Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 27.05.2010, Az. 1 BvR 2643/07

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2010, 6296

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz durch Nichtzulassung der zivilprozessualen Revision trotz grundsätzlicher Bedeutung des Verfahrens (§ 543 Abs 2 S 1 Nr 1 ZPO) - hier: Durchbrechung der Rechtsausübungssperre des § 1600d Abs 4 BGB im Scheinvaterregressprozess - Gegenstandswertfestsetzung auf 8000 Euro


Tenor

1. Das Urteil des [X.] vom 3. Juli 2007 - 7 UF 288/06 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Das Urteil des [X.] vom 3. Juli 2007 - 7 UF 288/06 - wird aufgehoben und die Sache an das [X.] zurückverwiesen.

2. Das [X.] hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

3. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Zulassung der Revision anlässlich eines sogenannten [X.] nach § 1607 Abs. 3 Satz 2 [X.].

I.

2

1. Der Beschwerdeführer war bis 1983 verheiratet. Seine Ehefrau brachte im August 1982 ein Kind zur Welt, dessen rechtlicher Vater der Beschwerdeführer gemäß § 1591 Abs. 1 Satz 1 [X.] war. Bis 2001 leistete der Beschwerdeführer dem Kind Unterhalt. Anfang 2002 erfuhr der Beschwerdeführer von gegen seine leibliche [X.]chaft sprechenden Umständen, weshalb er Klage auf Anfechtung seiner [X.]chaft erhob. Aus dem vom Amtsgericht in Auftrag gegebenen Abstammungsgutachten ergab sich, dass der Beschwerdeführer als Vater des Kindes ausgeschlossen werden könne, während die [X.]chaft des in die Begutachtung einbezogenen Mehrverkehrszeugen mit einer statistischen Plausibilität von 99,9999998 % "praktisch erwiesen" sei. Darauf stellte das [X.]mit Urteil vom 1. September 2003 fest, dass der Beschwerdeführer nicht der Vater des Kindes sei. Der Mehrverkehrszeuge anerkannte die [X.]chaft nicht; diese wurde mangels Antrags der Feststellungsberechtigten auch nicht gerichtlich festgestellt.

3

a) Im Ausgangsverfahren wies das [X.] mit Urteil vom 23. Oktober 2006 eine Klage des Beschwerdeführers ab, mit welcher er vom Mehrverkehrszeugen aus übergegangenem Recht gemäß § 1607 Abs. 3 [X.] die Zahlung des von ihm als Scheinvater an das Kind geleisteten Unterhalts begehrt hatte. Der Beschwerdeführer habe gegen den Beklagten keinen Regressanspruch, da der Beklagte rechtlich nicht als Vater des Kindes festgestellt sei. Eine Inzidentprüfung der [X.]chaft im [X.]sei nach der Rechtsprechung des [X.] durch § 1600d Abs. 4 [X.] ausgeschlossen (vgl. [X.], Urteil vom 17. Februar 1993 - [X.] -, juris).

4

b) Gegen das Urteil wandte sich der Beschwerdeführer mit der Berufung zum [X.]. Gleichzeitig regte er die Zulassung der Revision für den Fall an, dass der Senat die Durchbrechung der [X.] des § 1600d Abs. 4 [X.] für unzulässig erachte, obwohl der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens von dem höchstrichterlich entschiedenen Sachverhalt abweiche und einige [X.]e die Rechtsansicht verträten, im Falle einer sachverständig festgestellten [X.]chaft sei die Durchbrechung der [X.] des § 1600d Abs. 4 [X.] zulässig.

5

c) Während der Anhängigkeit der Berufung des Beschwerdeführers beim [X.] des [X.] ließ der [X.] des [X.] mit Urteil vom 14. Februar 2007 die Revision in einem Scheinvaterregressprozess zu, in dem eine rechtliche Feststellung der [X.]chaft des Beklagten ebenfalls nicht erfolgt und dessen leibliche [X.]chaft ebenfalls unstreitig war (vgl. [X.], Urteil vom 14. Februar 2007 - 11 UF 210/06 -, juris). Zur Begründung führte der [X.] aus, der [X.]habe sich nicht dazu verhalten, wie die Fälle zu beurteilen seien, in denen die Kindesmutter [X.] - letztlich unwidersprochen - als Vater benenne. In der obergerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum würden Ausnahmen angenommen, in denen die Berufung auf die [X.] gegen [X.] und Glauben verstoße und die Inanspruchnahme des leiblichen [X.] nicht hindere, etwa wenn die Kindesmutter und das volljährige Kind die gerichtliche Feststellung der [X.]chaft unterließen und der Erzeuger die [X.]chaft nicht anerkenne. Der [X.] habe insbesondere auf die gemäß Art. 2 Abs. 1 GG anzuerkennenden Belange des Kindes abgestellt, eine [X.]chaft nicht feststellen zu lassen. Diese Argumente hätten aufgrund der Entscheidung des [X.] vom 9. April 2003 an Gewicht gewonnen, in der angenommen worden sei, dass das Kindeswohl durch die Feststellung des wirklichen [X.] in diesen Fällen nicht wesentlich berührt werde (vgl. [X.] 108, 82 <109 f.>). Im Hinblick auf diese Feststellung erscheine die Fortgeltung der vom [X.] zugrunde gelegten Erwägung zweifelhaft, das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kindes stehe der inzidenten Feststellung der [X.]chaft innerhalb eines [X.]es nach § 1607 Abs. 3 [X.] entgegen.

6

d) Auf den Hinweis des erkennenden [X.]s des [X.], die Absicht zu haben, die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, da die Rechtsprechung des [X.] nach wie vor Bestand und die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung habe, beantragte der Beschwerdeführer unter Verweis auf die Zulassung der Revision durch den [X.] in einem vergleichbaren Verfahren nochmals die Zulassung der Revision im Ausgangsverfahren. Darauf zog der [X.] das Urteil des [X.]s bei.

7

e) Mit Urteil vom 3. Juli 2007 wies der [X.] des [X.] die Berufung des Beschwerdeführers zurück, da eine inzidente Feststellung der [X.]chaft im Rahmen eines sogenannten [X.] ausscheide. Die Revision sei nicht zuzulassen. Dem Rechtsstreit komme keine grundsätzliche Bedeutung zu. Eine Entscheidung des Revisionsgerichts sei weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten, nachdem der [X.]die Rechtsfrage eindeutig mit Urteil vom 17. Februar 1993 (a.a.[X.]) entschieden und der erkennende Senat sich der dort vertretenen Rechtsansicht angeschlossen habe. Es sei nicht zu erwarten, dass der [X.] seine Meinung im Lichte der Rechtsprechung des [X.] (vgl. [X.] 108, 82 f.) ändern werde.

8

2. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer insbesondere eine Verletzung seines Rechts auf effektiven Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) durch die Entscheidung des [X.], die Revision nicht zuzulassen.

9

3. Dem [X.] haben die Akten des Ausgangsverfahrens vorgelegen. Die Landesregierung von [X.] und der Beklagte des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist zur Entscheidung anzunehmen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers geboten ist, § 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]. Zu dieser Entscheidung ist die Kammer berufen, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das [X.] bereits entschieden sind und die zulässige Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet ist, § 93c Abs. 1 [X.].

1. Das Urteil des [X.] verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Das [X.] hat durch eine aus [X.] nicht zu rechtfertigende Handhabung des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO den Zugang des Beschwerdeführers zur Revisionsinstanz unzumutbar eingeschränkt.

a) Für den Zivilprozess ergibt sich das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG (vgl. [X.] 85, 337 <345>; 97, 169 <185>).

Effektiver Rechtsschutz in diesem Sinne umfasst nicht nur das Recht auf Zugang zu den Gerichten sowie auf eine verbindliche Entscheidung durch den [X.] aufgrund einer grundsätzlich umfassenden tatsächlichen und rechtlichen Prüfung des Streitgegenstandes (vgl. [X.] 85, 337 <345>; 97, 169 <185>). Das Gebot effektiven Rechtsschutzes beeinflusst auch die Auslegung und Anwendung der Bestimmungen, die für die Eröffnung eines Rechtswegs und die Beschreitung eines Instanzenzugs von Bedeutung sind. Es begründet zwar keinen Anspruch auf eine weitere Instanz; die Entscheidung über den Umfang des [X.] bleibt vielmehr dem Gesetzgeber überlassen (vgl. [X.] 54, 277 <291>; 89, 381 <390>; 107, 395 <401 f.>). Hat der Gesetzgeber sich jedoch für die Eröffnung einer weiteren Instanz entschieden und sieht die betreffende Prozessordnung dementsprechend ein Rechtsmittel vor, so darf der Zugang dazu nicht in unzumutbarer, aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. [X.] 69, 381 <385>; 74, 228 <234>; 77, 275 <284>; [X.]K 5, 189 <193>).

Diese Grundsätze finden auf das angegriffene oberlandesgerichtliche Urteil Anwendung. Die Entscheidung des [X.], die Revision nicht zuzulassen, war für den Beschwerdeführer gemäß § 26 Nr. 9 EGZPO in der bis zum 31. August 2009 geltenden Fassung nicht mit der Nichtzulassungsbeschwerde angreifbar, so dass ihm der Weg zur Revision infolge deren Nichtzulassung durch das [X.] endgültig versperrt war.

b) Das [X.] hat § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO (Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung) in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise falsch angewendet und dadurch das Gebot effektiven Rechtsschutzes verletzt.

aa) Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO kommt einer Sache zu, wenn sie eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl weiterer Fälle stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 4. November 2008 - 1 BvR 2587/06 -, juris, Rn. 19; [X.], Beschluss vom 4. Juli 2002 - [X.] -, juris, Rn. 4; [X.], in: [X.], Kommentar zur ZPO, 7. Aufl. 2009, § 543 ZPO Rn. 5). [X.] sind solche Rechtsfragen, deren Beantwortung zweifelhaft ist oder zu denen unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und die noch nicht oder nicht hinreichend höchstrichterlich geklärt sind. Hat der [X.] eine Rechtsfrage bereits geklärt, kann sich weiterer Klärungsbedarf ergeben, wenn nicht nur einzelne Instanzgerichte oder Literaturstimmen der Auffassung des [X.] weiterhin widersprechen oder wenn neue Argumente ins Feld geführt werden, die den [X.] zu einer Überprüfung seiner Auffassung veranlassen könnten (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 4. November 2008 - 1 BvR 2587/06 -, juris, Rn. 19; [X.], in: [X.], Kommentar zur ZPO, 7. Aufl. 2009, § 543 ZPO Rn. 5a).

bb) Für das Urteil des [X.] war eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage entscheidungserheblich, die sich in einer unbestimmten Vielzahl weiterer Fälle stellen kann und deshalb das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt.

Das [X.] hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass ein Scheinvater den tatsächlichen Vater erst dann gemäß § 1607 Abs. 3 [X.] in Regress nehmen könne, wenn dessen [X.]chaft gemäß § 1600d Abs. 4 [X.] rechtlich feststehe. Damit hat es die inzidente Feststellung der [X.]chaft in einem Verfahren nach § 1607 Abs. 3 [X.] abgelehnt. Mit dieser Ansicht hat das [X.] sich nicht maßgeblich auf Umstände des Einzelfalls gestützt, sondern auf die gesetzliche Vorschrift des § 1600d Abs. 4 [X.] und dessen Auslegung. Da die Sachverhaltskonstellation sogenannter [X.] nicht außergewöhnlich ist, kann sich die vom [X.] für maßgebend gehaltene Rechtsfrage in einer Vielzahl weiterer Fälle stellen, so dass das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt ist.

Die entscheidungserhebliche Rechtsfrage war klärungsfähig, da sie die Auslegung des § 1600d Abs. 4 [X.], also Bundesrecht und damit revisibles Recht im Sinne des § 545 Abs. 1 ZPO betrifft. Sie war auch klärungsbedürftig. Sie war umstritten und bei Erlass des Urteils des [X.] am 3. Juli 2007 höchstrichterlich noch nicht hinreichend geklärt.

So wurde zwar durchaus wie vom [X.] in der angegriffenen Entscheidung vertreten, dass die [X.] des § 1600d Abs. 4 [X.] die inzidente Feststellung der [X.]chaft in einem Scheinvaterregressprozess ausschließe (vgl. [X.], Urteil vom 20. Oktober 2003 - 12 U 1462/02 -, juris, Rn. 11; [X.], Beschluss vom 7. Januar 2005 - 6 WF 91/04 -, juris, Rn. 1; [X.], Urteil vom 9. August 2006 - 15 UF 46/06 -, juris, Rn. 7 ff.). Andernorts wurde dagegen obergerichtlich die Ansicht vertreten, die Inzidentfeststellung der [X.]chaft sei im [X.] nach § 1607 Abs. 3 [X.] zulässig, wenn dem nicht ausnahmsweise schützenswerte Interessen des [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 16. Juni 1999 - 3 [X.] -, juris, Rn. 4 ff.). Letzterer Ansicht schlossen sich Stimmen im fachwissenschaftlichen Schrifttum an (vgl. [X.], in: [X.] Kommentar zum [X.], 3. Aufl., § 1600a Rn. 15; [X.], in: [X.], Kommentar zum [X.], 2004, § 1600d Rn. 94; [X.], [X.], 3. Aufl. 2002, Rn. 4077 ff.; [X.], [X.], [X.] ff.; [X.], FamRZ 2008, [X.] ff.).

Der [X.] hatte sich zwar im Urteil vom 17. Februar 1993 (a.a.[X.]) mit der Frage der inzidenten Feststellung der [X.]chaft im Rahmen eines Scheinvaterregresses befasst, jedoch in einer abweichenden Fallkonstellation. Die Entscheidung betraf ein Verfahren, in welchem der Beklagte seine [X.]chaft bestritten hatte, so dass er sich im Rahmen der inzidenten Feststellung seiner [X.]chaft einer Untersuchung nach § 372a ZPO hätte unterziehen müssen. Dagegen war im Ausgangsverfahren die leibliche [X.]chaft des Beklagten nicht nur unstreitig, sondern aufgrund eines Sachverständigengutachtens, an welchem der Beklagte freiwillig mitgewirkt hatte, mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,9999998 % "praktisch erwiesen".

Klärungsbedarf ergab sich weiter mit Rücksicht auf die zwischenzeitlich ergangenen Entscheidungen des [X.], in denen Zweifel geäußert worden waren, ob und in welchem Umfang ein Kind ein verfassungsrechtlich geschütztes Recht auf [X.]der eigenen Abstammung habe (vgl. [X.] 108, 82 <108 f.>; 117, 202 <229>). Damit war eine der Grundlagen der Entscheidung des [X.] vom 17. Februar 1993, nämlich das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Kindes nach [ref=[X.]-490e-8a88-e04a6e80315f]Art. 2 Abs. 1 [X.]] fließende Recht, selbst über die Feststellung seiner Abstammung zu entscheiden (vgl. [X.], Urteil vom 17. Februar 1993 - [X.] -, juris, Rn. 11), im Lichte der Entscheidung des [X.] einer neuen Beurteilung zuzuführen.

Schließlich führte eine Gesetzesänderung zu neuem Klärungsbedarf, der geeignet war, den [X.] zu einer Überprüfung seiner Auffassung zu veranlassen. Bis zum 30. Juni 1998 konnte die alleinsorgeberechtigte Mutter in den alten Bundesländern ihr nichteheliches Kind nicht vertreten, soweit es um die Feststellung der [X.]chaft ging; die gesetzliche Vertretung stand gemäß §§ 1706, 1709 [X.] (a.F.) dem Jugendamt als Pfleger zu, das in aller Regel im Interesse des Kindes ein solches Verfahren einleitete. Mit Rücksicht darauf schien es vertretbar, den Scheinvater wegen der [X.] des [ref=a7465efd-4716-4d21-a53e-ab78b2d9d1bc]§ 1600a Satz 2 [X.][/ref] (a.F.) darauf zu verweisen, den rechtskräftigen Abschluss dieses Verfahrens abzuwarten, bevor er den als Vater festgestellten Erzeuger des Kindes gemäß § 1615b Abs. 2 [X.] (a.F.) in Regress nehmen konnte. Dies führte allenfalls zu einer Verzögerung, nicht aber einer dauernden Vereitelung der Durchsetzung seiner Ansprüche. Durch das am 1. Juli 1998 in [X.] getretene Gesetz zur Abschaffung der gesetzlichen Amtspflegschaft und Neuordnung des Rechts der Beistandschaft (Beistandschaftsgesetz) wurde die gesetzliche Amtspflegschaft für nichteheliche Kinder abgeschafft. Dies hat zur Folge, dass es, solange der potentielle Erzeuger des Kindes nicht selbst [X.]chaftsfeststellungsklage erhebt, bis zur Volljährigkeit des Kindes allein vom Willen der Mutter abhängt, ob sie [X.]chaftsfeststellungsklage erhebt. Damit wird der Rückgriffsanspruch des Scheinvaters immer dann undurchsetzbar, wenn weder der Erzeuger, noch die Kindesmutter von dem allein ihnen zustehenden Recht Gebrauch machen, die [X.]chaft gerichtlich feststellen zu lassen.

cc) Das [X.] hat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise verneint. Sein Standpunkt beruht nicht lediglich auf einer von dem oben erörterten Verständnis des [[X.]-5328-[X.]-53d9bc6918be]§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO[/ref] zwar abweichenden, verfassungsrechtlich womöglich jedoch noch unbedenklichen Rechtsansicht.

Das [X.] hat die Nichtzulassung der Revision alleine auf die seiner Ansicht nach gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung des [X.] gestützt, weshalb der Sache keine grundsätzliche Bedeutung zukomme.

Mit dieser Begründung hat es sich bereits nicht ausreichend damit auseinander- gesetzt, ob ihm zur Beurteilung überhaupt ein der Entscheidung des [X.] vergleichbarer Sachverhalt vorlag, was im Hinblick auf die im Ausgangsverfahren feststehende [X.]chaft des Beklagten zweifelhaft war. Das [X.] hat sich im Übrigen mit der veränderten Sach- und Rechtslage nicht ausei-nandergesetzt und keine Erwägungen dazu angestellt, ob neuer Klärungsbedarf entstanden war. Dies wäre im Hinblick auf die seit Erlass des Urteils des [X.] vom 17. Februar 1993 eingetretene Gesetzesänderung zum 1. Juli 1998 ebenso erforderlich gewesen wie im Hinblick auf die zwischenzeitlich ergangene Rechtsprechung des [X.], mit der Zweifel geäußert worden waren, ob und in welchem Umfang ein Kind ein verfassungsrechtlich geschütztes Recht auf [X.]der eigenen Abstammung habe (vgl. [X.] 108, 82 <108 f.>; 117, 202 <229>). Schließlich hätte der erkennende Senat sich mit der ihm bekannten Begründung der Zulassung der Revision durch den [X.] des [X.] in einem vergleichbaren Verfahren inhaltlich auseinandersetzen und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache zumindest erwägen müssen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die seitens des [X.]s des [X.] geäußerten Bedenken hinsichtlich der Vergleichbarkeit des dem [X.] im Urteil vom 17. Februar 1993 zugrundeliegenden Sachverhalts mit demjenigen des Verfahrens des [X.]s des [X.] sowie der nach wie vor divergierenden Rechtsansicht innerhalb der Obergerichte und innerhalb des Schrifttums zur Frage der Zulässigkeit einer inzidenten [X.]chaftsfeststellung.

Auf der Grundlage des dargelegten, einhelligen Verständnisses des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO (s.o.) hätte das [X.] bei Beachtung dieser Umstände zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass unter Berücksichtigung der von ihm [X.]zugrunde gelegten materiellrechtlichen Rechtsauffassung die Revision hätte zugelassen werden müssen. Die Nichtzulassung der Revision stellt daher einen Ausschluss des vorliegend verfassungsrechtlich gebotenen Zugangs zur Revisionsinstanz dar und ist mit dem Gebot wirkungsvollen Rechtsschutzes nicht mehr zu vereinen.

2. Das Urteil des [X.] beruht auf dem festgestellten Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit [ref=faee8ad4-074e-42de-9333-7f435afb44e1]Art. 20 Abs. 3 [X.]].

3. Infolge des [X.] durch das [X.] ist zur Beseitigung des festgestellten Verfassungsverstoßes dessen Entscheidung gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 [X.] aufzuheben. Das Verfahren ist an das [X.] als zuständiges Gericht im Sinne des § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 Halbsatz 2 [X.] zurückzuverweisen. Mit der Feststellung der Verfassungswidrigkeit des oberlandesgerichtlichen Urteils verbunden mit der Aufhebung und Zurückverweisung des Verfahrens an das [X.] ist dem verfassungsrechtlichen Rechtsschutzbedürfnis des Beschwerdeführers Genüge getan und der Weg zur Selbstkorrektur innerhalb der [X.] eröffnet. Das [X.] wird aufgrund der Rückverweisung Gelegenheit haben, unter Einbeziehung der zwischenzeitlich ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. [X.], Urteil vom 16. April 2008 - [X.] -, juris; Urteil vom 22. Oktober 2008 - [X.]/07 -, juris) über die hier für die Sachentscheidung maßgebliche Frage erneut zu entscheiden, wobei es nicht ausgeschlossen ist, dass der Rechtsstreit letztlich einen für den Beschwerdeführer günstigeren Ausgang nimmt.

4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2 [X.]. Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. [X.] 79, 365 <366 ff.>).

Meta

1 BvR 2643/07

27.05.2010

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Hamm, 3. Juli 2007, Az: 7 UF 288/06, Urteil

Art 20 Abs 3 GG, Art 2 Abs 1 GG, § 1591 Abs 1 S 1 BGB, § 1600d Abs 4 BGB, § 1607 Abs 3 S 2 BGB, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 14 Abs 1 RVG, § 37 Abs 2 S 2 RVG, § 543 Abs 2 S 1 Nr 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 27.05.2010, Az. 1 BvR 2643/07 (REWIS RS 2010, 6296)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 6296


Verfahrensgang

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Az. 1 BvR 2643/07

Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 2643/07, 27.05.2010.


Az. 7 UF 288/06

Oberlandesgericht Hamm, 7 UF 288/06, 03.07.2007.


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