Bundessozialgericht, Urteil vom 17.12.2020, Az. B 10 ÜG 1/19 R

10. Senat | REWIS RS 2020, 2361

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Überlanges Gerichtsverfahren - Entschädigungsklage - spät erhobene Verzögerungsrüge - Rechtsmissbrauch - Entschädigungsanspruch auch für Beigeladene im Ausgangsverfahren - Maßgeblichkeit des Zeitraums der Beiladung - Vermutung des immateriellen Nachteils - Anforderungen an die Widerlegung der Vermutung - Wiedergutmachung auf andere Weise - Zurückverweisung


Leitsatz

1. Eine erst zu einem späten Zeitpunkt in dem einem Entschädigungsverfahren wegen überlanger Verfahrensdauer vorausgegangenen Ausgangsverfahren erhobene Verzögerungsrüge ist nur dann unwirksam, wenn sie sich als rechtsmissbräuchlich erweist.

2. Die Dauer des Gerichtsverfahrens bestimmt sich bei einem im Ausgangsverfahren beigeladenen Entschädigungskläger von der Zustellung des Beiladungsbeschlusses bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens.

3. Eine einfache Beiladung im Ausgangsverfahren widerlegt nicht die gesetzliche Vermutung eines nichtvermögensrechtlichen Nachteils, wenn das Ausgangsverfahren überlang war.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 14. November 2018 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 11 100 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt als einfach Beigeladene des Ausgangsverfahrens vor dem [X.] eine Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer.

2

Die Klägerin (= Entschädigungsklägerin) ist Trägerin eines Wohnheims für Suchtkranke. In dem Ausgangsverfahren vor dem [X.] ([X.] [X.] 55/11) erhob der dortige Kläger, der in dem Wohnheim der Klägerin untergebracht war, am 6.4.2011 Klage auf Gewährung von Fahrtkosten nach dem [X.] für eine medizinisch angeordnete Fahrt zur ambulanten fachärztlichen Behandlung. In zwei weiteren Verfahren ([X.] [X.] 57/11 und [X.] [X.] 59/11) hatte er zeitgleich ebenfalls Klagen wegen entsprechender Fahrtkosten erhoben. Das [X.] verband die drei Verfahren mit Beschluss vom 11.7.2011 unter dem führenden [X.] [X.] 55/11 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung. Nach einem Kammerwechsel beim [X.] im September 2014 wurde das Verfahren unter dem [X.] [X.] 55/11 fortgeführt. Mit Beschluss vom 20.11.2014 lud das [X.] auf Antrag des dortigen [X.] die Klägerin einfach bei.

3

Das [X.] bestimmte im Januar 2016 Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 16.2.2016 und nach dessen Aufhebung erneut auf den 14.3.2016. Daraufhin teilten der Prozessbevollmächtigte des [X.] des Ausgangsverfahrens und der Prozessbevollmächtigte der beigeladenen Klägerin mit, dass sie diesen Termin nicht wahrnehmen könnten, woraufhin das [X.] den Termin aufhob. Mit einem am 1.4.2016 (richtig: [X.]) beim [X.] eingegangenen Schriftsatz vom selben Tag teilte der Prozessbevollmächtigte des [X.] des Ausgangsverfahrens mit, dass dieser verstorben sei. Ferner kündigte er an, dass die Klage aller Voraussicht nach zurückgenommen werde, jedoch müsse zunächst noch ermittelt werden, ob Hinterbliebene vorhanden seien. Mit am 17.8.2016 beim [X.] eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag rügte die beigeladene Klägerin eine überlange Verfahrensdauer. Am 29.8.2016 nahm der Prozessbevollmächtigte des [X.] des Ausgangsverfahrens die Klage zurück.

4

Die Beigeladene des Ausgangsverfahrens hat am 27.2.2017 beim L[X.] als Entschädigungsgericht Klage auf Entschädigung wegen immaterieller Nachteile in Höhe von 11 100 Euro wegen überlanger Dauer der drei verbundenen Klageverfahren erhoben. In der mündlichen Verhandlung am 14.11.2018 hat das Entschädigungsgericht ua darauf hingewiesen, dass bei einfacher Beiladung eine besondere Begründung des Nachteils infolge einer überlangen Verfahrensdauer erforderlich, hier aber fraglich sei. Trotz Ankündigung weiteren Vortrags seitens der Klägerin aufgrund dieses Hinweises hat das Entschädigungsgericht mit Urteil vom selben Tag die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen entschädigungspflichtigen Nachteil erlitten. Für einen einfach Beigeladenen bestehe kein Anspruch auf Beteiligung an dem Verfahren und daher auch kein Anspruch auf eine zügige Entscheidung. Bei einem einfach beigeladenen Verfahrensbeteiligten sei bei überlanger Verfahrensdauer kein immaterieller Nachteil zu vermuten. Ein einfach [X.] könne deswegen eine Entschädigung nur dann beanspruchen, wenn er im Einzelfall tatsächlich nachweisbar einen Nachteil erlitten habe. Diesen Nachweis habe die Klägerin nicht geführt. Deshalb könne offenbleiben, ob die weiteren Voraussetzungen für den geltend gemachten Entschädigungsanspruch erfüllt seien.

5

Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin. Sie rügt eine Verletzung des § 198 [X.] und des § 75 Abs 1 [X.]G. Die Auffassung des Entschädigungsgerichts, dass einfach Beigeladene nicht vom Justizgewährleistungsanspruch und damit auch nicht vom Entschädigungsanspruch erfasst seien, sei unzutreffend. Das Entschädigungsgericht hätte nicht davon ausgehen dürfen, dass die gesetzliche Vermutung des von ihr geltend gemachten immateriellen Nachteils widerlegt sei. Die drei verbundenen Klageverfahren hätten jeweils mehr als fünf Jahre gedauert. In jedem Verfahren lägen 37 Kalendermonate mit Phasen gerichtlicher Inaktivität vor. Dass die Beiladung erst im November 2014 erfolgt sei, könne den entschädigungsrelevanten Zeitraum nicht mindern. Die Beiladung sei verspätet erfolgt, weil die Voraussetzungen dafür bereits beim Eingang der Klagen vorgelegen hätten. Der [X.] belaufe sich auf insgesamt 11 100 Euro (3 x 37 Verzögerungsmonate x 100 Euro).

6

Die Klägerin rügt darüber hinaus eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 [X.]G). Das Entschädigungsgericht habe eine unzulässige Überraschungsentscheidung getroffen, indem es auf den richterlichen Hinweis in der mündlichen Verhandlung nicht den sinngemäß beantragten [X.] gewährt und auch im Übrigen ihren Vortrag nicht hinreichend berücksichtigt habe.

7

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des [X.] vom 14. November 2018 aufzuheben und das beklagte Land zu verurteilen, der Klägerin wegen der unangemessenen Dauer der vor dem [X.] zunächst unter den Aktenzeichen [X.] [X.] 55/11, [X.] [X.] 57/11 und [X.] [X.] 59/11 und nach ihrer Verbindung zuletzt unter dem Aktenzeichen [X.] [X.] 55/11 geführten Klageverfahren eine Entschädigung in Höhe von 11 100 Euro nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20. März 2017 zu zahlen.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Entscheidungsgründe

[X.]ie zulässige Revision der Klägerin ist insoweit begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Entschädigungsgericht zurückzuverweisen ist (§ 170 [X.] 2 Satz 2 [X.]G). Zwar ist die [X.] zulässig. Jedoch kann der [X.] mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des Entschädigungsgerichts nicht abschließend entscheiden, ob und - falls ja - in welcher Höhe der Klägerin ein Entschädigungsanspruch zusteht.

[X.]er [X.] hat das Begehren der Klägerin sowohl in prozessualer als auch in materiell-rechtlicher Hinsicht an § 202 Satz 2 [X.]G iVm §§ 198 ff [X.] zu messen, weil das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ([X.]) vom 24.11.2011 ([X.]) anwendbar ist. Art 23 Satz 1 Alt 1 [X.] eröffnet Entschädigungsansprüche auch für solche Verfahren, die - wie das Ausgangsverfahren vor dem [X.] - bei Inkrafttreten des [X.] am 3.12.2011 bereits anhängig waren (vgl [X.]surteil vom 27.3.2020 - [X.] ÜG 4/19 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]2).

A. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist der von der Klägerin ausschließlich geltend gemachte Anspruch auf Geldentschädigung nebst Zinsen wegen überlanger [X.]auer des vor dem [X.] Magdeburg zuletzt unter dem [X.] [X.] 55/11 geführten Klageverfahrens. [X.]ie von der Klägerin im Rahmen ihrer [X.]ispositionsbefugnis (vgl § 123 [X.]G) vorgenommene Begrenzung des Streitgegenstands auf einen Anspruch auf Geldentschädigung wegen immaterieller Nachteile ist prozessrechtlich zulässig (stRspr; zB [X.]surteil vom [X.] - [X.] ÜG 2/14 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]1).

B. [X.]ie [X.] der Klägerin ist zulässig.

1. [X.]ie [X.] ist als allgemeine Leistungsklage statthaft (§ 54 [X.] 5 [X.]G; stRspr; zB [X.]surteil vom 27.3.2020 - [X.] ÜG 4/19 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.] mwN).

2. [X.]ie Wartefrist des § 198 [X.] 5 Satz 1 [X.], wonach eine [X.] frühestens sechs Monate nach Erhebung der [X.] erhoben werden kann, ist gewahrt. [X.]ie Klägerin hat im Ausgangsverfahren am 17.8.2016 eine überlange Verfahrensdauer gerügt. Sodann hat sie am 27.2.2017 - nach Ablauf von sechs Monaten - [X.] erhoben.

3. Auch die Klagefrist des § 198 [X.] 5 Satz 2 [X.] hat die Klägerin eingehalten. [X.]anach muss die Klage spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. [X.]er Prozessbevollmächtigte des [X.] im Ausgangsverfahren hat am 29.8.2016 die Klage zurückgenommen; dazu war er auch nach dem Versterben des [X.] noch berechtigt (vgl § 73 [X.] 6 Satz 7 [X.]G iVm § 86 Halbsatz 1 ZPO und § 202 Satz 1 [X.]G iVm § 246 [X.] 1 Halbsatz 1 ZPO). [X.]ie [X.] wurde von der Klägerin am 27.2.2017 beim L[X.] als Entschädigungsgericht erhoben (vgl § 90 [X.]G). [X.]amit hat sie die Frist von sechs Monaten gewahrt, weil es für die Erhebung auf den Eingang der Klage beim Entschädigungsgericht ankommt. Unerheblich für die Einhaltung der Klagefrist ist dagegen der Eintritt der Rechtshängigkeit (vgl B[X.] Urteil vom 7.9.2017 - [X.] ÜG 1/17 R - [X.] 4-1710 Art 23 [X.] Rd[X.]0; [X.] Urteil vom 12.7.2017 - [X.]-7/16 ua - juris Rd[X.]5), die gemäß § 94 Satz 2 [X.]G erst mit der Zustellung der Klage beim Beklagten beginnt (hier: Zustellung der Klage nach Angaben des Beklagten am 16.3.2017).

C. [X.]er [X.] kann mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des Entschädigungsgerichts jedoch nicht abschließend entscheiden, ob und - falls ja - in welchem Umfang die [X.] der Klägerin begründet ist.

Nach § 202 Satz 2 [X.]G iVm § 198 [X.] 1 Satz 1 iVm [X.] 3 Satz 1 [X.] wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener [X.]auer eines Gerichtsverfahrens als [X.] einen Nachteil erleidet, wenn er zuvor bei dem mit der Sache befassten Gericht die [X.]auer des Verfahrens gerügt hat. [X.]em Entschädigungsanspruch der Klägerin steht weder entgegen, dass sie nicht unverzüglich iS von Art 23 Satz 2 [X.] die Verzögerung des Verfahrens gerügt hat (dazu unter 1.) noch, dass sie erst nach der angekündigten Klagerücknahme durch den Prozessbevollmächtigten des verstorbenen [X.] im Ausgangsverfahren die [X.] erhoben hat (dazu unter 2.). [X.]as zuletzt nach der Verbindung mit den beiden anderen Klageverfahren unter dem [X.] [X.] 55/11 geführte Ausgangsverfahren ist als ein Gerichtsverfahren iS des § 198 [X.] 6 [X.] [X.] zu betrachten. Es kann für die nach der Verbindung der drei Klageverfahren dort einfach beigeladene Klägerin nicht drei Entschädigungsansprüche, sondern nur einen einzigen - einheitlichen - Entschädigungsanspruch begründen (dazu unter 3.). [X.]arüber hinaus kann der [X.] mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des Entschädigungsgerichts nicht abschließend entscheiden, ob und - falls ja - in welchem Umfang das Ausgangsverfahren für die Klägerin unangemessen lange gedauert hat (dazu unter 4.). Ebenso wenig kann der [X.] beurteilen, ob der Klägerin aufgrund einer Überlänge des Ausgangsverfahrens ein zu entschädigender immaterieller Nachteil entstanden ist. [X.]ie Vermutung eines solchen Nachteils kann nicht bloß aufgrund der Stellung der Klägerin im Ausgangsverfahren als einfach Beigeladene als widerlegt betrachtet werden (dazu unter 5.). Aus den vorgenannten Gründen ist die Sache an das Entschädigungsgericht zurückzuverweisen (dazu unter 6.). Auf die von der Klägerin erhobenen Verfahrensrügen kommt es daher im Revisionsverfahren nicht mehr an (dazu unter 7.).

1. Einem Entschädigungsanspruch der Klägerin steht nicht schon entgegen, dass sie nicht unverzüglich iS des Art 23 Satz 2 [X.] beim Ausgangsgericht eine [X.] erhoben hat. Ein Fall des Art 23 Satz 2 [X.] ist hier nicht gegeben.

Art 23 Satz 2 [X.] sieht vor, dass in einem bei Inkrafttreten des [X.] bereits anhängigen und bereits verzögerten Verfahren eine [X.] unverzüglich nach Inkrafttreten des Gesetzes erhoben werden muss. [X.]ie Obliegenheit des Art 23 Satz 2 [X.] bezieht sich jedoch nur auf Verzögerungen, die im [X.]punkt des Inkrafttretens des Gesetzes bei dem mit der Sache befassten Ausgangsgericht bereits eingetreten sind ([X.]surteil vom 7.9.2017 - [X.] ÜG 3/16 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]0; BVerwG Urteil vom 29.2.2016 - 5 C 31/15 [X.] - juris Rd[X.]1, jeweils mwN). Hier war zwar das Ausgangsverfahren mit dem [X.] [X.] 55/11 bei Inkrafttreten des [X.] am 3.12.2011 schon anhängig. Allerdings war es zu diesem [X.]punkt mit einer Verfahrenslaufzeit von knapp acht Kalendermonaten offensichtlich noch nicht verzögert (zur Bestimmung der unangemessenen Verfahrensdauer dazu unter 4.), sodass es bei der allgemeinen Regelung des § 198 [X.] 3 [X.] verbleibt. Unabhängig davon kann die aus Art 23 Satz 2 [X.] folgende unverzügliche [X.]obliegenheit ohnehin nur für solche Beteiligten (§ 69 [X.]G) gelten, die bei Eintritt der rügepflichtigen Situation iS dieser Bestimmung bereits am Ausgangsverfahren beteiligt waren. Zu diesem [X.]punkt war die Klägerin aber noch nicht beigeladen.

2. [X.]ass die Klägerin erst nach dem Versterben des [X.] des Ausgangsverfahrens und der Ankündigung der Klagerücknahme durch dessen Prozessbevollmächtigten die [X.] gemäß § 198 [X.] 3 Satz 1 [X.] (zur Rechtsnatur der [X.] dazu sogleich unter a) erhoben hat, steht einem Entschädigungsanspruch ebenfalls nicht entgegen. [X.]er [X.] hält an seiner Rechtsprechung fest, dass es keine rechtliche Grundlage für die Annahme eines Endtermins im laufenden Ausgangsverfahren gibt, zu dem eine [X.] im Anwendungsbereich des § 198 [X.] 3 [X.] spätestens einzulegen ist (dazu unter b). Zwar kann ausnahmsweise im Einzelfall die Erhebung einer [X.] unwirksam sein, wenn sie sich nach den [X.] als rechtsmissbräuchlich darstellt (dazu unter c). Hier liegen jedoch keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte für einen solchen Ausnahmefall vor (dazu unter d).

a) Entschädigung erhält ein [X.] gemäß § 198 [X.] 3 Satz 1 [X.] nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die [X.]auer des Verfahrens gerügt hat. [X.]ie [X.] kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen [X.] abgeschlossen wird (§ 198 [X.] 3 Satz 2 [X.]).

[X.]ie [X.] stellt eine haftungsbegründende Obliegenheit des (späteren) [X.]s dar (Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum [X.] vom 17.11.2010, BT-[X.]rucks 17/3802 [X.] und [X.] f; [X.]surteil vom 27.3.2020 - [X.] ÜG 4/19 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]0 mwN). [X.]er Betroffene muss sie erheben, will er künftig eine Geldentschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer beanspruchen (vgl Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum [X.], BT-[X.]rucks 17/3802 [X.]). Bei der [X.] handelt es sich um eine "Prozesshandlung eigener Art" ([X.]surteil vom 27.3.2020 - [X.] ÜG 4/19 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]1). [X.]enn im Ausgangsverfahren soll sie dazu dienen, das Verfahren zu beschleunigen (BT-[X.]rucks 17/3802 [X.]). [X.]eshalb wird die [X.] in den Gesetzesmaterialien ausdrücklich auch als "Beschleunigungsrüge" bezeichnet (BT-[X.]rucks 17/3802 [X.]). Nach der gesetzlichen Konzeption soll sie dazu beitragen, dass es nicht zu einer (weiteren) entschädigungspflichtigen Verzögerung im Ausgangsverfahren kommt (vgl BT-[X.]rucks 17/3802 [X.] f).

b) Wie sich aus der bisherigen [X.]srechtsprechung zum [X.]punkt der Erhebung und der Rückwirkung einer [X.] ergibt, braucht die [X.] im Ausgangsverfahren lediglich nach dem in § 198 [X.] 3 Satz 2 Halbsatz 1 [X.] genannten [X.]punkt erhoben zu werden (Anlass zur Besorgnis der Verfahrensverzögerung; s hierzu [X.]surteil vom 27.3.2020 - [X.] ÜG 4/19 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]4; [X.] Urteil vom 26.11.2020 - [X.]/20 - juris Rd[X.]1, jeweils mwN). [X.]ie zuvor verstrichene [X.] im Ausgangsverfahren ist in die Prüfung einzubeziehen, ob ein Entschädigungsanspruch wegen überlanger Verfahrensdauer besteht ([X.]surteil vom 12.12.2019 - [X.] ÜG 3/19 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]9; [X.]surteil vom 7.9.2017 - [X.] ÜG 3/16 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]0). In Abgrenzung zu der Rechtsprechung des [X.], der den Entschädigungsanspruch wegen überlanger Verfahrensdauer aufgrund der Besonderheiten des finanzgerichtlichen Verfahrens durch eine verspätet erhobene [X.] im Regelfall auf einen [X.]raum von sechs Monaten vor Erhebung der [X.] begrenzt ([X.] Urteil vom 29.11.2017 - [X.] - juris Rd[X.]2 ff; [X.] Urteil vom 25.10.2016 - [X.]/15 - juris Rd[X.]9; [X.] Urteil vom 6.4.2016 - X K 1/15 - juris Rd[X.]4 ff), hat der [X.] ausgeführt, dass es in Bezug auf das sozialgerichtliche Verfahren keine rechtliche Grundlage für die Annahme eines Endtermins gibt, zu dem eine [X.] im laufenden Ausgangsverfahren spätestens einzulegen ist mit der Folge der Präklusion eines vorherigen [X.] ([X.]surteil vom 12.12.2019 - [X.] ÜG 3/19 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]9; [X.]surteil vom 7.9.2017 - [X.] ÜG 3/16 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]1 f). An dieser Rechtsprechung zur Rückwirkung einer [X.] auf das gesamte überlange Ausgangsverfahren hält der [X.] fest. Allerdings kann eine [X.] nur so lange erhoben werden, wie das Verfahren bei dem Gericht anhängig ist, dessen Verfahrensdauer vom [X.]führer als unangemessen angesehen wird ([X.]surteil vom 27.3.2020 - [X.] ÜG 4/19 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]8).

c) Eine im Ausgangsverfahren zu einem späten [X.]punkt erhobene [X.] kann jedoch ausnahmsweise im Einzelfall unwirksam sein, wenn sie sich nach Würdigung aller Gesamtumstände als rechtsmissbräuchlich erweist.

[X.]ie Rechtsfigur des Rechtsmissbrauchs ist eine Ausprägung des in § 242 BGB für das Verhalten des Schuldners im Rahmen zivilrechtlicher Schuldverhältnisse geregelten Grundsatzes von Treu und Glauben. [X.]ieser enthält einen allgemeinen, die gesamte Rechtsordnung beherrschenden Rechtsgedanken mit umfassendem Anwendungsbereich für alle Rechtsgebiete ([X.]surteil vom [X.] - [X.] EG 3/08 R - B[X.]E 103, 284 = [X.] 4-7837 § 2 [X.], Rd[X.]5 mwN). Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn der Berechtigte kein schutzwürdiges Eigeninteresse verfolgt oder überwiegende schutzwürdige Interessen der Gegenpartei entgegenstehen und die Rechtsausübung im Einzelfall zu einem grob unbilligen und mit der Gerechtigkeit nicht mehr zu vereinbarenden Ergebnis führen würde ([X.]surteil vom [X.], aaO, Rd[X.]6 mwN).

Nach diesen Maßstäben ist eine [X.] rechtsmissbräuchlich und damit unzulässig und unwirksam, wenn sie von einem Beteiligten im Ausgangsverfahren aus sach- oder verfahrensfremden Zwecken erhoben wird. Rechtsmissbrauch in diesem Sinne wird in der Rechtsprechung insbesondere angenommen, wenn die [X.] so spät erhoben wird, dass eine verfahrensbeschleunigende Reaktion des [X.]s gar nicht mehr möglich ist (vgl [X.] Urteil vom 26.11.2020 - [X.]/20 - juris Rd[X.]9; L[X.] Berlin-Brandenburg Urteil vom [X.] SF 133/20 EK AS WA ua - juris Rd[X.]4, 28). Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten soll aber auch dann vorliegen, wenn nach Würdigung der Gesamtumstände ein Beteiligter die [X.] zu einem sehr späten [X.]punkt nur noch deshalb einlegt, um künftig entschädigt zu werden (vgl [X.] Urteil vom 26.11.2020, aaO; Hessisches L[X.] Urteil vom 8.7.2020 - L 6 SF 7/19 EK AS - juris Rd[X.]7).

[X.]ie Annahme eines Rechtsmissbrauchs der [X.] ist vor dem Hintergrund des Gesetzeswortlauts (dazu unter aa), der Gesetzeshistorie (dazu unter [X.]), der Gesetzessystematik (dazu unter [X.]) sowie des Zwecks der [X.] (dazu unter [X.]) eng zu fassen.

aa) [X.]er Wortlaut des § 198 [X.] deutet nicht darauf hin, dass eine im Ausgangsverfahren ab einem bestimmten - späten oder sehr späten - [X.]punkt erhobene [X.] unwirksam sein soll. [X.]ie Norm regelt lediglich den frühesten, nicht jedoch den spätesten [X.]punkt für die [X.]. Weder der Anspruchstatbestand des § 198 [X.] 1 Satz 1 [X.] noch die [X.]obliegenheit in § 198 [X.] 3 [X.] nennen einen Endzeitpunkt als Voraussetzung für die Gewährung und Bemessung einer Entschädigung. Nach dem Gesetzeswortlaut ist es insoweit unerheblich, wann die [X.] vor dem Ausgangsgericht erhoben worden ist; einer nach dem in § 198 [X.] 3 Satz 2 Halbsatz 1 [X.] bestimmten [X.]punkt (Anlass zur Besorgnis der Verfahrensverzögerung) eingelegten [X.] kommt grundsätzlich keine anspruchsbegrenzende oder -ausschließende Wirkung zu (vgl [X.]surteil vom 7.9.2017 - [X.] ÜG 3/16 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]1 f; [X.] Urteil vom 26.11.2020 - [X.]/20 - juris Rd[X.]4, jeweils mwN).

[X.]) Bei der historischen Auslegung ist zu berücksichtigen, dass der [X.]-Gesetzgeber nicht der Auffassung des Referentenentwurfs des [X.] zum [X.] vom [X.] und seiner Begründung (abgedruckt in [X.]/[X.], Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, Anhang 5, [X.] ff) gefolgt ist. [X.]er Referentenentwurf hatte in § 198 [X.] 3 Satz 1 [X.] noch formuliert, ein [X.] erhalte nur Entschädigung, "soweit" er die [X.]auer des Gerichtsverfahrens gerügt hat (aaO, [X.]). Zur Begründung wurde ausgeführt, ein Entschädigungsanspruch sei für einen vor Erhebung der [X.] liegenden [X.]raum ausgeschlossen, wenn diese erst nach dem in § 198 [X.] 3 Satz 2 [X.] bestimmten [X.]raum erhoben werde (aaO, [X.]3). [X.]ie nicht zum frühestmöglichen [X.]punkt erhobene [X.] sollte also zu einem (teilweisen) [X.] führen (vgl hierzu auch [X.] Urteil vom 26.11.2020 - [X.]/20 - juris Rd[X.]6; BVerwG Urteil vom 29.2.2016 - 5 C 31/15 [X.] - juris Rd[X.]3).

Im weiteren Gesetzgebungsverfahren setzte sich jedoch die Ansicht durch, dass bei der Erhebung einer [X.] im Anwendungsbereich des § 198 [X.] 3 [X.] "Geduld" nicht "bestraft" werden sollte. [X.] wurde dies umgesetzt, indem in Satz 1 die Formulierung "soweit er … gerügt hat" durch die Wendung "wenn er … gerügt hat" ersetzt wurde. [X.]ementsprechend ist in den Gesetzesmaterialien ausgeführt, dass es grundsätzlich unschädlich sei, wenn die [X.] erst nach dem in § 198 [X.] 3 Satz 2 Halbsatz 1 [X.] genannten [X.]punkt eingelegt werde, weil die Geduld eines Verfahrensbeteiligten nicht bestraft werden solle (BT-[X.]rucks 17/3802 [X.] und [X.]). [X.]er Gesetzgeber hat in § 198 [X.] 3 Satz 1 [X.] - anders als bei der Übergangsregelung in Art 23 Satz 2 und 3 [X.] - bewusst auf eine Ausschluss- bzw Präklusionsbestimmung verzichtet, um keinen Anreiz für verfrühte, die Justiz unnötig belastende [X.]n zu schaffen (ebenso [X.] Urteil vom 26.11.2020 - [X.]/20 - juris Rd[X.]7 mwN).

[X.]) Systematisch ist die [X.] nach der Konzeption des [X.]-Gesetzgebers "kein eigenständiger präventiver Rechtsbehelf", sondern eine "Obliegenheit", die der Betroffene im Ausgangsverfahren erfüllen muss, wenn er künftig eine Geldentschädigung beanspruchen will (vgl BT-[X.]rucks 17/3802 [X.]; [X.]surteil vom 27.3.2020 - [X.] ÜG 4/19 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]0 f). [X.]er Gesetzgeber hat mit dem [X.] im Hinblick auf den [X.]punkt der Erhebung einer [X.] differenzierende Regelungen getroffen. Er unterscheidet zwischen Fallkonstellationen, in denen in der Anfangsphase des Gesetzes gar keine [X.] zu erheben war (Art 23 Satz 4 und 5 [X.]), und solchen, in denen unverzüglich eine [X.] erhoben werden musste (Art 23 Satz 2 und 3 [X.]). Außerdem soll eine zu früh im Ausgangsverfahren erhobene [X.] keine entschädigungsrechtlichen Folgewirkungen entfalten und "ins Leere" gehen (vgl § 198 [X.] 3 Satz 2 Halbsatz 1 [X.]; BT-[X.]rucks 17/3802 [X.]; [X.] Urteil vom 26.10.2016 - [X.] - juris Rd[X.]6). Eine Wiederholung der [X.] soll in der Regel frühestens nach sechs Monaten möglich sein (§ 198 [X.] 3 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]).

Trotz dieser ausdifferenzierten Systematik hat der Gesetzgeber andererseits aber keine Regelung zur Unwirksamkeit einer [X.] getroffen, die nach dem in § 198 [X.] 3 Satz 2 Halbsatz 1 [X.] genannten [X.]punkt erhoben wird. [X.]aher spricht auch die aufgezeigte Gesetzessystematik dafür, bei einer [X.], die nach diesem [X.]punkt eingelegt wird, nur in dem Ausnahmefall des Rechtsmissbrauchs von einer Unwirksamkeit auszugehen.

[X.]) [X.]asselbe folgt aus dem Zweck einer [X.]. Ihre Ausgestaltung in § 198 [X.] 3 Satz 1 [X.] als zwingende Voraussetzung für die Gewährung einer Geldentschädigung verfolgt eine doppelte Zielrichtung. Zum einen soll die [X.] dem [X.] die Möglichkeit zu einer beschleunigten Verfahrensförderung eröffnen und als Vorwarnung dienen. Zum anderen soll sie entschädigungsrechtlich ein "[X.]ulde und [X.]" ausschließen. Zusammengefasst dient die [X.]obliegenheit präventiv sowohl der Verfahrensbeschleunigung als auch der Missbrauchsabwehr (BT-[X.]rucks 17/3802 [X.] f und [X.]; s auch [X.] Urteil vom 26.11.2020 - [X.]/20 - juris Rd[X.]9). [X.]iese doppelte Zweckbestimmung ändert jedoch nichts daran, dass eine [X.], die nach dem in § 198 [X.] 3 Satz 2 Halbsatz 1 [X.] genannten [X.]punkt eingelegt wird, "grundsätzlich" wirksam sein soll, weil - wie oben dargelegt - die Geduld eines Beteiligten im Ausgangsverfahren gerade nicht "bestraft" und keine Anreize für verfrühte [X.]n geschaffen werden sollen (BT-[X.]rucks 17/3802 [X.] und [X.]; [X.] Urteil vom 26.11.2020 - [X.]/20 - juris Rd[X.]0).

Auch wenn das Gesetz für das Erheben einer [X.] keinen Endtermin bestimmt und einer zu einem späten [X.]punkt im Ausgangsverfahren eingelegten [X.] grundsätzlich keine anspruchsbegrenzende oder -ausschließende Wirkung beigemessen hat, geht der Gesetzgeber davon aus, dass mit der [X.]erhebung nicht beliebig lange folgenlos zugewartet werden darf (ebenso [X.] Urteil vom 26.11.2020 - [X.]/20 - juris Rd[X.]9). Allerdings soll nach seinen Vorstellungen selbst ein Verhalten im Ausgangsverfahren, das bei Würdigung der Gesamtumstände "eher ein (unzulässiges) [X.]ulde und [X.]" darstellt, nicht zwingend schon zu einer Unwirksamkeit der [X.] wegen Rechtsmissbrauchs führen. Vielmehr kann nach den Gesetzesmaterialien ein solches Verhalten vom Entschädigungsgericht (auch) in verschiedenen Stadien der Prüfung von Tatbestand und Rechtsfolgen des [X.] berücksichtigt werden, etwa bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer gemäß § 198 [X.] 1 [X.], bei der Frage, ob Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 [X.] 4 [X.] ausreicht oder bei der Prüfung nach § 198 [X.] 2 Satz 4 [X.], ob eine Reduzierung der Entschädigung geboten ist, weil der volle Pauschbetrag nach den Umständen des Einzelfalls unbillig ist (BT-[X.]rucks 17/3802 [X.] und [X.]).

d) Auf Grundlage der den [X.] bindenden tatsächlichen Feststellungen des Entschädigungsgerichts (vgl § 163 [X.]G) liegen keine Anhaltspunkte für ein rechtsmissbräuchliches [X.]verhalten der Klägerin vor. [X.]ie Erhebung der [X.] erfolgte 4,5 Monate nach der anwaltlichen Ankündigung einer eventuellen Klagerücknahme im Ausgangsverfahren. Zu diesem [X.]punkt war für die Klägerin weder erkennbar, wann das Ausgangsverfahren tatsächlich enden würde, noch war für sie irgendeine gerichtliche Aktivität ersichtlich. [X.]as [X.] musste trotz des Versterbens des [X.] das Ausgangsverfahren aufgrund seiner anwaltlichen Vertretung gemäß § 202 Satz 1 [X.]G iVm § 246 [X.] 1 Halbsatz 1 ZPO fortführen. Zudem dauerte das Ausgangsverfahren bei Erhebung der [X.] der Klägerin bereits über fünf Jahre und seit ihrer Beiladung schon fast zwei Jahre. Bei der hier gebotenen ex-ante-Betrachtung im [X.]punkt der [X.] (vgl dazu [X.]surteil vom 7.9.2017 - [X.] ÜG 3/16 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]5) ist es deshalb unerheblich, dass die angekündigte Klagerücknahme knapp zwei Wochen nach der [X.] auch tatsächlich erfolgte. [X.]as L[X.] hat nicht festgestellt, dass die Klägerin die [X.] in diesem weit fortgeschrittenen Stadium des Ausgangsverfahrens nur deshalb noch erhoben hat, um eine Geldentschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer zu erlangen. Ebenso gut kann es ihr angesichts der bereits verstrichenen Verfahrenslaufzeit darum gegangen sein, das [X.] dazu anzuhalten, seine Prozessförderungspflicht zu erfüllen und das Ausgangsverfahren in geeigneter Weise zu fördern.

3. [X.]as zuletzt nach seiner Verbindung mit den anderen beiden Klageverfahren unter dem [X.] [X.] 55/11 geführte Ausgangsverfahren ist entschädigungsrechtlich nur ein Gerichtsverfahren iS des § 198 [X.] 6 [X.] [X.]. In einem Gerichtsverfahren iS dieser Bestimmung entsteht auch im Fall der objektiven Klagehäufung nur ein Entschädigungsanspruch (dazu unter a). Gleiches gilt bei einer Verbindung mehrerer Klageverfahren gemäß § 113 [X.] 1 [X.]G, wenn der [X.] erst nach der Verbindung an den verbundenen Gerichtsverfahren beteiligt war. Auch in einer solchen Konstellation entsteht bei überlanger Verfahrensdauer nur ein einziger - einheitlicher - Entschädigungsanspruch (dazu unter b).

a) Ein Gerichtsverfahren iS von § 198 [X.] 1 Satz 1 [X.] ist nach der in [X.] 6 [X.] enthaltenen Legaldefinition jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen [X.]chluss. [X.]ie [X.]srechtsprechung geht insoweit von einem weiten Anwendungsbereich der Regelung aus ([X.]surteil vom 12.12.2019 - [X.] ÜG 3/19 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]4; [X.]surteil vom 7.9.2017 - [X.] ÜG 3/16 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]0; [X.]surteil vom 10.7.2014 - [X.] ÜG 8/13 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]). In einem solchen Gerichtsverfahren entsteht bei Überlänge auch im Fall der objektiven Klagehäufung (Geltendmachung mehrerer Streitgegenstände in einer Klage) nur ein Entschädigungsanspruch. Eine Vervielfältigung des [X.] bei mehreren vom späteren [X.] im Ausgangsverfahren geltend gemachten Streitgegenständen findet nicht statt (vgl [X.] Urteil vom 27.6.2018 - [X.]-6/17 ua - juris Rd[X.]01).

Zwar steht in Abgrenzung dazu im Fall der subjektiven Klagehäufung (Klageerhebung durch mehrere Personen) jeder am Gerichtsverfahren beteiligten Person ein Entschädigungsanspruch zu. [X.]ies beruht darauf, dass der Entschädigungsanspruch als ein "[X.]" konzipiert ist und es sich insoweit um einen "personenbezogenen Anspruch" handelt ([X.]surteil vom 5.5.2015 - [X.] ÜG 5/14 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.]2 Rd[X.]1; [X.] Urteil vom 2.12.2015 - [X.] - juris Rd[X.]8; BVerwG Urteil vom [X.] - 5 C 1/13 [X.] - juris Rd[X.]7). [X.]iese Gründe treffen aber auf die objektive Klagehäufung gerade nicht zu ([X.] Urteil vom 27.6.2018 - [X.]-6/17 ua - juris Rd[X.]01; [X.] Urteil vom 12.7.2017 - [X.]-7/16 - juris Rd[X.]7). Bei dem Begriff des "Gerichtsverfahrens" iS des § 198 [X.] 6 [X.] [X.] geht das [X.] von einem an der Hauptsache orientierten Verfahrensbegriff aus ([X.]surteil vom 10.7.2014 - [X.] ÜG 8/13 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]5). [X.]ie Hauptsache kann dabei aus einem oder mehreren Streitgegenständen bestehen. Bei der Rechtsverfolgung verschiedener prozessualer Ansprüche ist für die Annahme eines Gerichtsverfahrens im entschädigungsrechtlichen Sinn entscheidend, dass die Streitgegenstände in einem Ausgangsverfahren verbunden sind und verbunden bleiben (BVerwG Urteil vom 14.11.2016 - 5 C 10/15 [X.] - juris Rd[X.]7).

b) Hiervon ausgehend gilt nichts anderes, wenn - wie hier - das Ausgangsgericht gemäß § 113 [X.] 1 [X.]G durch Beschluss mehrere bei ihm anhängige Rechtsstreitigkeiten zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbindet und ein im Ausgangsverfahren einfach beigeladener [X.] erst nach der Verbindung an dem Verfahren beteiligt wird. Auch dann entsteht bei Überlänge des Ausgangsverfahrens nur ein Entschädigungsanspruch.

Zwar bleibt trotz der Verbindung jedes der verbundenen Klageverfahren prozessrechtlich selbstständig; daher sind die Prozessvoraussetzungen für jedes Verfahren weiterhin gesondert zu prüfen (B[X.] Beschluss vom 29.7.1991 - 7 [X.]/89 - juris Rd[X.] mwN). [X.]arauf weist die Klägerin zutreffend hin. Trotzdem war sie nur Beteiligte des Klageverfahrens mit dem [X.] [X.] 55/11 und vor der Verbindung an den beiden anderen Klageverfahren ([X.] [X.] 57/11 und [X.] [X.] 59/11) nicht beteiligt. [X.]enn [X.] iS dieser Vorschrift ist nur, wer - wie auch der einfach Beigeladene (zu seinen Rechten s § 75 [X.] 4 [X.]G) - kraft eigenen Rechts gestaltend auf den Verfahrensgegenstand einwirken und deshalb auch von Verzögerungen beeinträchtigt werden kann (vgl BT-[X.]rucks 17/3802 [X.]; [X.] in [X.]/Voelzke, jurisPK-[X.]G, 1. Aufl 2017, § 198 [X.] Rd[X.], Stand der Einzelkommentierung: 10.12.2020). [X.]ies konnte die Klägerin jedoch erst mit ihrer Beiladung zum Klageverfahren mit dem [X.] [X.] 55/11.

Für diese Auslegung spricht zudem, dass ein Beigeladener die Rechtsstellung eines "Beteiligten am Verfahren" iS von § 69 [X.] [X.]G erst mit der Zustellung des [X.] nach § 75 [X.] 3 Satz 1 [X.]G erhält. Selbst derjenige, der nicht beigeladen worden ist, aber beizuladen gewesen wäre, ist nicht [X.] (B[X.] Beschluss vom [X.] - B 12 KR 36/01 B - juris RdNr 8; B[X.] Beschluss vom 14.12.1978 - 2 [X.] 183/78 - juris Rd[X.]; BVerwG Beschluss vom 12.12.1990 - 4 NB 14/88 - juris Rd[X.]; [X.] Beschluss vom 22.11.1995 - [X.]/93 - juris Rd[X.]).

4. Ob und - falls ja - in welchem Umfang das Ausgangsverfahren für die Klägerin unangemessen lange gedauert hat, kann der [X.] nicht abschließend entscheiden. [X.]ie Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich gemäß § 198 [X.] 1 Satz 2 [X.] nach den Umständen des Einzelfalls und ist nach der ständigen Rechtsprechung des [X.]s in drei Schritten zu prüfen (dazu unter a). Bei der Bestimmung der Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens ist für die Klägerin der [X.]raum von der Zustellung des [X.] bis zur Klagerücknahme des [X.] des Ausgangsverfahrens maßgeblich, also der [X.]raum der Verfahrensbeteiligung als einfach Beigeladene des Ausgangsverfahrens (dazu unter b). Mangels ausreichender Feststellungen des Entschädigungsgerichts kann der [X.] aber nicht beurteilen, ob und - falls ja - in welchem Umfang die hiernach maßgebliche Verfahrensdauer unangemessen lang war (dazu unter c).

a) [X.]ie Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich gemäß § 198 [X.] 1 Satz 2 [X.] nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und [X.]ritter (vgl dazu [X.]surteil vom 12.12.2019 - [X.] ÜG 3/19 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]1 ff). Erforderlich ist eine konkrete Festlegung des Entschädigungsgerichts hinsichtlich der Angemessenheit oder der Unangemessenheit der Verfahrensdauer, weil die Höhe der Entschädigung von der [X.]auer der Überlänge abhängt (vgl § 198 [X.] 2 Satz 3 [X.]; [X.]surteil vom [X.] - [X.] ÜG 2/14 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]9).

[X.]ie Angemessenheit der Verfahrensdauer ist in drei Schritten zu prüfen (stRspr; zB [X.]surteil vom 12.12.2019 - [X.] ÜG 3/19 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]1 ff mwN). Ausgangspunkt und erster Schritt der Angemessenheitsprüfung bildet die in § 198 [X.] 6 [X.] [X.] definierte Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens. In einem zweiten Schritt ist der Ablauf des Verfahrens insbesondere an den von § 198 [X.] 1 Satz 2 [X.] genannten Kriterien zu messen, bei denen es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe handelt. Soweit das Entschädigungsgericht Tatsachen feststellt, um diese Begriffe auszufüllen, hat es einen erheblichen tatrichterlichen Beurteilungsspielraum. Auf dieser Grundlage ergibt erst die wertende Gesamtbetrachtung und Abwägung aller Einzelfallumstände in einem dritten Schritt, ob die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten und deshalb das Recht auf Rechtsschutz in angemessener [X.] verletzt hat. [X.]abei ist davon auszugehen, dass vorbehaltlich besonderer Gesichtspunkte des Einzelfalls die Verfahrensdauer jeweils insgesamt noch als angemessen anzusehen ist, wenn eine [X.], die zwölf Kalendermonate je Instanz übersteigt, auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung des Gerichts beruht (stRspr; zB [X.]surteil vom 12.12.2019 - [X.] ÜG 3/19 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]1, 33, 39; [X.]surteil vom [X.] - [X.] ÜG 2/13 R - B[X.]E 117, 21 = [X.] 4-1720 § 198 [X.], Rd[X.]3 ff, 45 ff).

b) Bei der Berechnung der Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens (Schritt 1) ist für die Klägerin ausnahmsweise nicht die Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von der Einleitung durch Erhebung der Klage im Ausgangsverfahren am 6.4.2011 bis zum rechtskräftigen [X.]chluss zu berücksichtigen. Vielmehr ist nur der [X.]raum von der Zustellung des [X.] an die Klägerin bis zur Klagerücknahme des [X.] des Ausgangsverfahrens maßgeblich, also der [X.]raum, in dem die Klägerin am Ausgangsverfahren als einfach Beigeladene Verfahrensbeteiligte (§ 69 [X.] [X.]G) war (so auch Schleswig-Holsteinisches L[X.] Urteil vom 16.8.2013 - L 12 SF 4/12 EK - juris Rd[X.]6). [X.]afür spricht, dass ein Beigeladener - wie oben unter 3.b) bereits ausgeführt - die Rechtsstellung eines Beteiligten am Verfahren erst mit Zustellung des [X.] erhält. [X.]ie verfahrensrechtliche Systematik der §§ 198 ff [X.] legt es dementsprechend nahe, der [X.]auer des individuellen Prozessrechtsverhältnisses des [X.]s limitierende Bedeutung bei der Feststellung der [X.] beizumessen. [X.]ie Einteilung des Ausgangsverfahrens in verschiedene abtrennbare [X.] kann zur Ermittlung der [X.] im Übrigen auch sonst geboten sein (vgl hierzu [X.]surteil vom [X.] - [X.] ÜG 2/13 R - B[X.]E 117, 21 = [X.] 4-1720 § 198 [X.], Rd[X.]3; [X.]surteil vom [X.] - [X.] ÜG 2/14 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]4, jeweils mwN). [X.]er [X.] kann offenlassen, ob entschädigungsrechtlich für die Berechnung der Gesamtdauer des Ausgangsverfahrens im Fall eines zu diesem Verfahren einfach oder notwendig beigeladenen (späteren) [X.]s ausnahmsweise etwas anderes gelten kann, wenn die Beiladung erst spät im Ausgangsverfahren erfolgt, obwohl der Beigeladene seine Beiladung bereits zu einem früheren [X.]punkt selbst beantragt oder sonst aktiv betrieben hatte. Solche Fallkonstellationen liegen hier nicht vor.

Ausgehend von einer - bisher weder festgestellten noch aktenkundigen - Zustellung des [X.] an die Klägerin im November 2014 beliefe sich die für sie maßgebliche [X.] des Ausgangsverfahrens auf 20 Kalendermonate. [X.]enn das Ausgangsverfahren endete durch Klagerücknahme im August 2016 (vgl § 102 [X.] 1 Satz 2 [X.]G).

c) [X.]as Entschädigungsgericht hat jedoch keine ausreichenden Feststellungen getroffen zu den in § 198 [X.] 1 Satz 2 [X.] genannten Kriterien, insbesondere zu der Schwierigkeit des Verfahrens und zu dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten sowie darüber hinaus zu der Verfahrensführung des Ausgangsgerichts (vgl hierzu [X.]surteil 12.2.2015 - [X.] ÜG 7/14 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.]0 Rd[X.]5, 34 f; [X.]surteil vom [X.] - [X.] ÜG 9/13 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]6 ff). [X.]aher fehlt es an einer ausreichenden Grundlage, um den Ablauf des Verfahrens an den von § 198 [X.] 1 Satz 2 [X.] genannten Kriterien zu messen (Schritt 2). Ebenso fehlt es an einer vom Entschädigungsgericht vorgenommenen wertenden Gesamtbetrachtung und Abwägung aller Einzelfallumstände, ob die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten und deshalb das Recht der Klägerin auf Rechtsschutz in angemessener [X.] verletzt hat (Schritt 3). Vielmehr hat es ausdrücklich von einer diesbezüglichen Prüfung abgesehen, weil es die [X.] allein wegen eines fehlenden Nachteils iS von § 198 [X.] 1 Satz 1 und [X.] 2 Satz 1 [X.] abgewiesen hat (dazu sogleich unter 5.). [X.]emzufolge kann der [X.] nicht beurteilen, ob die Verfahrensdauer für die Klägerin als unangemessen lang zu betrachten ist (zum diesbezüglichen Prüfungsmaßstab des B[X.] als Revisionsgericht s [X.]surteil vom 12.2.2015 - [X.] ÜG 11/13 R - B[X.]E 118, 102 = [X.] 4-1720 § 198 [X.], Rd[X.]5; [X.]surteil vom [X.] - [X.] ÜG 2/13 R - B[X.]E 117, 21 = [X.] 4 - 1720 § 198 [X.], Rd[X.]2).

5. [X.]er [X.] kann nicht abschließend darüber entscheiden, ob ein Entschädigungsanspruch der Klägerin daran scheitert, weil es - wie vom Entschädigungsgericht angenommen - an einem Nachteil der Klägerin gemäß § 198 [X.] 1 Satz 1 oder [X.] 2 Satz 1 [X.] infolge der Verfahrensdauer fehlt (zu den gesetzlichen Voraussetzungen unter a). [X.]enn das Entschädigungsgericht hat den von der Klägerin (ausschließlich) geltend gemachten Nichtvermögensschaden auf der Basis eines unzutreffenden [X.] verneint. [X.]aher mangelt es auch insoweit an ausreichenden tatsächlichen Feststellungen des Entschädigungsgerichts (dazu unter b).

a) § 198 [X.] 1 [X.] sieht einen Entschädigungsanspruch für (materielle und immaterielle) Vermögensnachteile vor. Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird nach § 198 [X.] 2 Satz 1 [X.] vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. [X.]ie Entschädigung für [X.] beträgt 1200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung (§ 198 [X.] 2 Satz 3 [X.]). Im Regelfall findet jedoch eine monatsbezogene Berechnung der Entschädigung (= 100 Euro für jeden Verzögerungsmonat) statt. [X.]as Entschädigungsgericht kann einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen, wenn der gesetzlich vorgesehene Betrag nach den Umständen des Einzelfalls unbillig ist (§ 198 [X.] 2 Satz 4 [X.]). Eine Entschädigung für [X.] kann jedoch nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 [X.] 4 [X.] ausreichend ist (§ 198 [X.] 2 Satz 2 [X.]).

b) [X.]as Entschädigungsgericht ist auf der Grundlage seiner Feststellungen zu Unrecht davon ausgegangen, dass im Fall der Klägerin die gesetzliche Vermutung eines auf der Verfahrensdauer beruhenden Nichtvermögensnachteils gemäß § 198 [X.] 2 Satz 1 [X.] widerlegt sei. Schon der vom Entschädigungsgericht zugrunde gelegte Prüfungsmaßstab steht nicht mit § 198 [X.] 2 Satz 1 [X.] in Einklang (dazu unter aa). Überdies reichen aber auch hier die tatsächlichen Feststellungen des Entschädigungsgerichts für eine abschließende Prüfung des [X.]s nicht aus (dazu unter [X.]).

aa) Bei der in § 198 [X.] 2 Satz 1 [X.] normierten gesetzlichen Vermutungsregelung handelt es sich um eine widerlegliche gesetzliche Tatsachenvermutung iS des § 292 Satz 1 ZPO (BVerwG Urteil vom 5.6.2020 - 5 C 3/19 [X.] - juris Rd[X.]2; [X.] Urteil vom 12.2.2015 - [X.]/14 - juris Rd[X.]0). Sie soll dem Betroffenen die Geltendmachung eines immateriellen Nachteils erleichtern, weil in diesem Bereich ein Beweis oft nur schwierig oder gar nicht zu führen ist (BT-[X.]rucks 17/3802 [X.]). [X.]iese Vermutungsregel, die sich sowohl auf das Vorliegen eines Nichtvermögensnachteils als auch auf die haftungsausfüllende Kausalität erstreckt, entspricht der Rechtsprechung des [X.] ([X.]), der eine starke, aber widerlegbare Vermutung dafür annimmt, dass die überlange Verfahrensdauer einen Nichtvermögensschaden verursacht ([X.] Urteil vom 29.3.2006 - 36813/97 - NJW 2007, 1259, Rd[X.]04; vgl auch [X.]surteil vom 12.12.2019 - [X.] ÜG 3/19 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]0).

Bei einer gesetzlichen Vermutung des Vorliegens einer Tatsache ist nach der im sozialgerichtlichen Verfahren gemäß § 202 Satz 1 [X.]G entsprechend anzuwendenden Regel des § 292 Satz 1 ZPO in Ermangelung einer anderweitigen gesetzlichen Anordnung der Beweis des Gegenteils zulässig, dh der Beweis, dass die vom Gesetz vermutete Tatsache in Wirklichkeit nicht gegeben ist. Um die Vermutung im Sinne einer Widerlegung zu entkräften, genügt es aber nicht, sie lediglich zu erschüttern; es muss vielmehr der volle Beweis des Nichtbestehens der vermuteten Tatsache erbracht werden (BVerwG Urteil vom 5.6.2020 - 5 C 3/19 [X.] - juris Rd[X.]2 mwN).

[X.]anach ist im Fall des § 198 [X.] 2 Satz 1 [X.] die Vermutung eines auf der Verfahrensdauer beruhenden immateriellen Nachteils nur dann widerlegt, wenn das Entschädigungsgericht - unter Berücksichtigung der vom Kläger gegebenenfalls geltend gemachten Beeinträchtigungen - nach einer Gesamtbewertung der Folgen, die die Verfahrensdauer für ihn mit sich gebracht hat, die Überzeugung gewinnt, dass die (unangemessene) Verfahrensdauer nicht zu einem Nachteil beim Kläger geführt hat (BVerwG Urteil vom 5.6.2020 - 5 C 3/19 [X.] - juris Rd[X.]3; [X.] Urteil vom 13.4.2017 - [X.] - juris Rd[X.]1; [X.] Urteil vom 12.2.2015 - [X.]/14 - juris Rd[X.]1). [X.]ies kann der Fall sein, wenn eine Gesamtbewertung den Schluss rechtfertigt, dass die unangemessene Verfahrensdauer entweder als solche nicht nachteilig (oder sogar vorteilhaft) gewesen ist oder es an einem Kausalzusammenhang zwischen Verfahrensdauer und Nachteil fehlt (vgl BVerwG Urteil vom 5.6.2020 - 5 C 3/19 [X.] - juris Rd[X.]3; [X.] Urteil vom 20.11.2013 - [X.] - juris Rd[X.]6).

Von diesem Prüfungsmaßstab ist das Entschädigungsgericht zu Unrecht abgewichen: Es ist davon ausgegangen, der Justizgewährleistungsanspruch erfasse einfach Beigeladene nicht, weshalb diese regelmäßig keine Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer geltend machen könnten, wenn sie nicht im Einzelfall tatsächlich nachweisbar einen Nachteil erlitten haben. [X.]ieser Rechtsauffassung vermag der [X.] nicht zu folgen. [X.]er in § 198 [X.] normierte Entschädigungsanspruch ist - wie oben bereits unter 3.a) ausgeführt - als ein "[X.]" konzipiert. [X.]er Gesetzeswortlaut differenziert nicht zwischen den Verfahrensbeteiligten (vgl [X.]surteil vom 5.5.2015 - [X.] ÜG 5/14 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.]2 Rd[X.]1; [X.]surteil vom 12.2.2015 - [X.] ÜG 1/13 R - B[X.]E 118, 91 = [X.] 4-1720 § 198 [X.], Rd[X.]4 ff, wonach die Eigenschaft eines [X.]s als juristische Person die Vermutungswirkung des § 198 [X.] 2 Satz 1 [X.] nicht entkräftet, weil der Gesetzeswortlaut nicht zwischen natürlichen und juristischen Personen differenziert). [X.]as Gesetz enthält damit keine Grundlage, die Anspruchsvoraussetzungen eines [X.] bei Überlänge für im Ausgangsverfahren einfach beigeladene Beteiligte zu verschärfen. Insgesamt erschließt sich nicht, warum der Justizgewährleistungsanspruch für einfach Beigeladene nicht ebenso gelten sollte, wie für alle anderen am Verfahren Beteiligten. [X.]enn das [X.] soll den Justizgewährleistungsanspruch verwirklichen, absichern und weiter ausgestalten (vgl BT-[X.]rucks 17/3802 [X.]; [X.]surteil vom 5.5.2015 - [X.] ÜG 8/14 R - [X.] 4-1710 Art 23 [X.] Rd[X.]5; [X.]surteil vom 12.2.2015 - [X.] ÜG 1/13 R - B[X.]E 118, 91 = [X.] 4-1720 § 198 [X.], Rd[X.]6; [X.]surteil vom [X.] - [X.] ÜG 12/13 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]8 und 44).

[X.]) Auch im Übrigen können die Ausführungen des Entschädigungsgerichts nicht überzeugen oder dazu führen, dass auf der Basis seiner Feststellungen bereits der volle Beweis des Nichtbestehens der vermuteten Tatsache erbracht ist. Es fehlt neben der Feststellung, ob und - falls ja - in welchem Umfang überhaupt für die Klägerin eine unangemessene Verfahrensdauer vorliegt (s dazu oben unter 4.), im Weiteren auch an der erforderlichen Gesamtbewertung der Folgen, die die Verfahrensdauer für sie mit sich gebracht hat, um die Vermutung eines immateriellen Nachteils widerlegen zu können. [X.]aher kann der [X.] auch insoweit nicht abschließend darüber befinden, ob die gesetzliche Vermutung eines auf der Verfahrensdauer beruhenden Nichtvermögensnachteils der Klägerin widerlegt ist.

6. Im Ergebnis ermöglichen die Feststellungen des Entschädigungsgerichts dem [X.] somit keine abschließende Entscheidung, ob und - falls ja - in welchem Umfang der von der Klägerin geltend gemachte Entschädigungsanspruch besteht. [X.]iese wird das Entschädigungsgericht unter Berücksichtigung der aufgezeigten Prüfungskriterien nunmehr nachzuholen haben. [X.]er Rechtsstreit ist deshalb an dieses Gericht zurückzuverweisen (§ 170 [X.] 2 Satz 2 [X.]G).

[X.]as Entschädigungsgericht wird im [X.] [X.]verfahren bei der Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer für die Klägerin insbesondere zu berücksichtigen haben, dass die Gerichte bei ihrer Verfahrensleitung stets die Gesamtdauer des Verfahrens im Blick behalten müssen. Mit zunehmender [X.]auer des Verfahrens verdichtet sich die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens und dessen Beendigung zu bemühen ([X.]surteil vom [X.] - [X.] ÜG 2/13 R - B[X.]E 117, 21 = [X.] 4-1720 § 198 [X.], Rd[X.]7; BVerwG Urteil vom 11.7.2013 - 5 C 23/12 [X.] - juris Rd[X.]9). Vor diesem Hintergrund wird das Entschädigungsgericht auch zu erwägen haben, welche [X.]spanne ab dem [X.]punkt der Beiladung der Klägerin im Ausgangsverfahren nach den besonderen Umständen des Einzelfalls noch als angemessen betrachtet werden kann.

Sollte das Entschädigungsgericht zu dem Ergebnis kommen, dass die Verfahrensdauer für die Klägerin unangemessen lang gewesen ist, wird es auf Grundlage der von ihm festgestellten Tatsachen nach Maßgabe des diesbezüglich aufgezeigten [X.] weiter darüber zu befinden haben, ob Anhaltspunkte vorliegen, die geeignet sind, die gesetzliche Vermutung eines auf der überlangen Verfahrensdauer kausal beruhenden Nichtvermögensnachteils der Klägerin zu widerlegen.

Schließlich wird das Entschädigungsgericht möglicherweise auch in Betracht zu ziehen haben, ob bei der hier vorliegenden Fallkonstellation einer einfachen Beiladung der Klägerin im Ausgangsverfahren eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 [X.] 2 Satz 2 und § 198 [X.] 4 Satz 1 [X.] durch die bloße Feststellung, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, anstelle der Geldentschädigung ausreichend ist. [X.]ies beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls (vgl dazu [X.]surteil vom 12.12.2019 - [X.] ÜG 3/19 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]0 mwN). An dieser Stelle könnte in den Abwägungsprozess des Entschädigungsgerichts auch einfließen, dass die Klägerin die [X.] zu einem sehr späten [X.]punkt im Ausgangsverfahren und auch erst nach dem Versterben des dortigen [X.] sowie der Ankündigung einer etwaigen Klagerücknahme durch dessen Prozessbevollmächtigten erhoben hat, dass sie nicht selbst die Beiladung zum Ausgangsverfahren beantragt oder sonst aktiv betrieben hat und dass der vom Kläger des Ausgangsverfahrens geltend gemachte Fahrtkosten-Betrag im Ausgangsverfahren nur einen Bruchteil der von der Klägerin nunmehr beanspruchten Entschädigungssumme darstellt.

7. [X.]ie von der Klägerin im Revisionsverfahren erhobenen Verfahrensrügen sind nicht mehr entscheidungserheblich, weil das Urteil des Entschädigungsgerichts aus materiell-rechtlichen Gründen aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen ist. [X.]aher kommt es nicht darauf an, ob die von der Klägerin geltend gemachte Verletzung rechtlichen Gehörs (Art 103 [X.] 1 GG, § 62 [X.]G) durch das Entschädigungsgericht vorliegt und auch zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils führen würde (vgl B[X.] Urteil vom [X.] - B 2 U 32/99 R - juris Rd[X.]).

[X.]. [X.]ie Kostenentscheidung bleibt dem [X.] [X.]verfahren vorbehalten.

E. [X.]ie auch im Fall der Zurückverweisung vorzunehmende Streitwertfestsetzung für das Revisionsverfahren ([X.]surteil vom 12.2.2015 - [X.] ÜG 11/13 R - B[X.]E 118, 102 = [X.] 4-1720 § 198 [X.], Rd[X.]1 mwN) beruht auf § 197a [X.] 1 Satz 1 Teilsatz 1 [X.]G iVm § 47 [X.] 1 Satz 1, § 52 [X.] 3 Satz 1, § 63 [X.] 2 Satz 1 GKG. [X.]ie als Nebenforderung geltend gemachten Zinsen sind bei der Streitwertbemessung nicht zu berücksichtigen (§ 43 [X.] 1 GKG).

Meta

B 10 ÜG 1/19 R

17.12.2020

Bundessozialgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: False

vorgehend SG Magdeburg, 20. November 2014, Az: S 19 SO 55/11, Beschluss

§ 198 Abs 3 S 1 GVG, § 198 Abs 3 S 2 Halbs 1 GVG, § 198 Abs 1 S 1 GVG, § 198 Abs 2 S 1 GVG, § 198 Abs 2 S 2 GVG, § 198 Abs 2 S 4 GVG, § 198 Abs 4 S 1 GVG, § 198 Abs 5 S 2 GVG, § 198 Abs 6 Nr 1 GVG, Art 23 S 2 ÜberlVfRSchG, § 242 BGB, § 73 Abs 6 S 7 SGG, § 75 Abs 1 SGG, § 75 Abs 3 S 1 SGG, § 69 Nr 3 SGG, § 94 S 2 SGG, § 102 Abs 1 S 2 SGG, § 113 Abs 1 SGG, § 170 Abs 2 S 2 SGG, § 202 S 1 SGG, § 202 S 2 SGG, § 86 Halbs 1 ZPO, § 246 Abs 1 Halbs 1 ZPO, § 292 S 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 17.12.2020, Az. B 10 ÜG 1/19 R (REWIS RS 2020, 2361)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2361

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III ZR 61/20

X K 1/16

X K 3/15

X K 1/15

X K 2/15

X K 6/14

III ZR 141/14

III ZR 277/16

X K 2/12

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