Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.03.2021, Az. III ZB 57/20

3. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 7476

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Gegenstand

Richterablehnung im Schadensersatzprozess eines Kraftfahrzeugkäufers wegen Betroffenheit vom "Dieselskandal": Besorgnis der Befangenheit bei Beteiligung eines Richters an der gegen den Kraftfahrzeughersteller gerichteten Musterfeststellungsklage - Befangenheit, Musterfeststellungsklage


Leitsatz

Befangenheit, Musterfeststellungsklage

Die Beteiligung eines Richters an einer gegen eine Prozesspartei gerichteten Musterfeststellungsklage kann insbesondere dann, wenn darin der Vorwurf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung erhoben wird, die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen. Dies gilt auch, wenn ein eigenes wirtschaftliches Interesse des Richters am Ausgang des Rechtsstreits ausgeschlossen ist, weil der Richter mit der Beklagten der Musterfeststellungsklage einen Vergleich abgeschlossen hat, und dieser Vergleich noch nicht lange Zeit zurückliegt.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 8. Zivilsenats des [X.] vom 21. September 2020 - 8 U 74/20 - aufgehoben.

Das Ablehnungsgesuch der Beklagten vom 24. Juli 2020 gegen die Richterin am [X.]     wird für begründet erklärt.

Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens: 72.592,75 €

Gründe

I.

1

Die Klägerin verlangt von der [X.]eklagten Schadensersatz unter dem Vorwurf, in den [X.] 897 eines von ihr erworbenen PKW (Typ [X.]) mehrere unzulässige Abschaltautomatiken (unter anderem sogenannte [X.]) eingebaut zu haben.

2

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin [X.]erufung eingelegt. Die für die [X.]erufung geschäftsplanmäßig zuständige [X.]erichterstatterin hat angezeigt, sich der im Zusammenhang mit der Motorsteuerungsproblematik bei Motoren des Typs [X.] geführten Musterfeststellungsklage vor dem [X.] gegen die [X.]eklagte angeschlossen und in dem dortigen Verfahren mit der [X.]eklagten einen Vergleich abgeschlossen zu haben. Daraufhin hat die [X.]eklagte die [X.]erichterstatterin wegen der [X.]esorgnis der [X.]efangenheit abgelehnt.

3

Das [X.]erufungsgericht hat das Ablehnungsgesuch als unbegründet zurückgewiesen. Mit der vom [X.]erufungsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die [X.]eklagte ihr Gesuch weiter.

II.

4

Die statthafte (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 ZPO) und auch im Übrigen zulässige (§ 575 ZPO) Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg.

5

1. Das [X.]erufungsgericht hat zur [X.]egründung seiner Entscheidung ausgeführt, ein Ablehnungsgrund im Sinne des § 42 Abs. 2 ZPO liege nicht vor. Ein eigenes wirtschaftliches Interesse der abgelehnten [X.]in am Ausgang des Rechtsstreits sei nicht erkennbar. Nach dem Zustandekommen des Vergleichs seien weitergehende Ansprüche der [X.]in gegen die [X.]eklagte aus der "[X.]" ausgeschlossen. Auch die [X.]efassung der [X.]in mit einer vergleichbaren Fallgestaltung führe nicht zu der [X.]efürchtung, diese habe sich für die Würdigung der hier betroffenen Fallgestaltung bereits festgelegt. Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass ein [X.] auch dann unvoreingenommen an die [X.]eurteilung einer Sache herantrete, wenn er sich schon früher über denselben Sachverhalt ein Urteil gebildet habe. Zwar könnten besondere Umstände des Einzelfalls im [X.] berücksichtigt werden, wozu die atypische Vorbefassung in verschiedenen Ausprägungen gehöre. Die insoweit ergangene Rechtsprechung habe jedoch individualisierte Sachverhalte vor Augen gehabt, bei denen der [X.] "doppelt" tätig geworden sei. Darum gehe es hier nicht. Die abgelehnte [X.]in sei als Käuferin eines PKW der Herstellermarke [X.] mit einem Motor [X.] eine von vielen tausend in gleicher Weise betroffenen Autokäufern. Dass die abgelehnte [X.]in von der Möglichkeit, in dem Musterfeststellungsverfahren etwaige Rechte aus diesem Autokauf gegen die [X.]eklagte geltend zu machen, Gebrauch gemacht habe, rechtfertige es nicht, vernünftigerweise ihre Unparteilichkeit in einem Rechtsstreit in Frage zu stellen, der keinen Motor der [X.]aureihe [X.] betreffe. Aus dem [X.]eschluss des [X.] vom 10. Dezember 2019 ([X.], NJW 2020, 1680) folge nichts anderes. Zum einen sei dort das Musterfeststellungsverfahren noch nicht abgeschlossen gewesen; zum anderen stelle dieser [X.]eschluss maßgeblich auf den Motortyp [X.] ab, um den es hier nicht gehe.

6

2. Diese Erwägungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.

7

a) Gemäß § 42 Abs. 2 ZPO ist die [X.]efangenheit eines [X.]s zu besorgen, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist dann der Fall, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, dass der abgelehnte [X.] eine Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Maßgeblich ist, ob aus Sicht der ablehnenden [X.] bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des [X.]s zu zweifeln (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], [X.]eschlüsse vom 10. Dezember 2019 aaO Rn. 9 und vom 28. Juli 2020 - [X.], NJW 2020, 3458 Rn. 7, jeweils mwN). Tatsächliche [X.]efangenheit oder Voreingenommenheit ist nicht erforderlich; es genügt bereits der "böse Schein", das heißt der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität ([X.] aaO). Misstrauen gegen die Unvoreingenommenheit eines [X.]s ist unter anderem dann gerechtfertigt, wenn objektive Gründe dafür sprechen, dass er auf Grund eines eigenen - sei es auch nur mittelbaren - wirtschaftlichen Interesses am Ausgang des Rechtsstreits der Sache nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenübersteht ([X.] aaO). Darüber hinaus kann die [X.]esorgnis der [X.]efangenheit im Sinne von § 42 Abs. 2 ZPO begründet sein, wenn ein [X.] in einem Verfahren zwar nicht selbst [X.] ist, aber über den gleichen Sachverhalt zu entscheiden hat, aus dem er selbst Ansprüche gegen eine [X.] geltend macht. Aus der Sicht einer [X.], gegen die ein [X.] Ansprüche erhebt, kann Anlass zu der [X.]efürchtung bestehen, dass dieser [X.] die Würdigung des Sachverhalts, wie er sie dem von ihm verfolgten Anspruch gegen die [X.] zugrunde gelegt hat, auf das Verfahren gegen eine andere [X.], dem der gleiche Sachverhalt zugrunde liegt, überträgt und wie in der eigenen Sache urteilt (vgl. [X.], [X.]eschlüsse vom 10. Dezember 2019 aaO Rn. 10 und vom 28. Juli 2020 aaO Rn. 8).

8

b) Nach diesen Maßstäben liegt hier ein Ablehnungsgrund vor.

9

aa) Zutreffend hat das [X.]erufungsgericht allerdings ausgeführt, dass ein eigenes wirtschaftliches Interesse der [X.]in am Ausgang des Rechtsstreits nicht erkennbar ist, nachdem die Geltendmachung ihrer Ansprüche durch den mit der [X.]eklagten abgeschlossenen Vergleich einen Abschluss gefunden hat.

bb) Ohne Rechtsfehler hat das [X.]erufungsgericht auch dargelegt, dass keiner der Fälle einer [X.]efangenheit wegen "atypischer Vorbefassung" vorliegt, in denen der [X.] in einer beruflichen oder dienstlichen Funktion zuvor mit einer vergleichbaren Fallgestaltung oder den [X.]en befasst gewesen war (vgl. hierzu [X.], [X.]eschluss vom 2. November 2016 - [X.] ([X.]) 61/15, [X.] ([X.]) 2/16, NJW-RR 2017, 187 ff; [X.] in Musielak/[X.], ZPO, 17. Aufl., § 42 Rn. 14; [X.]eckOK-ZPO/Vossler, § 42 Rn. 16a [Stand 1. Dezember 2020]).

cc) Rechtsfehlerhaft sind aber die Erwägungen, mit denen das [X.]erufungsgericht die [X.]eteiligung der abgelehnten [X.]in an dem Musterfeststellungsverfahren für unerheblich erachtet hat. Die Anmeldung ihrer Ansprüche dort ist geeignet, aus Sicht der [X.]eklagten den Anschein der [X.]lichkeit zu begründen.

(1) Zwar trägt das Verfahren der Musterfeststellungsklage dem Umstand Rechnung, dass Verbraucher es aus "rationalem Desinteresse" versäumen könnten, ihre Rechte geltend zu machen (vgl. Gesetzentwurf der [X.]undesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage [X.]T-Drucks. 19/2439, [X.], 14 ff). Auch trifft es zu, dass der Verbraucher in diesem Verfahren nicht [X.] ist, die abgelehnte [X.]in also nicht "Prozessgegnerin" der [X.]eklagten war. Dies stellt jedoch nicht in Frage, dass die [X.]in in diesem Verfahren gegenüber der [X.]eklagten keine neutrale Haltung einnahm, sondern als deren Gegnerin erschien (vgl. [X.], 6. Aufl., § 42 Rn. 23). Denn die Anmeldung von Ansprüchen zur Musterfeststellungsklage gemäß § 608 Abs. 1 ZPO dient der effektiven Rechtsdurchsetzung (vgl. [X.]T-Drs. 19/2439 aaO [X.]4 f), und der Anmelder bringt hiermit grundsätzlich objektiv zum Ausdruck, dass ihm seiner Auffassung nach ein von den [X.] des betreffenden Musterfeststellungsverfahrens abhängiger Anspruch zusteht (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 10. Dezember 2019 aaO Rn. 18). Dementsprechend hat die abgelehnte [X.]in mit ihrer [X.]eteiligung am Musterfeststellungsverfahren objektiv zu erkennen gegeben, dass sie ihrer Auffassung nach von Vorstandsmitgliedern und/oder Mitarbeitern der [X.]eklagten vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt (§ 826 [X.]G[X.]) oder betrogen (§ 823 Abs. 2 [X.]G[X.] iVm § 263 StG[X.]) worden sei (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 10. Dezember 2019 aaO). Dies bietet bei verständiger Würdigung des Sachverhalts einen Grund für die [X.]efürchtung, die [X.]in könne der [X.]eklagten im vorliegenden Verfahren nicht mit der gebotenen Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit gegenübertreten.

(2) Eine andere [X.]eurteilung ist nicht deshalb gerechtfertigt, weil es vorliegend um einen Dieselmotor des Typs [X.] geht und die [X.]in die Verfolgung ihres Anspruchs durch den Vergleich mit der [X.]eklagten abgeschlossen hat. Zum einen hat sich die Klägerin zur [X.]egründung ihres Anspruchs ausdrücklich auch auf die Rechtsprechung des [X.] zu dem Motortyp [X.] berufen (z[X.] Schriftsatz vom 19. August 2020, [X.]4 ff). Zum anderen kann angesichts der zeitlichen Nähe zum Vergleichsabschluss nicht mit einer genügenden Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die abgelehnte [X.]in ihre - aus Sicht der [X.]eklagten negative - Haltung inzwischen geändert hätte. Insofern bestehen erhebliche Unterschiede zu der Fallgestaltung, die dem [X.]eschluss des [X.] vom 30. Oktober 2014 (V Z[X.] 196/13, [X.], 50) zugrunde lag; zudem haben dort alle [X.]eteiligten erklärt, sie sähen in dem 15 Jahre zurückliegenden Streit keinen Anlass für eine [X.]efangenheit der [X.]in ([X.] aaO Rn. 6).

[X.]     

      

[X.]     

      

Reiter

      

Kessen     

      

Herr     

      

Meta

III ZB 57/20

25.03.2021

Bundesgerichtshof 3. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend BGH, 17. Februar 2021, Az: III ZB 57/20, Beschluss

§ 42 Abs 2 ZPO, § 608 Abs 1 ZPO, § 31 BGB, § 249 BGB, §§ 249ff BGB, § 823 Abs 2 BGB, § 826 BGB, Art 3 Nr 10 EGV 715/2007, Art 5 Abs 1 EGV 715/2007, § 6 EG-FGV, § 27 EG-FGV, § 263 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.03.2021, Az. III ZB 57/20 (REWIS RS 2021, 7476)

Papier­fundstellen: MDR 2021, 988-990 WM2021,1109 REWIS RS 2021, 7476


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. III ZB 57/20

Bundesgerichtshof, III ZB 57/20, 25.03.2021.


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