Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.02.2012, Az. 6 AZR 553/10

6. Senat | REWIS RS 2012, 9105

ARBEITSRECHT DISKRIMINIERUNG BUNDESARBEITSGERICHT (BAG) INDIVIDUAL-ARBEITSRECHT KÜNDIGUNG BEHINDERUNG

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Gegenstand

Frage nach der Schwerbehinderung im Arbeitsverhältnis


Leitsatz

Die Frage des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderung bzw. einem diesbezüglich gestellten Antrag ist im bestehenden Arbeitsverhältnis jedenfalls nach sechs Monaten, dh. ggf. nach Erwerb des Behindertenschutzes gemäß §§ 85 ff. SGB IX, zulässig. Das gilt insbesondere zur Vorbereitung von beabsichtigten Kündigungen.

Tenor

1. Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 30. Juni 2010 - 2 [X.]/10 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung.

2

Der mit einem GdB von 60 schwerbehinderte Kläger stand seit dem 1. November 2007 in einem bis zum 31. Oktober 2009 befristeten Arbeitsverhältnis mit der Schuldnerin. Am 8. Januar 2009 ordnete das [X.] (- 21 IN 21/09 -) das vorläufige Insolvenzverfahren über deren Vermögen an und bestellte den [X.]n zum vorläufigen Insolvenzverwalter. Zugleich übertrug es ihm das Recht zur Ausübung der [X.] einschließlich der Ermächtigung, Kündigungen auszusprechen. Am 1. März 2009 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der [X.] zum Insolvenzverwalter bestellt.

3

In seiner Eigenschaft als vorläufiger Insolvenzverwalter gab der [X.] zur Vervollständigung bzw. Überprüfung der [X.] an sämtliche Arbeitnehmer Fragebögen aus. [X.] wurden das Geburtsdatum, der Familienstand, die Anzahl der unterhaltspflichtigen Kinder sowie das Vorliegen einer Schwerbehinderung bzw. die Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten. Der Kläger antwortete in den Feldern „Schwerbehinderung“ und „Gleichstellung“ jeweils mit „Nein“.

4

Auf der Grundlage eines am 20. Mai 2009 geschlossenen Interessenausgleichs mit Namensliste kündigte der [X.] das Arbeitsverhältnis am 26. Mai 2009 ordentlich zum 30. Juni 2009. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am folgenden Tag zu.

5

Der Kläger, der in der Klageschrift vom 9. Juni 2009 seine Schwerbehinderung mitgeteilt hat, hat - soweit für die Revision noch von Bedeutung - die Ansicht vertreten, die ohne Beteiligung des [X.] erklärte Kündigung sei unwirksam. Die Frage nach der Schwerbehinderung stelle eine verbotene Benachteiligung iSd. §§ 1, 7 AGG dar. Ein Arbeitnehmer habe deshalb während des gesamten Arbeitsverhältnisses ein Recht zur wahrheitswidrigen Beantwortung der Frage nach seiner Schwerbehinderteneigenschaft. Vor Ablauf der Regelfrist für die Verwirkung des Sonderkündigungsschutzes drei Wochen nach Zugang der Kündigung sei der Arbeitnehmer auch nicht verpflichtet, seine Schwerbehinderung zu offenbaren.

6

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung des [X.]n vom 26. Mai 2009 aufgelöst wird, sondern über den 30. Juni 2009 hinaus ungekündigt fortbesteht.

7

Der [X.] hat seinen Klageabweisungsantrag damit begründet, dass der Kläger sich widersprüchlich verhalten habe und sich deshalb nach der wahrheitswidrigen Beantwortung der Frage nach seiner Schwerbehinderteneigenschaft auf diese nicht mehr berufen könne.

8

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben, das [X.] hat auf die Berufung des [X.]n die Klage abgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter. Er rügt, die Frage nach der Schwerbehinderung verstoße gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen. Er macht weiter geltend, das [X.] habe nicht berücksichtigt, dass der [X.] die Frage nach der Schwerbehinderung im Insolvenzeröffnungsverfahren ohne Angabe von Gründen gestellt habe. Für den Kläger sei deshalb die Intention der Frage nicht erkennbar gewesen, so dass er sich durch die wahrheitswidrige Beantwortung dieser Frage nicht treuwidrig verhalten habe.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision des [X.] ist unbegründet. Die Kündigung des [X.]eklagten vom 26. Mai 2009 hat das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2009 beendet. Das hat das [X.] rechtsfehlerfrei festgestellt.

A. Die Kündigung ist nicht nach § 134 [X.]G[X.] nichtig. Sie bedurfte zwar an sich der vorherigen Zustimmung des [X.] gemäß § 85 [X.], an der es hier fehlt. Der Kläger hat sich auch innerhalb von drei Wochen und damit innerhalb einer angemessenen Frist auf den im [X.]punkt der Kündigungserklärung bereits bestehenden Schwerbehindertenschutz berufen, so dass dieser Schutz nicht verwirkt ist (st. Rspr. zuletzt [X.] 9. Juni 2011 - 2 [X.] - Rn. 22, EzA [X.] § 85 Nr. 7). Dem Kläger ist es dennoch unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§ 242 [X.]G[X.]) verwehrt, sich auf den Sonderkündigungsschutz als Schwerbehinderter zu berufen. Das [X.]erufen des [X.] auf diesen Schutz nach Erklärung der Kündigung trotz Verneinung der ihm im Vorfeld eben dieser Kündigung rechtmäßig gestellten Frage nach der Schwerbehinderung ist als widersprüchliches Verhalten unbeachtlich.

I. Die Frage des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderung bzw. einem diesbezüglich gestellten Antrag ist im bestehenden Arbeitsverhältnis jedenfalls nach sechs Monaten, dh. ggf. nach Erwerb des [X.]ehindertenschutzes gemäß §§ 85 ff. [X.], zulässig. Das gilt insbesondere zur Vorbereitung von beabsichtigten Kündigungen. Der Arbeitnehmer hat die Frage aufgrund seiner Rücksichtnahmepflicht gemäß § 241 Abs. 2 [X.]G[X.] wahrheitsgemäß zu beantworten.

1. Aus einem Schuldverhältnis erwächst einer Vertragspartei auch die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Vertragsteils. Dies dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Die Vertragspartner sind verpflichtet, ihre Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen, ihre Rechte so auszuüben und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Vertragspartners so zu wahren, wie dies unter [X.]erücksichtigung der wechselseitigen [X.]elange verlangt werden kann. Welche konkreten Folgen sich aus der Rücksichtnahmepflicht ergeben, hängt von der Art des Schuldverhältnisses und den Umständen des Einzelfalls ab ([X.] 13. August 2009 - 6 [X.] - Rn. 31, [X.]E 131, 325; 19. Mai 2010 - 5 [X.] - Rn. 26, [X.]E 134, 296).

2. Unter [X.]erücksichtigung dieser Grundsätze durfte der [X.]eklagte den Kläger, der im bestehenden Arbeitsverhältnis den Sonderkündigungsschutz nach §§ 85 ff. [X.] bereits erworben hatte, zur Vorbereitung von Kündigungen nach einer Schwerbehinderteneigenschaft fragen. Für diese Frage bestand ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse des [X.]eklagten. Sie stand im Zusammenhang mit seiner Pflichtenbindung durch das Erfordernis, bei der [X.] gemäß § 1 Abs. 3 [X.] die Schwerbehinderung zu berücksichtigen sowie den Sonderkündigungsschutz nach §§ 85 ff. [X.] zu beachten. Die verlangte [X.] belastete den Kläger in dieser Situation nicht übermäßig. Sie benachteiligte ihn auch nicht iSv. §§ 1, 7 [X.] wegen seiner [X.]ehinderung. Schließlich wurden auch datenschutzrechtliche [X.]elange des [X.] dadurch nicht verletzt (vgl. zu diesen Anforderungen grundlegend bereits [X.] 7. September 1995 - 8 [X.] 828/93 - [X.]E 81, 15, 22).

a) Die Frage nach der Schwerbehinderung ist im bestehenden Arbeitsverhältnis jedenfalls nach Ablauf der Frist des § 90 Abs. 1 Nr. 1 SG[X.] IX zuzulassen, um dem Arbeitgeber ein rechtstreues Verhalten zu ermöglichen, etwa im Zusammenhang mit seinen Pflichten zur behinderungsgerechten [X.]eschäftigung (§ 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 [X.]), Zahlung einer Ausgleichsabgabe (§ 77 [X.]) und Gewährung von Zusatzurlaub (§ 125 [X.]) (vgl. [X.]/[X.] ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 179 Rn. 18c; [X.] in [X.]/[X.] [X.] K § 85 Rn. 27a; unklar MünchKomm[X.]G[X.]/[X.] 6. Aufl. § 11 [X.] Rn. 24, der eine Offenbarungspflicht des Arbeitnehmers nach Einstellung bejaht). Insbesondere im Vorfeld einer beabsichtigten Kündigung zeigt der Arbeitgeber mit dieser Frage, dass er seine zum Schutz des Schwerbehinderten bei einer Kündigung bestehenden Pflichten nach § 1 Abs. 3 [X.] und §§ 85 ff. [X.] erfüllen will (vgl. v. [X.]/[X.] [X.] 14. Aufl. § 1 Rn. 950; [X.]/[X.] aaO; [X.] in [X.]/[X.] [X.] Teil 2 2. Aufl. § 85 Rn. 63).

b) Andere, gleich geeignete und gleich zuverlässige Möglichkeiten des Arbeitgebers, sich die zur Erfüllung dieser Pflichten erforderliche Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft rechtssicher zu verschaffen, bestehen nicht.

aa) Insbesondere kann der Arbeitgeber entgegen der vom Kläger in der Verhandlung vor dem Senat vertretenen Ansicht nicht auf die Einholung eines sog. [X.]s verwiesen werden. Mit einem solchen [X.]escheid weist das Integrationsamt den form- und fristgerecht gestellten Antrag des Arbeitgebers auf Erteilung zur Zustimmung zu einer beabsichtigten Kündigung als unzulässig ab, weil eine Zustimmung zur Kündigung nicht erforderlich ist. Obwohl dieses Institut im [X.] nicht vorgesehen ist und obwohl es nicht die Aufgabe des [X.], sondern gemäß § 69 [X.] iVm. §§ 1, 6 [X.] die des Versorgungsamtes ist, die Schwerbehinderteneigenschaft eines bestimmten Arbeitnehmers zu klären ([X.] 7. März 2002 - 2 [X.] 612/00 - [X.]E 100, 355, 358 ; [X.]VerwG 15. Dezember 1988 - 5 [X.] 67.85 - [X.]VerwGE 81, 84), wird es allgemein für zulässig gehalten (KR/[X.] 9. Aufl. §§ 85 - 90 [X.] Rn. 54; [X.]/[X.] ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 179 Rn. 28; [X.] in HK-[X.] 3. Aufl. § 88 Rn. 55; [X.] in LPG-[X.] 3. Aufl. § 85 Rn. 37; [X.] in [X.]/[X.] [X.] Teil 2 2. Aufl. § 85 Rn. 69). Liegt ein solcher bestandskräftiger [X.]escheid vor der Erklärung der Kündigung vor, entfaltet er [X.]indungswirkung auch gegenüber den Arbeitsgerichten und beseitigt ebenso wie die Zustimmung des [X.] die [X.] des § 85 [X.] ([X.] 6. September 2007 - 2 [X.] 324/06 - Rn. 15, [X.]E 124, 43; grundlegend 27. Mai 1983 - 7 [X.] 482/81 - [X.]E 42, 169, 174).

Folgte man der Ansicht des [X.], müsste der Arbeitgeber vor jeder von ihm beabsichtigten Kündigung ein [X.] einholen. Allein das würde, insbesondere bei Massenentlassungen, selbst dann zu erheblichen, dem Arbeitgeber unzumutbaren Verzögerungen bei der Umsetzung des [X.] führen, wenn ein bestandskräftiger [X.]escheid des [X.] erginge (vgl. [X.] 7. März 2002 - 2 [X.] 612/00 - [X.]E 100, 355, 358). Der Arbeitnehmer kann zudem als [X.]eteiligter des Verwaltungsverfahrens, das zum [X.] führt, gegen dieses Widerspruch und bei [X.] erheben (KR/[X.] 9. Aufl. §§ 85 - 90 [X.] Rn. 56; [X.] in HK-[X.] 3. Aufl. § 88 Rn. 66 f.; [X.] in [X.]/[X.] [X.] Teil 2 2. Aufl. § 85 Rn. 69). Der Arbeitnehmer kann also einerseits durch die bloße Erhebung von Rechtsbehelfen bzw. Rechtsmitteln die Möglichkeit des Arbeitgebers, rechtssicher eine Kündigung ohne Verletzung seiner ihm gegenüber Schwerbehinderten obliegenden Pflichten zu erklären, erheblich hinauszögern. [X.]is zur Unanfechtbarkeit der Entscheidung des [X.] trägt der Arbeitgeber andererseits das Risiko, dass sich im Laufe des gerichtlichen Verfahrens doch noch die Zustimmungsbedürftigkeit der Kündigung herausstellt ([X.] in [X.]/[X.] aaO Rn. 70). Die Einholung eines [X.]s ist daher für den Arbeitgeber keine gleich geeignete Alternative zur Frage nach der Schwerbehinderung, um ihm die Kenntnis zu verschaffen, die er zur Erfüllung der ihm gesetzlich gegenüber Schwerbehinderten obliegenden Pflichten benötigt.

bb) Die Verpflichtung des Arbeitnehmers, den Arbeitgeber nach Erklärung einer Kündigung zum Erhalt des Sonderkündigungsschutzes binnen angemessener Frist auf die Schwerbehinderung hinzuweisen, schützt entgegen der Auffassung von [X.] (Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen 2. Aufl. § 17 Rn. 29) den Arbeitgeber nicht hinreichend, weil dies die Einhaltung der dem Arbeitgeber bereits vor Erklärung der Kündigung obliegenden Pflichten nicht sicherstellen kann.

c) Die Frage nach der Schwerbehinderung im Vorfeld einer Kündigung diskriminiert den Arbeitnehmer nicht wegen seiner [X.]ehinderung unmittelbar iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 [X.].

aa) Allerdings kann die Frage nach der Schwerbehinderung nur von Trägern dieses Merkmals wahrheitswidrig beantwortet werden. Weder die Frage selbst noch deren wahrheitsgemäße [X.]eantwortung führen jedoch zu dem vom Kläger angenommenen Nachteil für den behinderten Menschen, also zu einer „weniger günstigen [X.]ehandlung“ iSd. § 3 Abs. 1 [X.]. Ob ein solcher Nachteil vorliegt, ist objektiv aus der Sicht eines verständigen Dritten zu beurteilen (vgl. [X.] 25. Februar 2010 - 6 [X.] 911/08 - Rn. 33, [X.]E 133, 265).

(1) Durch die Frage nach der Schwerbehinderung und deren wahrheitsgemäße [X.]eantwortung werden behinderte Arbeitnehmer gegenüber Nichtbehinderten nicht zurückgesetzt (zu dieser Definition des Nachteils iSd. § 3 Abs. 1 [X.] für das Merkmal „Alter“ siehe [X.] 25. Februar 2010 - 6 [X.] 911/08 - Rn. 25, [X.]E 133, 265). Die Frage nach der Schwerbehinderung soll es bei objektiver [X.]etrachtung dem Arbeitgeber ermöglichen, den besonderen Schutz des Schwerbehinderten zu verwirklichen, insbesondere den Sonderkündigungsschutz des Schwerbehindertengesetzes zu beachten. Dieser öffentlich-rechtliche Sonderkündigungsschutz ist präventiver Art. Er unterwirft die Ausübung des arbeitgeberseitigen Kündigungsrechts einer vorherigen Kontrolle durch das Integrationsamt, indem er die Kündigung einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt unterstellt, um so bereits im Vorfeld der Kündigung die spezifischen Schutzinteressen schwerbehinderter Arbeitnehmer zur Geltung zu bringen und eine mit den Schutzzwecken des [X.] unvereinbare Kündigung zu verhindern. Dem Integrationsamt obliegt im Rahmen des Sonderkündigungsschutzes die Inschutznahme des Schwerbehinderten mit dem Ziel, die aus seiner [X.]ehinderung resultierenden [X.]enachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt auszugleichen, dadurch seine Wettbewerbsfähigkeit mit Nichtbehinderten herzustellen und sicherzustellen, dass er gegenüber Letzteren nicht ins Hintertreffen gerät (vgl. [X.]VerwG 2. Juli 1992 - 5 [X.] 39.90 - [X.]VerwGE 90, 275; 2. Juli 1992 - 5 [X.] 51.90 - [X.]VerwGE 90, 287; 31. Juli 2007 - 5 [X.] 81.06 - Rn. 5). Die Frage dient also der Wahrung der Rechte und Interessen des Schwerbehinderten, nicht aber dazu, ihn gegenüber nicht behinderten Arbeitnehmern zurückzusetzen. Die [X.]elange des schwerbehinderten Menschen sollen durch § 1 Abs. 3 [X.] sowie in dem nach §§ 85 ff. [X.] einzuhaltenden Verfahren gerade gewahrt werden. Das setzt aber voraus, dass der Arbeitgeber von der Schwerbehinderteneigenschaft Kenntnis hat oder zumindest die Möglichkeit hat, sich diese durch Nachfrage zu verschaffen.

Dies steht auch im Einklang mit den Zielen der Richtlinie 2000/78/[X.] vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in [X.]eschäftigung und [X.]eruf ([X.] 2000/78/[X.]). Nach ihrem Erwägungsgrund Nr. 16 strebt diese durch das [X.] umgesetzte Richtlinie Maßnahmen an, die darauf abstellen, den [X.]edürfnissen von Menschen mit [X.]ehinderung am Arbeitsplatz Rechnung zu tragen. Ausweislich des [X.] Nr. 27 will sie der Aufrechterhaltung des [X.]eschäftigungsverhältnisses von Menschen mit [X.]ehinderung besondere Aufmerksamkeit widmen. Diesen Zwecken dienen ua. § 1 Abs. 3 [X.] und der in §§ 85 ff. [X.] geregelte Sonderkündigungsschutz.

(2) Der Hinweis des [X.] in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, er werde gegenüber einem [X.]ehinderten, der durch den Fragebogen „vorgewarnt“ den Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderter erst nach Ausfüllen des [X.] gestellt und sich erst dann den gesetzlichen Sonderkündigungsschutz verschafft habe, zurückgesetzt, verfängt nicht. Deckt die Frage nach der Schwerbehinderung nicht alle denkbaren Konstellationen des noch zu erwerbenden Schutzes als Schwerbehinderter ab, folgt daraus nicht, dass die Frage nach einem bereits bestehenden Schutz unzulässig ist. Es ist Sache des Arbeitgebers, die Frage nach einem bestehenden Sonderkündigungsschutz zu formulieren und dadurch ihre Reichweite festzulegen. Fragt er, wie im vorliegenden Fall, nicht nach einem bereits gestellten Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderter, fordert er auch nicht dazu auf, erst später gestellte Anträge mitzuteilen und lässt einige [X.] zwischen der [X.]eantwortung der Frage und Kündigungserklärung verstreichen, hat er die sich aus einer solch unzureichenden Fragestellung für ihn eventuell ergebenden nachteiligen Folgen zu tragen, setzt aber nicht den Arbeitnehmer, der iSd. § 2 Abs. 2 [X.] als schwerbehindert anerkannt ist, gegenüber dem im [X.]punkt der Fragebogenaktion lediglich iSd. § 2 Abs. 1 [X.] behinderten Arbeitnehmer zurück.

bb) Schließlich überzeugt auch das Argument der Revision, ein wirksamer Diskriminierungsschutz sei nur gewährleistet, wenn bereits die Vorbereitung einer möglichen Diskriminierung ausgeschlossen werde, nicht. Im Unterschied zur Situation der Vertragsanbahnung (zum Streitstand hinsichtlich der Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft des Stellenbewerbers vgl. [X.] 7. Juli 2011 - 2 [X.] 396/10 - Rn. 17, [X.] 2012, 34) befindet sich der behinderte Arbeitnehmer in der hier vorliegenden Situation bereits in einer gesetzlich besonders geschützten Rechtsstellung, die gerade zum Ziel hat, Diskriminierungen des [X.]ehinderten zu vermeiden. Meint der Arbeitnehmer, dass es nach Kenntniserlangung des Arbeitgebers von einer Schwerbehinderung zu einer solchen Diskriminierung gekommen ist, ist er auf den gesetzlichen Diskriminierungsschutz zu verweisen.

d) Auch datenschutzrechtliche [X.]elange stehen der Zulässigkeit der Frage nicht entgegen.

aa) § 28 Abs. 6 Nr. 3 [X.]DSG lässt die Frage nach der Schwerbehinderung bei unionsrechtskonformer Auslegung unter [X.]eachtung des dadurch umgesetzten Art. 8 Abs. 2 [X.]uchst. b der Richtlinie 95/46/[X.] des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr ([X.] 95/46/[X.]) zu, wenn wie im vorliegenden Fall nach der von den nationalen Gerichten vorzunehmenden, am Zweck der [X.] 95/46/[X.] orientierten Abwägung das Interesse des Arbeitnehmers an der Geheimhaltung seiner [X.]ehinderung das Interesse des Arbeitgebers an der Erhebung dieser Daten nicht überwiegt.

(1) Die vorliegende Fragebogenaktion wird vom [X.]undesdatenschutzgesetz erfasst. Auch Sammlungen ausgefüllter Formulare sind nicht automatisierte Dateien iSd. § 1 Abs. 2 Nr. 3 iVm. § 3 Abs. 2 Satz 2 [X.]DSG ([X.] in Simitis [X.]DSG 7. Aufl. § 3 Rn. 99; [X.]/Lambrich [X.][X.] 2002, 1146, 1150 mwN).

(2) Nach § 28 Abs. 6 Nr. 3 [X.]DSG ist das Erheben, Verarbeiten und Nutzen besonderer Arten personenbezogener Daten iSd. § 3 Abs. 9 [X.]DSG für eigene Geschäftszwecke auch ohne Einwilligung des [X.]etroffenen zulässig, wenn dies zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung rechtlicher Ansprüche erforderlich ist und kein Grund zu der Annahme besteht, dass das schutzwürdige Interesse des [X.]etroffenen an dem Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung überwiegt. Diese Voraussetzungen sind bei der Frage nach der Schwerbehinderung im bestehenden Arbeitsverhältnis jedenfalls nach Erwerb des [X.]ehindertenschutzes und zur Vorbereitung konkret bevorstehender Kündigungen erfüllt.

(a) Die Frage nach der [X.]ehinderung verlangt Angaben zur Gesundheit und stellt damit eine Erhebung besonderer Arten personenbezogener Daten (sensitiver Daten) iSv. § 3 Abs. 9 [X.]DSG dar ([X.]/Schomerus [X.]DSG 10. Aufl. § 3 Rn. 56a; [X.]/Lambrich [X.][X.] 2002, 1146, 1151).

(b) Allerdings ist die Erhebung der Schwerbehinderteneigenschaft nicht zur „Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung“ eines Anspruchs des Arbeitgebers iSd. Legaldefinition des § 194 Abs. 1 [X.]G[X.], also eines Rechts, von einer anderen Person [X.] oder Unterlassen zu verlangen, erforderlich. Sie ist, wie bereits ausgeführt, lediglich Voraussetzung für die Erfüllung der dem Arbeitgeber nach § 1 Abs. 3 [X.] und § 85 [X.] obliegenden Pflichten. Die Datenerhebung findet also im Vorfeld der Erfüllung gesetzlicher Pflichten des Arbeitgebers statt und dient dazu, diesem die Kenntnis zu verschaffen, die erforderlich ist, um ihm anschließend ein gesetzeskonformes Handeln zu ermöglichen. Auch eine solche Datenerhebung zur Klärung von gegen den Arbeitgeber gerichteten Ansprüchen, die sich für diesen spiegelbildlich als Pflichten darstellen, ist jedoch unter [X.]erücksichtigung der [X.] 95/46/[X.] von § 28 Abs. 6 Nr. 3 [X.]DSG gedeckt ([X.] RDV 2001, 125, 127).

(aa) § 28 Abs. 6 bis Abs. 9 [X.]DSG setzen nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers ([X.]T-Drucks. 14/4329 S. 43) Art. 8 [X.] 95/46/[X.], insbesondere Art. 8 Abs. 2 [X.]uchst. b dieser Richtlinie, um. Nach dieser [X.]estimmung ist die Verarbeitung von Daten, worunter nach Art. 2 [X.]uchst. b [X.] 95/46/[X.] auch deren Erhebung fällt, zulässig, um den Rechten und Pflichten des für die Verarbeitung Verantwortlichen auf dem Gebiet des Arbeitsrechts Rechnung zu tragen, sofern dies aufgrund von einzelstaatlichem Recht, das angemessene Garantien vorsieht, zulässig ist. Ein Wille des Gesetzgebers, durch die Formulierung der Voraussetzungen in § 28 Abs. 6 Nr. 3 [X.]DSG der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung sensitiver Daten durch den Arbeitgeber im [X.]ereich des Arbeitsrechts engere Grenzen als durch Art. 8 Abs. 2 [X.]uchst. b [X.] 95/46/[X.] vorgesehen zu setzen, ist nicht ersichtlich (vgl. [X.] RDV 2001, 125, 127). Es handelt sich vielmehr lediglich um eine missglückte Formulierung (vgl. [X.]/Lambrich [X.][X.] 2002, 1146, 1152). Deshalb kann dahinstehen, ob es dem [X.] Gesetzgeber verwehrt gewesen wäre, die in Art. 8 Abs. 2 [X.]uchst. b [X.] 95/46/[X.] niedergelegten Grundsätze weiter einzuschränken (vgl. für Art. 7 [X.]uchst. f [X.] 95/46/[X.]: [X.] 24. November 2011 - [X.]-468/10 - [[X.]] Rn. 35 f., 48, [X.] 2011, 1409).

(bb) Eine „Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung rechtlicher Ansprüche“ als Voraussetzung einer Datenerhebung nach § 28 Abs. 6 Nr. 3 [X.]DSG liegt deshalb in Übereinstimmung mit der Formulierung des Art. 8 Abs. 2 [X.]uchst. b [X.] 95/46/[X.] auch vor, wenn die Datenerhebung erforderlich ist, um den Rechten und Pflichten des Arbeitgebers Rechnung zu tragen. Dazu gehören auch die Pflichten des Arbeitgebers zur [X.]eachtung der Schwerbehinderung im Rahmen der [X.] und zur Wahrung des Schwerbehindertenschutzes nach §§ 85 ff. [X.] (vgl. bejahend zur Zulässigkeit der Frage nach der Schwerbehinderung unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten auch [X.] in Simitis [X.]DSG 7. Aufl. § 32 Rn. 68 für § 32 [X.]DSG nF; zur Datenerhebung im bestehenden Arbeitsverhältnis allgemein [X.] RDV 2001, 125, 127).

(c) Letztlich sind damit die Anforderungen an das rechtmäßige Interesse bei der Frage nach einer Schwerbehinderung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber und die Anforderungen des Datenschutzes deckungsgleich. Die [X.] 95/46/[X.] schränkt das Fragerecht nach der Schwerbehinderung, sofern diese unter arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten zulässig ist, nicht ein. Sie soll das Gleichgewicht zwischen dem freien Verkehr personenbezogener Daten und dem Schutz der Privatsphäre wahren. Dieses angemessene Gleichgewicht zwischen den betroffenen Rechten und Interessen ist vor allem bei der Anwendung des die [X.] 95/46/[X.] umsetzenden nationalen Rechts zu finden, wobei die durch das Unionsrecht geschützten Rechte der [X.]etroffenen zu wahren sind ([X.] 6. November 2003 - [X.]-101/01 - [[X.]] Rn. 97, 85, 87, Slg. 2003, [X.]). Ein überwiegendes Interesse des Arbeitnehmers an der Wahrung seiner Privatsphäre liegt nicht vor. Die Frage nach der Schwerbehinderung dient, wie wiederholt ausgeführt, letztlich der Wahrung der Rechte, die dem Arbeitnehmer gerade wegen der Schwerbehinderung zukommen. (Erst) in dem Verfahren nach § 85 [X.] sind die behinderungsbedingten Nachteile auszugleichen und die durch das Unionsrecht, insbesondere die [X.] 2000/78/[X.], gewährleisteten Rechte des Arbeitnehmers zu wahren.

bb) Wird dem Arbeitgeber das Recht zur Frage nach der Schwerbehinderung im Vorfeld von Kündigungen zugestanden, verletzt dies den schwerbehinderten Arbeitnehmer auch nicht in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

(1) Es kann dahinstehen, ob die Überprüfung des Fragerechts im Allgemeinen und des diese Frage nach [X.] zulassenden § 28 Abs. 6 Nr. 3 [X.]DSG im [X.]esonderen am Maßstab des Grundgesetzes im Hinblick auf den Anwendungsvorrang des Unionsrechts entbehrlich ist.

(a) Das [X.]undesverfassungsgericht übt - jenseits des [X.] und des Verfassungsidentitätsvorbehalts - über die Anwendbarkeit von Unionsrecht als Rechtsgrundlage für die nationalen Gerichte und [X.]ehörden seine Gerichtsbarkeit nicht mehr aus und überprüft dieses Recht nicht mehr am Maßstab der Grundrechte, solange die [X.] einen gleich wirksamen Grundrechtsschutz verbürgt. Dies gilt allerdings bei innerstaatlichen Rechtsvorschriften, die Richtlinien des Unionsrechts umsetzen, nur dann, wenn das Unionsrecht zwingende Vorgaben macht, also dem nationalen Gesetzgeber keinen Umsetzungsspielraum lässt ([X.]VerfG 4. Oktober 2011 - 1 [X.]vL 3/08 - Rn. 46, NJW 2012, 45). Lässt das Unionsrecht den Mitgliedstaaten dagegen einen Umsetzungsspielraum, ist dieser grundgesetzkonform auszufüllen. In diesem unionsrechtlich nicht oder jedenfalls nicht vollständig determinierten Normenbereich müssen die nationalen Fachgerichte den Einfluss der Grundrechte bei der Auslegung von Vorschriften des nationalen Rechts nach wie vor zur Geltung bringen. Ob ein solcher die Grundrechtsprüfung der Fachgerichte eröffnender Umsetzungsspielraum des nationalen Gesetzgebers besteht, hat das Fachgericht durch Auslegung des einschlägigen Unionsrechts zu ermitteln, wobei es gegebenenfalls die Voraussetzungen eines [X.] nach Art. 267 AEUV - auch in [X.]ezug auf den Schutz der durch das Unionsrecht verbürgten Grundrechte - in [X.]etracht ziehen muss ([X.]VerfG 19. Juli 2011 - 1 [X.]vR 1916/09 - [[X.]assina] Rn. 88 f., NJW 2011, 3428).

(b) Die [X.] 95/46/[X.] eröffnet dem nationalen Gesetzgeber durch Art. 5 Handlungsspielräume, aufgrund derer er die in Art. 6 bis Art. 8 [X.] 95/46/[X.] festgelegten Grundsätze näher bestimmen kann. Es ist ihm lediglich verwehrt, zusätzliche [X.]edingungen vorzusehen, durch die die Tragweite eines der in der [X.] 95/46/[X.] festgelegten Grundsätze verändert wird (vgl. zu Art. 7 [X.] 95/46/[X.]: [X.] 24. November 2011 - [X.]-468/10 - [[X.]] Rn. 35, [X.] 2011, 1409; 6. November 2003 - [X.]-101/01 - [[X.]] Rn. 82 f., Slg. 2003, [X.]). Insbesondere kann er gemäß Art. 8 Abs. 4 [X.] 95/46/[X.], sofern „angemessene Garantien“ bestehen, aus Gründen eines wichtigen öffentlichen Interesses andere als die in Art. 8 Abs. 2 [X.] 95/46/[X.] genannten Ausnahmen vorsehen.

(c) Ob damit nach vorstehenden Grundsätzen die Grundrechtsprüfung eröffnet ist oder ob jedenfalls in [X.]ezug auf das Fragerecht des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderung Art. 8 Abs. 2 [X.] 95/46/[X.] dem [X.] Gesetzgeber keinen Umsetzungsspielraum ließ, kann dahinstehen. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird durch die Frage nach der Schwerbehinderung unter den genannten Voraussetzungen nicht verletzt. Einer Vorlage an den [X.] nach Art. 267 AEUV zur Klärung des Umsetzungsspielraums des nationalen Gesetzgebers im streitbefangenen Zusammenhang bedarf es deshalb nicht.

(2) Das von Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG umfasste Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleistet die [X.]efugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Das Recht gewährt seinen Trägern insbesondere Schutz gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung oder Weitergabe der auf sie bezogenen, individualisierten oder individualisierbaren Daten. Vom Schutzbereich dieses Grundrechts sind persönliche oder personenbezogene Daten umfasst, worunter Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person zu verstehen sind ([X.]VerfG 24. November 2010 - 1 [X.]vF 2/05 - [X.]VerfGE 128, 1, 42 f.). Darunter fällt auch die Schwerbehinderung.

(3) Der Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht ist jedoch durch § 28 Abs. 6 Nr. 3 [X.]DSG gerechtfertigt (zu den Anforderungen an die Schranken des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung [X.]VerfG 24. November 2010 - 1 [X.]vF 2/05 - [X.]VerfGE 128, 1, 46). Aus dem Grundgesetz ergeben sich insoweit keine weitergehenden Anforderungen als aus dem Unionsrecht.

e) Entgegen der Auffassung der Revision wird durch das [X.]ejahen eines Fragerechts des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderung im Vorfeld von beabsichtigten Kündigungen die ständige Rechtsprechung des [X.]undesarbeitsgerichts, wonach dem schwerbehinderten Arbeitnehmer der Sonderkündigungsschutz noch zukommt, sofern er seine Schwerbehinderung dem Arbeitgeber innerhalb der Frist des § 4 [X.] offenlegt (zuletzt 23. Februar 2010 - 2 [X.] 659/08 - Rn. 16, [X.]E 133, 249), nicht unterlaufen. Auch der von ihr gezogene Schluss, aus dieser Rechtsprechung folge, dass der Arbeitnehmer nicht verpflichtet sei, vor Ablauf der Frist des § 4 [X.] seine Schwerbehinderung zu offenbaren, trägt nicht. Diese Rechtsprechung dient dem Vertrauensschutz sowie der Rechtssicherheit und verwehrt es dem Arbeitnehmer, seine sich aus der Schwerbehinderung ergebenden Rechte gegenüber dem Arbeitgeber, der bei Erklärung der Kündigung von der Schwerbehinderung bzw. einem bereits gestellten Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderung keine Kenntnis hat, illoyal verspätet geltend zu machen. Sie verwehrt es aber nicht dem Arbeitgeber, diese Rechtsunsicherheit bereits im Vorfeld der Kündigung durch die Frage nach der Schwerbehinderung zu beseitigen.

II. Die Revision nimmt zu Unrecht an, die Frage nach der Schwerbehinderung des [X.] sei jedenfalls deshalb unzulässig gewesen, weil der [X.]eklagte den Anlass dieser Frage nicht konkret dargelegt habe, so dass der Kläger schon deshalb die Frage habe wahrheitswidrig beantworten dürfen, zumal er dem [X.]eklagten als vorläufigem Insolvenzverwalter ohnehin nicht zur [X.] verpflichtet gewesen sei.

1. Wie bereits ausgeführt, ist die Frage nach einer Schwerbehinderung im bestehenden Arbeitsverhältnis jedenfalls nach Ablauf der Frist des § 90 Abs. 1 Nr. 1 [X.] zuzulassen, um dem Arbeitgeber ein rechtstreues Verhalten zu ermöglichen. Der Arbeitgeber muss deshalb den konkreten Anlass seiner Frage dem Arbeitnehmer nicht mitteilen.

2. Darüber hinaus war die Frage für den Kläger erkennbar im Vorfeld einer beabsichtigten Kündigungswelle gestellt worden, damit der [X.]eklagte die ihm bei der Umsetzung dieses [X.] im Zusammenhang mit der Schwerbehinderung von Arbeitnehmern obliegenden Pflichten erfüllen konnte.

a) Die Revision macht insoweit geltend, das [X.] habe zwar im Tatbestand ausgeführt, dass die Frage zur Vermeidung von Fehlern bei der [X.] erfolgt sei. Der [X.]eklagte habe jedoch nicht vorgetragen, dass er dem Kläger die Intention seiner Frage erläutert habe. Richtig sei dagegen die Feststellung des Arbeitsgerichts, wonach für den Kläger bei der Frage nicht ersichtlich gewesen sei, welchen Zweck der [X.]eklagte damit verfolgt habe.

b) Mit dieser Argumentation berücksichtigt der Kläger nicht, dass der Fragebogen im Insolvenzeröffnungsverfahren verteilt worden ist. Wenn in einem derartigen Verfahren vom vorläufigen Insolvenzverwalter eine Umfrage zur „Vervollständigung bzw. Überprüfung“ der [X.] erfolgt, liegt auf der Hand, dass dies der Vorbereitung von Kündigungen, wie sie in einer Insolvenz im Regelfall erforderlich sind, dient. Ebenso liegt auf der Hand, dass der (vorläufige) Insolvenzverwalter mit einer solchen Fragebogenaktion zum Ausdruck bringt, dass er insbesondere den Schwerbehindertenschutz verwirklichen will. Im Allgemeinen ist davon auszugehen, dass der (vorläufige) Verwalter gesetzmäßig handelt (vgl. [X.]GH 20. Juli 2010 - [X.]/09 - Rn. 26, [X.]GHZ 186, 242).

3. Der Kläger war auch gegenüber dem [X.]eklagten, der im [X.]punkt der Durchführung der Fragebogenaktion noch „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter war, zur [X.] verpflichtet.

a) Das Insolvenzgericht hat dem [X.]eklagten mit [X.]eschluss vom 8. Januar 2009 das Recht zur Ausübung der [X.] einschließlich der Ermächtigung, Kündigungen auszusprechen, übertragen. Es hat ihn damit zum sog. „halbstarken“ vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt (zu diesem [X.]egriff Graf-Schlicker [X.] 2. Aufl. § 22 Rn. 13 ff.). Zwar ist eine pauschale gerichtliche Ermächtigung des vorläufigen Insolvenzverwalters, mit rechtlicher Wirkung für den Schuldner zu handeln, nach § 22 Abs. 2 Satz 1 [X.] unzulässig. Das Insolvenzgericht darf jedoch nach § 22 Abs. 2 Satz 2 [X.] den „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter zu einzelnen, bestimmt bezeichneten Maßnahmen berechtigen und verpflichten. Dazu gehört auch die Ermächtigung zur Kündigung bestimmbarer Arten von Dauerschuldverhältnissen ([X.]GH 18. Juli 2002 - [X.]/01 - [X.]GHZ 151, 353, 365). Der [X.]eklagte war demnach bereits im Insolvenzeröffnungsverfahren jedenfalls hinsichtlich der Kündigungsberechtigung in die Arbeitgeberstellung eingerückt und war berechtigt, alle damit verbundenen Entscheidungen vorzubereiten und zu treffen.

b) Darüber hinaus hat auch ein „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter, dem das Insolvenzgericht keine [X.] übertragen hat, einen gesetzlichen [X.]sanspruch gegen die bei der Insolvenzschuldnerin beschäftigten Arbeitnehmer. Gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist der Schuldner verpflichtet, dem Insolvenzverwalter über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse [X.] zu geben. Diese Norm gilt gemäß § 101 Abs. 2 [X.] entsprechend auch für die Angestellten des Schuldners und damit ohne [X.]eschränkung auf den arbeitsrechtlichen Angestelltenbegriff für alle im [X.]etrieb tätigen Personen des Schuldners (Graf-Schlicker [X.] 2. Aufl. § 101 Rn. 5). Die Verpflichtung zur [X.] besteht [X.] in § 22 Abs. 3 Satz 3 [X.] schon im Eröffnungsverfahren, wobei es unerheblich ist, ob der vorläufige Insolvenzverwalter „stark“ oder „schwach“ ist ([X.] Der vorläufige Insolvenzverwalter S. 131; [X.] in [X.]/[X.] [X.] 2. Aufl. § 97 Rn. 14).

Der [X.]egriff der „[X.]“ ist weit auszulegen, da er sich am Verfahrenszweck der Haftungsverwirklichung orientiert. Er umfasst alle rechtlichen und wirtschaftlichen Umstände, die für die Abwicklung des Insolvenzverfahrens oder von Gläubigerforderungen in irgendeiner Weise von [X.]edeutung sein können ([X.]GH 11. Februar 2010 - IX Z[X.] 126/08 - Rn. 5, [X.] 2010, 264; [X.] in HK-[X.] 6. Aufl. § 97 Rn. 11; [X.]/[X.] 3. Aufl. § 97 Rn. 3; [X.] Der vorläufige Insolvenzverwalter S. 134). Hierunter fällt auch die Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft, die sich auf die Dauer eines Arbeitsverhältnisses mit entsprechender Entgeltzahlungspflicht auswirken kann.

III. Auch die Rüge der Revision, der [X.]eklagte habe nichts zur Wahrung der Mitbestimmungsrechte des [X.]etriebsrats aus § 94 [X.]etrVG vorgetragen, was aber zur Darlegung der Rechtfertigung der Frage nach der Schwerbehinderung erforderlich gewesen sei, verhilft ihr nicht zum Erfolg. Damit macht die Revision einen rechtlichen Gesichtspunkt geltend, der neuen Tatsachenvortrag des [X.]eklagten zur [X.]eteiligung des [X.]etriebsrats erforderlich macht. Neues tatsächliches Vorbringen im Revisionsverfahren kann aber nur unter Voraussetzungen erfolgen bzw. erzwungen werden, die hier nicht vorliegen. Ohnehin berechtigt eine solche Verletzung von Mitbestimmungsrechten den Arbeitnehmer zwar möglicherweise, die Antwort auf die gestellten Fragen zu verweigern, nicht jedoch, seinen Arbeitgeber zu täuschen ([X.] 2. Dezember 1999 - 2 [X.] 724/98 - [X.]E 93, 41, 47).

IV. Infolge der wahrheitswidrigen [X.]eantwortung der ihm rechtmäßig gestellten Frage nach seiner Schwerbehinderung ist es dem Kläger unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Verhaltens verwehrt, sich auf seine Schwerbehinderteneigenschaft zu berufen.

1. Grundsätzlich steht es jedem Teilnehmer des Rechtsverkehrs frei, sein Verhalten oder seine Rechtsansicht zu ändern und sich damit in Widerspruch zu seinem früheren Verhalten zu setzen. Ein solches Verhalten ist aber rechtsmissbräuchlich, wenn der Erklärende durch seine Erklärung oder durch sein Verhalten unbewusst oder bewusst eine Sach- oder Rechtslage geschaffen hat, auf die sich der andere Teil verlassen durfte und verlassen hat. Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben bildet eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung. Das Vertrauen des anderen am Rechtsverhältnis beteiligten Teils, dass eine bestimmte Rechtslage gegeben sei, ist vor allem dann schutzwürdig, wenn er von dem anderen Teil in diesem Glauben bestärkt worden ist und im Hinblick darauf Dispositionen getroffen hat. In einem solchen Fall ist die Ausnutzung der durch das widersprüchliche Verhalten geschaffenen Rechtslage wegen der Rechtsüberschreitung unzulässig. Ob ein solcher Fall vorliegt, ist unter [X.]erücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden ([X.] 12. März 2009 - 2 [X.] 894/07 - Rn. 17, [X.]E 130, 14; 23. Februar 2005 - 4 [X.] 139/04 - [X.]E 114, 33, 42 f.).

2. Nach diesen Grundsätzen liegt hier ein Fall der unzulässigen Rechtsausübung vor. Der Kläger hat durch das Leugnen seiner anerkannten Schwerbehinderung den [X.]eklagten im Glauben bestärkt, er könne ohne die [X.]eteiligung des [X.] wirksam kündigen, und ihn dadurch davon abgehalten, vor der Kündigung die Zustimmung des [X.] einzuholen. Erst bei der Folgekündigung vom 20. August 2009 konnten die Rechte des [X.] aus § 85 [X.] gewahrt werden. [X.]liebe sein Verhalten folgenlos, würde das Arbeitsverhältnis des [X.] aufgrund seiner Schwerbehinderung länger fortbestehen als das eines nicht behinderten, ansonsten vergleichbaren Arbeitnehmers oder eines Schwerbehinderten, der seine Schwerbehinderung offengelegt hätte. Eine derartige [X.]evorzugung ist aber nicht Zweck des Sonderkündigungsschutzes, der, wie ausgeführt, nur dem Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile dient ([X.] 26. Juni 2001 - 9 [X.] 244/00 - [X.]E 98, 114, 122; [X.]VerwG 2. Juli 1992 - 5 [X.] 39.90 - [X.]VerwGE 90, 275).

[X.]. Das [X.] hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Kündigung vom 26. Mai 2009 aus betriebsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 Satz 1 [X.] iVm. § 125 Abs. 1 Satz 1 [X.]) und auch nicht gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 [X.]etrVG unwirksam ist. Gegen die entsprechende Würdigung des [X.]s und die dieser zugrunde liegenden Tatsachenfeststellungen erhebt die Revision auch keine Rügen.

[X.]. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolgslosen Revision zu tragen.

        

    Fischermeier    

        

    [X.]rühler    

        

    Spelge    

        

        

        

    Schäferkord    

        

    [X.]. [X.]ender    

                 

Meta

6 AZR 553/10

16.02.2012

Bundesarbeitsgericht 6. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Iserlohn, 26. November 2009, Az: 4 Ca 2001/09, Urteil

§ 85 SGB 9, § 1 Abs 3 KSchG, § 242 BGB, § 3 Abs 1 S 1 AGG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.02.2012, Az. 6 AZR 553/10 (REWIS RS 2012, 9105)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9105


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 6 AZR 553/10

Bundesarbeitsgericht, 6 AZR 553/10, 16.02.2012.


Az. 2 Sa 49/10

Landesarbeitsgericht Hamm, 2 Sa 49/10, 30.06.2010.


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3 S 13/23

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