BT-Drucksache 17/3888

Wertneutralität im Rentenrecht auch für Personen mit bestimmten Funktionen in der DDR

Vom 23. November 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3888
17. Wahlperiode 23. 11. 2010

Antrag
der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Dr. Dietmar Bartsch,
Diana Golze, Dr. Barbara Höll, Jan Korte, Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers, Matthias
W. Birkwald, Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn, Roland Claus, Dr. Dagmar
Enkelmann, Klaus Ernst, Dr. Rosemarie Hein, Dr. Lukrezia Jochimsen, Katja
Kipping, Harald Koch, Katrin Kunert, Ralph Lenkert, Michael Leutert, Dr. Gesine
Lötzsch, Kornelia Möller, Petra Pau, Jens Petermann, Dr. Ilja Seifert, Kathrin
Senger-Schäfer, Kersten Steinke, Sabine Stüber, Dr. Kirsten Tackmann, Frank
Tempel, Dr. Axel Troost, Kathrin Vogler, Halina Wawzyniak, Harald Weinberg,
Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Wertneutralität im Rentenrecht auch für Personen mit bestimmten Funktionen
in der DDR

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) vom 25. Juli
1991 nahm die Überführung für Bürgerinnen und Bürger, deren Altersruhegeld
in der DDR auf einem Zusatz- oder Sonderversorgungssystem beruhte, vor.
Für ausgewählte Versorgungssysteme wurden ab bestimmten Einkommens-
höhen diverse Eingriffe in die bestehende Rentenformel vorgenommen, indem
erzieltes Einkommen nicht bis zur Beitragsbemessungsgrenze Eingang in die
Rentenberechnung fand. Mehrere Urteile des Bundesverfassungsgerichts be-
scheinigten dem Gesetz seitdem für derartige Regelungen Verfassungswidrig-
keit. Mehrere Gesetzesänderungen mussten folgen.

Zuletzt wurde mit dem Ersten Gesetz zur Änderung des Anspruchs- und An-
wartschaftsüberführungsgesetzes (1. AAÜG-ÄndG) vom 21. Juni 2005 (BGBl. I
S. 1672) die Anknüpfung der in die Rente eingehenden Entgeltbegrenzung für
bestimmte so genannte staatsnahe Versorgungsberechtigte an die Einkommens-
höhe (§ 6 Absatz 2 AAÜG a. F.) fallen gelassen. Zugleich wurde jedoch mit
einer Liste von bestimmten ausgeübten Tätigkeiten und Funktionen wiederum
eine Begrenzungstypisierung geschaffen. Das heißt, jetzt werden Personen mit
herausgehobenen Funktionen im Partei- und Staatsapparat der DDR mit die
Biografie betreffenden Eingriffen ins Rentenrecht belegt.

Die Regelung im 1. AAÜG-ÄndG ist eine ebenfalls willkürliche Typisierung,
die die Wertneutralität des Rentenrechts verletzt. Daher sollte der Behandlung
weiterer Verfassungsbeschwerden und der in Vorbereitung befindlichen Gel-
tendmachung der Ansprüche beim Europäischen Gerichtshof für Menschen-
rechte mit einer Gesetzesänderung zuvorgekommen werden, zumal es sich zu-
meist um hoch betagte Personen handelt.

Drucksache 17/3888 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

bis spätestens 30. Juni 2011 eine gesetzliche Regelung vorzulegen, die Folgen-
des beinhaltet,

1. die Regelung des § 6 Absatz 2 AAÜG wird ersatzlos gestrichen; damit
gehen die Entgelte der Versorgungsberechtigten nicht mehr nur bis zum
Durchschnittseinkommen, sondern bis zur Beitragsbemessungsgrenze in die
Rentenberechnung ein;

2. die Streichung erfolgt rückwirkend zum 1. Juli 1993, dem Zeitpunkt, seit
dem für Sonderversorgungssysteme keine Vergleichsrentenberechnung
mehr erfolgte.

Berlin, den 23. November 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Der Einigungsvertrag sieht für die Überführung der in Zusatz- und Sonder-
versorgungssystemen erworbenen Ansprüche und Anwartschaften in die
Rentenversicherung vor, „ungerechtfertigte Leistungen abzuschaffen und über-
höhte Leistungen abzubauen“ sowie „eine Besserstellung gegenüber vergleich-
baren Ansprüchen und Anwartschaften aus anderen öffentlichen Versorgungs-
systemen“ nicht zuzulassen (Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III
Nummer 9 Buchstabe b des Einigungsvertrages vom 31. August 1990).

Mit der Überführung aller Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und
Sonderversorgungssystemen der DDR in die gesetzliche Rentenversicherung
der Bundesrepublik Deutschland unterliegen alle Versorgungsberechtigten
automatisch einer Entgeltbegrenzung durch die allgemeine Beitragsbemes-
sungsgrenze, denn darüber hinausgehende Entgelte bleiben unberücksichtigt.
Damit ist die Vorgabe des Einigungsvertrages nach Abbau ungerechtfertigter
und überhöhter Leistungen hinreichend erfüllt. Allerdings wird an dieser Stelle
das Versäumnis sichtbar, dass für alle darüber hinausgehenden Entgelte (teil-
weise auch beitragsbelegte) von anderen Personengruppen der vormaligen Zu-
satz- und Sonderversorgungen eine Überführung noch aussteht.

Das Bundesverfassungsgericht beurteilte eine darüber hinausgehende Be-
grenzung der Entgelte bis zur Höhe des Durchschnittseinkommens, die sich
pauschal an einer Einkommenshöhe der Versorgungsberechtigten orientierte,
als verfassungswidrig (vgl. BVerfG vom 28. April 1999, Az. 1 BvL 22/95,
1 BvL 34/95). Mit der darauf folgenden Änderung wurde zwar eine engere
Auswahl von einbezogenen Versorgungsberechtigten getroffen, aber nun ist
diese auf eine moralische Bewertung von Tätigkeiten bzw. Funktionen abge-
stellt. Die im Einigungsvertrag genannten Gründe spielten dabei keine Rolle.

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