BT-Drucksache 17/3871

Gerechte Alterseinkünfte für Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen der DDR

Vom 23. November 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3871
17. Wahlperiode 23. 11. 2010

Antrag
der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Dr. Dietmar Bartsch,
Diana Golze, Dr. Barbara Höll, Jan Korte, Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers,
Matthias W. Birkwald, Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn, Roland Claus,
Dr. Dagmar Enkelmann, Klaus Ernst, Dr. Rosemarie Hein, Dr. Lukrezia Jochimsen,
Katja Kipping, Harald Koch, Katrin Kunert, Caren Lay, Ralph Lenkert,
Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Kornelia Möller, Petra Pau, Jens Petermann,
Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, Kersten Steinke, Sabine Stüber,
Dr. Kirsten Tackmann, Frank Tempel, Dr. Axel Troost, Kathrin Vogler,
Halina Wawzyniak, Harald Weinberg, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann
und der Fraktion DIE LINKE.

Gerechte Alterseinkünfte für Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen
der DDR

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gesundheits- und Sozialwesens der
DDR wurde mit der Nichtanerkennung eines DDR-typischen und mit bundes-
deutschen Verhältnissen nicht vergleichbaren Sachverhalts – wie sie der beson-
dere Steigerungsbetrag von 1,5 bei der Altersversorgung darstellt – eine Über-
führungslücke im Rentenrecht geschaffen. Die Überführung ist sozial ungerecht
und bringt für tausende Betroffene finanziell schwierige Lebenslagen im Ruhe-
stand hervor.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

spätestens bis zum 30. Juni 2011 eine gesetzliche Regelung vorzulegen, die den
Anspruch auf eine besondere Behandlung der Zeiten, in denen Versicherte im
Gesundheits- und Sozialwesen der DDR gearbeitet haben, bei der Berechnung
der Alterseinkünfte sichert.

Berlin, den 23. November 2010
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Drucksache 17/3871 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Begründung

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheits- und Sozialwesen der DDR
erhielten bei der Berechnung der Rente einen besonderen Steigerungsbetrag von
1,5. Das war erstmalig geregelt in der Verordnung über die Gewährung und
Berechnung von Renten der Sozialpflichtversicherung (Rentenverordnung) vom
4. April 1974 (GBl. DDR I S. 201) und erfolgte in „Würdigung der physischen
und psychischen persönlichen Belastung im Beruf und des selbstlosen Einsatzes
bei der Behandlung und Pflege kranker Menschen“ (§ 47). Ebenso betroffen
sind Hauswirtschaftspflegerinnen der Volkssolidarität oder anderer karitativer
Einrichtungen nach zehn Jahren ununterbrochener vergleichbarer Tätigkeit.

Das führte praktisch beispielsweise dazu, dass sich bei der Berechnung der
Sozialversicherungsrente (SV-Rente) für eine Frau, die insgesamt 50 Arbeits-
jahre hatte (versicherungspflichtige Tätigkeit plus Zurechnungszeiten), davon
33 Jahre im Gesundheitswesen, eine um 19,4 Prozent höhere Rente ergab. Bei
einem angenommenen durchschnittlichen Verdienst von 600 Mark war das eine
Rente in Höhe von 609 Mark statt 510 Mark.

Beispielrechnung: normale SV-Rente Rente mit Steigerungsbetrag

50 × 1 % von 600 Mark 17 × 1,0 % = 17,0 %
33 × 1,5 % = 49,5 %

66,5 % von 600 Mark

= 300 Mark = 399 Mark
plus Festbetrag = 210 Mark = 210 Mark

= 510 Mark = 609 Mark

In der DDR konnte mit diesem Differenzbetrag nicht nur die Miete bezahlt wer-
den, sondern ein weiterer Teil blieb für sonstige Erfordernisse und Bedürfnisse.
Das war auch das Anliegen der Verordnung für die Beschäftigten im Gesund-
heits- und Sozialwesen.

Eine derartige Regelung kennt die bundesdeutsche gesetzliche Rentenversiche-
rung nicht.

Mit dem Renten-Überleitungsgesetz (RÜG) wurde die DDR-Regelung bestands-
geschützt (vgl. Artikel 2 § 35 RÜG). Die sich bei der Vergleichsrentenberech-
nung zumeist ergebenden Auffüllbeträge wurden ab 1. Januar 1996 bei jeder
Rentenanpassung abgeschmolzen. Für Neuzugänge ab dem 1. Januar 1997 ent-
fiel die vergleichende Berechnung. Viele, vor allem Frauen, die im mittleren
medizinischen Dienst mit eher niedrigen Einkommen zumeist über Jahrzehnte
tätig waren, müssen nun mit kleinen Renten auskommen, obwohl sie auf eine
besondere Versorgungszusage vertraut hatten.

Wenn Klagen von Sozialgerichten u. a. deshalb abgewiesen werden, weil diese
zusätzlichen Ansprüche nicht beitragsgedeckt waren, dann wird verkannt, dass
das Rentenrecht der DDR anderen Prinzipien folgte. Dort waren nicht vorrangig
die Beiträge, sondern vor allem die versicherten Jahre maßgebend. Hinzu
kommt, dass das Einkommen des mittleren medizinischen Personals beispiels-
weise im Jahre 1980 nur 83 Prozent des Einkommens vergleichbarer Berufs-
gruppen anderer Branchen betrug. Der rentenrechtlich geregelte Faktor sollte im
Ruhestand einen Ausgleich für die zu niedrigen Einkommen gewährleisten.
Eine bundesrechtliche Überführung dieses Anspruchs muss aus Steuermitteln
gedeckt werden.

Allein die generelle Höherwertung der Einkünfte aus DDR-Zeiten bei einer
Rentenberechnung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) ge-

währleistet keine hinreichende Rentenleistung, insbesondere keine der Schwere
des Berufes adäquate.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3871

Zwar erhielten und erhalten auch die im mittleren medizinischen Dienst Be-
schäftigten in den alten Bundesländern keine besonders hohen Vergütungen.
Trotzdem sind die Vergütungen nicht vergleichbar und außerdem rechtfertigt
dies nicht, einen in der DDR rechtlich geregelten Versorgungsanspruch nach der
Einheit Deutschlands ersatzlos fallen zu lassen. Das widerspricht dem Vertrau-
ensschutz.

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