Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.02.2020, Az. 2 AZR 390/19

2. Senat | REWIS RS 2020, 339

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Gegenstand

Außerordentliche Kündigung - Sonderkündigungsschutz von schwerbehinderten Menschen - Kündigungserklärungsfrist


Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 21. Februar 2019 - 18 Sa 1073/18 - insoweit aufgehoben, wie es die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 16. Mai 2018 - 21 [X.] 11385/17 - insoweit zurückgewiesen hat, wie dieses festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 26. April 2016 nicht beendet wird.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten im Revisionsverfahren noch über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung der Beklagten aus April 2016.

2

Die Beklagte betreibt eine Oberschule in [X.] Die Klägerin war bei ihr seit 1998 als Lehrerin beschäftigt. Im Dezember 2015 erteilte die Beklagte der Klägerin zwei Abmahnungen. Mit Schreiben vom 27. Februar 2016 beschwerte sich die Elternvertreterin über den Unterricht der Klägerin. Am 29. Februar 2016 ließ die Klägerin eine Klassenarbeit schreiben, bei der sie nur einzelnen Schülerinnen und Schülern Hilfeleistungen gewährte.

3

Mit Schreiben vom 16. März 2016 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien fristlos. Die Klägerin informierte die Beklagte mit Schreiben vom 28. März 2016 über ihren am 3. Februar 2016 beim [X.] gestellten Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderung und auf Gleichstellung. Mit Bescheid vom 21. Dezember 2017 stellte das [X.] bei der Klägerin einen Grad der Behinderung von 50 fest.

4

Die Beklagte beantragte am 8. April 2016 die Zustimmung des [X.] zu einer weiteren fristlosen Kündigung. Mit Bescheiden vom 20. April 2016 erteilte dieses die Zustimmung „zur beabsichtigten außerordentlichen (fristlosen) Kündigung“ bzw. „zur beabsichtigten [X.] außerordentlichen (fristlosen) Verdachtskündigung“. Einer der Bescheide trägt einen Eingangsstempel der Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 22. April 2016.

5

Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 26. April 2016, der Klägerin am 28. April 2016 zugegangen, das Arbeitsverhältnis der Parteien erneut außerordentlich fristlos.

6

Die Klägerin hat gegen beide Kündigungen fristgerecht Klage erhoben. Ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB liege nicht vor. Die Beklagte habe mit der Kündigung vom 26. April 2016 die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten. Der Vertrauensrat der Lehrer habe der Kündigung nicht zugestimmt.

7

Die Klägerin hat - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - sinngemäß beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 26. April 2016 nicht beendet worden ist.

8

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

9

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das [X.] hat die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der nur in Bezug auf die Klage gegen die Kündigung vom 26. April 2016 zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Abweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision der [X.]eklagten hat Erfolg. Mit der von ihm gegebenen [X.]egründung durfte das [X.] ihre [X.]erufung gegen das klagestattgebende erstinstanzliche Urteil betreffend die Kündigung vom 26. April 2016 nicht zurückweisen. Über den darauf bezogenen Kündigungsschutzantrag kann der Senat aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen nicht abschließend entscheiden. Dies führt im angegriffenen Umfang zur Aufhebung des [X.]erufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur neuen Verhandlung und Entscheidung (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

I. Die Annahme des [X.]s, die Kündigung vom 26. April 2016 sei mangels Wahrung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 [X.]G[X.] unwirksam, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. Nach § 626 Abs. 2 Satz 1 [X.]G[X.] kann die fristlose Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt gem. § 626 Abs. 2 Satz 2 [X.]G[X.] mit dem [X.]punkt, in dem der [X.] von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt.

2. Das [X.] hat weder festgestellt, welche die für die Kündigung maßgebenden Tatsachen waren, noch wann die [X.]eklagte von ihnen Kenntnis erlangte.

II. [X.]ereits aus diesem Grund unterliegt das [X.]erufungsurteil im mit der Revision angegriffenen Umfang der Aufhebung. Da der Senat nach den bisher getroffenen Feststellungen nicht selbst über die Wirksamkeit der Kündigung vom 26. April 2016 entscheiden kann, ist die Sache insoweit an das [X.] zurückzuverweisen. Für das fortgesetzte [X.]erufungsverfahren sind folgende Hinweise veranlasst:

1. Nach den bisherigen Feststellungen ist nicht ausgeschlossen, dass die Kündigung vom 26. April 2016, selbst wenn sie nicht innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 [X.]G[X.] erklärt wurde, gem. § 91 Abs. 5 SG[X.] IX in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (aF; § 174 Abs. 5 SG[X.] IX nF) nicht aus diesem Grund unwirksam ist.

a) Nach § 91 Abs. 5 SG[X.] IX aF (§ 174 Abs. 5 SG[X.] IX nF) kann eine außerordentliche Kündigung auch nach Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 [X.]G[X.] erfolgen, wenn sie unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung des [X.] erklärt wird.

aa) Entsprechend der Legaldefinition des § 121 Abs. 1 [X.]G[X.] bedeutet „unverzüglich“ auch im Rahmen von § 91 Abs. 5 SG[X.] IX aF (§ 174 Abs. 5 SG[X.] IX nF) „ohne schuldhaftes Zögern“. Schuldhaft ist ein Zögern, wenn das Zuwarten durch die Umstände des Einzelfalls nicht geboten ist. Da „unverzüglich“ weder „sofort“ bedeutet noch damit eine starre [X.]vorgabe verbunden ist, kommt es auf eine verständige Abwägung der beiderseitigen Interessen an ([X.] 19. April 2012 - 2 [X.] - Rn. 16; 1. Februar 2007 - 2 [X.] - Rn. 31). Nach einer [X.]spanne von mehr als einer Woche ist ohne das Vorliegen besonderer Umstände grundsätzlich keine Unverzüglichkeit mehr gegeben (zu § 174 [X.]G[X.] vgl. [X.] 8. Dezember 2011 - 6 [X.] - Rn. 33, [X.]E 140, 64).

bb) Die Zustimmung ist „erteilt“ iSv. § 91 Abs. 5 SG[X.] IX aF (§ 174 Abs. 5 SG[X.] IX nF), sobald eine solche Entscheidung innerhalb der Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SG[X.] IX aF (§ 174 Abs. 3 Satz 1 SG[X.] IX nF) getroffen und der antragstellende Arbeitgeber hierüber in Kenntnis gesetzt oder wenn eine Entscheidung innerhalb der Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SG[X.] IX aF (§ 174 Abs. 3 Satz 1 SG[X.] IX nF) nicht getroffen worden ist; in diesem Fall gilt die Zustimmung mit Ablauf der Frist gem. § 91 Abs. 3 Satz 2 SG[X.] IX aF (§ 174 Abs. 3 Satz 2 SG[X.] IX nF) als erteilt ([X.] 19. April 2012 - 2 [X.] - Rn. 15).

cc) Nach den vom [X.] in [X.]ezug genommenen Feststellungen könnte die [X.]eklagte die Kündigung vom 26. April 2016 in diesem Sinne unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung erklärt haben. Das Kündigungsschreiben ging der Klägerin am 28. April 2016 zu und damit noch innerhalb einer Woche gerechnet ab dem Datum des Eingangsstempels der Prozessbevollmächtigten der [X.]eklagten auf einem der Zustimmungsbescheide. Nach den bisherigen Feststellungen ist nicht ersichtlich, dass das [X.] die Entscheidung nicht innerhalb der Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SG[X.] IX aF (§ 174 Abs. 3 Satz 1 SG[X.] IX nF) traf.

b) Entgegen seinem weit gefassten Wortlaut könnte der Anwendungsbereich des § 91 Abs. 5 SG[X.] IX aF (§ 174 Abs. 5 SG[X.] IX nF) nach seinem Normzweck auf Fallgestaltungen beschränkt sein, in denen die Versäumung der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 [X.]G[X.] durch die [X.]esonderheiten des Sonderkündigungsschutzes für schwerbehinderte Arbeitnehmer bzw. ihnen Gleichgestellte bedingt war. Dies bedarf allerdings im Streitfall (noch) keiner abschließenden Entscheidung.

aa) Nach seinem Wortlaut überwindet § 91 Abs. 5 SG[X.] IX aF (§ 174 Abs. 5 SG[X.] IX nF) den Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 [X.]G[X.] stets dann, wenn die außerordentliche Kündigung unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung des [X.] erklärt wurde.

bb) § 91 Abs. 5 SG[X.] IX aF (§ 174 Abs. 5 SG[X.] IX nF) soll dem Umstand Rechnung tragen, dass ein Arbeitgeber, der das Arbeitsverhältnis eines schwerbehinderten Menschen außerordentlich kündigen will, die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 [X.]G[X.] typischerweise nicht wahren kann, weil er zunächst der Zustimmung des [X.] gem. §§ 91, 85 SG[X.] IX aF (§§ 174, 168 SG[X.] IX nF) bedarf (vgl. [X.] 2. März 2006 - 2 [X.] - Rn. 15, [X.]E 117, 168; 21. April 2005 - 2 [X.] [X.] b der Gründe, [X.]E 114, 264). Ist die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 [X.]G[X.] bereits versäumt, ohne dass die [X.]esonderheiten des Zustimmungserfordernisses dafür der Grund waren, könnte eine Anwendung von § 91 Abs. 5 SG[X.] IX aF (§ 174 Abs. 5 SG[X.] IX nF) nicht nur zu einem Ausgleich der durch den Sonderkündigungsschutz geschaffenen Erschwernis führen, die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 [X.]G[X.] zu wahren, sondern zu einer durch diese Erschwernisse nicht gerechtfertigten [X.]esserstellung des Arbeitgebers.

(1) So hat der Senat eine Kündigung, obwohl sie unverzüglich iSv. § 91 Abs. 5 SG[X.] IX aF (§ 174 Abs. 5 SG[X.] IX nF) nach Erteilung der Zustimmung des [X.] erklärt worden war, wegen Versäumens der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 [X.]G[X.] als unwirksam angesehen, weil die Frist bereits vor Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderung bzw. einer entsprechenden Antragstellung des Arbeitnehmers abgelaufen war ([X.] 2. März 2006 - 2 [X.] - Rn. 22, [X.]E 117, 168). Dem Arbeitgeber werde nach Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 [X.]G[X.] nicht noch eine weitere Möglichkeit zur außerordentlichen Kündigung nur deshalb eröffnet, weil er erst jetzt erfahre, dass der Arbeitnehmer schwerbehindert ist ([X.] 2. März 2006 - 2 [X.] - Rn. 21, aaO). Reagiere er trotz vollständiger Kenntnis von den sonstigen kündigungsbegründenden Umständen nicht innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 [X.]G[X.] darauf, werde ihm nicht nur deshalb über § 91 SG[X.] IX aF (§ 174 SG[X.] IX nF) der Weg zu einer außerordentlichen Kündigung (wieder) eröffnet, weil er einige [X.] nach Erlangung dieser Kenntnisse auch von der festgestellten bzw. beantragten Schwerbehinderteneigenschaft erfahren hat und deshalb eine neue Zweiwochenfrist nach § 626 Abs. 2 Satz 1 [X.]G[X.] zu laufen [X.] ([X.] 2. März 2006 - 2 [X.] - Rn. 20, aaO). Mit Erteilung der Zustimmung beginne durch § 91 Abs. 5 SG[X.] IX aF (§ 174 Abs. 5 SG[X.] IX nF) „keine neue Ausschlussfrist zu laufen“, die [X.]estimmung „dehn(e) … die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 [X.]G[X.] (lediglich) aus“ ([X.] 2. März 2006 - 2 [X.] - Rn. 22, aaO). Der „Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 [X.]G[X.]“ werde insoweit „aufgeschoben“ ([X.] 24. November 2011 - 2 [X.] - Rn. 33, [X.]E 140, 47).

(2) Es bedarf im Streitfall keiner Entscheidung, ob daran uneingeschränkt festzuhalten ist (ablehnend [X.]/[X.] 20. Aufl. [X.]G[X.] § 626 Rn. 228b; zustimmend wohl [X.] in [X.]. § 174 Rn. 16, 28). Gegen ein Verständnis von § 91 Abs. 5 SG[X.] IX aF (§ 174 Abs. 5 SG[X.] IX nF) als „Ausdehnung“ der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 [X.]G[X.] oder „Aufschieben“ ihres Ablaufs spricht allerdings der Gesetzeswortlaut von § 91 Abs. 5 SG[X.] IX aF (§ 174 Abs. 5 SG[X.] IX nF). Die Regelung bestimmt, dass eine Kündigung gerade „auch nach Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 [X.]G[X.]“ erfolgen kann, wenn sie unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung erklärt wird. Darin liegt keine „Ausdehnung“ der Frist oder ein „Aufschieben“ ihres Ablaufs. Der Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 [X.]G[X.] ist vielmehr Anwendungsvoraussetzung von § 91 Abs. 5 SG[X.] IX aF (§ 174 Abs. 5 SG[X.] IX nF). In [X.]etracht kommt daher allenfalls eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs von § 91 Abs. 5 SG[X.] IX aF (§ 174 Abs. 5 SG[X.] IX nF), sofern die Versäumung der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 [X.]G[X.] nicht durch die [X.]esonderheiten des Sonderkündigungsschutzes bedingt war (in diese Richtung wohl auch [X.] SG[X.] IX Kommentar 11. Aufl. § 91 Rn. 43).

(a) Auch gegen eine solche teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs von § 91 Abs. 5 SG[X.] IX aF (§ 174 Abs. 5 SG[X.] IX nF) spricht indes die gesonderte Fristenregelung in § 91 Abs. 2 SG[X.] IX aF (§ 174 Abs. 2 SG[X.] IX nF). Danach kann die gem. § 91 Abs. 1 SG[X.] IX aF (§ 174 Abs. 1 SG[X.] IX nF) iVm. § 85 SG[X.] IX aF (§ 168 SG[X.] IX nF) erforderliche Zustimmung des [X.] zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber nur innerhalb von zwei Wochen beantragt werden (§ 91 Abs. 2 Satz 1 SG[X.] IX aF; § 174 Abs. 2 Satz 1 SG[X.] IX nF). Die Frist beginnt gem. § 91 Abs. 2 Satz 2 SG[X.] IX aF (§ 174 Abs. 2 Satz 2 SG[X.] IX nF) mit dem [X.]punkt, in dem der Arbeitgeber von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Die Fristbestimmung ist damit § 626 Abs. 2 Satz 2 [X.]G[X.] nachgebildet. Das spricht dafür, dass der Gesetzgeber sie zusammen mit der Anforderung gem. § 91 Abs. 5 SG[X.] IX aF (§ 174 Abs. 5 SG[X.] IX nF) als Äquivalent und damit - entgegen der bisherigen Senatsrechtsprechung ([X.] 2. März 2006 - 2 [X.] - [X.]E 117, 168; wohl auch 1. Februar 2007 - 2 [X.] - Rn. 14) - als Ersatz für die Einhaltung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 [X.]G[X.] konzipiert hat (vgl. auch [X.]/[X.] 20. Aufl. [X.]G[X.] § 626 Rn. 228b: § 174 Abs. 5 SG[X.] IX regele die Kündigungserklärungsfrist eigenständig; aA, ohne nähere [X.]egründung, [X.] im Rahmen des Sonderkündigungsschutzes für schwerbehinderte Menschen nach den §§ 85 bis 92 SG[X.] IX S. 249). Dem Problem, dass der Arbeitgeber bereits zu lange zugewartet haben kann, bevor er einen Antrag auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung beim [X.] stellt, wäre demnach durch § 91 Abs. 2 SG[X.] IX aF (§ 174 Abs. 2 SG[X.] IX nF) abschließend Rechnung getragen.

(b) Die vorgenannte Sichtweise würde zudem die schwerlich zu rechtfertigende doppelte Prüfung einer Zweiwochenfrist zwischen Kenntnis von den Kündigungsgründen und Antragstellung beim [X.] sowohl durch die Gerichte für Arbeitssachen nach § 626 Abs. 2 [X.]G[X.] als auch durch das [X.] bzw. die Verwaltungsgerichte nach § 91 Abs. 2 SG[X.] IX aF (§ 174 Abs. 2 SG[X.] IX nF) - mit möglicherweise einander widersprechenden Ergebnissen - vermeiden, zu der aber die bisherige Senatsrechtsprechung ([X.] 2. März 2006 - 2 [X.] - Rn. 14 ff., [X.]E 117, 168) führen kann. Über die Wahrung der Frist des § 91 Abs. 2 SG[X.] IX aF (§ 174 Abs. 2 SG[X.] IX nF) haben allein das [X.] und ggf. die Verwaltungsgerichte zu befinden. Dass damit vom [X.] auch die [X.]erücksichtigung von Umständen, die für das arbeitsrechtliche Kündigungsschutzverfahren von [X.]edeutung sind, verlangt wird, liegt in der Natur der Sache (zu § 21 Abs. 2 [X.] vgl. [X.]VerwG 2. Mai 1996 - 5 [X.] 186.95 -). Die gesetzliche Regelung setzt gerade voraus, dass der Gegenstand der öffentlich-rechtlichen Prüfung demjenigen der arbeitsrechtlichen Prüfung entspricht (zu § 91 Abs. 4 SG[X.] IX aF vgl. [X.]VerwG 12. Juli 2012 - 5 C 16.11 - Rn. 18, [X.]VerwGE 143, 325). Für die [X.]eurteilung der Frage der Kenntniserlangung vom Kündigungsgrund gelten dieselben Erwägungen, die bei der Einhaltung der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 [X.]G[X.] zu beachten sind ([X.]VerwG 15. September 2005 - 5 [X.] 48.05 - zu 1.2 der Gründe; 2. Mai 1996 - 5 [X.] 186.95 -). Zwar beginnt die Frist des § 91 Abs. 2 Satz 1 SG[X.] IX aF (§ 174 Abs. 2 Satz 1 SG[X.] IX nF) im Grundsatz nicht zu laufen, bevor der Arbeitgeber von einer bereits festgestellten oder beantragten Schwerbehinderteneigenschaft des Arbeitnehmers Kenntnis hat (zu § 21 Abs. 2 Satz 1 [X.] vgl. [X.]VerwG 5. Oktober 1995 - 5 [X.] 73.94; zu § 18 Abs. 2 Satz 1 [X.] 1974 vgl. auch [X.] 14. Mai 1982 - 7 [X.] - zu I 3 a dd der Gründe, [X.]E 39, 59; 23. Februar 1978 - 2 [X.] - zu [X.] II 2 b der Gründe, [X.]E 30, 141). Dies erscheint aber jedenfalls dann sachgerecht, wenn der Arbeitgeber - wie hier - erst nach einer rechtzeitig innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 [X.]G[X.] erklärten Kündigung Kenntnis von der Schwerbehinderung bzw. einer entsprechenden Antragstellung erlangt (ebenso [X.] 21. September 2011 - 8 [X.]/11 -; [X.]/Fischermeier 12. Aufl. § 626 [X.]G[X.] Rn. 360; [X.]/[X.] 12. Aufl. § 174 SG[X.] IX § 174 Rn. 10; [X.] SG[X.] IX Kommentar 11. Aufl. § 91 Rn. 44; [X.] in [X.]/von der [X.]/[X.] SG[X.] IX 4. Aufl. § 91 Rn. 9). Ob dies auch gelten kann, wenn der Arbeitgeber erst nach Ablauf von zwei Wochen nach Kenntnis von den Kündigungsgründen von der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers bzw. einer entsprechenden Antragstellung erfährt, aber nicht schon innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 [X.]G[X.] eine Kündigung ohne Zustimmung des [X.] erklärt hat, wäre ebenfalls allein im Rahmen der Fristenprüfung nach § 91 Abs. 2 SG[X.] IX aF (§ 174 Abs. 2 SG[X.] IX nF) zu klären. Die Arbeitsgerichte wären an eine erteilte Zustimmung gebunden und auf eine Prüfung der Unverzüglichkeit der Kündigung gem. § 91 Abs. 5 SG[X.] IX aF (§ 174 Abs. 5 SG[X.] IX nF) beschränkt.

cc) Die angesprochenen Fragen zum Verhältnis von § 626 Abs. 2 [X.]G[X.] zu § 91 Abs. 2 und Abs. 5 SG[X.] IX aF (§ 174 Abs. 2 und Abs. 5 SG[X.] IX nF) bedürfen jedoch im Streitfall keiner Entscheidung. Jedenfalls die vorliegende Fallkonstellation verlangt keine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs von § 91 Abs. 5 SG[X.] IX aF (§ 174 Abs. 5 SG[X.] IX nF). Die Versäumung der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 [X.]G[X.] war hier allein durch die [X.]esonderheiten des Sonderkündigungsschutzes bedingt. Die [X.]eklagte hatte nach den Feststellungen des [X.]s noch innerhalb der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 [X.]G[X.] die erste außerordentliche Kündigung (vom 16. März 2016) erklärt und zu diesem [X.]punkt noch keine Kenntnis von der Schwerbehinderung der Klägerin bzw. ihrer darauf bezogenen Antragstellung. Da der Arbeitnehmer seine Schwerbehinderung bzw. - sofern die Schwerbehinderung später rückwirkend anerkannt wird - eine noch rechtzeitig vor der Kündigung erfolgte Antragstellung auch nachträglich noch mit Erfolg gegenüber einer solchen in Unkenntnis erklärten Kündigung geltend machen kann (vgl. dazu zuletzt [X.] 22. September 2016 - 2 [X.] - Rn. 20, 22), war die erste Kündigung allein aufgrund des Sonderkündigungsschutzes für schwerbehinderte Arbeitnehmer unwirksam und die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 [X.]G[X.] bereits abgelaufen, als die [X.]eklagte Kenntnis von der Antragstellung der Klägerin erlangte. Die [X.]eklagte konnte den Antrag auf Zustimmung des [X.] damit notwendigerweise erst nach Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 [X.]G[X.] stellen. In einer solchen Konstellation entspricht die Überwindung der Versäumung der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 [X.]G[X.] durch die Möglichkeit gem. § 91 Abs. 5 SG[X.] IX aF (§ 174 Abs. 5 SG[X.] IX nF), die Kündigung noch unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung zu erklären, uneingeschränkt dem Sinn und Zweck der [X.]estimmung.

c) Die [X.]eklagte musste entgegen der Annahme des [X.]s nicht „analog § 91 Abs. 5 SG[X.] IX aF“ unverzüglich, nachdem sie Kenntnis von der Antragstellung der Klägerin auf Anerkennung als Schwerbehinderte erlangte, den Antrag auf Erteilung der Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung beim [X.] stellen. Für eine analoge Anwendung von § 91 Abs. 5 SG[X.] IX aF (§ 174 Abs. 5 SG[X.] IX nF) fehlt es bereits an der dafür erforderlichen Gesetzeslücke. Die Frage der Rechtzeitigkeit der Antragstellung beim [X.] bestimmt sich nach § 91 Abs. 2 SG[X.] IX aF (§ 174 Abs. 2 SG[X.] IX nF). Die Einhaltung der Frist ist Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Erteilung der Zustimmung ([X.]VerwG 2. Mai 1996 - 5 [X.] 186.95 -). Sie ist allein vom [X.] bzw. im Falle der Anfechtung der Entscheidung von den Verwaltungsgerichten zu prüfen ([X.] 2. März 2006 - 2 [X.] - Rn. 17, [X.]E 117, 168; [X.] in [X.]. § 174 Rn. 16; [X.] SG[X.] IX Kommentar 11. Aufl. § 91 Rn. 38; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.] SG[X.] IX 13. Aufl. § 174 Rn. 17). Liegt eine Zustimmung zur Kündigung vor, haben die Arbeitsgerichte dies ihren Entscheidungen zugrunde zu legen. Die [X.] von Verwaltungsakten hat zur Folge, dass die Gerichte aller [X.] an ihr [X.]estehen und ihren Inhalt gebunden sind, selbst wenn sie rechtswidrig sind, soweit dem Gericht nicht die Kontrollkompetenz eingeräumt ist ([X.] 8. Mai 2018 - 9 [X.] - Rn. 33; 14. September 2011 - 10 [X.] - Rn. 19). Das folgt aus Art. 20 Abs. 3 GG und § 43 VwVfG bzw. § 39 SG[X.] X. Ein (rechtswirksamer) Verwaltungsakt ist daher grundsätzlich von allen Staatsorganen zu beachten und ihren Entscheidungen als gegeben zugrunde zu legen ([X.]Rspr., vgl. [X.] 8. Mai 2018 - 9 [X.] - aaO; [X.]VerwG 30. Januar 2003 - 4 CN 14.01 - zu 1 der Gründe, [X.]VerwGE 117, 351). Die [X.] entfällt nur, wenn der Verwaltungsakt nichtig ist ([X.] 8. Mai 2018 - 9 [X.] - aaO; 14. September 2011 - 10 [X.] - aaO). Eine nicht nichtige Zustimmung des [X.] entfaltet damit so lange Wirksamkeit, wie sie nicht rechtskräftig aufgehoben ist. Nach rechtskräftiger Abweisung seiner Kündigungsschutzklage steht dem Arbeitnehmer ggf. die Restitutionsklage nach § 580 ZPO offen ([X.] 23. Mai 2013 - 2 [X.] - Rn. 22, 24, [X.]E 145, 199).

2. Das [X.] wird demnach zu prüfen haben, ob ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 [X.]G[X.] für die Kündigung vom 26. April 2016 vorlag. Ist dies der Fall, wird es die maßgeblichen Tatsachen festzustellen und zu würdigen haben, ob die [X.]eklagte die Kündigung vom 26. April 2016 iSd. § 91 Abs. 5 SG[X.] IX aF unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung durch das [X.] erklärte. Ob die Frist des § 91 Abs. 2 SG[X.] IX aF gewahrt wurde, unterliegt dagegen nicht der Überprüfung durch das [X.]. Die vom [X.] erteilte und, soweit ersichtlich, nicht nichtige Zustimmung entfaltet [X.]indungswirkung, solange sie nicht rechtskräftig aufgehoben ist. Gegebenenfalls wird das [X.]erufungsgericht auch aufzuklären haben, ob die Kündigung - wofür gegenwärtig nichts ersichtlich ist - wegen fehlender Zustimmung des [X.] der Lehrer unwirksam ist.

        

    Koch     

        

    [X.]    

        

    Rachor    

        

        

        

    C. Peter    

        

    [X.]rossardt    

                 

Meta

2 AZR 390/19

27.02.2020

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Berlin, 16. Mai 2018, Az: 21 Ca 11385/17, Urteil

§ 626 Abs 2 S 1 BGB, § 91 Abs 5 SGB 9 vom 31.12.2017, § 174 Abs 5 SGB 9 2018, § 121 Abs 1 BGB, § 91 Abs 3 S 1 SGB 9 vom 31.12.2017, § 174 Abs 3 S 1 SGB 9 2018, § 91 Abs 3 S 2 SGB 9 vom 31.12.2017, § 174 Abs 3 S 2 SGB 9 2018, § 91 Abs 2 SGB 9 vom 31.12.2017, § 174 Abs 2 SGB 9 2018

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.02.2020, Az. 2 AZR 390/19 (REWIS RS 2020, 339)

Papier­fundstellen: MDR 2020, 999-1000 REWIS RS 2020, 339

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Referenzen
Wird zitiert von

12 Ca 3182/22

3 Ca 44/23

11 Sa 689/18

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