

Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor (§ 93a Abs. 2 [X.]). Sie hat keine Aussicht auf Erfolg. Zwar begegnet die Dauer des Beschwerdeverfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG erheblichen Bedenken (1.). Jedoch ist die Verfassungsbeschwerde aus Gründen der materiellen Subsidiarität unzulässig (2.).

9

1. Bei Würdigung der aus der Verfassungsbeschwerde und der beigezogenen Gerichtsakte ersichtlichen Umstände dürfte die zögerliche Behandlung der Beschwerde im einstweiligen Rechtsschutzverfahren durch das Oberverwaltungsgericht den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt haben.

a) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern gibt dem [X.] Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. [X.] 35, 382 <401 f.>; 37, 150 <153>; 101, 397 <407>; stRspr). Wirksam ist nur ein Rechtsschutz, der innerhalb angemessener [X.] gewährt wird. Namentlich der vorläufige Rechtsschutz im Eilverfahren hat so weit wie möglich der Schaffung vollendeter Tatsachen zuvorzukommen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können, wenn sich eine Maßnahme bei endgültiger richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist (vgl. [X.] 37, 150 <153>; 65, 1 <70>). Hieraus ergeben sich für die Gerichte Anforderungen an die Auslegung und Anwendung der jeweiligen Gesetzesbestimmungen über den Eilrechtsschutz (vgl. [X.] 49, 220 <226>; 77, 275 <284>; 93, 1 <13 f.>; stRspr). Wo die Dringlichkeit eines Eilantrages es erfordert, muss das angerufene Gericht, wenn es eine Stellungnahme der Gegenseite einholt, die für eine rechtzeitige Entscheidung erforderliche Zügigkeit der Kommunikation sicherstellen, indem es etwa für Übermittlungen per Fax sorgt, kurze Fristen setzt und etwa benötigte Akten zeitnah beizieht (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 3. August 2011 - 2 BvR 1739/10 -, juris, Rn. 28 f.).

b) Diesen Anforderungen ist das Oberverwaltungsgericht hier wohl nicht gerecht geworden. Sowohl aus der ursprünglichen Antragsschrift als auch aus der Beschwerdeschrift ging deutlich hervor, dass und weshalb der Beschwerdeführer ein besonderes Interesse an der Wahrnehmung des [X.] gerade noch im laufenden Schuljahr hatte. Auch enthielt der formulierte Antrag konkrete Daten, für die er alternativ die Hospitation begehrte. Einer dieser Tage, der 21. Juni 2011, war auch noch nicht verstrichen, als das Beschwerdeverfahren beim Oberverwaltungsgericht einging. Anders als das Verwaltungsgericht, das auf dem [X.] eine Stellungnahme der Gegenseite eingeholt und innerhalb von zwei Tagen über den Antrag entschieden hat, hat das Oberverwaltungsgericht von diesen Beschleunigungsmöglichkeiten keinen Gebrauch gemacht. Vielmehr hat es der Gegenseite eine zweiwöchige Stellungnahmefrist gesetzt, bei deren Ablauf der 21. Juni 2011 ersichtlich bereits verstrichen und das Schuljahr beinahe schon abgelaufen war. Auch nach Eingang der Stellungnahme und der weiter angeforderten Akten kam es nicht unmittelbar zu einer Entscheidung, obwohl ersichtlich Entscheidungsreife bestand. Von einer effektiven und den Anforderungen von Art. 19 Abs. 4 GG genügenden Ausgestaltung des [X.] ist vor diesem Hintergrund wohl nicht auszugehen.

2. Eine abschließende Entscheidung darüber, ob eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG vorliegt, muss jedoch nicht ergehen, weil die Verfassungsbeschwerde bereits aus Gründen der Subsidiarität unzulässig ist. Es erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Beschwerdeführer nach den Vorschriften des [X.] bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 ([X.]) eine Kompensation des gerügten Verstoßes gegen das Verbot überlanger Verfahrensdauer hätte erreichen können.

a) Nach dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde muss ein Beschwerdeführer das ihm Mögliche tun, damit eine Grundrechtsverletzung im fachgerichtlichen Instanzenzug unterbleibt oder beseitigt wird und alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen (vgl. § 90 Abs. 2 Satz 1 [X.]; [X.] 107, 395 <414>; 112, 50 <60>; stRspr).

b) Gemessen hieran wäre es dem Beschwerdeführer auch nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde noch zumutbar gewesen, zu versuchen, den gerügten Grundrechtsverstoß durch die Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs nach § 198 Abs. 1 Satz 1 [X.] in der Fassung des [X.] bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 ganz oder zumindest teilweise zu beseitigen (so auch [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 20. Juni 2012 - 2 BvR 1565/11 -, juris, Rn. 13 ff.).

Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 1 [X.] wird entschädigt, wer als Verfahrensbeteiligter infolge unangemessen langer Dauer eines Gerichtsverfahrens einen Nachteil erleidet. Gemäß Art. 23 Satz 1 des [X.] bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 gilt das Gesetz auch für abgeschlossene Verfahren, "deren Dauer bei seinem Inkrafttreten Gegenstand von anhängigen Beschwerden beim [X.] ist oder noch werden kann". Die Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach § 198 Abs. 1 [X.] konnte abweichend von § 198 Abs. 5 [X.] bei abgeschlossenen Verfahren sofort und musste spätestens am 3. Juni 2012 erhoben werden (vgl. Art. 23 Satz 6 des Gesetzes).

Danach erscheint es nicht ausgeschlossen, dass der Beschwerdeführer nach Erhebung seiner Verfassungsbeschwerde noch Gelegenheit gehabt hätte, einen Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1 Satz 1 [X.] geltend zu machen. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren war zum [X.]punkt des Inkrafttretens des [X.] bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren am 3. Dezember 2011 bereits abgeschlossen. Der Beschluss des [X.] wurde dem Beschwerdeführer am 24. August 2011 zugestellt. Gemäß Art. 35 Abs. 1 [X.] beträgt die Frist zur Erhebung einer Individualbeschwerde zum [X.] sechs Monate nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung. Hierfür war die das instanzgerichtliche Verfahren beendende Entscheidung maßgeblich und nicht die Entscheidung über eine etwaige Verfassungsbeschwerde [X.], in: [X.]/[X.], [X.], 2012, Art. 35 Rn. 57). Denn jedenfalls bis zur Schaffung eines Rechtsbehelfs zur Rüge der Überlänge eines Verfahrens galt nach der Rechtsprechung des [X.] die Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf die Rüge überlanger Verfahrensdauer nicht als effektiver Rechtsbehelf und musste nicht eingelegt werden, bevor sich ein Beschwerdeführer zur Geltendmachung seiner diesbezüglichen Rechte an den [X.] wenden konnte ([X.], Urteil vom 8. Juni 2006, [X.]/[X.], [X.], [X.], [X.], Rn. 116; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 13. Juni 2013 - 1 BvR 1942/12 -, juris, Rn. 8). Danach hatte der Beschwerdeführer bis zum Ablauf des 24. Februar 2012 Gelegenheit, einen Entschädigungsanspruch geltend zu machen. Der vorherigen Erhebung einer Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 Satz 1 [X.] bedurfte es gemäß Art. 23 Satz 5 des [X.] bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nicht.

Es ist nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer von der Möglichkeit einer Entschädigungsklage Gebrauch gemacht hat, so dass seine Verfassungsbeschwerde nicht dem Grundsatz der Subsidiarität gerecht wird.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2447/11

05.09.2013

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Sächsisches Oberverwaltungsgericht, 18. August 2011, Az: 3 M 309/11, Beschluss

Art 19 Abs 4 S 1 GG, § 90 BVerfGG, § 198 Abs 1 S 1 GVG, Art 23 S 1 ÜberlVfRSchG, Art 23 S 6 ÜberlVfRSchG, § 123 Abs 1 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 05.09.2013, Az. 1 BvR 2447/11 (REWIS RS 2013, 3023)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 3023

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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