BT-Drucksache 17/3881

Vertrauensschutz für Versorgungsberechtigte der DDR mit einem Ruhestandsbeginn bis zum 30. Juni 1995 schaffen

Vom 23. November 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3881
17. Wahlperiode 23. 11. 2010

Antrag
der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Dr. Dietmar Bartsch,
Diana Golze, Dr. Barbara Höll, Jan Korte, Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers,
Matthias W. Birkwald, Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn, Roland Claus,
Dr. Dagmar Enkelmann, Klaus Ernst, Dr. Rosemarie Hein, Dr. Lukrezia Jochimsen,
Katja Kipping, Harald Koch, Katrin Kunert, Ralph Lenkert, Michael Leutert,
Dr. Gesine Lötzsch, Kornelia Möller, Petra Pau, Jens Petermann, Dr. Ilja Seifert,
Kathrin Senger-Schäfer, Kersten Steinke, Sabine Stüber, Dr. Kirsten Tackmann,
Frank Tempel, Dr. Axel Troost, Kathrin Vogler, Halina Wawzyniak, Harald
Weinberg, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Vertrauensschutz für Versorgungsberechtigte der DDR mit einem
Ruhestandsbeginn bis zum 30. Juni 1995 schaffen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die mit Artikel 3 des Renten-Überleitungsgesetzes – Anspruchs- und Anwart-
schaftsüberführungsgesetz (AAÜG) – vom 25. Juli 1991 beschlossene Überfüh-
rung der Zusatz- und Sonderversorgungen ausschließlich in die gesetzliche Rente
nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) liquidierte große Teile der
Versorgungsansprüche und -anwartschaften. Insofern ist für die Ruheständle-
rinnen und Ruheständler der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme der DDR
(Bestandsrentnerinnen und Bestandsrentner mit Rentenbeginn bis 31. Dezember
1991) sowie für die bis zum 30. Juni 1995 in den Ruhestand gegangenen Versor-
gungsberechtigten die Gewährung des Besitzschutzes von außerordentlicher
Bedeutung. Die Regelung des AAÜG, nur die nach dem SGB VI berechnete
Rente, nicht jedoch weitere Ansprüche zu dynamisieren – den Besitzschutzbetrag
also lediglich als statischen Betrag zu leisten –, wirkt sich kontraproduktiv aus.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 28. April 1999
(Az. 1 BvL 32/95, 1 BvR 2105/95) entschieden, dass die durch den Einigungs-
vertrag garantierten Zahlbeträge für die betroffenen Personengruppen zu dyna-
misieren sind. Nicht hinnehmbar ist die mangelnde Umsetzung des Bundesver-
fassungsgerichtsurteils, die in der Praxis mit den konkreten Berechnungsmoda-
litäten und durch nachfolgende Sozialgerichtsurteile unterlaufen wird.

Außerdem wirkt es sich für Versorgungsberechtigte bestimmter Versorgungs-

systeme bei einem Rentenbeginn vom 1. Januar 1992 bis zum 30. Juni 1995 sehr
nachteilig aus, dass die Renten- und Versorgungsansprüche nicht, wie behauptet
wird, nach DDR-Recht gewährt werden. Unter Verletzung des Einigungsvertra-
ges und der gesetzlichen Regelungen der Renten- und Versorgungsüberleitung
werden zu geringe Leistungen errechnet und erbracht.

In all diesen Sachverhalten besteht dringender Handlungsbedarf.

Drucksache 17/3881 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

bis spätestens 30. Juni 2011 ein Gesetz vorzulegen, das folgende Vorgaben um-
setzt:

1. Die Versorgungsansprüche für die Berechtigten aus Zusatz- und Sonderver-
sorgungssystemen mit einem Ruhestandsbeginn vom 1. Januar 1992 bis zum
30. Juni 1995 werden so konkretisiert, dass die Ansprüche zwingend gemäß
der Garantieregelung des Einigungsvertrages in Verbindung mit dem Ren-
ten- und Versorgungsrecht der DDR und dem AAÜG gewährt werden. Dies
muss insbesondere für die Angehörigen bestimmter Zusatzversorgungssys-
teme, deren Versorgungsansprüche – entgegen diesen Bestimmungen – er-
heblichen Begrenzungen unterliegen, neu gefasst werden.

2. Die Dynamisierung der durch den Einigungsvertrag garantierten Zahlbeträge
(Besitzschutzbeträge) muss gemäß dem vom Bundesverfassungsgericht im
Urteil vom 28. April 1999 (Az. 1 BvL 32/95, 1 BvR 2105/95) geforderten
Ausgangs- bzw. Überführungsbetrag (zum 31. Dezember 1991 um 6,84 Pro-
zent erhöhter Zahlbetrag per 1. Juli 1990 mit den für das Bundesgebiet Ost
geltenden Steigerungsbeträgen (bis einschließlich 1996 halbjährlich)) erfol-
gen. Die diesbezüglich bereits seit dem 18. Dezember 1991 im Gesetz zur
Änderung des Renten-Überleitungsgesetzes (BGBl. I S. 2207) geregelte Be-
stimmung ist dazu bindender auszugestalten.

3. Beide Regelungen sind so auszugestalten, dass diese auch für Versorgungs-
berechtigte, die bis zum 30. Juni 1995 wegen Arbeitslosigkeit oder arbeits-
marktpolitischer Maßnahmen vorzeitig zum Eintritt in die Rente gedrängt
wurden, gelten.

4. Die Beträge, die die zugleich nach dem SGB VI berechnete Rente überstei-
gen, werden aus dem zu schaffenden Versorgungssystem „sui generis“, das
durch Bundes- und Landeshaushaltsmittel finanziert wird, übernommen.

Berlin, den 23. November 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 28. April 1999
(Az. 1 BvL 32/95, 1 BvR 2105/95) neben der Grundsatzentscheidung zum Sys-
tementscheid auch entschieden, dass die durch den Einigungsvertrag garantier-
ten Zahlbeträge für Ruheständlerinnen und Ruheständler der Zusatz- und Son-
derversorgungssysteme der DDR (Bestandsrentnerinnen und Bestandsrentner
mit Rentenbeginn bis 31. Dezember 1991) sowie die bis zum 30. Juni 1995 in
den Ruhestand gegangenen Versorgungsberechtigten zu dynamisieren sind. Im
Leitsatz 2 heißt es: „Die Vorschrift des Einigungsvertrages über die Zahl-
betragsgarantie ist jedoch verfassungskonform dahin auszulegen, dass der hier
garantierte Zahlbetrag für Bestandsrentner ab 1. Januar 1992 an die Lohn- und
Einkommensentwicklung anzupassen ist.“ (BVerfG, a. a. O.)

Die Dynamisierung wird seither vorgenommen, allerdings nicht den Vorgaben
entsprechend, denn sie erfolgt nicht ab dem 1. Januar, sondern erst ab dem
1. Juli 1992 und nach den Anpassungsterminen Ost (jährlich statt anfangs halb-
jährlich) und nach den Anpassungsbeträgen West. Die Betroffenen leben aber

überwiegend in den neuen Bundesländern und werden so – bis ihr besitz-
geschützter Zahlbetrag die Rente nach dem SGB VI erreicht hat – von der Ein-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3881

kommensentwicklung (Gehalt und Lohn wie Rente) der anderen dort Lebenden
abgekoppelt, das heißt ihr Besitz geschützter Anspruch wird entwertet.

Dynamisiert wird der garantierte Zahlbetrag, nicht aber der vom Bundesverfas-
sungsgericht geforderte Ausgangsbetrag (am 31. Dezember 1991 um 6,84 Pro-
zent erhöhter Zahlbetrag). Damit sollte der ab dem 1. Januar 1992 auch in den
neuen Bundesländern zu zahlende Beitrag zur Krankenversicherung – wie bei
allen anderen Rentnerinnen und Rentnern – kompensiert werden. Die Beiträge
wurden aber für diese Personengruppe vom Zahlbetrag netto abgezogen, aber
nicht – der Norm entsprechend – von der monatlichen Rente brutto.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom 3. August 1999 (u. a.
Az. B 4 RA 24/98 R) übernahmen die Rentenversicherungsträger für die ab dem
1. Januar 1992 zugegangenen Versorgungsberechtigten bestimmter Zusatzver-
sorgungssysteme eine Berechnung des DDR-Anspruchs, der weder den recht-
lichen Vorgaben für die Zusatz- und Sonderversorgungssysteme der DDR noch
den Vorgaben des § 4 Absatz 4 AAÜG entspricht.

Der Rentenversicherungsträger folgt Urteilen der Sozialgerichte, die nach dem
Urteil des Bundesverfassungsgerichts gesprochen wurden und berechnet die
Besitzschutzbeträge für die Angehörigen bestimmter Zusatzversorgungssys-
teme zu gering. Anstatt ihres Anspruchs auf Altersbezüge in Höhe von 60 bis
80 Prozent vom Bruttogehalt als Zusatzversorgung plus Sozialversicherungs-
rente erhalten sie 90 Prozent des Nettogehalts als Gesamtversorgung.

Die analoge Anwendung für vorzeitig aus dem Arbeitsprozess herausgedrängte
und unter Androhung von Leistungsentzug zum Renteneintritt faktisch gezwun-
gene Versorgungsberechtigte ist erforderlich, weil sie keine Berechnung eines
Besitzschutzes erhalten. Zu DDR-Zeiten blieb der Versorgungsanspruch beim
Ausscheiden aus dem Arbeitsprozess vor Erreichen der Altersgrenze – Frauen
vor Vollendung des 60. Lebensjahres und Männer vor Vollendung des 65. Le-
bensjahres – in Fällen von Erwerbsunfähigkeit erhalten. In Verkennung der sys-
tembedingt anderen Gegebenheiten wird derzeit die Berechnung des garantier-
ten Zahlbetrags generell in allen Fällen des Rentenbeginns vor Erreichen der
Altersgrenze, unabhängig von der Ursache, abgelehnt.

Diese Schritte könnten sehr rasch umgesetzt werden, weil sie vom Gesetzgeber
ursprünglich beabsichtigte Regelungen, durch das Bundesverfassungsgericht
bekräftigte Regelungen, konkreter und zwingender ausgestalten. Auch die Be-
teiligung von Bundeshaushalt wie Landeshaushalten ist bereits geregelt, sie
müsste nur neu strukturiert werden. Ordnungspolitisch sind die Länder nur an
Zahlbeträgen, die den SGB-VI-Anspruch übersteigen, zu beteiligen, denn das
bundesdeutsche Rentenrecht kennt für die gesetzliche Rentenversicherung nur
Bundeszuschüsse. Derzeit folgt die Bundes- und Landesbeteiligung nicht die-
sen Grundsätzen. Damit ergäben sich für die Landeshaushalte auch finanzielle
Spielräume.

Die Zahl der von diesen Änderungen Betroffenen wird die zu Beginn des Eini-
gungsprozesses rund 360 000 im Ruhestand befindlichen Älteren derartiger
Versorgungen übersteigen, vor allem auch durch das rasante vorzeitige Heraus-
drängen vieler Älterer aus dem Arbeitsprozess.

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