BT-Drucksache 17/3873

Gerechte Versorgungslösung für Ballettmitglieder in der DDR

Vom 23. November 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3873
17. Wahlperiode 23. 11. 2010

Antrag
der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Dr. Dietmar Bartsch,
Diana Golze, Dr. Barbara Höll, Jan Korte, Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers,
Matthias W. Birkwald, Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn, Roland Claus,
Dr. Dagmar Enkelmann, Klaus Ernst, Dr. Rosemarie Hein, Dr. Lukrezia Jochimsen,
Katja Kipping, Harald Koch, Katrin Kunert, Ralph Lenkert, Michael Leutert,
Dr. Gesine Lötzsch, Kornelia Möller, Petra Pau, Jens Petermann, Dr. Ilja Seifert,
Kathrin Senger-Schäfer, Kersten Steinke, Sabine Stüber, Dr. Kirsten Tackmann,
Frank Tempel, Dr. Axel Troost, Kathrin Vogler, Halina Wawzyniak, Harald Weinberg,
Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Gerechte Versorgungslösung für Ballettmitglieder in der DDR

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Tanzberuf erfährt in vielen Ländern der Welt eine besondere Absicherung,
weil er Besonderheiten unterliegt. In der Regel wird er nicht bis zum Rentenalter
ausgeübt; zumeist scheiden Tänzerinnen und Tänzer um das 40. Lebensjahr aus
dem Beruf aus.

In der DDR gab es nach einer Anordnung des Ministers für Kultur vom 1. Sep-
tember 1976 (geändert am 1. Juli 1983) für Ballettmitglieder in staatlichen Ein-
richtungen, die ihren Beruf nicht mehr ausüben konnten, eine Versorgung in
Form einer berufsbezogenen Zuwendung, unabhängig von späteren Einkünften.

In der Bundesrepublik Deutschland sind Tänzerinnen und Tänzer über die Ver-
sorgungsanstalt der Deutschen Bühnen bei Berufsunfähigkeit, bei Beendigung
der Berufsausübung oder im Alter gesichert, ebenfalls unabhängig von späteren
Einkünften.

Der Einigungsvertrag vom 31. August 1990 bestimmte, dass die DDR-Regelung
bis zum 31. Dezember 1991 fortzuführen ist (vgl. Anlage II Kapitel VIII Sach-
gebiet H Abschnitt III Nr. 6 Buchstabe a des Einigungsvertrages).

Das Renten-Überleitungsgesetz unterließ für die Zeit ab 1. Januar 1992 jegliche
Regelung. Dadurch verschlechterte sich die Lebenssituation der bereits ausge-
schiedenen Ballettmitglieder abrupt. Die Betroffenen waren und sind zumeist
auf Leistungen des Sozial- bzw. Grundsicherungsamtes angewiesen.
Dieser Zustand ist untragbar, zumal Tänzerinnen und Tänzer auf die existen-
zielle Sicherung nach ihrer Berufsausübung vertrauten. Nach der Einheit noch
aktive Ballettmitglieder konnten sich in der Versorgungsanstalt versichern, aller-
dings ohne Anerkennung der in der DDR absolvierten Berufsjahre.

Bei beiden Sachverhalten besteht unabweisbar gesetzgeberischer Handlungsbe-
darf.

Drucksache 17/3873 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

spätestens bis 30. Juni 2011 gesetzliche Regelungen vorzulegen, die

1. für Ballettmitglieder aus der DDR, für die nach dem 31. Dezember 1991 eine
Versorgungslücke entstanden ist, die in der DDR gegebene Versorgungs-
zusage in einen Versorgungsanspruch in einer für heutige Verhältnisse min-
destens existenzsichernden Höhe überführt und

2. für nach dem 31. Dezember 1991 noch aktive Ballettmitglieder, die sich in
der Versorgungsanstalt der Deutschen Bühnen versicherten, auch die in der
DDR absolvierten Berufsjahre berücksichtigt und als anspruchsbegründend
wertet.

3. Die hierzu erforderlichen finanziellen Aufwendungen sind aus Steuermitteln
des Bundes zu decken.

Berlin, den 23. November 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Die berufsbezogene Zuwendung für Ballettmitglieder in der DDR war eine spe-
zielle Form der Absicherung bei altersbedingter Beendigung des Berufes. Wie
in vielen anderen europäischen Staaten stellte diese einen Ausgleich dar, wenn
ausgeschiedene Ballettmitglieder – mit rund 20 Jahren Verzug gegenüber ande-
ren – in einen zweiten Beruf oder in eine neue Tätigkeit einstiegen.

Ballettmitglieder hatten nach DDR-Recht einen gesetzlichen Anspruch auf eine
existenzielle Sicherung nach Beendigung der Berufsausübung. Die Zuwendung
betrug 50 Prozent der arbeitsvertraglich festgelegten monatlichen Bruttogage,
das waren rund 300 bis 450 Mark monatlich; die maximale monatliche Zuwen-
dung betrug bei hohen Soloverträgen bis zu 800 Mark. Sie wurden von der Ein-
richtung gezahlt, mit der bei Ausscheiden aus dem Tanzberuf ein Arbeitsrechts-
verhältnis bestand. Nach Erreichen des Rentenalters oder bei Eintritt der
Invalidität übernahm die Staatliche Versicherung der DDR die Weiterzahlung.

Diejenigen, die bei der Herstellung der Einheit noch aktiv waren, konnten sich
ab 1. Januar 1991 in der Versorgungsanstalt der Deutschen Bühnen versichern,
allerdings blieben die Berufsjahre aus DDR-Zeiten unberücksichtigt. Das bringt
unbillige Härten im Versorgungsanspruch.

Für die bereits Ausgeschiedenen wurde aus den Formulierungen des Einigungs-
vertrages vom 31. August 1990 abgeleitet, die berufsbezogene Versorgung zum
31. Dezember 1991 ersatzlos einzustellen. Die ist hinterfragungswürdig.

Das Bundesverfassungsgericht hat bestätigt, dass die Formulierung des Eini-
gungsvertrages, dass „noch nicht geschlossene Versorgungssysteme bis 31. De-
zember 1991 zu schließen sind“, nicht bedeutet, dass „die in diesem Versor-
gungssystem erworbenen Ansprüche und Anwartschaften … zum Erlöschen
gebracht werden“ (Urteil vom 28. April 1999, Az.: 1 BvL 32/95, BvR 2105/95).

Als Zeitzeuge hat Lothar de Maizière im November 1998 brieflich der Interes-
sengemeinschaft ehemaliger Ballettmitglieder der DDR bestätigt, dass, wenn
„in Rechtsvorschriften, die im Zusammenhang mit der Herstellung der deut-
schen Einheit gesetzt wurden, eine Frist zum 31. Dezember 1991 genannt

wurde, … diesseits davon ausgegangen (wurde), dass dies der Zeitraum sein

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3873

sollte, innerhalb dessen die Neuregelung gefunden und beschlossen sein sollte.
Nicht gemeint war mit einer solchen Fristsetzung, dass die entsprechenden Leis-
tungen zu diesem Zeitpunkt auslaufen oder ersatzlos gestrichen sein sollten.“

Aus besagtem Schreiben geht auch hervor, dass im Rentenangleichungsgesetz
vom 28. Juni 1990 (GBl. I Nr. 38 S. 495 ff.) „in § 33 ausdrücklich die berufs-
bezogenen Zuwendungen für Ballettmitglieder sowie andere aus betrieblichen
Mitteln gezahlte Renten oder Pensionen genannt“ sind, und vom „Einigungsver-
trag ins fortgeltende Recht der Bundesrepublik Deutschland übernommen“ wur-
den, weil der Bestand der Versorgungsansprüche gesichert werden sollte, „die
die Volkskammer als sicherungswürdig ansah“.

Um das Vertrauen nicht zu brechen, wäre ab 1. Januar 1992 also eine weiter-
führende, an bundesdeutsche Gegebenheiten angelehnte Regelung notwendig
gewesen, z. B. eine mit Steuermitteln unterstützte Nachversicherung bei der
Münchener Künstlerversicherung für die Versorgungsanstalt der Deutschen
Bühnen. Möglich wäre auch eine Kapitalisierung des Versorgungsanspruchs für
den Ausnahmeberuf im Bühnentanz gewesen.

Soziale Verwerfungen für Angehörige dieser Berufsgruppe sollten zumindest
heute beseitigt werden, zumal es sich um eine kleine Gruppe von Betroffenen
handelt – etwa 950 Personen erhielten zu DDR-Zeiten eine berufsbezogene
Zuwendung und bei etwa 400 Personen dürften noch nicht eingelöste Anwart-
schaften als bestehend anzusehen sein. Eine Anwartschaft bestand in der DDR,
wenn Ballettmitglieder bei Ausscheiden mindestens 35 Jahre alt waren, den
Beruf 15 Jahre ausgeübt hatten und das Ensemble zu einer Einrichtung gehört
hatte, die dem Ministerium für Kultur, dem Ministerium für Nationale Vertei-
digung, dem Staatlichen Komitee für Fernsehen der DDR sowie den Räten der
Bezirke, Kreise oder Städte unterstellt war.

Gerichtlich wurden die Klagen wegen der Zuständigkeit lange zwischen Sozial-
und Arbeitsgerichten hin- und hergeschoben. Das Bundesverfassungsgericht
lehnte Verfassungsbeschwerden ab und verwies darauf, dass die Zuwendung
nicht auf Beitragszahlungen beruhte und so eine besondere Begünstigung dar-
stellte (vgl. Urteile des BVerfG vom 2. Juli 2002, Az.: 1 BvR 2544/95, 1 BvR
1944/97, 1 BvR 2270/00).

Der Sachverhalt muss aber als DDR-typisch und mit bundesdeutschen Verhält-
nissen nicht vergleichbar gewertet werden und stellt so eine Überführungslücke
dar, die sozial ungerecht ist, finanziell schwierige Lebenslagen im Ruhestand
hervorbringt und der Korrektur bedarf. Der verfassungsrechtlich gesicherte Ver-
trauensschutz ist herzustellen.

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