BT-Drucksache 17/3874

Regelung der Ansprüche der Bergleute der Braunkohleveredlung

Vom 23. November 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3874
17. Wahlperiode 23. 11. 2010

Antrag
der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Dr. Dietmar Bartsch,
Diana Golze, Dr. Barbara Höll, Jan Korte, Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers,
Matthias W. Birkwald, Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn, Roland Claus,
Dr. Dagmar Enkelmann, Klaus Ernst, Dr. Rosemarie Hein, Dr. Lukrezia Jochimsen,
Katja Kipping, Harald Koch, Katrin Kunert, Caren Lay, Ralph Lenkert,
Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Kornelia Möller, Petra Pau, Jens Petermann,
Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, Kersten Steinke, Sabine Stüber,
Dr. Kirsten Tackmann, Frank Tempel, Dr. Axel Troost, Kathrin Vogler,
Halina Wawzyniak, Harald Weinberg, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann
und der Fraktion DIE LINKE.

Regelung der Ansprüche der Bergleute der Braunkohleveredlung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die in der Braunkohleveredlung Borna/Espenhain tätigen Bergleute waren
durch den Umgang mit toxischen Gasen, Stäuben und anderen giftigen Stoffen
starken Belastungen ausgesetzt und erlitten dadurch sehr häufig gesundheitliche
Schäden, unter anderem Krebserkrankungen. Deshalb wurde ihnen eine zusätz-
liche Altersversorgung unter dem Begriff „bergmännische Tätigkeit unter Tage,
gleichgestellt“ gewährt. (vgl. GBl. vom 30. Juni 1972, Sonderdruck Nr. 739).

Mit dem Renten-Überleitungsgesetz vom 21. Juni 1991 wurden diese Ansprü-
che für alle Bestandsrentnerinnen und -rentner übergangsweise anerkannt,
ebenso für diejenigen, die bis zum 31. Dezember 1996 in Rente gegangen sind.

Den ehemaligen Beschäftigten des Braunkohleveredlungswerkes Borna/Espen-
hain (Rechtsnachfolger: die bundeseigene Lausitzer und Mitteldeutsche Berg-
bauverwaltungsgesellschaft mbH – LMBV) werden bei späterem Renteneintritt
diese Ansprüche auf eine Rente für „bergmännische Tätigkeit unter Tage,
gleichgestellt“ vorenthalten. Dadurch können dort vormals Beschäftigte, die fast
ausnahmslos arbeitslos und gesundheitlich geschädigt sind, seit dem 1. Januar
1997 nicht mehr ohne Rentenabschlag ab dem 60. Lebensjahr (Männer) bzw.
55. Lebensjahr (Frauen) in die Altersrente gehen und die höhere Bewertung als
„bergmännisch anerkannte Zeiten“ (Steigerungsfaktor 2 statt 1,33) entfällt.
Das geschieht, obwohl die Ansprüche in den Sozialversicherungsausweisen und
schriftlichen Bescheinigungen der Geschäftsführung des Bundesbergbauunter-
nehmens dokumentiert sind. Im persönlichen Rentenkonto bei der Knappschaft,
dem zuständigen Rentenversicherungsträger, erfolgte eine ordnungsgemäße Re-
gistrierung für jeden anspruchsberechtigten Bergmann nach § 149 des Sechsten
Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI).

Für die etwa 500 Betroffenen entstehen dadurch beträchtliche Renteneinbußen.

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II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, spätestens bis
30. Juni 2011

1. eine Regelung vorzulegen, die den betroffenen Bergleuten des ehemaligen
Bergbaubetriebes Braunkohleveredlung Borna/Espenhain (nach 1990 Rechts-
nachfolger: bundeseigenes Bergbauunternehmen Lausitzer und Mitteldeut-
sche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH – LMBV) rückwirkend für die
Zeit ihrer Tätigkeit im Bergbaubetrieb vom 1. Juli 1968 bis zur endgültigen
Stilllegung am 31. Dezember 1996 die gesetzlich und vertraglich nach dem
Montanunionvertrag der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl
(EGKS) zugesicherten und nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch
(SGB VI § 85) vorgesehenen Rentenzusatzleistungen als „bergmännische
Tätigkeit unter Tage, gleichgestellt“ gewährt und die Kosten dem Rentenver-
sicherungsträger über den Bundeshaushalt erstattet;

2. die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See zu veranlassen,
gemäß Tarifvertrag vom 28. Juni 1994 die Rente für Bergleute der Braun-
kohleveredlung mit „bergmännischer Tätigkeit“ (abschlagsfreie Bergmanns-
altersrente mit Zusatzversorgung – „betriebliche Altersversorgung“) nach
diesen Grundsätzen neu zu berechnen und neue Bescheide zu erteilen sowie
die entsprechende Nachzahlung vorzunehmen.

Ersatzweise könnte (anstelle der Punkte 1 und 2) eine Ausgleichszahlung für
geleistete bergmännische Tätigkeit mit dem Rechtsnachfolger vereinbart und
für den früheren Renteneintritt eine Staffelungsregelung getroffen werden.

Berlin, den 23. November 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Durch den Mangel an Devisen war die DDR gezwungen, ihre im großen Um-
fang vorhandenen Braunkohleressourcen als hauptsächlichen Energieträger ein-
zusetzen. Durch die Verschwelung der Braunkohle wurden zudem wichtige
Grundstoffe für die weiterverarbeitende chemische und pharmazeutische Indus-
trie gewonnen. Dies erfolgte allerdings in Verfahren, die beträchtliche gesund-
heitliche Belastungen und Schäden der Beschäftigten durch toxische Gase,
Stäube und andere gesundheitsschädigende Stoffe mit sich brachten. Gleichzei-
tig hatte diese Produktion Umweltverschmutzungen in großem Maße zur Folge.
Die Beschäftigten erhielten deshalb nicht nur den Anspruch auf „abschlagsfreie
Bergmannsaltersrente mit Zusatzversorgung“ (betriebliche Altersversorgung),
sondern zusätzlich den Anspruch auf eine Rente mit dem Fachbegriff „bergmän-
nische Tätigkeit unter Tage, gleichgestellt“ (vgl. Anordnung Nr. 1 über den Ka-
talog der bergmännischen Tätigkeiten vom 29. Mai 1972, GBl. vom 30. Juni
1972, Sonderdruck Nr. 739) die mit den Dokumenten zur Wirtschafts-, Wäh-
rungs- und Sozialunion in das Recht der Bundesrepublik Deutschland übernom-
men wurde (vgl. Gesetz zu dem Vertrag vom 31. August 1990 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über
die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertragsgesetz – und der
Vereinbarung vom 18. September 1990, BGBl. II, S. 885 vom 23. September
1990).

Diese zusätzlichen Rentenansprüche entsprachen der Verordnung über die

Gewährung und Berechnung von Renten der Sozialversicherung der DDR vom
15. März 1968 (GBl. II Nr. 29 S. 141). Die zusätzlichen Altersversorgungs-

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ansprüche erhöhten sich damit vom Steigerungsfaktor 1,33 für sozialversiche-
rungspflichtige bergbauliche Tätigkeiten auf den Steigerungsfaktor 2,0 für zu-
sätzlich sozialversicherungspflichtige bergmännische Tätigkeiten in der Braun-
kohlenveredlung, der Untertagetätigkeit gleichgestellt. Diese Ansprüche wur-
den im Sozialversicherungsausweis und nach der Vereinigung Deutschlands und
der Privatisierung des Unternehmens durch Bescheinigungen der Geschäftsfüh-
rung der LMBV (bzw. bis 12/1993 der MIBRAG) gesondert ausgewiesen und
im persönlichen Rentenkonto bei der Deutschen Rentenversicherung Knapp-
schaft-Bahn-See eingespeichert. Die Unternehmen haben dafür die gesetzlich
vorgeschriebenen höheren Anteile an die für die Rentenversorgung zuständige
Knappschaft geleistet.

Umweltbelastung, Unrentabilität und weitere wirtschaftliche Aspekte, die im
Zusammenhang mit der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion ab 1. Juli
1990 entstanden, führten durch die damit verbundenen Absatzprobleme zur
Einstellung der Produktion. Die endgültige Stilllegung erfolgte durch Entscheid
des Oberbergamtes Freiberg auf der Grundlage des Bundesberggesetzes zum
31. Dezember 1996.

Der Ministerrat der DDR hatte bereits am 8. Februar 1990 „Entscheidungsvor-
schläge für die Senkung der Umweltbelastung durch die Betriebe Espenhain,
Böhlen, Deuben, Rositz und Webau“ beraten (Beschluss des Ministerrates 13/6/
90). Obwohl diese Entscheidungsvorschläge in Anlage 1 eine schrittweise Still-
legung vorsahen, wird dieses Dokument heute zumeist als Beschluss über eine
sofortige Stilllegung gewertet.

Seitens der Gerichte, der LMBV und aus den Reihen der Politik wird fast durch-
gängig die „Vereinbarung zur Regelung arbeitsrechtlicher Fragen im Zusammen-
hang mit der Produktion in karbochemischen Anlagen der Kohleindustrie“ zwi-
schen dem Minister für Schwerindustrie der DDR und dem Zentralvorstand der
Industriegewerkschaft Bergbau/Energie vom 6. Februar 1990, die per 1. Februar
1990 in Kraft trat, ignoriert. Diese Vereinbarung, die in Punkt 6 Rentenregelun-
gen enthält, und der Ministerratsbeschluss 13/6/90 bilden jedoch für diesen Sach-
verhalt eine Einheit.

Beide Betrachtungsweisen – die Fehlinterpretation der Ministerratsentschei-
dung 13/6/90 und die Außerachtlassung der Vereinbarung zwischen dem Minis-
terium für Schwermaschinenbau und der Gewerkschaft – führen zu der Ansicht,
dass die Montanunionverträge nicht gelten würden. Aber real handelten die
Akteure zumindest 1990/1991 und in Folge bis zum 31. Dezember 1996 danach.
So stellte die MIBRAG (als bundeseigener Nachfolger des ehemaligen DDR-
Staatsunternehmens) den Antrag auf Unterstützung nach Artikel 56 des Montan-
unionvertrages, der vom Bundesministerium für Wirtschaft bestätigt wurde.

Artikel 56 § 2 Buchstabe b des Montanunionvertrages der Europäischen Ge-
meinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) sieht bei Stilllegung Vertrauensschutz
für die Bergleute vor. Nach diesem Gesetz ist eine mit der Gewerkschaft verein-
barte, die Interessen der Bergleute sichernde und insbesondere ihre Altersver-
sorgungsansprüche berücksichtigende Vereinbarung zu treffen. Ebenfalls ist die
Überleitung in sozialverträgliche neue Arbeitsverhältnisse zu sichern.

Dementsprechend wurde die o. g. Vereinbarung zwischen dem Ministerium für
Schwermaschinenbau und der Industriegewerkschaft Bergbau/Energie ge-
schlossen, die mit Artikel 19 des Einigungsvertrages in das Recht der Bundes-
republik Deutschland überging. Die Vereinbarung sicherte insbesondere die
Altersversorgungsansprüche der Bergleute und die Überleitung in neue sozial-
verträgliche Arbeitsverhältnisse.

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Das bundeseigene Bergbauunternehmen, damals MIBRAG, hat diese Vereinba-
rung zwischen Regierung und Gewerkschaft jedoch am 25. November 1991 ein-
seitig außer Kraft gesetzt, wodurch der Vertrauensschutz für die Bergleute auf-
gehoben wurde.

Entsprechende Ansprüche sind durch den Montanunionvertrag der EGKS, §§ 16
und 17 sowie durch Artikel 56 § 2 Buchstabe b dieses Vertrages geregelt. In
einer sogenannten Ursprungsliste sind die aus den jeweiligen Bergbaubetrieben
anspruchsberechtigten Beschäftigten namentlich zu erfassen. Die Geschäftsfüh-
rung des Unternehmens LMBV unterließ jedoch diese namentliche Erfassung
bei der endgültigen Stilllegung des Bergbaubetriebes. Das führt dazu, dass die
Altersversorgungsansprüche der noch etwa 500 namentlich bekannten Bergleute
trotz der schriftlichen Nachweise und der Einspeicherung im persönlichen Ren-
tenkonto bei der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See nicht
als „Tätigkeit unter Tage, gleichgestellt“ anerkannt werden. Damit hat das
bundeseigene Bergbauunternehmen LMBV nicht gemäß dem geltenden Recht
gehandelt. Die Nichteinhaltung setzt auch die Vertrauensschutzregelung des
Einigungsvertrages, der einen Rentenanspruch für Bergmänner mit 60 und der
entsprechenden Frauen mit 55 Jahren zusichert, außer Kraft und bringt gra-
vierende Nachteile für Bergleute, die fast 30 Jahre unter schwierigsten Bedin-
gungen in der Braunkohleveredlung Borna/Espenhain tätig waren. Das Bundes-
sozialgericht hat mit einem Urteil vom 27. August 2009 (Az.: B 13 R 107/08 R)
den ungerechtfertigten Rentenabschlag berichtigt, indem festgestellt wurde,
dass die namentliche Erfassung im Vordruck „Ursprungsliste“ nicht erforderlich
ist, sondern dass der Arbeitsvertrag zählt. Die Umsetzung des Urteils, insbeson-
dere der Festlegung in Abschnitt 48 zu den „Verpflichtungsverträgen“ steht noch
aus. Im Gegenteil, es zeichnet sich ab, dass die Deutsche Rentenversicherung
Knappschaft-Bahn-See die Umsetzung dieses Urteils nicht mit einer generellen
Lösung für die ehemals in der Braunkohleveredlung Borna/Espenhain Beschäf-
tigten verbindet. Hier ist der Gesetzgeber zwecks Klarstellung gefragt.

Um rasch eine Anerkennung der aufopferungsvollen Tätigkeit, die die Gesund-
heit und die Lebensqualität der Betroffenen nachhaltig schädigte (noch heute
kommen immer neue Folgeerkrankungen hinzu), zu gewährleisten, wäre auch
eine Ausgleichszahlung für geleistete bergmännische Tätigkeit als Lösung
denkbar. Für den zugesicherten früheren Renteneintritt – nach Zeitdauer der
bergmännischen Tätigkeit – wäre eine Staffelungsregelung möglich.

Politische Entscheidungsträger haben die „Überführungslücke“, von der die
Bergleute betroffen sind, erkannt (vgl. Schreiben der Sächsischen Staatskanzlei
vom 16. Dezember 2008). Das Bundesarbeitsgericht konstatierte in einem Urteil
vom 24. September 2009 (Az.: 8 AZR 444/08 R) eine „Gerechtigkeitslücke“ für
den Sachverhalt.

Es muss schnell eine Lösung gefunden werden, da die Betroffenen die derzeitige
Situation als Nichtanerkennung ihrer Lebensleistung werten und ihr schlechter
Gesundheitszustand und ihr fortgeschrittenes Alter die Lebenserwartung gravie-
rend begrenzen.

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