Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 01.07.2014, Az. 2 BvR 989/14

2. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2014, 4438

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Keine "Drittwirkung" einer Verletzung von §§ 243 Abs 4, 273 Abs 1a StPO (Pflicht zur Mitteilung und Protokollierung von Verständigungsgesprächen im Strafverfahren) - Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde mangels hinreichender Substantiierung


Gründe

1

Ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 [X.] liegt nicht vor. Die [X.]beschwerde, mit der sich der Beschwerdeführer gegen eine strafgerichtliche Verurteilung wendet, hat keine Aussicht auf Erfolg, da sie unzulässig ist.

2

1. Soweit der Beschwerdeführer die Verletzung von § 243 Abs. 4, § 273 Abs. 1a [X.] in Bezug auf [X.] rügt, die der Vorsitzende der [X.] außerhalb der Hauptverhandlung mit den Verteidigern der Mitangeklagten geführt hat, genügt die Begründung der [X.]beschwerde nicht den gesetzlichen Anforderungen (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.]).

3

a) Eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Begründung der [X.]beschwerde setzt voraus, dass der die Rechtsverletzung enthaltende Vorgang substantiiert und schlüssig vorgetragen wird (vgl. [X.] 81, 208 <214>; 89, 155 <171>; 99, 84 <87>; 108, 370 <386 f.>; 113, 29 <44>). Es muss deutlich werden, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll (vgl. [X.] 78, 320 <329>; 99, 84 <87>; 115, 166 <179 f.>). Liegt zu den mit der [X.]beschwerde aufgeworfenen Fragen bereits Rechtsprechung des [X.] vor, so ist der behauptete [X.] in Auseinandersetzung mit den darin entwickelten Maßstäben zu begründen (vgl. [X.] 77, 170 <214 ff.>; 99, 84 <87>; 101, 331 <345 f.>; 123, 186 <234>).

4

b) Diesen Anforderungen genügt die Begründung der [X.]beschwerde nicht. Der Beschwerdeführer versäumt es, in Auseinandersetzung mit den vom [X.] entwickelten Maßstäben darzulegen, weshalb er sich durch eine fehlende oder unzureichende Mitteilung und Protokollierung von [X.]n, die allein die Mitangeklagten betrafen, in eigenen Grundrechten verletzt sieht.

5

aa) Bereits einfachrechtlich ist eine solche "Drittwirkung" von verständigungsbezogenen Verfahrensfehlern keineswegs selbstverständlich.

6

Zwar hat das [X.] Verstöße gegen die Vorgaben des [X.] in die Nähe absoluter Revisionsgründe gerückt (vgl. [X.] 133, 168 <223 f., Rn. 97 f.> für Verstöße gegen Transparenz- und Dokumentationspflichten und [X.] 133, 168 <224 f., Rn. 99> für Verstöße gegen die Belehrungspflicht des § 257c Abs. 5 [X.]). Auch bei absoluten [X.] sind jedoch in der Regel nur die durch den Verfahrensfehler unmittelbar betroffenen Beteiligten rügeberechtigt (vgl. [X.]/[X.], [X.], 57. Aufl. 2014, § 338 Rn. 4; [X.], in: [X.] Kommentar zur [X.], 7. Aufl. 2013, § 338 Rn. 4).

7

Auch im Übrigen legen die Ausführungen des [X.] zu verständigungsbezogenen Verfahrensfehlern die Annahme der vom Beschwerdeführer angenommenen "Drittwirkung" nicht nahe:

8

Einen Verstoß gegen die Belehrungspflicht des § 257c Abs. 5 [X.] sieht das [X.] in seiner Bedeutung für die [X.] ähnlich gelagert wie einen Verstoß gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 [X.] (vgl. [X.] 133, 168 <225, Rn. 99>). Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] kann sich ein Mitangeklagter aber auf die unzulängliche Belehrung eines anderen Mitangeklagten nach § 136 Abs. 1 Satz 2 [X.] nicht berufen, weil sein Rechtskreis hiervon nicht berührt wird (vgl. [X.], Urteil vom 10. August 1994 - 3 StR 53/94 -, juris, Rn. 12; Beschluss vom 5. Februar 2002 - 5 StR 588/01 -, juris, Rn. 3).

9

Verstöße gegen Transparenz- und Dokumentationspflichten hat das [X.] hinsichtlich ihrer revisionsrechtlichen Bedeutung mit der Nichtgewährung des letzten Wortes nach § 258 Abs. 2 und 3 [X.] verglichen (vgl. [X.] 133, 168 <223, Rn. 97>). Auch insoweit fehlt es jedoch an einer eigenen Beschwer eines Mitangeklagten, wenn nur bei einem anderen Mitangeklagten gegen § 258 [X.] verstoßen wurde (vgl. [X.], in: [X.], [X.], 26. Aufl. 2012, § 258 Rn. 66 m.w.N.).

Vor diesem Hintergrund leuchtet bereits einfachrechtlich nicht ein, weshalb der Beschwerdeführer meint, sich darauf berufen zu können, dass bezüglich seiner Mitangeklagten gegen § 243 Abs. 4, § 273 Abs. 1a [X.] verstoßen worden sei.

bb) Erst recht fehlt es an einer hinreichenden Auseinandersetzung mit der verfassungsrechtlichen Perspektive. Das [X.] hat in seinem Urteil vom 19. März 2013 unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien dargelegt, dass die gesetzlichen Transparenz- und Dokumentationspflichten dem Zweck dienen, eine vollumfängliche Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit, die Staatsanwaltschaft und das Rechtsmittelgericht zu ermöglichen (vgl. [X.] 133, 168 <204, Rn. 65; 207, Rn. 67; 212 f., Rn. 76; 214 ff., Rn. 80 ff.>). Hierdurch soll einer Gefährdung des Schuldprinzips, der darin verankerten Wahrheitserforschungspflicht und des dem Rechtsstaatsprinzip innewohnenden Prinzips des fairen Verfahrens durch intransparente, unkontrollierbare "Deals" vorgebeugt werden; diese sind bereits von [X.] wegen untersagt (vgl. [X.] 133, 168 <232 f., Rn. 115>). Die Transparenzvorschriften des [X.] dienen somit dem Schutz der Grundrechte des von einer Verständigung betroffenen Angeklagten vor einem im Geheimen sich vollziehenden "Schulterschluss" zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Dass dieser Schutz von [X.] wegen auch auf Mitangeklagte zu erstrecken wäre, die von der nicht hinreichend transparenten Verständigung (und einer damit verbundenen Gefährdung des Schuldprinzips) gar nicht betroffen sind, kann dem Urteil des [X.] nicht entnommen werden und bedürfte - gerade unter Berücksichtigung des Umstands, dass das somit als Ansatzpunkt allein in Betracht kommende Recht auf ein faires Verfahren lediglich den rechtsstaatlich unverzichtbaren Bestand an [X.] sichert (vgl. [X.] 133, 168 <200, Rn. 59>) - einer gesonderten Begründung. Diese liefert der Beschwerdeführer jedoch nicht, zumal er nicht einmal mitteilt, inwiefern er bei Kenntnis des konkreten Inhalts der die Mitangeklagten betreffenden [X.] sein Prozessverhalten geändert hätte.

2. Im Übrigen wird von einer Begründung nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 989/14

01.07.2014

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BGH, 20. Februar 2014, Az: 5 StR 647/13, Beschluss

Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 243 Abs 4 StPO, § 257c Abs 5 StPO, § 273 Abs 1a StPO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 01.07.2014, Az. 2 BvR 989/14 (REWIS RS 2014, 4438)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 4438

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