Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 05.03.2021, Az. 2 BvR 2454/18, 2 BvR 227/19, 2 BvR 339/19

2. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2021, 8137

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Unzulässigkeit mehrerer Verfassungsbeschwerden gegen einen Beschluss des EuGH sowie weitere Maßnahmen des EuG bzw des EuGH in einer markenrechtlichen Sache - kein konkreter Hoheitsakt iSd § 90 Abs 1 BVerfGG bezeichnet - Verletzung von Rechten iSd § 90 Abs 1 BVerfGG offensichtlich nicht hinreichend substantiiert dargelegt


Tenor

1. Die Verfahren 2 BvR 2454/18, 2 BvR 227/19 und 2 BvR 339/19 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

2. Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Das [X.] ([X.]) widerrief die Wortmarke "bittorrent", die für die Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin zu [X.] und [X.] eingetragen war und deren Alleingesellschafter und Geschäftsführer der Beschwerdeführer zu [X.]1. ist. Gegen den Widerruf klagte die Beschwerdeführerin zu [X.] und [X.] vor dem Gericht der [X.] erfolglos. Das daraufhin eingelegte Rechtsmittel wies der Gerichtshof der [X.] mit Beschluss vom 28. Juni 2018 zurück.

2

1. Mit Schreiben vom 28. August 2018 legten der Beschwerdeführer zu [X.]1. und die Beschwerdeführerin zu [X.]2. dagegen [X.] ein. Diesen verwarf der Gerichtshof mit Beschluss vom 11. Oktober 2018, gegen den sich die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 2 BvR 2454/18 richtet, als unzulässig, weil ein [X.] gemäß Art. 42 der Satzung des Gerichtshofs nur von Personen eingelegt werden könne, die durch die angegriffene Entscheidung in eigenen Rechten verletzt seien. Die wirtschaftlichen Interessen des Beschwerdeführers zu [X.]1. als Alleingesellschafter und der Beschwerdeführerin zu [X.]2. als Darlehensgeberin der Beschwerdeführerin zu [X.] und [X.] würden für das nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs erforderliche unmittelbare rechtliche Interesse am Ausgang des Verfahrens nicht ausreichen.

3

2. Ebenfalls mit Schreiben vom 28. August 2018 forderte die Beschwerdeführerin zu [X.] den Rat der [X.] zur Abänderung von Art. 181 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs auf, damit der Gerichtshof Rechtsmittel erst nach (nochmaliger) Anhörung der Parteien zurückweisen dürfe. Dies lehnte der Rat wegen fehlender Kompetenz ab. Hiergegen erhob die Beschwerdeführerin zu [X.] mit anwaltlichem Schriftsatz vom 3. November 2018 Nichtigkeitsklage zum Gericht der [X.].

4

Im Laufe des Klageverfahrens reichte die Beschwerdeführerin zu [X.] ein Ablehnungsgesuch gegen den Präsidenten der über die Nichtigkeitsklage entscheidenden Kammer ein, ohne sich hierbei anwaltlich vertreten zu lassen. Mit Schreiben vom 7. Dezember 2018 teilte die Kanzlei des Gerichts der [X.] mit, dass das Ablehnungsgesuch nicht bearbeitet werden könne, weil es entgegen Art. 51 der Verfahrensordnung des Gerichts nicht durch einen Rechtsanwalt eingereicht worden sei.

5

3. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 27. September 2018 in [X.] beantragte die Beschwerdeführerin zu [X.] beim Gerichtshof zum einen ein Auslegungsurteil nach Art. 43 des Protokolls über die Satzung des Gerichtshofs ([X.]) sowie zum anderen die Wiedereröffnung des Verfahrens.

6

Die Beschwerdeführerin zu [X.] stellte sodann, ohne sich hierbei von einem Rechtsanwalt vertreten zu lassen, ein Ablehnungsgesuch in [X.]. Nachdem der Gerichtshof mit Beschluss vom 13. Dezember 2018 seinen Beschluss vom 28. Juni 2018 wegen einer offensichtlichen Unrichtigkeit nach Art. 154 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs korrigierte, ergänzte die Beschwerdeführerin zu [X.] ihr Ablehnungsgesuch, wiederum ohne Zuziehung eines Rechtsanwalts und in [X.].

7

Der Gerichtshof verwarf den Antrag auf Urteilsauslegung als offensichtlich unzulässig. Mit Schreiben vom 21. Dezember 2018 teilte die Kanzlei des Gerichtshofs mit, dass das Ablehnungsgesuch und dessen Ergänzung nicht bearbeitet werden könnten, weil diese entgegen Art. 19 der Satzung des Gerichtshofs nicht durch einen Rechtsanwalt und nicht in der [X.] eingereicht worden seien.

8

1. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde [X.] die Beschwerdeführer zu [X.] eine Verletzung ihrer Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3, Art. 23 Abs. 1 Satz 3, Art. 79 Abs. 3, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 sowie Art. 103 Abs. 1 [X.].

9

Die Anforderungen an die Zulässigkeit eines [X.]s seien praktisch nicht erfüllbar und würden den Grundsatz der Waffengleichheit verletzen. Ohne Beschwerdemöglichkeit gegen Entscheidungen des Gerichtshofs bestehe kein "Rechtsschutzsystem". Es liege eine Grundrechtslücke im Unionsrecht vor. Daher werde die Reservekompetenz aus der [X.] aktiviert. Die [X.] müsse zudem (zumindest teilweise) der [X.] beitreten.

2. Die Beschwerdeführerin zu [X.] rügt ebenfalls eine Verletzung der vorgenannten Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte sowie des Art. 5 Abs. 1 [X.]. Ergänzend macht sie geltend, dass die Kanzlei des Gerichts nicht selbst über das Ablehnungsgesuch habe entscheiden dürfen. [X.] nur mit anwaltlichem Beistand einreichen zu können, verletze den Anspruch auf rechtliches Gehör und den Justizgewährungsanspruch; zudem sei Art. 6 [X.] in seinem Wesensgehalt betroffen. [X.] werden Art. 19 Abs. 3 [X.] sowie Art. 51 der Verfahrensordnung des Gerichts der [X.] angegriffen.

3. Die Beschwerdeführerin zu [X.] rügt alle vorgenannten Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte. Ergänzend macht sie geltend, dass die Entscheidung der Kanzlei willkürlich sei, da Art. 37 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs keine Regelung für die [X.] bei [X.]n treffe. [X.] wendet sich die Beschwerdeführerin zudem gegen Art. 18 Abs. 2 [X.] und Art. 37 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs.

Die [X.] sind nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 [X.]), weil sie unzulässig sind. Sie bezeichnen schon keinen konkreten Hoheitsakt im Sinne des § 90 Abs. 1 [X.]. Auch genügen sie offensichtlich nicht den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 [X.]. Ihre Begründungen lassen eine Verletzung von Rechten im Sinne des § 90 Abs. 1 [X.] inhaltlich nachvollziehbar nicht erkennen.

1. Die [X.] der Beschwerdeführer, ihre Grundrechte würden unmittelbar durch den Beschluss des Gerichtshofs der [X.] vom 11. Oktober 2018, die Schreiben der Kanzlei des Gerichts der [X.] vom 7. Dezember 2018 oder der Kanzlei des Gerichtshofs der [X.] vom 21. Dezember 2018 verletzt, sind unzulässig, weil ihnen kein tauglicher Beschwerdegegenstand zugrunde liegt. Bei den angegriffenen Akten handelt es sich nicht um [X.] [X.] öffentlicher Gewalt im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a [X.] und § 90 Abs. 1 [X.].

a) Maßnahmen dieser Art können zwar - als Vorfrage - Gegenstand der Prüfung durch das [X.] sein, soweit sie die Grundrechtsberechtigten in [X.] betreffen. Eine solche Prüfungsbefugnis besteht aber nur, soweit diese Maßnahmen entweder Grundlage von Handlungen [X.] Staatsorgane sind (vgl. [X.] 134, 366 <382 Rn. 23>) oder aus der Integrationsverantwortung folgende Reaktionspflichten [X.] Verfassungsorgane auslösen (vgl. [X.] 134, 366 <394 ff. Rn. 44 ff.>; 135, 317 <393 f. Rn. 146>; 142, 123 <180 Rn. 99>). Insofern prüft das [X.] mittelbar auch Maßnahmen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der [X.] daraufhin, ob sie durch das auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 1 Satz 2 [X.] durch das Zustimmungsgesetz gebilligte Integrationsprogramm gedeckt sind oder gegen die der [X.] Integration durch das Grundgesetz sonst gezogenen Grenzen verstoßen (vgl. [X.] 73, 339 <374 ff.>; 102, 147 <161 ff.>; 118, 79 <95 ff.>; 123, 267 <354>; 126, 286 <298 ff.>; 140, 317 <334 ff. Rn. 36 ff.>; 142, 123 <180 Rn. 98 f.>; [X.], Beschlüsse der [X.] des Zweiten Senats vom 28. Juni 2016 - 2 BvR 322/13 -, Rn. 9 und vom 19. Juli 2016 - 2 BvR 2752/11 -, Rn. 17).

b) Die [X.] sind unzulässig, weil sie sich gegen Maßnahmen des Gerichtshofs und des Gerichts der [X.] wenden. Die Beschwerdeführer greifen allein den Beschluss des Gerichtshofs beziehungsweise die Schreiben der Kanzlei des Gerichtshofs und des Gerichts an. Diese Maßnahmen bedürfen nicht der Umsetzung oder des Vollzugs durch [X.] Staatsorgane oder deren sonstiger Mitwirkung.

c) Die Beschwerdeführer machen auch nicht substantiiert geltend und es ist auch nicht ersichtlich, dass es sich bei den angegriffenen Maßnahmen um Ultra-vires-Akte oder Berührungen der Verfassungsidentität gemäß Art. 79 Abs. 3 [X.] handelt.

Es ist nicht ersichtlich, dass die durch Art. 79 Abs. 3 [X.] für unantastbar erklärten Grundsätze berührt werden. Zwar können Befangenheits- und Sprachregelungen durchaus das Recht auf ein faires Verfahren oder den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz beeinträchtigen. Die Beschwerdeführer haben jedoch nicht ansatzweise dargetan, dass dies vorliegend in einer Art. 1 Abs. 1 [X.] berührenden Weise geschehen wäre.

Die Kanzlei des Gerichts ist nach Art. 20 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs beziehungsweise Art. 25 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts mit der Entgegennahme und Übermittlung aller Schriftstücke betraut. Dass sie in diesem Zusammenhang ein Ablehnungsgesuch mit der Begründung zurückweist, dieses sei entgegen Art. 19 [X.], Art. 51 der Verfahrensordnung des Gerichts nicht durch einen Rechtsanwalt oder nicht in der [X.] nach Art. 37 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs eingereicht worden, lässt einen Bezug zu Art. 1 Abs. 1 [X.] nicht erkennen.

2. Soweit sich die Beschwerdeführer mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen ein vermeintliches Unterlassen der [X.]n Mitglieder der [X.], des Rates und des [X.] wenden, ist die Verfassungsbeschwerde ebenfalls unzulässig. Gleiches gilt, soweit sie ein Unterlassen der Mitglieder des [X.], des [X.] und der Bundesregierung [X.]. Ein Unterlassen des Gesetzgebers kann Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde nur sein, wenn sich der Beschwerdeführer auf einen ausdrücklichen Auftrag des Grundgesetzes berufen kann, der Inhalt und Umfang der Gesetzgebungspflicht im Wesentlichen umgrenzt hat (vgl. [X.] 6, 257 <264>; 23, 242 <259>; 56, 54 <70 f.>; 129, 124 <176>). Grundlagen, die die Annahme einer solchen Handlungspflicht der [X.]n Verfassungsorgane begründen könnten, haben die Beschwerdeführer weder substantiiert vorgetragen, noch sind sie sonst ersichtlich.

3. Soweit sich die [X.] mittelbar gegen Art. 18 Abs. 2 und Art. 19 Abs. 3 [X.], Art. 37 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs und Art. 51 der Verfahrensordnung des Gerichts der [X.] wenden, kommt eine Verletzung der Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte der Beschwerdeführerin ebenfalls nicht in Betracht. Auch bei diesen Vorschriften handelt es sich nicht um Akte der [X.]n öffentlichen Gewalt im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a [X.] und § 90 Abs. 1 [X.] (vgl. [X.] 22, 293 <295 ff.>; 37, 271 <281 f.>; 118, 79 <95>). Dass [X.] Verfassungsorgane bei ihrem Zustandekommen oder später ihrer Integrationsverantwortung nicht nachgekommen wären, wird nicht substantiiert geltend gemacht.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 2454/18, 2 BvR 227/19, 2 BvR 339/19

05.03.2021

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend EuGH, 11. Oktober 2018, Az: C-118/18 P-TO, Beschluss

§ 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 90 Abs 1 BVerfGG, § 92 BVerfGG, Art 18 Abs 2 EuGHSa, Art 19 Abs 3 EuGHSa, Art 42 EuGHSa, EuGHSaProt, Art 20 Abs 1 EuGHVfO 2012, Art 37 EuGHVfO 2012, Art 181 EuGHVfO 2012, Art 25 § 1 EuGVfO, Art 51 EuGVfO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 05.03.2021, Az. 2 BvR 2454/18, 2 BvR 227/19, 2 BvR 339/19 (REWIS RS 2021, 8137)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 8137

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