Bundessozialgericht, Urteil vom 03.09.2014, Az. B 10 ÜG 9/13 R

10. Senat | REWIS RS 2014, 3165

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Überlanges Gerichtsverfahren - Entschädigungsklage - unangemessene Verfahrensdauer - Grundsicherung für Arbeitsuchende - Bedeutung der Sache - Verzicht auf einstweiligen Rechtsschutz - sozialgerichtliches Verfahren - richterliche Prozessleitung - Gestaltungsspielraum des Ausgangsgerichts - Vorbereitungs- und Bedenkzeit von bis zu 12 Monaten - bereits verzögertes Gerichtsverfahren - besondere Prozessförderungspflicht - Ausbleiben einer Stellungnahme - Ausschöpfung aller prozessualer Mittel - Altfall - unverzügliche Verzögerungsrüge bei anwaltlicher Vertretung - Wiedergutmachung auf andere Weise - gerichtliche Feststellung der Überlänge des Verfahrens nur im Ausnahmefall - Anspruch auf Prozesszinsen ab Klageerhebung


Leitsatz

1. Bei der Prozessleitung verfügt das Ausgangsgericht über einen weiten Gestaltungsspielraum, den das Entschädigungsgericht allein unter dem Gesichtspunkt der ausreichenden Berücksichtigung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Zeit überprüfen kann.

2. Von der Gesamtverfahrensdauer ist eine angemessene Vorbereitungs- und Bedenkzeit des Gerichts in Abzug zu bringen, selbst wenn sie nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte begründet und gerechtfertigt werden kann. Diese Zeit beläuft sich auf bis zu zwölf Monate je Instanz vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls.

3. Einer Klage auf Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende kommt nicht allein deshalb nur untergeordnete Bedeutung zu, weil der Kläger für sein Begehren nicht auch um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht hat.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 2. August 2013 abgeändert und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung über die Entschädigungszahlung an das [X.] zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 5000 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt eine Entschädigung wegen überlanger Dauer ihres vor dem [X.] unter dem Aktenzeichen [X.] AS 17926/07 geführten Klageverfahrens.

2

Am 17.4.2007 beantragte die Klägerin beim später beklagten Jobcenter die Bewilligung von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem [X.] Das Jobcenter lehnte den Antrag ab, weil die Klägerin mit einem Erwachsenen in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebe und keine aktuellen Einkommensnachweise ihres Mitbewohners vorgelegt habe (Bescheid vom [X.]; Widerspruchsbescheid vom 1[X.]).

3

Am [X.] erhob die Klägerin Klage vor dem [X.]. Am 22.10.2007 teilte der Beklagte mit, er habe bereits mit Bescheid vom [X.] den angefochtenen Bescheid aufgehoben und dem Begehren der Klägerin damit entsprochen. Deren Bevollmächtigte erwiderte, die Klägerin erhalte weiterhin keine Leistungen. Vielmehr habe der Beklagte am 28.8.2007 einen erneuten Versagungsbescheid erlassen, gegen den Widerspruch eingelegt werde. Der Beklagte teilte dem Gericht mit, nach seiner Auffassung sei der Versagungsbescheid Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Auf die Bitte der Bevollmächtigten der Klägerin von Anfang 2008, die Sache zu terminieren, wies das Gericht auf eine Vielzahl vorrangiger Verfahren hin und legte die Sache für drei Monate auf Wiedervorlage. Nach einem weiteren Austausch von Schriftsätzen über das Bestehen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft verfügte der [X.] die Sache im August 2008 in das so genannte [X.]. Mitte August 2009 wurde für den [X.] ein Erörterungstermin anberaumt. Dabei wurde der streitbefangene Leistungszeitraum auf die [X.] vom [X.] bis Ende Februar 2008 eingegrenzt. Mit Schreiben vom [X.] forderte das Gericht umfangreiche Belege zur Prüfung der Hilfsbedürftigkeit an, die die Klägerin auf Nachfragen des Gerichts bis Dezember 2009 ergänzte. Eine dazu vom Gericht angeforderte Stellungnahme des Beklagten erfolgte trotz mehrerer auch telefonischer Erinnerungen des Gerichts erst im April 2010. Im Juni 2010 sah das Gericht den Rechtsstreit nach einer erneuten Erwiderung der Klägerin als entscheidungsreif an.

4

Unter dem [X.] sowie dem [X.] bat die Klägerin um eine alsbaldige Entscheidung. Unter dem [X.] ersuchte der [X.] sie um die Angabe von Anschriften verschiedener als Zeugen in Betracht kommender Personen. Ende Dezember 2011 wurde der Rechtsstreit auf den 26.1.2012 terminiert. Am [X.] wurde der Termin wegen Verhinderung der Klägerin aufgehoben. Unter demselben Datum erhob die Klägerin Verzögerungsrüge. Ein weiterer auf den [X.] Termin wurde wegen Verhinderung der Bevollmächtigten der Klägerin aufgehoben.

5

Am [X.] fand ein Erörterungstermin statt. Der neue [X.] wies darin darauf hin, der Versagungsbescheid vom 28.8.2007 sei nicht Gegenstand des Verfahrens geworden. Er sei jedoch rechtswidrig und aufzuheben, weshalb das Jobcenter den Antrag der Klägerin vom 17.4.2007 auf Gewährung von Leistungen noch zu bescheiden haben dürfe. Der Beklagte sagte eine möglichst rasche Bescheidung zu und die Beteiligten erklärten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt.

6

Am 4.12.2012 hat die Klägerin [X.] erhoben und geltend gemacht, das [X.] hätte noch im [X.] über die Klage entscheiden müssen, da sie mittellos und auf staatliche Unterstützung angewiesen gewesen sei. Die erforderlichen Angaben habe sie alle gemacht, das [X.] habe lediglich über eine Rechtsfrage entscheiden müssen. Der zeitnahen Entscheidung sei erhebliche Bedeutung zugekommen. Sie sei gezwungen gewesen, sich existenzielle Mittel auf andere Art zu besorgen. Die lange Verfahrensdauer habe nicht nur sie, sondern auch ihre Familie belastet, von der sie sich Geld geborgt habe. Nicht zuletzt habe der jahrelange Rechtsstreit auch ihr [X.] als Einnahmequelle gefährdet.

7

Mit dem angefochtenen Urteil vom [X.] hat das L[X.] festgestellt, dass die Dauer des Klageverfahrens unangemessen gewesen sei und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zwar sei das Verfahren mit fünf Jahren und einem Monat unangemessen lang gewesen. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richte sich nicht nach starren Fristen, sondern gemäß § 198 Abs 1 S 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalls, die in einen allgemeinen Wertungsrahmen einzuordnen seien. Diese Umstände könnten die objektiv lange Dauer des streitgegenständlichen Verfahrens nicht in vollem Umfang erklären. Das Ausgangsverfahren sei wegen der vom Gericht zu treffenden Tatsachenfeststellungen und der ungewöhnlichen Bescheidlage von durchschnittlicher Schwierigkeit gewesen. Die wirtschaftliche Bedeutung der Sache sei für die Klägerin aufgrund des zuletzt begrenzten [X.]raums nur beschränkt gewesen. Sie müsse sich zudem entgegenhalten lassen, nicht um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht zu haben.

8

Mit Blick auf den Verfahrenslauf sei festzustellen, dass das Gericht zwischen August 2008 und August 2009 untätig geblieben sei und es zwischen Mitte Juni 2010 und Mitte September 2011 zu einer weiteren 15-monatigen Verzögerung gekommen sei. Jedenfalls im Hinblick auf diese zweite Verzögerung sei das Verfahren als unangemessen lang anzusehen, weil es in diesem [X.]punkt wegen der bereits abgelaufenen drei Jahre einer beschleunigten Bearbeitung bedurft hätte.

9

Einen Anspruch auf Entschädigung habe die Klägerin gleichwohl nicht, weil in Verfahren, die bei Inkrafttreten des [X.] bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ([X.]) bereits verzögert gewesen seien, die Rüge unverzüglich und damit innerhalb eines Monats hätte erhoben werden müssen. Dies habe die Klägerin versäumt. Danach sei es nicht mehr zu Verzögerungen gekommen, die dem Beklagten anzulasten seien.

Mit ihrer vom L[X.] zugelassenen Revision begehrt die Klägerin eine Verurteilung des Beklagten zur Zahlung einer angemessenen Entschädigung für den [X.]raum ab 2008. Das Verfahren hätte bereits im [X.] entschieden werden können und müssen. Das [X.] habe seine Verfahrensführung darauf ausgerichtet, die angebliche nichteheliche Lebensgemeinschaft der Klägerin doch noch festzustellen und dabei verkannt, dass bereits am [X.] ein Aufhebungsbescheid ergangen sei. Damit sei dem Verfahren der Boden entzogen worden. Das [X.] habe fünf Jahre gebraucht, um den Beteiligten mitzuteilen, dass der Versagungsbescheid vom 28.8.2007 nicht Verfahrensgegenstand geworden und rechtswidrig gewesen sei. Über den Leistungsantrag der Klägerin vom 17.4.2007 sei letztlich erst mit Bescheid vom 27.6.2013 in einem weiteren Klageverfahren entschieden worden. Das erstinstanzliche Gericht sei nicht nur lange untätig gewesen, sondern habe mit seinen Verfügungen die Klägerin weiter belastet. Diese Verzögerungsrüge sei entgegen der Ansicht des [X.] unverzüglich erhoben worden, nämlich 14 Tage nach der Wiedervorlage der Handakte bei der Prozessbevollmächtigten.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des L[X.]-Brandenburg vom [X.] aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, wegen der unangemessenen Dauer ihres unter dem Aktenzeichen [X.] AS 17926/07 vor dem [X.] geführten Verfahrens eine angemessene Entschädigung in Höhe von mindestens 1200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung ab 2008 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basissatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Das beklagte Land beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Die Verzögerungsrüge sei nicht unverzüglich erhoben worden. Im Übrigen hätte es der Klägerin freigestanden, die Klage zurückzunehmen, wenn sie der Auffassung gewesen sei, dass der ursprünglichen Klage bereits mit Aufhebung des angefochtenen Bescheids im [X.] der Boden entzogen gewesen sei. Zu der Rechtsauffassung des ursprünglichen [X.]n, der Aufhebungsbescheid sei nach § 96 [X.]G Gegenstand des Verfahrens geworden, habe sie sich zu keiner [X.] ablehnend geäußert.

Entscheidungsgründe

[X.]ie vom [X.] zugelassene und von der Klägerin zulässig erhobene Revision ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet.

1. [X.]ie Entschädigungsklage ist zulässig.

a) [X.]er [X.] hat das Begehren der Klägerin sowohl in prozess[X.]ler als auch in materiell-rechtlicher Hinsicht an §§ 198 ff [X.] zu messen, weil das [X.] in ihrem Fall anwendbar war. Art 23 [X.] 1. Alternative [X.] eröffnet Entschädigungsansprüche auch für solche Verfahren, die wie das Ausgangsverfahren vor dem [X.] bei Inkrafttreten des [X.] bereits anhängig waren.

b) [X.]as [X.] war für die Entscheidung funktional und örtlich zuständig. In den der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesenen Angelegenheiten (vgl § 51 [X.]G) ist gemäß § 201 Abs 1 [X.] [X.] iVm § 202 S 2 [X.]G für Klagen auf Entschädigung nach § 198 [X.] gegen ein Land das für dieses Land örtlich zuständige [X.] zuständig.

c) [X.]ie Klagefrist des § 198 Abs 5 S 2 [X.] hat die Klägerin eingehalten, weil sie ihre Klage weniger als sechs Monate nach der Rechtskraft des Ausgangsverfahrens erhoben hat.

2. [X.]ie Revision ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das [X.] begründet. [X.]ie Klägerin hat den richtigen Beklagten verklagt (dazu a) und entgegen der Ansicht des [X.] die [X.] rechtzeitig erhoben (dazu b). [X.]ie Ausführungen des [X.] zur Angemessenheit der Verfahrensdauer halten revisionsgerichtlicher Überprüfung nur zum Teil Stand (dazu c).

a) [X.]as beklagte [X.] ist für die Entschädigungsklagen nach § 200 [X.] [X.] passiv legitimiert, weil es danach für Nachteile haftet, die aufgrund von Verzögerungen bei seinen Gerichten entstehen; solche Nachteile macht die Klägerin aufgrund ihres bei dem [X.] Berlin geführten Verfahrens geltend.

b) [X.]ie [X.] wurde rechtzeitig erhoben. Anders als vom [X.] angenommen steht dem Anspruch der Klägerin nicht Art 23 [X.] iVm § 198 Abs 3 [X.] entgegen.

Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter gemäß § 198 Abs 3 [X.] nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die [X.]auer des Verfahrens gerügt hat ([X.], zur Eigenschaft als materiell-rechtliche Voraussetzung B[X.] Beschluss vom 27.6.2013 - [X.] ÜG 9/13 B - [X.] 4-1710 Art 23 [X.] Rd[X.] 27; [X.] [X.] vom 7.11.2013 - [X.] - [X.]E 243, 126, Juris Rd[X.] 24; [X.] Urteil vom 17.7.2014 - [X.] - Juris Rd[X.]4 mwN). [X.]ie [X.] kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen [X.] abgeschlossen wird; eine Wiederholung der [X.] ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist (§ 198 Abs 3 [X.] und 2 [X.]). Für anhängige Verfahren, die im [X.]punkt des Inkrafttretens des [X.] am 3.12.2011 schon verzögert waren, gilt dies mit der Maßgabe, dass die [X.] unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss (Art 23 S 2 [X.]).

[X.]er erkennende [X.] hat zur Frage der Unverzüglichkeit einer [X.] bislang nur darauf hingewiesen, "unverzüglich" bedeute nach der im bürgerlichen Recht geltenden Legaldefinition des § 121 Abs 1 [X.] BGB "ohne schuldhaftes Zögern". [X.]ie Gesetzesbegründung zum [X.] lege es nahe, diese allgemeine Bestimmung auch im vorliegenden Zusammenhang heranzuziehen (vgl BT-[X.]rucks 17/3802 [X.]). [X.]amit gehöre zum Begriff der Unverzüglichkeit ein nach den Umständen des Falles beschleunigtes Handeln, das dem Interesse des Empfängers der betreffenden Erklärung an der gebotenen Klarstellung Rechnung trage. [X.]emnach sei "unverzüglich" nicht gleichbedeutend mit "sofort". Vielmehr sei dem Verfahrensbeteiligten eine angemessene Überlegungsfrist einzuräumen, ob er seine Rechte durch eine [X.] wahren müsse (B[X.] Beschluss vom 27.6.2013 - [X.] ÜG 9/13 B - [X.] 4-1710 Art 23 [X.] Rd[X.] 29). [X.]er [X.] konkretisiert diesen Ansatz auch für den Fall anwaltlicher Vertretung im Einklang mit der Rechtsprechung des [X.] (Urteil vom 10.4.2014 - [X.] - NJW 2014, 1967, [X.]; Urteil vom 17.7.2014 - [X.] - Juris Rd[X.] 22) und des [X.] ([X.] vom 7.11.2013 - [X.] - [X.]E 243, 126, Juris Rd[X.] 39 ff) nunmehr dahin, dass eine [X.] noch "unverzüglich" erhoben ist, wenn sie spätestens drei Monate nach Inkrafttreten des [X.] beim Ausgangsgericht einging. Hierbei ist insbesondere der Zweck des Gesetzes ausschlaggebend, durch die Einräumung eines Entschädigungsanspruchs gegen den Staat bei überlanger Verfahrensdauer eine Rechtsschutzlücke zu schließen und eine Regelung zu schaffen, die sowohl den Anforderungen des Grundgesetzes (Art 19 Abs 4, Art 20 Abs 3 GG) als auch denen der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Art 6 Abs 1, Art 13 [X.]) nach effektivem Rechtsschutz gerecht wird ([X.] Urteil vom 10.4.2014 - [X.] - NJW 2014, 1967 mwN, [X.]). [X.]a die neue Entschädigungsregelung am 3.12.2011 in [X.] getreten ist, lag die im Jan[X.]r 2012 erhobene [X.] noch innerhalb der der Klägerin eingeräumten [X.]spanne.

c) [X.]ie Ausführungen des [X.] zur unangemessenen [X.]auer des Ausgangsverfahrens halten revisionsrichterlicher Überprüfung nur teilweise Stand.

aa) Ausgangspunkt und erster Schritt der Angemessenheitsprüfung bildet die in § 198 Abs 6 [X.] [X.] definierte Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss. Kleinste im Geltungsbereich des [X.] relevante [X.]einheit ist hierbei der Monat.

[X.]as Ausgangsverfahren hat eine erhebliche Gesamtdauer erreicht, bevor es am [X.] in einem Erörterungstermin unstreitig beendet wurde. Bis dahin lief das Verfahren nach den Feststellungen des [X.] seit August 2007 und hatte damit etwas mehr als 5 Jahre gedauert.

In einem zweiten Schritt ist der Ablauf des Verfahrens an den von § 198 Abs 1 S 2 [X.] genannten Kriterien zu messen, die auch unter Heranziehung der Rechtsprechung des [X.] und des [X.] auszulegen und zu vervollständigen sind (bb bis ff).

Bei der Feststellung der Tatsachen, die zur Ausfüllung der von § 198 Abs 1 S 2 [X.] genannten unbestimmten Rechtsbegriffe erforderlich sind, kommt dem Entschädigungsgericht ein erheblicher tatrichterlicher Beurteilungsspielraum zu. [X.]as Revisionsgericht kann lediglich überprüfen, ob das Entschädigungsgericht den Bedeutungsgehalt der unbestimmten Rechtsbegriffe aus § 198 Abs 1 S 2 [X.] und damit den rechtlichen Rahmen zutreffend erkannt und ihn ausfüllend alle erforderlichen Tatsachen festgestellt und angemessen berücksichtigt hat, ohne [X.]enkgesetze bzw allgemeine Erfahrungssätze zu verletzen (vgl [X.] Urteil vom 5.12.2013 - [X.]/13 - [X.]Z 199, 190 Rd[X.] 47 mwN) oder gegen seine Amtsermittlungspflicht zu verstoßen. Maßgeblich ist, wie das Gericht die Lage aus seiner ex ante Sicht einschätzen durfte ([X.] Urteil vom 13.2.2014 - [X.]/13 - NJW 2014, 1183, Juris Rd[X.] 47; [X.] Urteil vom [X.] - [X.]E 147, 146 Rd[X.] 41).

Auf dieser Grundlage ergibt erst die wertende Gesamtbetrachtung und Abwägung aller Einzelfallumstände in einem dritten Schritt, ob die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten und deshalb das Recht auf Rechtsschutz in angemessener [X.] verletzt hat (vgl [X.]surteil vom 21.2.2013 - [X.] ÜG 1/[X.] - B[X.]E 113, 75 = [X.] 4-1720 § 198 [X.], Rd[X.] 26; [X.] Urteil vom [X.] - III ZR 91/13 - NJW 2014, 1816, Juris Rd[X.] 31). [X.]abei geht der [X.] davon aus, dass vorbehaltlich besonderer Gesichtspunkte des Einzelfalls die Verfahrensdauer jeweils insgesamt noch als angemessen anzusehen ist, wenn eine [X.], die zwölf Monate je Instanz übersteigt, auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung des Gerichts beruht (gg).

bb) [X.]ie Ausführungen des [X.] zur Bedeutung des Ausgangsverfahrens werden den gesetzlichen Vorgaben nicht vollständig gerecht.

[X.]ie von § 198 [X.] genannte Bedeutung eines Verfahrens ergibt sich zum einen aus der allgemeinen Tragweite der Entscheidung für die materiellen und ideellen Interessen der Beteiligten. [X.]er [X.] hat deshalb eine besondere Bedeutung von Verfahren [X.] dann angenommen, wenn es um die finanzielle Versorgung in Renten- oder Arbeitssachen sowie um andere Verfahren wegen sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche ging (vgl [X.] Urteil vom [X.] - Individ[X.]lbeschwerde [X.]/[X.], Rd[X.]33, NJW 2006, 2389; [X.]/[X.], [X.]-Kommentar, 3. Aufl 2009, Art 6, Rd[X.] 262; [X.]E 147, 146). Zur Bedeutung der Sache iS von § 198 Abs 1 S 2 [X.] trägt dabei im Kontext des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz maßgeblich das Interesse des Betroffenen gerade an einer raschen Entscheidung bei (Priebe in: Festschrift für [X.] <1983> [X.] f). Entscheidend ist deshalb auch, ob und wie sich der [X.]ablauf nachteilig auf die Verfahrensposition des [X.] und das geltend gemachte materielle Recht sowie möglicherweise auf seine weiteren geschützten Interessen auswirkt (vgl [X.], [X.] 2012, [X.], 76).

[X.]iesbezüglich tragen die Feststellungen des [X.] nicht seinen Schluss, das Ausgangsverfahren und dessen zügige Erledigung seien für die Klägerin nur von beschränkter Bedeutung gewesen. Mit ihrer Klage vor dem [X.] hatte die Klägerin einen Anspruch auf Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem [X.]B II geltend gemacht. Allein dieser Umstand spricht schon gegen eine untergeordnete Bedeutung. [X.]enn nach der Rechtsprechung des [X.] bezweckt die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.]B II, ein menschenwürdiges Existenzminimum und damit letztlich das Grundrecht aus Art 1 Abs 1 GG zu gewährleisten (vgl [X.]E 125, 175, 222 ff). Eine solche im Ausgangsverfahren geltend gemachte, besonders schützenswerte Grundrechtsposition schließt es regelmäßig aus, den Rechtsstreit als weniger bedeutsam anzusehen. [X.]ies gilt im Fall der Klägerin jedenfalls deshalb, weil ein [X.]raum von immerhin acht Monaten im Streit stand und das [X.] keine Feststellungen darüber getroffen hat, ob während dieser [X.] das Recht der Klägerin auf ein menschenwürdiges Existenzminimum ohne weiteres auf andere Weise gesichert war.

Entgegen der Ansicht des [X.] war das Ausgangsverfahren auch nicht deshalb als weniger bedeutsam und dringlich anzusehen, weil die Klägerin sich beim [X.] nicht um einstweiligen Rechtsschutz bemüht hat. Zwar hat es der [X.] in seiner Rechtsprechung zu Art 6 Abs 1 [X.] grundsätzlich für denkbar gehalten, jedenfalls die tatsächliche Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes bei der Bemessung der zulässigen Verfahrensdauer zu berücksichtigen (vgl [X.], Individ[X.]lbeschwerde [X.], [X.]/[X.], Urteil vom 28.6.1978 - [X.]-E 1, 278 Rd[X.]11). Über die Rechtsfolgen eines Verzichts auf einstweiligen Rechtsschutz sagt dies indes noch nichts aus. Er kann viele Gründe haben, darunter ein aus Erfahrung geringes Vertrauen in einen zügigen Gang der Justiz; ein solcher Verzicht erlaubt jedenfalls nicht zwingend den Schluss, das Begehren des [X.] sei weniger dringend. Ohnehin hatten die Beteiligten den Streitgegenstand des Verfahrens bereits im Erörterungstermin im September 2009 auf einen in der Vergangenheit liegenden [X.]raum begrenzt. Ihr [X.] mit einem Eilantrag zu verfolgen, versprach für die Klägerin daher spätestens in diesem [X.]punkt mangels Rechtsschutzbedürfnis keinen Erfolg mehr (vgl [X.] Nordrhein-Westfalen Beschluss vom [X.] [X.] [X.] - Juris). [X.]ie vom [X.] in den Raum gestellte Gefahr eines "[X.]ulde und liquidiere" bestand in dem von der Klägerin geführten Ausgangsverfahren schon deshalb nicht, weil es sich zum überwiegenden Teil vor Inkrafttreten des [X.] abgespielt hat und in diesem [X.]raum eine Aussicht auf Entschädigung noch nicht konkret absehbar war. Seit Inkrafttreten des Gesetzes beugt der vom [X.] bezeichneten Gefahr ohnehin das Erfordernis der [X.] nach § 198 Abs 3 [X.] [X.] vor.

cc) [X.] nicht zu beanstanden ist dagegen die Annahme des [X.], wegen der ungewöhnlichen Bescheidlage und der vom Ausgangsgericht für erforderlich gehaltenen Ermittlungen zum Bestehen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft habe es sich - unter Zugrundelegung der anfänglichen Rechtsauffassung des Ausgangsgerichts (dazu unter ff) - um ein Verfahren von durchschnittlicher Schwierigkeit gehandelt.

dd) Ein Verhalten der Klägerin, mit dem sie das Verfahren insgesamt wesentlich verzögert hätte, hat das [X.] - für den [X.] ebenfalls bindend - nicht festgestellt. Soweit einzelne Termine wegen einer Verhinderung der Klägerin oder ihrer Prozessbevollmächtigten aufgehoben werden mussten, hat das [X.] die dadurch verursachte Verlängerung des Verfahrens zutreffend nicht dem beklagten Land zugerechnet.

ee) [X.]as Entschädigungsgericht ([X.]) hat schließlich im Ausgangspunkt zutreffend die Prozessleitung des Ausgangsgerichts in seine Erwägungen einbezogen.

§ 198 [X.] nennt als Kriterien zur Bestimmung der Angemessenheit mit Blick auf die [X.] das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und [X.]ritter nur beispielhaft. [X.]arüber hinaus hängt eine Verletzung von Art 6 [X.] durch den Staat wesentlich davon ab, ob ihm zurechenbare Verhaltensweisen des Gerichts zur Überlänge des Verfahrens geführt haben. Maßgeblich sind Verzögerungen, vgl § 200 [X.], also sachlich nicht gerechtfertigte [X.]en des Verfahrens (vgl Bub, [X.] 2014, [X.]), insbesondere aufgrund von Untätigkeit des Gerichts (vgl [X.] Nichtannahmebeschluss vom 13.8.2012 - 1 BvR 1098/11 - Juris). Keinen sachlichen Grund stellt von vornherein eine unzureichende sachliche oder personelle Ausstattung der Justiz generell oder speziell des Ausgangsgerichts dar. Beruht die Verletzung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener [X.] auf einer strukturellen Überlastung der Justiz und drückt sich darin eine generelle Vernachlässigung des Anspruchs aus Art 6 [X.], Art 19 Abs 4 GG aus, wiegt der resultierende Grundrechtsverstoß besonders schwer (vgl [X.] Stattgebender Kammerbeschluss vom 5.8.2013 - 1 BvR 2965/10 - Juris).

ff) Bei seiner Beurteilung der Prozessleitung des Ausgangsgerichts ist das Entschädigungsgericht ([X.]) im Grundsatz von einem zutreffenden Überprüfungsmaßstab ausgegangen und hat insbesondere zu Recht die materielle Rechtsauffassung des Ausgangsgerichts zugrunde gelegt.

[X.]as Entschädigungsverfahren eröffnet keine weitere Instanz, um das Handeln des Ausgangsgerichts einer rechtlichen Vollkontrolle zu unterziehen. [X.]aher hat das Entschädigungsgericht die materiell-rechtlichen Annahmen, die das Ausgangsgericht seiner Verfahrensleitung und -gestal-tung zugrunde legt, nicht infrage zu stellen, soweit sie nicht geradezu willkürlich erscheinen. Zudem räumt die Prozessordnung dem Ausgangsgericht ein weites Ermessen bei seiner Entscheidung darüber ein, wie es das Verfahren gestaltet und leitet (vgl Roller, [X.] 2012, Beilage zum Heft 6, [X.], 4; [X.] Stattgebender Kammerbeschluss vom 17.11.2011 - 1 BvR 3155/09 - Juris Rd[X.] 7; Beschluss vom 16.12.1980 - 2 BvR 419/80 - [X.]E 55, 349, 369; vgl [X.] Urteil vom [X.] - 5 C 1/13 [X.] - Juris Rd[X.]8 mwN ; [X.] [X.] vom 7.11.2013 - [X.] - [X.]E 243, 126, [X.], 179, Juris Rd[X.] 69 ff ; vgl [X.] Urteil vom 5.12.2013 - [X.]/13 - [X.]Z 199, 190, Juris Rd[X.] 44 ). [X.]ie richtige Ausübung dieses Ermessens ist vom Entschädigungsgericht allein unter dem Gesichtspunkt zu prüfen, ob das Ausgangsgericht bei seiner Prozessleitung Bedeutung und Tragweite des Menschenrechts aus Art 6 Abs 1 [X.] bzw des Grundrechtes Art 19 Abs 4 GG in der konkreten prozess[X.]len Sit[X.]tion hinreichend beachtet und fehlerfrei gegen das Ziel einer möglichst richtigen Entscheidung abgewogen hat. [X.]enn dieses Ziel ist ebenfalls vom Anspruch auf effektiven Rechtsschutz umfasst (vgl [X.] [X.] vom 7.11.2013 - [X.] - [X.]E 243, 126, [X.], 179, Juris Rd[X.] 70; [X.]/[X.], Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Ermittlungsverfahren, § 198 [X.] Rd[X.] 22).

Wann und wie das Verfahren - insbesondere in der Zusammenschau mit den sonstigen bei Gericht anhängigen Fällen - am besten zu fördern ist, entscheidet das Ausgangsgericht in der konkreten Sit[X.]tion aus seiner Kenntnis der Akten, der Beteiligten und des bisherigen [X.]. Beim [X.]enken und Erarbeiten darf es dabei auch eigene Vorstellungen zum "Wann" miterwägen (vgl [X.]/[X.], ZPO, 72. Aufl 2014, § 198 [X.] Rd[X.]3 unter "Arbeits-gewohnheit"). Allerdings müssen die Gerichte bei ihrer Verfahrensleitung stets die Gesamtdauer des Verfahrens im Blick behalten. Mit zunehmender [X.]auer des Verfahrens verdichtet sich die aus dem Justizgewährleistungsanspruch resultierende Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens und dessen Beendigung zu bemühen (vgl [X.] Be-schlüsse vom 14.12.2010 - 1 BvR 404/10 - [X.] 4-1100 Art 19 [X.]0, Juris Rd[X.]1 und vom 1.10.2012 - 1 BvR 170/06 - [X.] - NVwZ 2013, 789, 790 mwN). Jedenfalls für Verfahren von hinreichender Bedeutung (vgl Priebe in: Festschrift für [X.], [X.], 302) verbietet sich ab einem gewissen [X.]punkt (weitere) Untätigkeit oder eine zögerliche Verfahrensleitung (vgl Stattgebende Kammerbeschlüsse des [X.] vom [X.] - 1 BvR 352/00 - NJW 2001, 214, Juris Rd[X.]1 und vom [X.] - 1 BvR 1067/12 - NJW 2013, 3630, [X.]). Richterliche Verhaltensweisen, die zu Beginn eines Verfahrens grundrechtlich gesehen noch unbedenklich, wenn auch möglicherweise verfahrensökonomisch nicht optimal erscheinen mögen, können bei zunehmender Verfahrensdauer in Konflikt mit dem Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener [X.] geraten. [X.]as gilt etwa für die Setzung großzügiger Fristen zur Stellungnahme, den mehrfachen Austausch von Schriftsätzen ohne richtungweisende Einflussnahme des Gerichts und ohnehin für sog Schiebeverfügungen.

gg) [X.]as [X.] hat insoweit eine einjährige Untätigkeit des Ausgangsgerichts zwischen August 2008 und August 2009 sowie eine weitere 15-monatige Verzögerung zwischen Mitte Juni 2010 und Mitte September 2011 festgestellt. Sachliche Gründe für diese Untätigkeit hat das [X.] nicht benannt. [X.]a dagegen keine zulässigen Revisionsrügen erhoben sind, binden diese Feststellungen des [X.] den [X.] nach § 163 [X.]G.

Soweit das [X.] dagegen eine viermonatige Verlängerung des Verfahrens wegen einer zunächst ausbleibenden Stellungnahme des im Ausgangsverfahren beklagten [X.]s allein deshalb nicht als [X.]raum der Verzögerung dem beklagten Land zugerechnet hat, weil das Ausgangsgericht alles Mögliche getan habe, um das Verfahren zu beschleunigen, tragen seine Feststellungen diesen Schluss nicht. Angesichts der bereits verstrichenen [X.] von mehr als zwei Jahren und der damit verbundenen besonderen Prozessförderungspflicht des Ausgangsgerichts (vgl Stattgebende Kammerbeschlüsse des [X.] vom [X.] - 1 BvR 352/00 - NJW 2001, 214, Juris Rd[X.]1 und vom [X.] - 1 BvR 1067/12 - NJW 2013, 3630, [X.]; [X.], Individ[X.]lbeschwerde [X.]1118/84, [X.]/[X.], Urteil vom [X.] - [X.]-E 4, 249 Rd[X.] 46) durfte das [X.] form- und folgenlose schriftliche sowie telefonische Erinnerungen des Ausgangsgerichts an das beklagte [X.] nicht mehr ohne weiteres als ausreichend ansehen. [X.]ie Verantwortung des Ausgangsgerichts und damit des beklagten [X.] für die genannte Verlängerung des Verfahrens lässt sich vielmehr nur dann verneinen, wenn das Ausgangsgericht alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel der Prozessordnung ausgeschöpft hat, um das beklagte [X.] zur zügigen Stellungnahme anzuhalten. [X.]azu kann es gehören, unverzüglich einen Termin zur Erörterung des Sachverhalts oder zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen und dazu nach § 111 Abs 3 [X.]G der beklagten Behörde die Entsendung eines ausreichend informierten Vertreters aufzugeben. Je nach Lage der [X.]inge hätte das Ausgangsgericht zudem eine Fristsetzung nach § 106a Abs 2 [X.]G in Erwägung ziehen können. Ob das [X.] im Ausgangsverfahren alle von der Prozessordnung eröffneten Beschleunigungsmöglichkeiten ausgeschöpft hat, wird das [X.] daher im wieder eröffneten Klageverfahren über die Entschädigung noch festzustellen haben. Von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent hat das [X.] darüber hinaus davon abgesehen festzulegen, wie viele Monate das Ausgangsverfahren insgesamt zu lange gedauert hat. Auch dies wird es im wieder eröffneten Klageverfahren nachzuholen haben.

hh) Nach Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Entschädigungsgericht wird dieses dabei schließlich noch Folgendes berücksichtigen müssen: [X.]ie Bestimmung der maximal zulässigen, noch angemessenen Verfahrenslaufzeit kann jeweils nur aufgrund einer abschließenden Gesamtbetrachtung und -würdigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls insbesondere mit Blick auf die von § 198 Abs 1 S 2 [X.] benannten Kriterien erfolgen (vgl [X.]surteil vom 21.2.2013 - [X.] ÜG 1/[X.] - B[X.]E 113, 75 = [X.] 4-1720 § 198 [X.], Rd[X.] 28; [X.] Urteil vom [X.] - 5 C 1/13 [X.] - Juris Rd[X.] 28). [X.]ie Feststellung längerer [X.]en fehlender [X.] durch das Gericht in bestimmten Verfahrensabschnitten führt noch nicht zwangsläufig zu einer unangemessenen Verfahrensdauer. Handelt es sich bei den genannten [X.]en bereits um Verzögerungen im Sinne des [X.], weil sie in den Verantwortungsbereich des Gerichts fallen, so können sie in davor oder danach liegenden Verfahrensabschnitten ausgeglichen werden (vgl [X.] Urteil vom [X.], aaO, Juris Rd[X.] 33 mwN; [X.] Urteil vom 13.2.2014, aaO, Juris Rd[X.] 28 mwN; [X.], aaO, Juris Rd[X.]2; [X.], Individ[X.]lbeschwerde [X.] 36853/05 - Metzele/[X.], amtlicher Umdruck S 7).

Obwohl die maßgebliche Gesamtabwägung nach den Vorgaben des § 198 Abs 1 S 2 [X.] in jedem Einzelfall durchzuführen ist und der Gesetzgeber von der Einführung bestimmter Grenzwerte (Fristen) für die [X.]auer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen hat (vgl BT-[X.]rucks 17/3802 [X.]8; [X.]surteile vom 21.2.2013 - [X.] ÜG 1/[X.] - B[X.]E 113, 75 = [X.] 4-1720 § 198 [X.] und [X.] ÜG 2/[X.] - jeweils zu Rd[X.] 25 ff mwN), lässt es sich zur Gewährleistung möglichst einheitlicher Rechtsanwendung und damit aus Gründen der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit andererseits nicht vermeiden, in Entschädigungssachen zeitraumbezogene Konkretisierungen vorzunehmen. [X.]ies jedenfalls dort, wo derartige Konkretisierungen aufgrund vorgefundener Übereinstimmungen sowohl in der Struktur zahlreicher sozialgerichtlicher Verfahren als auch ihrer Bearbeitung durch die Gerichte vertretbar sind (vgl dazu [X.] [X.] vom 7.11.2013 - [X.] - [X.]E 243, 126, Juris Rd[X.] 64). [X.]er [X.] geht zu diesem Zweck aufgrund der besonderen Natur sozialgerichtlicher Verfahren derzeit von folgenden Grundsätzen aus: [X.]ie persönliche und sachliche Ausstattung der Sozialgerichte muss einerseits so beschaffen sowie die gerichtsinterne Organisation der Geschäfte (Geschäftsverteilung, Gestaltung von [X.]ezernatswechseln etc) so geregelt sein, dass [X.] oder Spruchkörper die inhaltliche Bearbeitung und Auseinandersetzung mit der Sache wegen anderweitig anhängiger ggf älterer oder vorrangiger Verfahren im Regelfall nicht länger als zwölf Monate zurückzustellen braucht. [X.]ie systematische Verfehlung dieses Ziels ist der Hauptgrund dafür, dass die für Ausstattung der Gerichte zuständigen Gebietskörperschaften Bund und Land mit den Kosten der Entschädigungszahlungen belastet werden, wenn Gerichtsverfahren eine angemessene [X.]auer überschreiten.

Eine Verfahrensdauer von bis zu zwölf Monaten je Instanz ist damit regelmäßig als angemessen anzusehen, selbst wenn sie nicht durch konkrete [X.]sschritte begründet und gerechtfertigt werden kann. [X.]iese [X.]spanne muss und wird in der Regel nicht vollständig direkt im [X.] an die Erhebung der Klage bzw die Einlegung der Berufung liegen, in der das Gericht normalerweise für einen Schriftsatzwechsel sorgt und Entscheidungsunterlagen beizieht. [X.]ie Vorbereitungs- und Bedenkzeit kann vielmehr auch am Ende der jeweiligen Instanz liegen und in mehrere, insgesamt zwölf Monate nicht übersteigende Abschnitte unterteilt sein. Für diese Zwölfmonatsregel spricht [X.] die Regelung des § 198 Abs 5 [X.] [X.]; danach kann eine Klage zur [X.]urchsetzung des Anspruchs aus Abs 1 der Vorschrift frühestens sechs Monate nach Erhebung der [X.] erhoben werden. Eine gewisse Vorbereitungs- und Bedenkzeit der Gerichte akzeptiert auch der [X.], dessen Rechtsprechung maßgeblich dem [X.] zugrunde liegt. Wie die Analyse seiner Urteile zeigt, beanstandet der Gerichtshof regelmäßig nicht die [X.]auer solcher Verfahren, die nicht besonders eilbedürftig sind und die je Instanz nicht länger als 2 Jahre und insgesamt nicht länger als 5 Jahre dauern (vgl [X.], [X.] in the member States of the Council of Europe based on the case law of the European Court of Human Rights, 2. Aufl 2012, [X.] mwN; vgl [X.]/[X.], [X.]-Kommentar, 3. Aufl 2009, Art 6 Rd[X.] 249 mwN; [X.], [X.], 3. Aufl 2011, Art 6 Rd[X.]99). Nicht jede Periode gerichtlicher Untätigkeit führt nach der Rechtsprechung des [X.] zwingend zu einem Entschädigungsanspruch; vielmehr ist sie in einem gewissen Verfahrensstadium vertretbar, solange die [X.] nicht als überlang erachtet werden kann (vgl [X.] [X.], Individ[X.]lbeschwerde [X.] 32842/96 [X.]/[X.], Rd[X.]10; Individ[X.]lbeschwerde [X.] 7759/77 [X.]/[X.], Rd[X.] 63).

Beruht die Verfahrensdauer, die die genannte [X.]auer von zwölf Monaten je Instanz übersteigt, auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung (zB [X.] für Einholung von Auskünften, Zeugenaussagen, Sachverständigengutachten, Beiziehung von Akten) oder wird sie maßgeblich durch das Verhalten des [X.], anderer Verfahrensbeteiligter oder [X.]ritter verlängert, so macht selbst dies die Verfahrensdauer in der Regel ebenfalls noch nicht unangemessen. Anderes gilt für [X.]en, in denen eine Sache über zwölf Monate hinaus ("am Stück" oder immer wieder für kürzere [X.]räume) ohne sachlichen Grund "auf Abruf" liegt, ohne dass das Verfahren zeitgleich inhaltlich betrieben wird, oder sich auf sog Schiebeverfügungen beschränkt.

[X.]ie genannten Orientierungswerte gelten allerdings nur, wenn sich nicht aus dem Vortrag des [X.] oder aus den Akten besondere Umstände ergeben, die vor allem mit Blick auf die Kriterien von § 198 Abs 1 S 2 [X.] im Einzelfall zu einer anderen Bewertung führen. [X.]amit ändert die Zwölfmonatsregel nichts am Vorrang der Einzelfallbetrachtung, sondern verschiebt lediglich die sachlichen Anforderungen an die [X.] entlang zeitlicher Grenzen.

Bei der noch ausstehenden genauen Feststellung der [X.]räume der Überlänge des Ausgangsverfahrens darf das [X.] dem Ausgangsgericht daher grundsätzlich eine ausreichende Vorbereitungs- und Bedenkzeit einräumen, die nicht durch konkrete [X.]sschritte begründet und gerechtfertigt werden muss. [X.]as [X.] wird allerdings zu erwägen haben, ob insoweit die vom [X.] regelmäßig akzeptierte [X.]spanne von zwölf Monaten noch angemessen ist, oder ob nach den besonderen Umständen dieses Einzelfalls, insbesondere wegen des in Streit stehenden Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen, nicht ausnahmsweise eine kürzere Vorbereitungs- und Bedenkzeit anzusetzen ist.

Sollte sich aufgrund der nachgeholten Feststellungen des [X.] weiterhin eine unangemessene [X.]auer des Ausgangsverfahrens ergeben, so wird es darüber hinaus festzustellen haben, ob die Klägerin deswegen einen Nachteil iS von § 198 Abs 1 [X.] [X.] erlitten hat und dafür eine angemessene Entschädigung verlangen kann. Nachteil iS des Abs 1 sind dabei [X.] sämtliche immateriellen Folgen eines überlangen Verfahrens; dazu gehört nach den Vorstellungen des Gesetzgebers insbesondere die seelische Unbill durch die lange Verfahrensdauer (Gesetzentwurf BT-[X.]rucks 17/3802 [X.]9). Ein solcher Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird nach § 198 Abs 2 [X.] [X.] vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hier wird das [X.] gegebenenfalls prüfen müssen, ob Umstände vorliegen, die geeignet erscheinen, die gesetzliche Vermutung des § 198 Abs 2 [X.] [X.] (vgl [X.]surteil vom 21.2.2013 - [X.] ÜG 1/[X.] - B[X.]E 113, 75 = [X.] 4-1720 § 198 [X.], [X.] 4-1500 § 202 [X.]) zu widerlegen.

Weitere Voraussetzung für den von der Klägerin verfolgten Entschädigungsanspruch ist es nach § 198 Abs 2 S 2 [X.], dass eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Abs 4 dieser Vorschrift nicht ausreichend ist, insbesondere nicht gemäß § 198 Abs 4 [X.] [X.] durch Feststellung des Entschädigungsgerichts, die Verfahrensdauer sei unangemessen lang gewesen. Wie der [X.] bereits entschieden hat (vgl [X.]surteil vom 21.2.2013 - [X.] ÜG 1/[X.] - B[X.]E 113, 75 = [X.] 4-1720 § 198 [X.], [X.] 4-1500 § 202 [X.] mwN), kommt bei festgestellter Überlänge eines Gerichtsverfahrens eine derartige Kompensation eines Nichtvermögensschadens aber nur ausnahmsweise in Betracht, wenn das Verfahren beispielsweise für den Entschädigungskläger keine besondere Bedeutung hatte oder dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verlängerung des Verfahrens beigetragen hat. [X.]ie bisherigen Feststellungen des [X.] bieten dafür aus Sicht des [X.]s keine Anhaltspunkte.

Ebenso wird das Entschädigungsgericht gegebenenfalls zu entscheiden haben, ob der von § 198 Abs 2 S 3 [X.] vorgesehene Regelbetrag von 1200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung eines Verfahrens aufgrund der vom [X.] festzustellenden und zu würdigenden Umständen des Einzelfalls gemäß § 198 Abs 2 S 4 [X.] ausnahmsweise unbillig ist, weil ein atypischer Sonderfall vorliegt (vgl Gesetzentwurf BT-[X.]rucks 17/3802 [X.]; vgl [X.]/[X.], aaO, § 198 [X.] Rd[X.] 82).

Für den Fall einer Entschädigung in Geld wird das Entschädigungsgericht schließlich in entsprechender Anwendung der §§ 288 Abs 1, 291 [X.] BGB über die beantragten Prozesszinsen (5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz) ab Rechtshängigkeit (Klageerhebung, vgl § 94 [X.]G) zu entscheiden haben. Auch wenn es sich der Art nach um einen pauschalierten Verzugsschadensersatz handelt und deshalb ein konkreter Zusammenhang mit dem begehrten immateriellen Schadensersatz fraglich sein könnte (vgl Thüringer [X.] Urteil vom 26.11.2013 - L 3 SF 913/12 EK - Juris Rd[X.] 79, Revision anhängig unter [X.] ÜG 4/14 R), ändert dies nichts an der Anwendbarkeit der genannten Vorschriften im Rahmen von Entschädigungsklagen in den öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten, weil [X.], die den allgemeinen Anspruch auf Prozesszinsen verdrängen könnten, nicht bestehen (vgl [X.] Urteil vom 19.3.2014 - [X.] - [X.]E 244, 521, Juris Rd[X.] 40). Entschädigungsansprüche nach § 198 [X.] stehen außerhalb des Systems der sozialrechtlichen Ansprüche, für die Prozesszinsen nach Maßgabe des § 44 [X.]B I grundsätzlich nicht beansprucht werden können (hierzu B[X.]E 99, 102 = [X.] 4-2500 § 19 [X.] 4, Rd[X.] 27 ff). § 201 Abs 2 [X.] [X.] iVm § 202 [X.]G verweisen zwar auf das [X.]G, nicht hingegen auf das [X.]B. [X.]ie Annäherung des sozialgerichtlichen Kostenrechts an dasjenige der VwGO hat die Rechtsprechung des B[X.] bereits in der Vergangenheit veranlasst, auch hinsichtlich der Prozesszinsen in besonderen Teilbereichen auf die Rechtsprechung des [X.] Bezug zu nehmen (für den Bereich des [X.] ausdrücklich B[X.]E 95, 141 Rd[X.] 30 ff = [X.] 4-2500 § 83 [X.] 2 Rd[X.] 38 ff). Für den Rechtsschutz bei überlanger Verfahrensdauer ist insoweit entsprechend zu verfahren (vgl zu den Prozesszinsen [X.] Urteil vom [X.] - 5 C 1/13 [X.] - [X.]VBl 2014, 861, Juris Rd[X.] 46).

3. [X.]ie abschließende Kostenentscheidung bleibt ebenfalls dem [X.] vorbehalten.

4. [X.]en Streitwert für das Revisionsverfahren hat das B[X.] dagegen auch im Fall der Zurückverweisung festzusetzen (vgl B[X.] Urteil vom 10.5.2007 - [X.] KR 1/05 R - B[X.]E 98, 238 = [X.] 4-1300 § 111 [X.] 4). [X.]ie deshalb zu treffende Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs 1 [X.] [X.]G iVm § 63 Abs 2 [X.], § 47 Abs 1 und 2, § 52 Abs 1 und 2 GKG. [X.]er [X.] geht von 5000 Euro aus, weil der Sach- und Streitstand für eine genauere Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte bietet.

Meta

B 10 ÜG 9/13 R

03.09.2014

Bundessozialgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: False

vorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, 2. August 2013, Az: L 37 SF 274/12 EK AS, Urteil

§ 198 Abs 1 S 1 GVG, § 198 Abs 1 S 2 GVG, § 198 Abs 2 S 1 GVG, § 198 Abs 2 S 2 GVG, § 198 Abs 2 S 3 GVG, § 198 Abs 2 S 4 GVG, § 198 Abs 4 S 1 GVG, § 198 Abs 6 Nr 1 GVG, § 201 Abs 2 S 1 GVG, Art 23 S 2 ÜberlVfRSchG, § 121 Abs 1 S 1 BGB, § 288 Abs 1 BGB, § 291 S 1 BGB, § 94 SGG, § 106a Abs 2 SGG, § 111 Abs 3 SGG, § 202 SGG, SGB 2, § 44 SGB 1, Art 1 Abs 1 GG, Art 19 Abs 4 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 6 Abs 1 MRK

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 03.09.2014, Az. B 10 ÜG 9/13 R (REWIS RS 2014, 3165)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 3165

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