BT-Drucksache 17/3877

Rentenrechtliche Anerkennung von zweiten und vereinbart verlängerten Bildungswegen sowie Forschungsstudien und Aspiranturen in der DDR

Vom 23. November 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3877
17. Wahlperiode 23. 11. 2010

Antrag
der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Dr. Dietmar Bartsch,
Diana Golze, Dr. Barbara Höll, Jan Korte, Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers,
Matthias W. Birkwald, Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn, Roland Claus,
Dr. Dagmar Enkelmann, Klaus Ernst, Dr. Rosemarie Hein, Dr. Lukrezia Jochimsen,
Katja Kipping, Harald Koch, Katrin Kunert, Ralph Lenkert, Michael Leutert,
Dr. Gesine Lötzsch, Kornelia Möller, Petra Pau, Jens Petermann, Dr. Ilja Seifert,
Kathrin Senger-Schäfer, Kersten Steinke, Sabine Stüber, Dr. Kirsten Tackmann,
Frank Tempel, Dr. Axel Troost, Kathrin Vogler, Halina Wawzyniak, Harald
Weinberg, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Rentenrechtliche Anerkennung von zweiten und vereinbart verlängerten
Bildungswegen sowie Forschungsstudien und Aspiranturen in der DDR

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Für Versicherte, die in der DDR zweite bzw. vereinbart verlängerte Bildungs-
wege, Forschungsstudien oder Aspiranturen absolviert haben, entstand mit der
nur übergangsweisen Anerkennung (bei einem Rentenbeginn vom 1. Januar
1992 bis maximal zum 31. Dezember 1996) von DDR-typischen und mit bun-
desdeutschen Verhältnissen nicht vergleichbaren Sachverhalten rentenrechtlich
eine Überführungslücke, die sozial ungerecht ist und finanziell schwierige Le-
benslagen im Ruhestand hervorbringt. Ähnlich verhält es sich bei der Ausbil-
dung von jungen Menschen in Umstellungsphasen von Einrichtungen (bei-
spielsweise bei der Umwandlung von Medizinischen Schulen in Medizinische
Fachschulen). Hier besteht insgesamt gesetzgeberischer Handlungsbedarf.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

bis zum 30. Juni 2011 eine gesetzliche Regelung vorzulegen,

die Zeiten, in denen Versicherte in der DDR einen zweiten bzw. vereinbart
einen verlängerten Bildungsweg über Studium, Forschungsstudium und post-
graduales Studium oder eine ordentliche Aspirantur zurückgelegt haben, als
Zeiten einer versicherungspflichtigen Tätigkeit, beispielsweise über § 247 des
Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI), anerkennt.
Berlin, den 23. November 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Drucksache 17/3877 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Begründung

Abweichend von den Gepflogenheiten in der früheren Bundesrepublik
Deutschland wurden in der DDR der zweite Bildungsweg und ergänzende Bil-
dungsstufen auch realisiert, indem die Betreffenden zeitweilig aus der Erwerbs-
tätigkeit ausschieden.

Verlängerte Bildungswege, insbesondere Studien, wurden beispielsweise mit
Leistungssportlerinnen und Leistungssportlern vereinbart, um deren Entwick-
lung – sportlich wie beruflich – zu fördern. Aber auch Promotionen wurden
über Forschungsstudien gleich im Anschluss an das Studium ermöglicht, um
rasch zu qualifiziertem Nachwuchs zu gelangen.

Diese Zeiten, die nach DDR-Recht rentenwirksam waren, fanden im Prozess
der Rentenüberleitung Anerkennung als Zeiten versicherungspflichtiger Tätig-
keit in Artikel 2 des Renten-Überleitungsgesetzes (RÜG) „Übergangsrecht für
Renten nach den Vorschriften des Beitrittsgebiets“. Das geschah für aufbau-
ende Direktstudien im Artikel 2 § 19 Absatz 2 Nummer 4 RÜG.

Da bei postgradualen Studien und Aspiranturen ein vom letzten Nettoeinkom-
men abgeleitetes Stipendium gezahlt wurde, galten die Zeiten für die Versicher-
ten als fiktiv beitragsbelegt. Die Bildungseinrichtungen entrichteten eine Pau-
schale – de facto als Arbeitgeberbeitrag. Solche Zeiten werden mit der General-
klausel des Artikels 2 § 19 Absatz 1 RÜG erfasst.

Damit wurden diese Zeiten, wenn überhaupt, nur für die Vergleichsrenten-
berechnung nach DDR-Recht berücksichtigt, die für Personen mit Zusatzver-
sorgungen bis 30. Juni 1995 und für Versicherte der Sozialversicherung und der
freiwilligen Zusatzrentenversicherung bis 31. Dezember 1996 galt. Seither fal-
len diese Zeiten für Rentenneueintritte ersatzlos weg.

Diese Zeiten wurden 1990 im Einigungsvertrag mit dem Bekenntnis zur Über-
führung der rentenrechtlichen Regelungen der DDR (vgl. Verordnung über die
Gewährung und Berechnung von Renten der Sozialversicherung vom 23. No-
vember 1979 – GBl. I Nr. 43 S. 401, zuletzt geändert durch die Fünfte Renten-
verordnung vom 25. Januar 1990 – GBl. I Nr. 5 S. 24) sowohl von der letzten
Volkskammer der DDR als auch vom Deutschen Bundestag als rentenrechtlich
wirksam bestimmt. Sie fanden explizite Aufnahme in Artikel 2 § 19 des Geset-
zes zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfall-
versicherung (Renten-Überleitungsgesetz) vom 25. Juli 1991 – allerdings nur
als Übergangsrecht für die folgenden fünf Jahre. Seither gibt es in Erwerbsbio-
grafien mit derartigen Zeiten eine mehr oder minder große Lücke.

Für Leistungssportlerinnen und Leistungssportler wird bei den Rentenberech-
nungen nach dem SGB VI der Zahlbetrag doppelt minimiert: zum einen da-
durch, dass die Anerkennung von Studienzeiten begrenzt ist, zum anderen da-
durch, dass infolge des späteren Eintritts ins Erwerbsleben weniger Entgelt-
punkte aus beitragspflichtigen Einkommen erworben werden konnten.

Bei Ausbildungsumstellungen, beispielsweise der Ausbildung von Kinderkran-
ken- und Krankenschwestern nach der Umwandlung der Medizinischen Schu-
len in Medizinische Fachschulen im Jahre 1974 wird nach Bundesrecht zwar
die vormalige Ausbildung an der Medizinischen Schule als Lehr- und Ausbil-
dungsverhältnis und damit als beitragsbelegte Zeiten rentenrechtlich anerkannt.
Die Fortführung der Ausbildung an der Medizinischen Fachschule wurde dies
aber nicht, obwohl die Bildungseinrichtung zu DDR-Zeiten pauschal Beiträge
an die Sozialversicherung entrichtete. Die geforderte Anerkennung dieser Zei-
ten hätte für viele unter Umständen zur Folge, dass sie früher und ohne oder mit
weniger Abschlägen in Altersrente gehen könnten, was ihnen wegen der Um-
wandlung ihrer Bildungseinrichtungen versagt bleibt. Das ist eine Ungleichstel-

lung mit Berufskolleginnen früherer Ausbildungsjahrgänge.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3877

Der praktizierte ersatzlose Wegfall all dieser DDR-Regelungen wird als Ent-
wertung von Erwerbsbiografien empfunden, führt zu einer ungerechtfertigten
Schlechterstellung und ist gesetzgeberisch zu korrigieren.

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