BT-Drucksache 17/11655

Energiewende sozial gestalten - Stromsperren gesetzlich untersagen

Vom 28. November 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11655
17. Wahlperiode 28. 11. 2012

Antrag
der Abgeordneten Caren Lay, Dr. Barbara Höll, Dr. Kirsten Tackmann,
Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, Karin Binder, Matthias W. Birkwald,
Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn, Eva Bulling-Schröter, Dr. Martina Bunge,
Roland Claus, Heidrun Dittrich, Dr. Dagmar Enkelmann, Klaus Ernst, Diana Golze,
Katja Kipping, Jutta Krellmann, Katrin Kunert, Sabine Leidig, Ralph Lenkert,
Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Thomas Lutze, Dorothee Menzner,
Cornelia Möhring, Kornelia Möller, Jens Petermann, Yvonne Ploetz,
Ingrid Remmers, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, Kersten Steinke,
Sabine Stüber, Alexander Süßmair, Kathrin Vogler, Johanna Voß, Harald Weinberg,
Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Energiewende sozial gestalten – Stromsperren gesetzlich untersagen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Für Millionen von Privathaushalten mit geringem Einkommen stellen die stei-
genden Strompreise eine enorme Belastung dar. Hundertausende leben mit
Stromsperren durch die Energieversorger. Eine Abfrage der Bundesnetzagentur
bei 620 Stromnetzbetreibern ergab für das Jahr 2011 6 Millionen Androhungen
von und 312 000 vollzogene Stromsperrungen (Monitoringbericht 2012 der
Bundesnetzagentur). Damit ist für viele Menschen keine Versorgungssicherheit
mit Strom mehr gegeben.

Unstrittig ist, dass der einzig gangbare Weg zu einer sicheren, umweltfreund-
lichen und bezahlbaren Energieversorgung über erneuerbare Energien, Energie-
effizienz und Energieeinsparung führt. Gleichzeitig sind die bisherigen Rege-
lungen nicht dazu geeignet, die Stromversorgung als ein grundlegendes Element
der Daseinsvorsorge für alle Bürgerinnen und Bürger zu sichern. Stromsperren
entziehen vielen Bürgerinnen und Bürgern die Teilhabe am gesellschaftlichen
Leben.

Trotz der stillen sozialen Katastrophe stromloser Haushalte hat die Bundesregie-
rung die EU-Vorgaben für schutzbedürftige Verbraucherinnen und Verbraucher
(Artikel 3 Absatz 7 und 8 der Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie 2009/72//EG)
bisher nicht in deutsches Recht umgesetzt. In vielen europäischen Ländern wie
Großbritannien und Frankreich ist durch vielfältige Maßnahmen die Anzahl der

Stromsperren auf ein historisch niedriges Niveau abgesenkt worden. Während-
dessen ist die Bundesrepublik Deutschland bei Stromsperren „Europameister“.
In der heutigen Zeit ist die Versorgung mit Strom ein Grundrecht, das in einer
demokratischen Gesellschaft für jede und jeden sichergestellt werden muss.

Drucksache 17/11655 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– einen Gesetzentwurf vorzulegen, um Stromsperren durch die Energieversor-
ger aufgrund von Zahlungsunfähigkeit von Verbraucherinnen und Verbrau-
chern gesetzlich zu untersagen. Für so geschützte Kunden sind geeignete
Regelungen zu entwickeln, damit eine Grundversorgung mit Energie jeder-
zeit gewährleistet bleibt;

– unverzüglich über eine Änderung der Stromgrundversorgungsverordnung
(StromGVV) eine gesetzliche Mitteilungspflicht für Energiedienstleister bei
Zahlungsunfähigkeit privater Haushalte an die Sozialbehörden einzuführen,
um den Betroffenen Hilfe anzubieten, Zahlungsfähigkeit wieder herzustellen
und Überschuldung zu vermeiden.

Berlin, den 28. November 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Das Sperren der Stromversorgung bei privaten Haushalten aufgrund von Zah-
lungsunfähigkeit muss ein Ende haben, denn die Versorgung mit Strom ist eine
Grundvoraussetzung für ein menschenwürdiges Wohnen und die Teilhabe am
gesellschaftlichen Leben. Schwierigkeiten, sich und ggf. andere Haushaltsmit-
glieder mit grundlegenden Basisgütern wie Strom zu versorgen, führen zu
Scham, Rückzug und Selbstisolation vom gesellschaftlichen Leben.

Der Regelsatz für Arbeitslosengeld (ALG) 2 beinhaltet gegenwärtig 30,42 Euro
für Strom, die durchschnittlichen Kosten für einen Einzelhaushalt mit einem
Jahresverbrauch von 1 500 kWh liegen bei 37 Euro monatlich. Hinzu kommen
weitere Belastungen, wenn Nachzahlungen aufgrund erhöhter Strompreise an-
stehen. Die Streichung des Heizkostenzuschusses für Wohngeldempfangende
im Jahr 2010 trägt zu einer weiteren Verschärfung der Energiearmut bei. Ein er-
heblicher Teil der von Stromsperren Betroffenen sind Menschen, die Hartz-IV-
Leistungen beziehen.

Während das Mietrecht relativ hohe Hürden bei Wohnungsräumungen vorsieht,
sind Stromsperren rechtlich völlig unterreguliert und werden ohne Gerichts-
beschluss vollzogen. Die enorme Zahl von Abklemmungen in der Bundesrepu-
blik Deutschland ist eine stille soziale Katastrophe. Deshalb müssen Stromsper-
ren gesetzlich untersagt werden.

Die 312 000 Stromsperrungen im Jahr 2011 wurden bei Außenständen von
durchschnittlich 120 Euro vorgenommen. Das sind insgesamt knapp 37,5 Mio.
Euro. Diese Zahl steht in krassem Widerspruch zu den Gewinnen der Energie-
versorger und den ca. 9 Mrd. Euro für Industrierabatte bei Ökosteuer und der
Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) allein in 2012. Diese
treiben den Strompreis für private Kunden und kleinere Unternehmen in die
Höhe. Die Bundesregierung unterlässt alle Möglichkeiten hier einzugreifen, um
die Strompreise zu senken (zum Beispiel durch Einführung einer effektiven
Strompreisaufsicht, Streichung ungerechtfertigter Industrierabatte, Reduzie-
rung von Steuern etc.).

Ein Verbot von Stromsperren ist zudem ein Schritt, um aus der notwendigen
ökologischen Energiewende auch eine soziale Energiewende zu machen. Tat-

sächlich sind die Strompreise seit dem Jahr 2007 um mehr als ein Viertel – in
absoluten Zahlen: 5,4 Cent – auf heute 26 Cent pro Kilowattstunde im Bundes-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11655

durchschnitt gestiegen. Dieser massive Preisanstieg ist jedoch keine unmittel-
bare Folge des Ausbaus erneuerbarer Energien. Die Förderung durch das Er-
neuerbare-Energien-Gesetz ist nur für knapp ein Drittel des Strompreisanstiegs
seit dem Jahr 2007 verantwortlich. Insgesamt macht die EEG-Umlage nur etwa
14 Prozent des Strompreises aus. Neben höheren Kosten für fossile Rohstoffe,
Transport und Vertrieb sprudeln vor allem die Gewinne der Energieunterneh-
men, während die von Stromsperren Betroffenen im Dunkeln sitzen. Eine sozi-
ale Ausgestaltung der Energieversorgung wird die Legitimität der ökologischen
Energiewende erhöhen.

Neben dem Untersagen von Stromsperren soll eine gesetzliche Mitteilungs-
pflicht für Energiedienstleister bei Zahlungsunfähigkeit privater Haushalte an
die Sozialbehörden dazu dienen, geeignete Verfahren (wie z. B. Ratenzahlun-
gen oder günstige Notfallkredite der Sozialbehörde) in Gang zu setzen, um die
Zahlungsfähigkeit der Haushalte wieder herzustellen und somit Überschuldung
zu vermeiden.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.