Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 09.06.2011, Az. 2 AZR 703/09

2. Senat | REWIS RS 2011, 5850

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Gegenstand

Sonderkündigungsschutz Schwerbehinderung


Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 21. August 2009 - 3 [X.] 698/08 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten noch über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte betreibt in [X.] ein [X.]teuerberatungsbüro. In [X.] unterhielt sie eine Zweigstelle/Beratungsstelle.

3

Der Kläger, der über keinen Abschluss als [X.]teuerberater verfügt, war seit Oktober 1994 bei der [X.] bzw. deren Rechtsvorgängerin tätig. Ihm oblag die Bearbeitung der laufenden Geschäfte der Zweigstelle. Außerdem war er „fachlicher Ansprechpartner“ der in [X.] eingesetzten Arbeitnehmer der [X.].

4

[X.]eit August 2006 war der Kläger arbeitsunfähig. Am 2. Januar 2007 beantragte er beim Amt für Familie und [X.]oziales - Versorgungsamt - der [X.]tadt [X.] rückwirkend ab dem 27. [X.]eptember 2006 „die Feststellung einer Behinderung, des Grades der Behinderung (GdB) und die Ausstellung eines [X.]chwerbehindertenausweises“.

5

Im Februar 2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. Juli 2007 wegen [X.]chließung der Zweigstelle. Dagegen erhob der Kläger Kündigungsschutzklage. Mit außergerichtlichem [X.]chreiben vom 7. März 2007 teilte sein Prozessbevollmächtigter der [X.] - unter Hinweis auf die ihm vorliegende Kündigung und die bereits eingereichte Klage - „der Vollständigkeit halber“ mit, dass der Kläger beim Versorgungsamt [X.] „einen Antrag auf Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung“ gestellt habe. Eine Entscheidung liege noch nicht vor.

6

Mit Bescheid vom 21. März 2007 stellte das Versorgungsamt die [X.]chwerbehinderung des [X.] mit einem GdB von 100 rückwirkend ab dem 27. [X.]eptember 2006 fest.

7

Am 16. April 2007 fand in dem Kündigungsschutzprozess die Güteverhandlung statt. Ob der Prozessbevollmächtigte des [X.] dabei nähere Angaben zu dem Antrag beim Versorgungsamt und zum [X.]tand des Verfahrens machte, ist zwischen den Parteien streitig. Die Verhandlung endete mit dem Abschluss eines für den Kläger bis zum 30. April 2007 widerruflichen Vergleichs, der hinsichtlich einer vereinbarten Abfindung eine Ratenzahlung vorsah.

8

Am 27. April 2007 suchte der Kläger die Beklagte in [X.] auf und begehrte die Zahlung der zugesagten Abfindung in einer [X.]umme. Das lehnte die Beklagte ebenso ab wie eine vom Kläger alternativ geforderte [X.]icherheitsleistung. Daraufhin widerrief der Kläger den Vergleich. [X.]eine Kündigungsschutzklage nahm er später zurück.

9

Die Beklagte erstattete nach dem Gespräch gegen den Kläger [X.]trafanzeige mit der Begründung, der Kläger habe versucht, sie zu nötigen. Außerdem kündigte sie das Arbeitsverhältnis - ohne Zustimmung des [X.] - mit [X.]chreiben vom 8. Mai 2007 fristlos.

Gegen diese Kündigung hat sich der Kläger mit seiner vorliegenden Kündigungsschutzklage gewandt und geltend gemacht, ein wichtiger Grund liege nicht vor. Zudem sei die Kündigung wegen fehlender Zustimmung des [X.] unwirksam. Er habe die Beklagte durch das [X.]chreiben vom 7. März 2007 hinreichend über seine zur Feststellung beantragte [X.]chwerbehinderung unterrichtet. Während der Güteverhandlung im ersten Kündigungsschutzprozess habe sein Prozessbevollmächtigter zudem mitgeteilt, das Antragsverfahren sei abgeschlossen und er - der Kläger - sei „zu 100 % schwerbehindert“.

Der Kläger hat - soweit noch von Bedeutung - beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 8. Mai 2007 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. [X.]ie hat die Auffassung vertreten, die fristlose Kündigung sei wirksam. Der Kläger habe anlässlich des Gesprächs in [X.] mit unlauteren Mitteln versucht, sie zum Eingehen auf seine Forderungen betreffend die Abfindungszahlung zu bewegen. Außerdem habe er gegen ein bestehendes Verbot verstoßen, Abschriften aus Handakten und Mandantenunterlagen zu fertigen. Ein sonstiger [X.] liege nicht vor. Der Kläger habe das Recht, sich auf einen besonderen Kündigungsschutz als schwerbehinderter Mensch zu berufen, verwirkt. Er habe sich gegenüber der Kündigung vom 8. Mai 2007 - unstreitig - erstmals im Gütetermin vom 14. Juni 2007 auf seine [X.]chwerbehinderung berufen. Das [X.]chreiben vom 7. März 2007 habe ihr keine ausreichende Kenntnis der Möglichkeit des Bestehens einer [X.]chwerbehinderung verschafft. Es fehle an der Mitteilung des Datums der Antragstellung und des Aktenzeichens des beim Versorgungsamt bearbeiteten Vorgangs. Im Gütetermin des [X.] habe sich der Prozessbevollmächtigte des [X.] nicht in der Lage gesehen, hierzu nähere Angaben zu machen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das [X.] hat die Berufung der [X.] zurückgewiesen. Mit der Revision begehrt die Beklagte weiterhin, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die fristlose Kündigung vom 8. Mai 2007 ist nach § 134 BGB nichtig. Die Kündigung bedurfte gemäß § 91 Abs. 1, § 85 [X.] der vorherigen Zustimmung des [X.]. Daran fehlt es.

I. Der Kläger hat gegen die Kündigung gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 iVm. § 4 Satz 1 KSchG binnen [X.] erhoben. Dass er sich erst nach Ablauf dieser Frist auf seine Schwerbehinderung und einen daraus resultierenden [X.] berufen hat, ist mit Blick auf die [X.] unschädlich; er hat die erforderliche Rüge ordnungsgemäß (§ 6 KSchG) innerhalb des ersten Rechtszugs nachgeholt (vgl. [X.] 11. Dezember 2008 - 2 [X.] - Rn. 15, [X.]E 129, 25; 23. April 2008 - 2 [X.] - Rn. 22, [X.] 1969 § 4 Nr. 65 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 84).

II. Dem Kläger stand im Kündigungszeitpunkt der Sonderkündigungsschutz nach §§ 85 ff. [X.] zu.

1. Gemäß § 85 [X.] bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des [X.]. Das gilt uneingeschränkt auch für die außerordentliche Kündigung, § 91 Abs. 1 [X.].

Allerdings findet das Zustimmungserfordernis nach § 90 Abs. 2a [X.] dann keine Anwendung, wenn zum [X.]punkt des Ausspruchs der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist oder das [X.] nach Ablauf der Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 [X.] eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung nicht treffen konnte. Das Eingreifen des Sonderkündigungsschutzes setzt damit grundsätzlich voraus, dass im [X.]punkt des Zugangs der Kündigung entweder die Schwerbehinderung bereits anerkannt (oder eine Gleichstellung erfolgt) ist oder die Stellung des Antrags auf Anerkennung der Schwerbehinderung (bzw. auf Gleichstellung) mindestens drei Wochen zurückliegt ([X.] 29. November 2007 - 2 [X.] - Rn. 15, AP [X.] § 90 Nr. 5 = EzA [X.] § 90 Nr. 3; 1. März 2007 - 2 [X.] - [X.]E 121, 335).

2. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Nach den Feststellungen des [X.] hat das [X.] am 21. März 2007 - und damit vor Zugang der fristlosen Kündigung - die Schwerbehinderung des [X.] mit einem Grad von 100 festgestellt.

III. Der Kläger musste die Beklagte nicht binnen drei Wochen nach Zugang der Kündigung vom 8. Mai 2007 auf seine Anerkennung als schwerbehinderter Mensch hinweisen, um sich den besonderen Kündigungsschutz zu erhalten.

1. Ist der Arbeitnehmer im Kündigungszeitpunkt bereits als schwerbehinderter Mensch anerkannt, steht ihm der Kündigungsschutz gemäß §§ 85 ff. [X.] nach dem Wortlaut des Gesetzes auch dann zu, wenn der Arbeitgeber von der Schwerbehinderteneigenschaft oder dem [X.] nichts wusste. Das ergibt sich schon daraus, dass § 85 iVm. § 2 [X.] mit der „Schwerbehinderung“ ohnehin auf einen objektiven Grad der Behinderung und nicht auf dessen behördliche Feststellung abstellt ([X.] 6. September 2007 - 2 [X.] - Rn. 24, [X.]E 124, 43; 12. Januar 2006 - 2 [X.] - Rn. 15, AP [X.] § 85 Nr. 3 = EzA [X.] § 85 Nr. 5).

2. Gleichwohl trifft den Arbeitnehmer - sowohl im Fall der außerordentlichen als auch der ordentlichen Kündigung - bei Unkenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderung bzw. der Antragstellung die Obliegenheit, innerhalb einer angemessenen Frist - die in der Regel drei Wochen beträgt - auf den besonderen Kündigungsschutz hinzuweisen (vgl. [X.] 23. Februar 2010 - 2 [X.]/08 - Rn. 16, AP [X.] § 85 Nr. 8 = EzA [X.] § 85 Nr. 6; 12. Januar 2006 - 2 [X.] - zu II 3 b der Gründe, AP [X.] § 85 Nr. 3 = EzA [X.] § 85 Nr. 5). Dies trägt dem Verwirkungsgedanken (§ 242 BGB) Rechnung und ist aus Gründen des Vertrauensschutzes gerechtfertigt ([X.] 13. Februar 2008 - 2 [X.] - Rn. 16, [X.]E 125, 345; 20. Januar 2005 - 2 [X.] - zu II 3 a der Gründe, AP [X.] § 85 Nr. 1 = EzA [X.] § 85 Nr. 3). Der Arbeitgeber, der keine Kenntnis von dem bestehenden oder möglichen Schutztatbestand hat, hat keinen Anlass, eine behördliche Zustimmung zur Kündigung einzuholen. Je nach dem Stand des Verfahrens beim [X.] ist ihm dies sogar unmöglich. Das Erfordernis, sich zeitnah auf den besonderen Kündigungsschutz zu berufen, ist geeignet, einer Überforderung des Arbeitgebers vorzubeugen. Dieser müsste anderenfalls vor Kündigungen stets vorsorglich einen Antrag auf Zustimmung beim [X.] stellen, damit nicht der besondere Schutztatbestand ggf. erst nach längerer Prozessdauer offenbar wird. Das Erfordernis trägt zugleich dem Gebot der Rechtssicherheit Rechnung ([X.] 20. Januar 2005 - 2 [X.] - zu II 3 a der Gründe, aaO).

3. Eine Einschränkung der Möglichkeit des Arbeitnehmers, sich auf den Kündigungsschutz als schwerbehinderter Mensch zu berufen, ist aber nur gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber tatsächlich schutzbedürftig ist. Das ist hier nicht der Fall.

a) Das Rechtsinstitut der Verwirkung verfolgt nicht den Zweck, den Schuldner stets dann von seiner Verpflichtung zu befreien, wenn der Gläubiger sich längere [X.] nicht auf seine Rechte berufen hat ([X.]moment). Der Gläubiger muss vielmehr unter Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erweckt haben, er wolle sein Recht nicht mehr wahrnehmen, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Umstandsmoment). Hierbei muss das Bedürfnis nach Vertrauensschutz auf Seiten des Verpflichteten das Interesse an der Rechtsausübung auf Seiten des Berechtigten derart überwiegen, dass ersterem die Erfüllung seiner Verpflichtung nicht mehr zuzumuten ist ([X.] 15. Februar 2007 - 8 [X.] - Rn. 42, [X.]E 121, 289).

b) Danach kann der Arbeitgeber regelmäßig keinen Vertrauensschutz für sich in Anspruch nehmen, wenn er die Schwerbehinderung oder den Antrag vor Ausspruch der Kündigung kannte und deshalb mit dem Zustimmungserfordernis rechnen musste (vgl. [X.] 23. Februar 2010 - 2 [X.]/08 - Rn. 16, AP [X.] § 85 Nr. 8 = EzA [X.] § 85 Nr. 6; 6. September 2007 - 2 [X.] - Rn. 25, [X.]E 124, 43). Der Arbeitgeber ist auch dann nicht schutzbedürftig, wenn die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers offenkundig ist und er deshalb auch ohne Kenntnis von Anerkennung oder Antragstellung Anlass hatte, vorsorglich die Zustimmung zur Kündigung zu beantragen ([X.] 13. Februar 2008 - 2 [X.] - Rn. 15, 20, [X.]E 125, 345).

c) Gemessen hieran sind die Voraussetzungen einer Verwirkung nicht erfüllt. Der Beklagten war durch das Schreiben des [X.] vom 7. März 2007 die Antragstellung beim [X.] bekannt. Sie musste mit einer Anerkennung des [X.] als schwerbehinderter Mensch und damit der Zustimmungsbedürftigkeit der Kündigung vom 8. Mai 2007 rechnen. Weitergehender Informationen bedurfte sie nicht. Insbesondere war der Kläger nicht verpflichtet, ihr das Datum der Antragstellung mitzuteilen oder seine Schwerbehinderung innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung durch Vorlage des Feststellungsbescheids nachzuweisen.

aa) Das Schreiben vom 7. März 2007 war geeignet, der Beklagten die erforderliche Kenntnis von der Möglichkeit des Bestehens einer Schwerbehinderung des [X.] zu vermitteln.

(1) Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 [X.] stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden auf Antrag das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Der Antrag auf Feststellung einer „Behinderung“ schließt, da die [X.] die Behinderung von Amts wegen festzustellen haben, die Feststellung einer Schwerbehinderung iSv. § 2 Abs. 2 [X.] ein. Darüber hinaus bedarf es - soweit die Schwerbehinderung nicht ohnehin offensichtlich ist - einer (förmlichen) Feststellung der Behinderung und ihres Grades nach § 69 [X.] nur für die Inanspruchnahme der besonderen Hilfen zur Teilhabe Schwerbehinderter am Arbeitsleben und für einen Nachteilsausgleich nach Teil 2 [X.] (vgl. dazu BT-Drucks. 14/5074 S. 98; [X.]/[X.]/Majerski-[X.] [X.] 12. Aufl. § 2 Rn. 26). Dazu zählt auch der besondere Kündigungsschutz nach §§ 85 ff. [X.].

(2) Die Beklagte hat die Mitteilung ersichtlich zunächst so verstanden, dass sich der Antrag des [X.] (auch) auf die Feststellung einer Schwerbehinderung bezog. Sie hat behauptet, ihr Prozessbevollmächtigter habe sich im Gütetermin vom 16. April 2007 nach dem Datum der Antragstellung und dem Aktenzeichen des Vorgangs erkundigt. Diese Fragen zielten erkennbar darauf, die Relevanz der Antragstellung für die Wirksamkeit der ersten (ordentlichen) Kündigung mit Blick auf vom Kläger einzuhaltende Fristen (§ 90 Abs. 2a iVm. § 69 Abs. 2 [X.]) abzuklären. Wäre die Beklagte im Zweifel darüber gewesen, ob sich der Antrag auch auf die Feststellung einer Schwerbehinderung bezog, hätte sie dies aller Wahrscheinlichkeit nach zum Ausdruck gebracht.

(3) Ob der Prozessbevollmächtigte des [X.] im Gütetermin vom 16. April 2007 in der Lage war, nähere Auskünfte zum Antragsverfahren zu erteilen, kann offenbleiben. Selbst wenn dies - wie die Beklagte behauptet - nicht der Fall gewesen sein sollte, war daraus nicht abzuleiten, die Angaben im Schreiben vom 7. März 2007 entbehrten jeglicher Grundlage. Wenn die Beklagte dies dennoch tat, handelte sie auf eigenes Risiko.

bb) Die Beklagte war aufgrund der Angaben im Schreiben vom 7. März 2007 ausreichend in die Lage versetzt, zumindest vorsorglich die Zustimmung zur Kündigung zu beantragen. Nach § 87 Abs. 1 [X.] ist der Zustimmungsantrag schriftlich bei dem für den Sitz des Betriebes zuständigen [X.] anzubringen. Dabei ist anzugeben, ob das Arbeitsverhältnis ordentlich oder außerordentlich gekündigt werden soll, und sind die Gründe der Kündigung einschließlich des in Auge gefassten [X.] zu benennen. Darüber hinaus sind Angaben zur Person des Betroffenen wie Name und Anschrift erforderlich (vgl. [X.] in Dau/[X.]/[X.] [X.] 3. Aufl. § 87 Rn. 9; [X.] [X.] 5. Aufl. § 87 Rn. 5a; [X.] in [X.]/von der [X.]/[X.] [X.] 3. Aufl. § 87 Rn. 2 ff.; jeweils mwN). Eine Verpflichtung des Arbeitgebers, konkrete Angaben zu einem bestimmten Feststellungsantrag des Arbeitnehmers zu machen, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Die Zustimmungsbedürftigkeit der beabsichtigten Kündigung hat das [X.] nach § 20 Abs. 1 [X.] X von Amts wegen aufzuklären. Dabei haben sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer mitzuwirken. Sie sollen insbesondere ihnen bekannte Tatsachen und Beweismittel angeben (§ 21 Abs. 2 [X.] X).

cc) Zu Unrecht meint die Beklagte, der Mitteilung des Datums der Antragstellung habe es bedurft, um ihr eine Überprüfung der Relevanz der Antragstellung mit Blick auf die Frist des § 90 Abs. 2a [X.] zu ermöglichen.

(1) Allerdings ist der [X.]punkt der Antragstellung durchaus von Bedeutung. Ist die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers im Kündigungszeitpunkt noch nicht festgestellt, sondern ist lediglich ein entsprechender Antrag gestellt, besteht der Sonderkündigungsschutz nur, wenn der Arbeitnehmer den Antrag so frühzeitig gestellt hat, dass eine Entscheidung bei Ausspruch der Kündigung binnen der Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 [X.] möglich gewesen wäre. Hat demnach der Arbeitnehmer seinen Antrag nicht mindestens drei Wochen vor Zugang der Kündigung gestellt und liegt im Kündigungszeitpunkt auch noch kein Bescheid vor, der seine Schwerbehinderung feststellt, kann er keinen besonderen Kündigungsschutz beanspruchen ([X.] 1. März 2007 - 2 [X.] - Rn. 43, [X.]E 121, 335). Aus diesem Grund wird im Schrifttum die Auffassung vertreten, der Arbeitnehmer, der sich nach Ausspruch der Kündigung auf eine bereits geltend gemachte, aber noch nicht durch Bescheid festgestellte Schwerbehinderung berufe, müsse zugleich die Rechtzeitigkeit der Antragstellung darlegen (vgl. [X.]/[X.]/Majerski-[X.] [X.] 12. Aufl. § 85 Rn. 37).

(2) Ob dieser Auffassung zu folgen ist, kann dahinstehen. Im Streitfall kam es auf die Rechtzeitigkeit der Antragstellung schon deshalb nicht an, weil im Kündigungszeitpunkt ein die Schwerbehinderung des [X.] feststellender Bescheid bereits vorlag. Zudem waren seit der Mitteilung vom 7. März 2007 bis zur Kündigung am 8. Mai 2007 mehr als drei Wochen verstrichen.

4. § 90 Abs. 2a [X.] verlangt nicht, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber den Bescheid über die Schwerbehinderung vorlegt, damit der Sonderkündigungsschutz erhalten bleibt. Ausreichend ist die objektive Existenz eines geeigneten Bescheides, der die Schwerbehinderung nachweist ([X.] 11. Dezember 2008 - 2 [X.] - Rn. 28, [X.]E 129, 25). Der Arbeitgeber, der die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers im Kündigungszeitpunkt nicht kennt, ist ausreichend durch die vom Senat entwickelten Grundsätze zur Verwirkung geschützt. [X.] er die ihm mitgeteilte Schwerbehinderung oder Antragstellung, kann er die Anerkennung bestreiten und sich auf diese Weise Klarheit verschaffen ([X.] 11. Dezember 2008 - 2 [X.] - aaO). Hat der Arbeitnehmer vorprozessual eine Antragstellung behauptet, kann der Arbeitgeber beim [X.] vorsorglich einen Antrag auf Zustimmung zur Kündigung stellen. Erhält er auf seinen form- und fristgerecht gestellten Antrag ein Negativattest, beseitigt dieses, jedenfalls wenn es bestandskräftig ist, die [X.] ([X.] 6. September 2007 - 2 [X.] - Rn. 15, [X.]E 124, 43).

IV. Darauf, ob ein wichtiger Grund zur Kündigung im Sinne von § 626 BGB vorlag, kommt es nicht an.

V. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    H. Frey    

        

    Nielebock    

                 

Meta

2 AZR 703/09

09.06.2011

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Chemnitz, 17. Oktober 2008, Az: 3 Ca 1420/07, Urteil

§ 85 SGB 9, § 2 Abs 2 SGB 9, § 69 Abs 1 S 1 SGB 9, § 69 Abs 2 SGB 9, § 87 Abs 1 SGB 9, § 90 Abs 2a SGB 9, § 91 Abs 1 SGB 9, § 242 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 09.06.2011, Az. 2 AZR 703/09 (REWIS RS 2011, 5850)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5850

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