Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.11.2020, Az. V ZB 59/20

5. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 1161

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Gegenstand

Richterablehnung: Befangenheitsbesorgnis bei langjähriger Freundschaft zwischen dem Ehegatten des abgelehnten Richters und einer Prozesspartei


Leitsatz

Die Besorgnis der Befangenheit ist begründet, wenn zwischen dem Ehegatten des abgelehnten Richters und einer Prozesspartei eine enge bzw. langjährige Freundschaft besteht.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der Beschluss des [X.] - 14. Zivilkammer - vom 24. Juni 2020 aufgehoben.

Das Ablehnungsgesuch gegen [X.] am [X.]wird für begründet erklärt.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 5.000 €.

Gründe

I.

1

Die [X.]en sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Kläger verlangen von beiden Beklagten, es zu unterlassen, Kraftfahrzeuge an einer bestimmten Stelle auf dem [X.] zu parken oder abzustellen. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Dagegen haben die Kläger Berufung eingelegt. Die Ehefrau des Vorsitzenden [X.]s der zuständigen Berufungskammer ist seit Jahren mit der Beklagten zu 2 befreundet. Der Vorsitzende [X.] hatte davon in einem von den Klägern gegen alle übrigen Wohnungseigentümer geführten [X.] 2015 Mitteilung gemacht und erklärt, selbst seit Jahren keinen Kontakt mit der Beklagten zu 2 zu haben.

2

Die Kläger haben den [X.] wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das [X.] hat das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit dieser verfolgen die Kläger ihr Ablehnungsgesuch weiter. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.

II.

3

Das Berufungsgericht meint, ein Ablehnungsgrund liege nicht vor. Zwischen dem abgelehnten [X.] und der Beklagten zu 2 bestehe kein persönliches Näheverhältnis; nur dessen Ehefrau sei mit der Beklagten zu 2 befreundet. Der Umstand, dass eine Einflussnahme einer am Ausgang des Rechtsstreits interessierten Person über den Ehepartner des abgelehnten [X.]s denkbar erscheine, vermöge für sich allein eine Ablehnung nicht zu begründen. Es sei davon auszugehen, dass ein [X.] grundsätzlich befähigt sei, unvoreingenommen und unabhängig zu entscheiden. So liege es hier. Zwar habe die Beklagte zu 2 ein erhebliches wirtschaftliches Interesse am Ausgang des Rechtsstreits. Darin gehe es aber nur um die Frage, ob sie gegen die von ihr anerkannte Unterlassungspflicht verstoßen habe, so dass [X.] im Mittelpunkt stünden. Es sei weder ersichtlich, dass die Beklagte zu 2 den abgelehnten [X.] über die Ehefrau beeinflussen könne, noch, dass dieser sich auf eine solche Einflussnahme einlassen werde.

III.

4

Die statthafte (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 ZPO) und auch im Übrigen zulässige (§ 575 ZPO) Rechtsbeschwerde ist begründet.

5

1. Rechtsfehlerfrei geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass die Kläger an der Geltendmachung des Ablehnungsgrunds nicht gehindert sind, obwohl sie den Vorsitzenden [X.] der Berufungskammer in dem früheren [X.] nicht abgelehnt haben. Zwar wirkt der Verlust des Ablehnungsrechts durch das Einlassen in eine Verhandlung oder durch das Stellen von Anträgen gemäß § 43 ZPO auch für einen anderen Rechtsstreit, wenn dieser mit dem Verfahren, in welchem der Ablehnungsgrund nicht geltend gemacht wurde, tatsächlich und rechtlich zusammenhängt (vgl. [X.], Beschluss vom 1. Juni 2006 - [X.], [X.], 2776 Rn. 11). An einem solchen Zusammenhang zwischen beiden Verfahren fehlt es aber. Hier werden (nur) die Beklagten auf Unterlassung nach § 1004 BGB in Anspruch genommen, während Gegenstand des früheren Verfahrens eine Beschlussanfechtung war.

6

2. Das Berufungsgericht sieht jedoch zu Unrecht den Umstand, dass die Ehefrau des Vorsitzenden [X.]s der Berufungskammer seit vielen Jahren mit der Beklagten zu 2 befreundet ist, nicht als Ablehnungsgrund gemäß § 42 ZPO an.

7

a) Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet wegen Besorgnis der Befangenheit die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des [X.]s zu rechtfertigen. Maßgeblich ist, ob aus der Sicht der den [X.] ablehnenden [X.] bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an dessen Unvoreingenommenheit und objektiver Einstellung zu zweifeln. Dafür genügt es, dass die Umstände geeignet sind, der [X.] Anlass zu begründeten Zweifeln zu geben, da es bei den Vorschriften der Befangenheit von [X.]n darum geht, bereits den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit und Objektivität zu vermeiden (st. Rspr., vgl. [X.], Beschluss vom 15. März 2012 - [X.] 102/11, [X.], 1890 Rn. 10; Beschluss vom 30. Oktober 2014 - [X.] 196/13, [X.], 50 Rn. 4; jeweils mwN).

8

b) Mit der Frage, ob eine langjährige Freundschaft des Ehepartners eines [X.]s mit einer Prozesspartei die Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 42 Abs. 2 ZPO begründet, hat sich die Rechtsprechung bislang nur vereinzelt befasst und diese, anders als das Berufungsgericht, bejaht ([X.], Beschluss vom 27. Juni 2013 - 2 [X.], juris Rn. 12). Der [X.] entscheidet sie dahingehend, dass die Besorgnis der Befangenheit begründet ist, wenn zwischen dem Ehegatten des abgelehnten [X.]s und einer Prozesspartei eine enge bzw. langjährige Freundschaft besteht.

9

aa) Gründe in der Person eines anderen als der [X.] lassen die Unvoreingenommenheit eines [X.]s dann zweifelhaft erscheinen, wenn Anlass zu der Besorgnis besteht, dass sich das Verhältnis zu dem [X.] auf die Einstellung des [X.]s zu einem Prozessbeteiligten oder zum Gegenstand des Verfahrens auswirkt (vgl. [X.], Beschluss vom 15. März 2011 - [X.], [X.], 812 Rn. 2; Beschluss vom 15. März 2011 - [X.], NJW-RR 2011, 648 Rn. 2). Ein Dritter in diesem Sinne ist der Ehegatte des abgelehnten [X.]s.

bb) Die Besorgnis der Befangenheit kann sich aus Umständen ergeben, die in der beruflichen Tätigkeit des Ehegatten des abgelehnten [X.]s liegen. Das ist etwa dann anzunehmen, wenn die Ehefrau des [X.]s in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten einer [X.] als Rechtsanwältin (vgl. [X.], Beschluss vom 15. März 2012 - [X.] 102/11, [X.], 1890 Rn. 9 u. 11) oder als Sekretärin ([X.], Beschluss vom 21. Juni 2018 - [X.]/17, NJW 2019, 516 Rn. 13 ff.) tätig ist, oder wenn der [X.] über die Berufung einer [X.] gegen ein durch seine Ehefrau als Einzelrichterin erlassenes Urteil zu entscheiden hat (vgl. [X.], Beschluss vom 27. Februar 2020 - [X.]/19, [X.], 625 Rn. 13).

cc) Auch eine nahe persönliche Beziehung des Ehegatten des [X.]s zu einer [X.] kann geeignet sein, die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen. Das ist danach zu beurteilen, ob die persönliche Beziehung eine Qualität hat, die - unterhielte sie der [X.] zu der [X.] - bei vernünftiger Betrachtung die Besorgnis der Befangenheit begründete. Das ist bei einer engen bzw. langjährigen Freundschaft mit einer Prozesspartei der Fall.

(1) Es ist anerkannt, dass nahe persönliche Beziehungen des [X.]s zu einem Verfahrensbeteiligten geeignet sein können, Misstrauen eines Verfahrensbeteiligten in die Unparteilichkeit eines [X.]s zu rechtfertigen (vgl. [X.], Beschluss vom 31. Januar 2005 - [X.], juris Rn. 2; Beschluss vom 29. Juni 2009 - [X.], juris Rn. 5; Beschluss vom 24. April 2013 - [X.], juris Rn. 28). Eine bloße Bekanntschaft oder lockere Freundschaft stellt regelmäßig noch keine für eine Besorgnis der Befangenheit ausreichende nahe persönliche Beziehung dar. Anders ist es aber bei einer engen bzw. langjährigen Freundschaft (vgl. [X.], Beschluss vom 29. Juni 2009 - [X.], juris Rn. 5 u. 7; Beschluss vom 2. Dezember 2015 - [X.] (R) 1/15, [X.], 417 Rn. 3, [X.], 297, 298 ff.; [X.], Beschluss vom 5. September 2018 - [X.], juris Rn. 12; BVerwG, Beschluss vom 18. Juli 2019 - 2 C 35/18, juris Rn. 6).

(2) Aus Sicht der ablehnenden [X.] macht es keinen Unterschied, ob der [X.] oder seine Ehefrau die enge bzw. langjährige Freundschaft mit der anderen [X.] unterhält. Für sie besteht regelmäßig Anlass zu der Befürchtung, der [X.] habe, weil sein Ehegatte das Freundschaftsverhältnis pflegt, ebenso wie diese eine positive Einstellung gegenüber der befreundeten [X.] und übertrage diese positive Einstellung auf das Verfahren. Das gilt unabhängig davon, ob der [X.] selbst Kontakt mit der [X.] hat. Die ablehnende [X.] hat keinen Einblick in die Verhältnisse der Eheleute; für sie ist auch nicht erkennbar, ob Gespräche zwischen dem abgelehnten [X.] und seinem Ehegatten über die befreundete [X.] stattfinden. Sie muss davon ausgehen, dass der abgelehnte [X.] die Freundschaft seiner Ehefrau mit der [X.] miterlebt, weil dies typischerweise in einer Ehe der Fall ist. Aus der Sicht der ablehnenden [X.] rechtfertigt deshalb bereits das Näheverhältnis des [X.]s zu seinem Ehegatten die Befürchtung, der [X.] sei gegenüber der anderen [X.] positiv eingestellt und könne sich davon bei seiner Entscheidung - zumindest unbewusst - leiten lassen.

(3) Demgegenüber ist nicht maßgeblich, dass [X.] grundsätzlich über eine innere Unabhängigkeit und Distanz verfügen, die sie befähigen, unvoreingenommen und objektiv zu entscheiden. Dass tatsächlich eine Befangenheit vorliegt, ist nicht erforderlich. Vielmehr genügt es, dass die aufgezeigten Umstände geeignet sind, der [X.] Anlass zu begründeten Zweifeln an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung zu geben (vgl. [X.], Beschluss vom 15. März 2012 - [X.] 102/11, [X.], 1890 Rn. 10; Beschluss vom 30. Oktober 2014 - [X.] 196/13, [X.], 50 Rn. 4; jeweils mwN).

c) Gemessen daran ist das Ablehnungsgesuch der Kläger begründet. Nach der Stellungnahme des abgelehnten [X.]s besteht zwischen seiner Ehefrau und der Beklagten zu 2 nicht nur eine lockere Bekanntschaft, sondern eine langjährige Freundschaft.

IV.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Kosten der - wie hier - erfolgreichen Beschwerde sind solche des Rechtsstreits ([X.]/Vollkommer, ZPO, 33. Aufl., § 46 Rn. 22). Die Festsetzung des [X.] folgt aus § 3 ZPO; er entspricht dem Wert der Hauptsache (vgl. [X.], Beschluss vom 15. März 2012 - [X.] 102/11, [X.], 1890 Rn. 12 mwN).

[X.]     

      

Schmidt-Räntsch     

      

Weinland

      

Göbel     

      

Haberkamp     

      

Meta

V ZB 59/20

19.11.2020

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Nürnberg-Fürth, 24. Juni 2020, Az: 14 S 8273/19 WEG

§ 42 Abs 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.11.2020, Az. V ZB 59/20 (REWIS RS 2020, 1161)

Papier­fundstellen: MDR 2021, 184-185 REWIS RS 2020, 1161

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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