Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.02.2020, Az. III ZB 61/19

3. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 646

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BEFANGENHEIT ZIVIL- UND ZIVILVERFAHRENSRECHT BUNDESGERICHTSHOF (BGH) EHE RICHTER

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Gegenstand

Besorgnis der Befangenheit bei Ehegatten als Einzelrichter in der Vorinstanz; Kostenenscheidung bei Erledigerklärung wegen Wegfalls des beanstandeten Zustands


Leitsatz

Die Besorgnis der Befangenheit i.S.v. § 42 Abs. 2 ZPO ist begründet, wenn der abgelehnte Richter als Mitglied des Berufungsgerichts über die Berufung der ihn ablehnenden Partei gegen ein durch seine Ehefrau als Einzelrichterin ergangenes Urteil zu entscheiden hat.

Tenor

Es wird festgestellt, dass das Rechtsbeschwerdeverfahren in der Hauptsache erledigt ist.

Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 3.808 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Klägerin macht gegen den Beklagten Ansprüche aus einem Beratungsvertrag geltend.

2

Im erstinstanzlichen Verfahren war [X.]in am [X.]  zur Entscheidung über die Klage berufen. Nachdem ein gegen sie gerichtetes Ablehnungsgesuch des Beklagten zurückgewiesen worden war, verurteilte sie ihn im Wesentlichen antragsgemäß, an die Klägerin 3.808,00 € zuzüglich Zinsen und vorgerichtlicher Mahnkosten zu zahlen. Gegen dieses Urteil hat der Beklagte Berufung eingelegt. Das Berufungsverfahren ist bei der 6. Zivilkammer des [X.] anhängig, deren Mitglied - bis zu seinem Tod am 4. Dezember 2019 - der Ehemann von [X.]in am [X.]   war.

3

Der Beklagte hat im Berufungsverfahren [X.] am [X.]   wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Er hat ausgeführt, dass der abgelehnte [X.] mit der erkennenden [X.]in erster Instanz verheiratet sei, begründe die Besorgnis der Befangenheit. Die Berufungsbegründung stütze sich wesentlich auf die Prozessführung und Beweiswürdigung durch die Ehefrau des abgelehnten [X.]s. Es könne deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass während des [X.] dauernden Verfahrens erster Instanz Gespräche und Beratungen zwischen den Eheleuten stattgefunden hätten.

4

[X.] am [X.]   hat sich zu dem Ablehnungsgesuch des Beklagten dahingehend geäußert, seine Frau habe ihm gegenüber erwähnt, sie sei in einem Verfahren von dem Beklagten wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden. Eine inhaltliche Befassung mit diesem Verfahren habe nicht vorgelegen. Er habe von ihm erst dadurch Kenntnis erlangt, dass er in Vertretung des [X.] am 4. Juli 2019 die Frist zur Begründung der Berufung verlängert habe.

5

Das [X.] hat das Ablehnungsgesuch des Beklagten für unbegründet erklärt. Hiergegen richtet sich die vom [X.] zugelassene Rechtsbeschwerde des Beklagten. Dieser hat nach dem Tod von [X.] am [X.]   die Rechtsbeschwerde für erledigt erklärt und beantragt, die Kosten des Verfahrens der Klägerin aufzuerlegen. Die Klägerin hat sich der Erledigungserklärung des Beklagten nicht angeschlossen.

II.

6

Die einseitig gebliebene Erledigungserklärung des Beklagten ist als Antrag auf Feststellung der Erledigung der Rechtsbeschwerde auszulegen (vgl. [X.], Beschluss vom 20. Dezember 2018 - [X.], juris Rn. 6). Dieser Antrag ist begründet. Denn die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde war zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses - dem Tod des vom Beklagten abgelehnten [X.]s am 4. Dezember 2019 - zulässig und begründet.

7

1. Das [X.] hat ausgeführt, eine Besorgnis der Befangenheit betreffend [X.] am [X.]   sei nicht begründet. Die Tatsache, dass die Ehefrau eines Rechtsmittelrichters die angefochtene Entscheidung erlassen habe, stelle keinen generellen Ablehnungsgrund gemäß § 42 Abs. 2 ZPO im Hinblick auf dessen Beteiligung an der Entscheidung im Rechtsmittelverfahren dar. Eine allein auf das eheliche Näheverhältnis abstellende Betrachtung führe auf dem Umweg über § 42 ZPO zu einer unzulässigen Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 41 ZPO. Zwar stütze sich die Berufungsbegründung wesentlich auf die erstinstanzliche Prozessführung und Beweiswürdigung. Soweit der Beklagte erkläre, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass während des [X.] dauernden Verfahrens erster Instanz Gespräche und Beratungen zwischen dem abgelehnten [X.] und seiner Ehefrau stattgefunden hätten, sei diese Vermutung widerlegt aufgrund der dienstlichen Stellungnahme des abgelehnten [X.]s. Eine nach objektivem Maßstab urteilende [X.] könne daher nicht zu der Überzeugung gelangen, der abgelehnte [X.] stehe aufgrund der Ehe mit der erstinstanzlich erkennenden [X.]in der Sache nicht mehr unvoreingenommen gegenüber.

8

2. Die Erledigungserklärung des Beklagten ist zulässig.

9

Eine auf ein Rechtsmittel bezogene einseitige Erledigungserklärung ist nach der Rechtsprechung des [X.] jedenfalls dann zulässig, wenn hierfür ein besonderes Bedürfnis besteht, weil nur auf diese Weise eine angemessene Kostenentscheidung zu erzielen ist und zudem - wie vorliegend - das erledigende Ereignis als solches außer Streit steht ([X.], Beschlüsse vom 20. Dezember 2018 aaO Rn. 10 und vom 20. Januar 2009 - [X.], NJW-RR 2009, 855 Rn. 4 mwN). So liegt es hier. Für den Beklagten besteht ein besonderes Bedürfnis, eine ihn belastende Kostenentscheidung zu vermeiden. Da seine Rechtsbeschwerde nach dem Tod des abgelehnten [X.]s mangels [X.] unzulässig geworden ist, wäre sie zu verwerfen gewesen mit der Folge, dass der Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsmittels zu tragen gehabt hätte (vgl. [X.] in Musielak/[X.], ZPO, 16. Aufl., § 46 Rn. 13; [X.]/[X.], ZPO, 33. Aufl., § 46 Rn. 22). Dieselbe Kostenfolge träfe ihn bei Rücknahme des Rechtsmittels. Die Kosten eines erfolgreichen, d.h. zulässigen und begründeten Rechtsmittels wären dagegen solche des Rechtsstreits gewesen, so dass eine Kostenentscheidung im Rechtsmittelverfahren selbst nicht veranlasst gewesen wäre (vgl. [X.], Beschlüsse vom 21. Juni 2018 - [X.]/17, juris Rn. 20 und vom 15. März 2012 - [X.] 102/11, juris Rn. 12; [X.] aaO mwN). Dieses kostenrechtliche Ergebnis ist auch im - vorliegenden - Falle der Erledigung eines zuvor zulässigen und begründeten Rechtsmittels angemessen. Hierzu ist es dem Rechtsmittelführer prozessrechtlich zu gestatten, das von ihm eingelegte Rechtsmittel für erledigt zu erklären.

3. Die Rechtsbeschwerde des Beklagten war bis zu ihrer Erledigung zulässig und begründet. Sein Ablehnungsgesuch war entgegen der Auffassung des [X.]s begründet.

a) Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung eines [X.]s wegen der Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist dann der Fall, wenn aus der Sicht einer [X.] bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des [X.]s zu zweifeln. Nicht erforderlich ist dagegen, dass tatsächlich eine Befangenheit vorliegt. Vielmehr genügt es, dass die aufgezeigten Umstände geeignet sind, der betroffenen [X.] Anlass zu begründeten Zweifeln zu geben; denn die Vorschriften über die Befangenheit von [X.]n bezwecken, bereits den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit und Objektivität zu vermeiden (st. Rspr.; siehe nur Senat, Beschlüsse vom 8. Januar 2020 - [X.]/19, juris Rn. 5 und vom 25. Mai 2016 - [X.]/15, juris Rn. 3 mwN).

In Anwendung dieser Grundsätze stellt nach der Rechtsprechung des [X.] die Mitwirkung des Ehegatten eines Rechtsmittelrichters an der angefochtenen Entscheidung keinen generellen Ablehnungsgrund gemäß § 42 Abs. 2 ZPO im Hinblick auf dessen Beteiligung an der Entscheidung im Rechtsmittelverfahren dar (Beschlüsse vom 20. Oktober 2003 - [X.], [X.], 163 f und vom 17. März 2008 - [X.], [X.], 1672; vgl. auch Senat, Beschluss vom 26. August 2015 - [X.]/14, juris Rn. 3; a.A. z.B. Feiber, [X.], 650 f; [X.]/ [X.] aaO § 42 Rn. 13a mwN; auf weitere Umstände abstellend: BSG, Beschlüsse vom 24. November 2005 - [X.] [X.], juris Rn. 8 und vom 18. März 2013, BeckRS 2013, 68558 Rn. 6 ff).

Ob hieran festzuhalten ist, kann offenbleiben. Denn der vorliegende Fall unterscheidet sich von den höchstrichterlich bisher entschiedenen Konstellationen dadurch, dass die Ehefrau des abgelehnten [X.]s nicht lediglich als Mitglied eines Kollegialgerichts an der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt, sondern diese als Einzelrichterin allein verantwortet hat. Jedenfalls dieser Umstand vermochte den Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit des abgelehnten [X.]s zu begründen. Denn aus Sicht des Beklagten konnte die Alleinverantwortung der Ehefrau des abgelehnten [X.]s für das angefochtene Urteil die Bedeutung des ehelichen [X.] in Gestalt einer - zumindest unbewussten - Solidarisierungsneigung des abgelehnten [X.]s verstärken. Letztere ist nicht in gleichem Maße zu erwarten, wenn der Ehegatte des abgelehnten [X.]s lediglich als Mitglied eines Kollegialgerichts an der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat (vgl. zu dieser Konstellation [X.], Beschluss vom 20. Oktober 2003 aaO).

4. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (s.o. zu 2). Die Festsetzung des [X.] entspricht dem Wert der Hauptsache (vgl. [X.], Beschlüsse vom 15. März 2012 aaO und vom 17. Januar 1968 - I[X.] 3/68, NJW 1968, 796).

Herrmann    

        

Remmert    

        

Arend 

        

Böttcher    

        

Kessen    

        

Meta

III ZB 61/19

27.02.2020

Bundesgerichtshof 3. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Koblenz, 26. September 2019, Az: 6 S 102/19

§ 42 Abs 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.02.2020, Az. III ZB 61/19 (REWIS RS 2020, 646)

Papier­fundstellen: MDR 2020, 777-779 REWIS RS 2020, 646

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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