Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 25.05.2020, Az. 1 BvR 2103/17

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2020, 2860

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT (BVERFG) VERWALTUNGSRECHT UNIVERSITÄTEN UND HOCHSCHULEN DOKTORTITEL PROMOTION

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Zum Erfordernis einer parlamentsgesetzlichen Grundlage für die Entziehung des Doktorgrads wegen Fehlverhaltens nach seiner Verleihung (hier: Verurteilung wegen Bestechung) - Anforderungen des Wesentlichkeitsgrundsatzes - hier: Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde mangels hinreichender Substantiierung


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Entziehung eines Doktorgrades wegen strafrechtlich relevanten Fehlverhaltens nach der Promotion.

2

1. Anfang der 1980er Jahre verlieh eine Fakultät einer öffentlich-rechtlichen [X.] dem Beschwerdeführer den Doktorgrad. Ab 1992 war er in einem "[X.]" tätig, seit 2000 als geschäftsführender Gesellschafter. Das Institut vermittelte [X.] gegen Honorar an [X.]. Der Beschwerdeführer wurde deshalb vom [X.] wegen Bestechung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten sowie einer Geldstrafe verurteilt. Daher beschloss der zuständige Fakultätsrat, dem Beschwerdeführer den Doktorgrad zu entziehen.

3

2. Die Anfechtungsklage blieb vor Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht ebenso erfolglos wie die Revision vor dem [X.].

4

3. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1, Art. 5 Abs. 3 Satz 1 und Art. 12 Abs. 1 sowie des [X.] aus Art. 20 Abs. 3 GG durch die angegriffenen Entscheidungen. Die Gerichte hätten sich nicht damit auseinandergesetzt, dass die Voraussetzungen für die Entziehung des Doktorgrades von Fakultät zu Fakultät unterschiedlich und nicht gesetzlich geregelt seien. Hier sei der Eingriff in seine Grundrechte besonders gewichtig, weil der Beschwerdeführer sein universitäres Studium mit der Promotion abgeschlossen habe, also über keinen anderen akademischen Abschluss verfüge.

5

4. Die Verfassungsbeschwerde wurde an das [X.], das [X.] des [X.] und das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des [X.] zugestellt. Der im Ausgangsverfahren beklagten [X.] sowie dem Beschwerdeführer wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

6

a) Das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des [X.] meint, dass § 67 Abs. 3 Satz 3 des Gesetzes über die Hochschulen des [X.] ([X.]) die Fachbereiche und Fakultäten der [X.] [X.]en ermächtige, den in ihr Selbstverwaltungsrecht fallenden Bereich der Durchführung von Promotionen, Prüfungsordnungen und Promotionsordnungen zu regeln.

7

b) Die [X.] verweist auf Wesen und Bedeutung des Doktorgrades. Er sei nicht nur formaler Nachweis eines Ausbildungsstandes, sondern bescheinige die Befähigung zu selbstständiger und vertiefter wissenschaftlicher Arbeit und weise Personen als Mitglieder der akademischen [X.] aus. [X.] Fehlverhalten sei unmittelbar mit dem Doktorgrad verknüpft, wenn es die Funktionsfähigkeit und die Glaubwürdigkeit des [X.] in Frage stelle. Dann seien die Eingriffe in die Wissenschaftsfreiheit und die Freiheit der Berufswahl und Berufsausübung zu rechtfertigen. Die [X.] umfasse zudem die Pflege der Wissenschaft auch unter dem Aspekt der Aufklärung und Sanktionierung von wissenschaftlichem und wissenschaftsrelevantem Fehlverhalten. Die Vielfalt von Entziehungsvorschriften sei systembedingt den Besonderheiten der Fächer geschuldet.

8

5. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem [X.] vorgelegen.

9

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 [X.]); sie ist unzulässig.

1. Über die Frage, welche Anforderungen sich im Bereich der Wissenschaft insbesondere aus dem Wesentlichkeitsgrundsatz ergeben, hat das [X.] mehrfach entschieden (zuletzt [X.] 147, 253 <309 ff. Rn. 115 ff.> m.w.N.). Danach ist der parlamentarische Gesetzgeber auch im Hochschulbereich verpflichtet, wesentliche, für die Grundrechtsverwirklichung maßgebliche Regelungen selbst zu treffen und nicht anderen zu überlassen (vgl. [X.] 136, 338 <362 Rn. 55>; 139, 148 <185 Rn. 72>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 26. Juni 2015 - 1 BvR 2218/13 -, Rn. 18). Auch in Ansehung des vom [X.] im Ansatz zutreffend betonten Rechts auf akademische Selbstverwaltung aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG erscheint insoweit jedenfalls zweifelhaft, ob die Entziehung des Doktorgrades wegen eines Fehlverhaltens nach seiner Verleihung auf Grundlage einer [X.]ssatzung den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt (vgl. [X.], [X.] 2014, [X.] ff.; [X.], [X.] 2012, Beiheft 21, S. 1 <50 f.>). Aus § 64 Abs. 2 [X.] a.F. ergibt sich hier auch nur, dass in der Promotionsordnung die "Folgen von Verstößen gegen Prüfungsvorschriften" zu regeln seien (Nr. 9). Dazu gehört das Verhalten nach der Prüfung nicht.

2. Die insoweit aufzuwerfenden Fragen, ob und inwieweit eine gesetzliche Regelung über den Entzug des Doktorgrades gegebenenfalls auch für unterschiedliche Fallgruppen vorliegen muss (zur "Unwürdigkeit" [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 3. September 2014 - 1 BvR 3353/13 -, Rn. 17), sind hier jedoch nicht zu klären, weil die Verfassungsbeschwerde unzulässig ist. Sie erfüllt nicht die Anforderungen an eine ausreichend substantiierte Begründung aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] (dazu [X.] 140, 229 <232 Rn. 9> m.w.N.).

a) Der Beschwerdeführer rügt zwar Verletzungen der Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG und der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. Mit der Frage nach der Geltung und Reichweite des [X.] setzt er sich jedoch nicht hinreichend auseinander. Es ist jedenfalls nicht offensichtlich, dass eine gesetzliche Regelung hier entbehrlich wäre (vgl. [X.], [X.], S. 329 <381 f.>; [X.], in: [X.]/[X.], [X.], 8. EL 2009, § 67 Rn. 125). Ausführungen dazu fehlen auch mit Blick auf die einschlägige Rechtsprechung des [X.]s. Auch im Übrigen genügen seine Ausführungen nicht den Anforderungen an eine hinreichend substantiierte Begründung.

b) Desgleichen genügen die Darlegungen zum Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht den verfassungsprozessrechtlichen Anforderungen. Die Verfassungsbeschwerde setzt sich insoweit nicht damit auseinander, dass Wissenschaft mit fachspezifischen Methoden, Konzepten und Begriffen arbeitet (zur Berücksichtigung in der Mittelvergabe [X.] 111, 333 <359>; zum Pluralismus in der akademischen Selbstverwaltung [X.] 136, 338 <364 Rn. 59>) und auch unterschiedliche Anforderungen an die Darstellung wissenschaftlicher Erkenntnisse stellt, und inwieweit sich daraus Besonderheiten für den Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten ergeben.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2103/17

25.05.2020

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BVerwG, 21. Juni 2017, Az: 6 C 4/16, Urteil

Art 3 Abs 1 GG, Art 5 Abs 3 S 1 GG, Art 12 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 18 HRG, § 67 Abs 3 S 3 HSchulG NW 2014, § 299 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 25.05.2020, Az. 1 BvR 2103/17 (REWIS RS 2020, 2860)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2860


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 6 C 4/16

Bundesverwaltungsgericht, 6 C 4/16, 21.06.2017.


Az. 1 BvR 2103/17

Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 2103/17, 25.05.2020.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 BvR 2218/13

1 BvR 3353/13

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