Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 05.11.2013, Az. 2 BvR 1579/11

2. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2013, 1467

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Zu den Folgen einer Verletzung der Belehrungspflicht nach Art 36 Abs 1 KonsÜbk Wien - Anwendbarkeit der Abwägungslehre des BGH auch bei Verstoß gegen Belehrungspflicht - kein zwingendes Beweisverwertungsverbot - hier zudem keine Verletzung von Art 101 Abs 1 S 2 GG durch Unterlassen einer Divergenzvorlage gem § 132 Abs 2 GVG


Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob der [X.] seiner verfassungsrechtlichen Pflicht zur Berücksichtigung der Rechtsprechung des [X.] über die Rechte aus Art. 36 des [X.] über konsularische Beziehungen nachgekommen ist.

2

1. Dem am 24. April 1963 geschlossenen [X.] Übereinkommen über konsularische Beziehungen ([X.] Konsularrechtsübereinkommen - [X.], [X.]) ist auch die [X.] beigetreten. Nach Art. 36 Abs. 1 [X.] haben die Behörden im Fall der Festnahme eines Ausländers unverzüglich die konsularische Vertretung seines Heimatstaats zu benachrichtigen. Die Konsularbeamten sind berechtigt, mit dem Festgenommenen Kontakt aufzunehmen und für seine rechtliche Vertretung zu sorgen. Über diese Rechte ist der Festgenommene nach Art. 36 Abs. 1 Buchstabe b Satz 3 [X.] unverzüglich zu unterrichten.

3

Der [X.] in [X.] hat sich bislang in zwei Entscheidungen zu Verletzungen der [X.] nach Art. 36 Abs. 1 Buchstabe b Satz 3 [X.] und ihren möglichen innerstaatlichen Konsequenzen geäußert ([X.], [X.], Germany vs. [X.], [X.], [X.] 2001, [X.]; [X.], [X.] vs. [X.], [X.], [X.] 2004, S. 12) und im Wesentlichen festgestellt, dass Art. 36 Abs. 1 [X.] Rechte des Einzelnen begründe, die dem Empfangsstaat unmittelbar gegenüber festgehaltenen Personen oblägen. Mit Blick auf die Rechtsfolgen hat er festgestellt, dass der Empfangsstaat verpflichtet sei, in den Fällen einer unterbliebenen Belehrung die effektive Möglichkeit einer Nachprüfung von Schuld- und Strafausspruch vor staatlichen Gerichten zu gewährleisten (vgl. hierzu ausführlich [X.], 174 <177 f.>).

4

2. Das [X.] verurteilte den Beschwerdeführer, einen [X.] Staatsangehörigen, wegen räuberischer Erpressung mit Todesfolge in Tateinheit mit versuchtem Raub mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren. Gegen dieses Urteil legte der Beschwerdeführer Revision ein. In deren Rahmen machte er mit der Verfahrensrüge geltend, er sei vor seiner polizeilichen Vernehmung nicht gemäß Art. 36 Abs. 1 Buchstabe b Satz 3 [X.] belehrt worden.

5

a) Der 5. Strafsenat des [X.]s verwarf die Revision des Beschwerdeführers mit Beschluss vom 29. Januar 2003 (5 [X.], juris) gemäß § 349 Abs. 2 [X.] als unbegründet. Der dagegen gerichteten Verfassungsbeschwerde gab das [X.] wegen Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht auf ein faires Verfahren - der [X.] hatte die Rechtsprechung des [X.] nicht hinreichend berücksichtigt - statt, hob den Beschluss auf und verwies die Sache zurück ([X.], 174 ff.). Mit Beschluss vom 25. September 2007 ([X.], 48 ff.) verwarf der 5. Strafsenat des [X.]s die Revision erneut, allerdings mit der Maßgabe, dass von der verhängten Freiheitsstrafe sechs Monate als vollstreckt zu gelten hätten. Der gegen diese Entscheidung erhobenen - zweiten - Verfassungsbeschwerde gab das [X.] wiederum statt ([X.], 390 ff.), da auch die zweite Revisionsentscheidung die Vorgaben des [X.] nicht hinreichend berücksichtigte und deshalb gegen das Recht des Beschwerdeführers auf ein faires Verfahren verstieß. Es hob die Entscheidung auf und verwies die Sache an einen anderen Strafsenat des [X.]s zurück.

6

b) Mit Beschluss vom 7. Juni 2011 verwarf der 4. Strafsenat des [X.]s ([X.], [X.] ff.) die Revision des Beschwerdeführers mit der Maßgabe als unbegründet, dass von der verhängten Freiheitsstrafe sechs Monate als vollstreckt zu gelten hätten. Die vom Beschwerdeführer erhobene Verfahrensrüge sei unbegründet. Eine Gesetzesverletzung liege allerdings darin, dass er nach seiner Festnahme nicht durch die Polizeibeamten gemäß Art. 36 Abs. 1 Buchstabe b Satz 3 [X.] über seine Rechte belehrt worden sei. Dass er keinen spezifisch auf die Verletzung des Art. 36 [X.] abstellenden Widerspruch erhoben, sondern der Verwertung seiner Angaben in der Beschuldigtenvernehmung durch zeugenschaftliche Vernehmung der Verhörspersonen mit Blick auf die Beanstandung eines Verstoßes gegen §§ 136, 137 [X.] widersprochen habe, stehe der Geltendmachung dieses Verstoßes gegen die [X.] nicht entgegen. Nach den vom [X.] im Urteil [X.] entwickelten und zu beachtenden Grundsätzen müsse eine umfassende Überprüfung und Neubewertung von Schuld- und Strafausspruch unter Berücksichtigung des Konventionsverstoßes möglich sein ([X.], Fall [X.], a.a.[X.], Rn. 128). Diese Überprüfung dürfe nicht unter Berufung auf die Unterlassung nach nationalem Prozessrecht erforderlicher Einwände ausgeschlossen werden ([X.], Fall [X.], a.a.[X.], Rn. 90). Der Ausfall der Belehrung führe jedoch nicht zu einem Verwertungsverbot, weil dem Beschwerdeführer hierdurch im weiteren Verfahren kein Nachteil erwachsen sei. Zwar sei die Entstehung eines [X.] nicht von vornherein ausgeschlossen. Nach der Rechtsprechung des [X.] im Fall [X.] sei jedoch im Einzelfall zu untersuchen, ob dem Betroffenen im weiteren [X.] tatsächlich ein Nachteil entstanden sei ([X.], Fall [X.], a.a.[X.], Rn. 121 ff.). Dem sei durch die Anwendung der vom [X.] entwickelten Abwägungslehre Rechnung zu tragen, nach der eine Abwägung zwischen dem durch den [X.] bewirkten Eingriff in die Rechtsstellung des Beschuldigten einerseits und den Strafverfolgungsinteressen des Staates andererseits stattzufinden habe; auf den Schutzzweck der verletzten Norm sei dabei ebenso abzustellen wie auf die Umstände, Hintergründe und Auswirkungen der Rechtsverletzung im Einzelfall. Dass das Urteil in sonstiger Weise auf der unterbliebenen Belehrung beruhe, könne aus den bereits in die Abwägung eingestellten Gesichtspunkten zu den Umständen und Auswirkungen der Rechtsverletzung ausgeschlossen werden. Für ein Beruhen sei nichts ersichtlich, und die Revision habe hierzu auch nichts vorgetragen. Eine Kompensation für den Verstoß gegen die Pflicht zur Belehrung nach Art. 36 Abs. 1 Buchstabe b Satz 3 [X.] entsprechend den Grundsätzen der [X.] komme jedoch nicht in Betracht, da die Abwägung zur Frage eines [X.] und die Beruhensprüfung mit Blick auf den Verstoß gegen das [X.] Konsularrechtsübereinkommen im Übrigen ergeben hätten, dass dem Beschwerdeführer im konkreten Fall kein Nachteil entstanden sei. Allerdings seien für die der Justiz anzulastende Verfahrensverzögerung sechs Monate der verhängten Freiheitsstrafe für vollstreckt zu erklären.

7

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 (faires Verfahren), Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 3 Abs. 1 GG (Willkürverbot).

8

Die Abwägungslehre sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar; ein Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1 Buchstabe b Satz 3 [X.] müsse grundsätzlich zu einem Beweisverwertungsverbot führen. Zudem habe der [X.] mehrere Gesichtspunkte zu seinen Lasten in der Abwägung berücksichtigt, die den Entscheidungen des [X.] widersprächen. Die Abwägung sei beliebig und nichtssagend und verfolge alleine das Ziel, ein Beweisverwertungsverbot zu verneinen. Für den Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1 Buchstabe b Satz 3 [X.] hätte dem Beschwerdeführer jedenfalls eine Kompensation zugesprochen werden müssen. Auch sei Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt. Der 4. Strafsenat hätte gemäß § 132 [X.] den [X.] anrufen müssen, da er hinsichtlich der Zubilligung einer Kompensation von der Rechtsprechung des 5. Strafsenats abgewichen sei. Zugleich hätten die [X.] des [X.]s angerufen werden müssen, weil der V. Zivilsenat einen Verstoß gegen die [X.] aus Art. 36 Abs. 1 Buchstabe b Satz 3 [X.] als "grundlegenden Verfahrensmangel" ansehe.

9

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen nicht vorliegen (§ 93a Abs. 2 [X.]). Die in der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch die Rechtsprechung des [X.]s geklärt oder lassen sich ohne weiteres auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung beantworten ([X.], 174 <186>; 17, 390 <395>). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt, weil sie jedenfalls unbegründet ist (vgl. [X.] 90, 22 <25 f.>).

1. Das Recht des Beschwerdeführers auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) ist nicht verletzt.

a) Die Fachgerichte sind verpflichtet, die Rechtsprechung des [X.] auf dem Gebiet des Konsularrechts bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen. Diese Pflicht ergibt sich aus dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes in Verbindung mit der Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht ([X.], 174 <191>; 17, 390 <397>). Das Fachgericht muss die einschlägige Judikatur zur Kenntnis nehmen und sich mit ihr auseinandersetzen ([X.], 390 <398 f.>). Ein Verstoß gegen die verfassungsrechtliche Berücksichtigungspflicht kann jedoch nur bei einer erkennbar fehlerhaften Rezeption der Rechtsprechung des [X.] festgestellt werden, da dessen Urteile regelmäßig zu einer anderen Rechtsordnung ergehen und die Frage, wie seinen Feststellungen gerade in der [X.] Rechtsordnung Rechnung zu tragen ist, nicht immer zweifelsfrei zu beantworten sein wird ([X.], 390 <398 f.>).

Vor diesem Hintergrund kann ein Beschwerdeführer namentlich die Missachtung der Berücksichtigungspflicht als Verstoß gegen sein Grundrecht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip rügen ([X.], 390 <399 f.>). Das Rechtsstaatsprinzip gewährleistet in Verbindung mit der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG das Recht des Beschuldigten auf ein rechtsstaatliches, faires Strafverfahren (vgl. [X.] 38, 105 <111>; 86, 288 <317 f.>; 109, 13 <34>; 122, 248 <270 ff.>; 130, 1 <25>). Dabei wird das faire Verfahren nicht nur durch die Normen der Strafprozessordnung, sondern auch durch völkervertragsrechtliche Vorschriften ausgestaltet, wenn diese hinreichend bestimmt, das heißt "[X.]" sind, um von den Strafverfolgungsbehörden unmittelbar angewendet zu werden. Dies ist mit Blick auf Art. 36 Abs. 1 [X.] zu bejahen (vgl. [X.], 174 <189>; 17, 390 <399>).

Die Fachgerichte haben das anwendbare [X.] wie anderes Gesetzesrecht des [X.] im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden (vgl. [X.] 111, 307 <317>; [X.], 174 <189>; 17, 390 <399>). Die Verkennung des Schutzgehalts einer verletzten Verfahrensnorm kann dabei ebenso in das Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren eingreifen wie eine Überspannung der Voraussetzungen für die Annahme eines Verwertungsverbots hinsichtlich rechtswidrig gewonnener Beweise ([X.], 174 <189>; 17, 390 <399>).

b) Hieran gemessen ist der [X.] in dem angegriffenen Beschluss seiner Pflicht zur Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung des [X.] bei der Frage der aus einer Verletzung von Art. 36 Abs. 1 Buchstabe b Satz 3 [X.] resultierenden Konsequenzen in hinreichender Weise gerecht geworden. Die Vorgaben, die sich insoweit aus der Rechtsprechung des [X.] ergeben, hat er zur Kenntnis genommen und sich mit ihnen ausführlich auseinandergesetzt. Da nach [X.] Strafprozessrecht eine Revision nach § 337 [X.] auf den völkerrechtswidrigen [X.] selbst gestützt werden kann, ist sichergestellt, dass der Bruch des Völkerrechts nicht generell folgenlos bleibt (aa). Der Annahme eines [X.] als Folge einer unterbliebenen Belehrung bedarf es daher grundsätzlich ebenso wenig (bb) wie einer anderweitigen Kompensation des [X.]es im Rahmen der sogenannten [X.] (cc).

aa) Der völkerrechtswidrige [X.] ist nach [X.] Strafprozessrecht ein Verfahrensfehler, auf den gemäß § 337 [X.] eine Revision gestützt werden kann. Bereits hierdurch ist für den Regelfall sichergestellt, dass der Bruch des Völkerrechts nicht "folgenlos" (vgl. [X.]/[X.], [X.], S. 593 <594>) im Sinne der Rechtsprechung des [X.] bleibt. Die Rechtsfolgen einer unterbliebenen Belehrung sind völkerrechtlich nicht im Einzelnen festgelegt (1). Es genügt daher den Vorgaben des [X.], den völkerrechtswidrigen Ausfall einer Belehrung als Verfahrensfehler zu begreifen, der im Rahmen der strafprozessualen Revision zu einer umfassenden Kontrolle des gesamten Strafurteils zwingt (2).

(1) Das [X.] Konsularrechtsübereinkommen enthält keine Vorgaben für die Frage, welche Rechtsfolgen ein Ausfall der Belehrung nach sich zieht ([X.]/[X.], [X.], S. 495 <496 f.>; [X.]/[X.], [X.], S. 593 <594>). Der [X.] hat allerdings klargestellt, dass dem Bruch des Völkerrechts eine angemessene Wiedergutmachung folgen müsse ([X.], Fall [X.], a.a.[X.], Rn. 119: " reparation in an adequate form"). Es sei jedoch Sache der nationalen Gerichte, die Fakten und insbesondere die aus einer Verletzung des [X.] Konsularrechtsübereinkommens resultierenden Nachteile zu untersuchen und eine angemessene Rechtsfolge festzuschreiben. Eine Aufhebung der strafrechtlichen Verurteilung sei völkerrechtlich nicht zwingend geboten (vgl. [X.], Fall [X.], a.a.[X.], Rn. 122, 124). Unter Umständen könne bereits eine förmliche Entschuldigung eine ausreichende Wiedergutmachung darstellen ([X.], Fall [X.], a.a.[X.], Rn. 63, 125). In Fällen, in denen die Betroffenen - wie hier - zu einer langjährigen Freiheitsentziehung verurteilt worden sind, sei dies jedoch nicht ausreichend; dann sei die erneute Überprüfung des Schuld- und Strafausspruchs geboten ([X.], Fall [X.], a.a.[X.], Rn. 125: " review and reconsideration of the conviction and sentence by taking account of the violation of the rights set forth in the conviction"). Dabei sei zu prüfen, ob dem Beschuldigten durch den Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1 [X.] im Laufe des Strafverfahrens ein konkreter Nachteil entstanden sei ([X.], Fall [X.], a.a.[X.], Rn. 121: "with a view to ascertaining whether in [X.] 36 committed by the competent authorities caused actual prejudice to the defendant in the process of administration of criminal justice").

(2) Diese Vorgaben des [X.] zur Auslegung des Art. 36 Abs. 1 [X.] lassen sich im Rahmen einer methodisch vertretbaren Auslegung (vgl. [X.] 111, 307 <317>; [X.], 174 <189>; 17, 390 <399>) ohne weiteres in das System der strafprozessualen Revisionsvorschriften integrieren.

Nach der Rechtsprechung des [X.] begründet Art. 36 Abs. 1 Buchstabe b Satz 3 [X.] ein subjektives Recht des Betroffenen ([X.], Fall [X.], a.a.[X.], Rn. 77). Art 36 Abs. 1 Buchstabe b Satz 3 [X.] muss daher ein Recht des Angeklagten begründen, das seine verfahrensrechtliche Stellung konstituiert ([X.], 174 <194>; 17, 390 <402>) und eine "review and reconsideration" der Entscheidung ermöglicht. Dies wird dadurch sichergestellt, dass ein [X.] als solcher im Revisionsverfahren als relativer Revisionsgrund geltend gemacht werden kann (vgl. [X.], 110 <113>; [X.], StV 2003, S. 57 <59>; [X.], JZ 2007, S. 891 <893 f.>; [X.], [X.], S. 271 <277>; [X.], [X.] 2007, S. 296 <306 f.>; [X.]/[X.], [X.], S. 495 <498>; Weigend, [X.], S. 39 <43>). Der Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1 Buchstabe b Satz 3 [X.] gestattet es somit, das gesamte Strafurteil, Schuld- und Strafausspruch, im Revisionsverfahren zu überprüfen und - mit Blick auf die unterbliebene Belehrung - neu zu bewerten (vgl. [X.], 110 <113 f.>).

[X.] kann - wie jeder andere Verfahrensfehler auch - mit der Verfahrensrüge gemäß § 344 Abs. 2 Satz 1, 1. Alternative [X.] geltend gemacht werden ([X.], [X.], S. 271 <277>), die der Form des § 344 Abs. 2 Satz 2 [X.] entsprechend begründet sein muss (vgl. [X.], 110 <111>). Dem steht nicht entgegen, dass prozessuale Hindernisse, die die Geltendmachung des [X.]es erschweren, am Effektivitätsgrundsatz des Art. 36 Abs. 2 [X.] zu messen sind ([X.]/[X.], [X.], S. 495 <498>). Für die Betroffenen muss die Möglichkeit bestehen, eine Verletzung des Art. 36 Abs. 1 [X.] prozessual vorzubringen, und diese Garantie darf durch das nationale Verfahrensrecht weder substantiell gefährdet noch förmlich ausgeschlossen werden ([X.], Fall [X.], a.a.[X.], Rn. 134; vgl. [X.], [X.], S. 271 <273>).

Die angegriffene Entscheidung wird diesen Anforderungen gerecht, denn sie hat die Verfahrensrüge - trotz Bedenken - als zulässig behandelt.

bb) Der [X.] hat bei der Überprüfung des Strafurteils ("review and reconsideration") aufgrund der konkreten Umstände des in Rede stehenden Falles ein Beweisverwertungsverbot in Betracht gezogen (vgl. [X.], Fall [X.], a.a.[X.], Rn. 127). Dass er in diesem Zusammenhang die "Abwägungslehre" angewandt hat, ist nicht zu beanstanden (1). Die Anforderungen an die Annahme eines [X.] wurden nicht überspannt (2). Das gilt auch mit Blick auf die Abwesenheit des Verteidigers bei der zweiten polizeilichen Vernehmung (3) und im Hinblick auf die Anforderung eines Ursachenzusammenhangs zwischen der unterbliebenen Belehrung und einem möglichen Nachteil (4).

(1) Die sich aus dem Verstoß gegen die [X.] ergebenden Rechtsfolgen sind verfassungsrechtlich nicht festgelegt (vgl. [X.], 283 <285>; 9, 174 <196>; 17, 390 <404>). Auch der [X.] hat die Rechtsfolgen eines Verstoßes in das Ermessen des strafverfolgenden Staates gestellt ([X.], Fall [X.], a.a.[X.], Rn. 125; Fall [X.], a.a.[X.], Rn. 120 ff., 127, 141; vgl. [X.], JZ 2007, S. 891 <893>; [X.], [X.], S. 271 <271 f.>; Weigend, [X.], S. 39 <42>), solange die Überprüfung und Neubewertung insgesamt hinreichend "effektiv" ist ([X.], Fall [X.], a.a.[X.], Rn. 138). Eine restitutio in integrum in dem Sinne, dass das Strafurteil in jedem Fall in vollem Umfang aufgehoben und der Prozess vollständig neu aufgerollt werden müsste, hat er nicht verlangt ([X.], Fall [X.], a.a.[X.], Rn. 121 ff.; [X.], [X.], S. 271 <273>; Weigend, [X.], S. 39 <42, [X.]. 51>). Ein zwingendes Beweisverwertungsverbot, also ein Bewertungsverbot allein aufgrund der unterbliebenen Belehrung und unabhängig vom Vorliegen eines dadurch ursächlich verursachten Nachteils, gebietet das Völkerrecht nicht ([X.], 174 <195>; [X.], StV 2003, S. 57 <58, 59>; [X.], [X.] 2007, S. 296 <304>; [X.], [X.], S. 271 <275>; [X.]/[X.], [X.], S. 495 <498>; [X.]/[X.], [X.], S. 593 <594>; [X.]/[X.], [X.], S. 369 <372>). Vielmehr ist es ausreichend, wenn im Fall nachweisbarer Kausalität des [X.]s für den Verfahrensausgang die Möglichkeit der Urteilskorrektur besteht ([X.], Fall [X.], a.a.[X.], Rn. 121 ff.; Weigend, [X.], S. 39 <42, [X.]. 51>).

Dem [X.] ist es daher unbenommen, auf seine zu den Folgen von Verstößen gegen [X.]en entwickelte Rechtsprechung zurückzugreifen, wonach nicht jedes Verbot, einen Beweis zu erheben, zwingend ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht; die Entscheidung für oder gegen ein Verwertungsverbot ist vielmehr aufgrund einer Abwägung der im Rechtsstaatsprinzip angelegten gegenläufigen Gebote und Ziele zu treffen ([X.], 174 <196>; 17, 390 <402 f.>; vgl. auch [X.] 122, 248 <257 f.>; 130, 1 <29, 40>). Vor diesem Hintergrund greift der Einwand des Beschwerdeführers, die Abwägungslehre sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da ein Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1 Buchstabe b Satz 3 [X.] stets zu einen Beweisverwertungsverbot führen müsse, nicht durch.

(2) Es ist vielmehr Aufgabe der Fachgerichte, die sich aus dem Unterbleiben einer Belehrung ergebenden Konsequenzen festzulegen ([X.], 174 <196>). Bei der Frage nach einem Beweisverwertungsverbot im konkreten Fall handelt es sich daher um eine Frage der Anwendung einfachen Rechts, die grundsätzlich das Fachgericht zu beantworten hat (vgl. [X.], 174 <197 f.>; 17, 390 <405>). Zu hohe Anforderungen an die Annahme eines Verwertungsverbots hinsichtlich rechtswidrig gewonnener Beweise können allerdings in das Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren eingreifen ([X.], 174 <189>; 17, 390 <399>).

Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der [X.] die Anforderungen an die Annahme eines [X.] überspannt hätte. Insbesondere bestehen keine verfassungs- oder völkerrechtlichen Bedenken dagegen, den Umstand, dass der Beschwerdeführer ordnungsgemäß gemäß § 136 Abs. 1, § 163a [X.] belehrt worden war, in die Abwägung einzustellen. Beide Belehrungen unterscheiden sich zunächst darin, dass Art. 36 Abs. 1 [X.] - anders als § 136 Abs. 1 [X.] - die [X.] nicht an den Beginn der Vernehmung des Beschuldigten knüpft, sondern an seine Festnahme ([X.], 174 <196>). Überdies hat der [X.] betont, dass die Belehrung gemäß Art. 36 Abs. 1 Buchstabe b Satz 3 [X.] nicht stets unmittelbar im Zusammenhang mit der Festnahme erfolgen ([X.], Fall [X.], a.a.[X.], Rn. 85: "neither the terms of the Convention as normally understood nor its object and purpose suggest that 'without delay' is to be understood as 'immediately upon arrest and before interrogation'") oder einer Beschuldigtenvernehmung zeitlich vorangehen müsse ([X.], Fall [X.], a.a.[X.], Rn. 87: "cannot be interpreted to signify that the provision of such information must necessarily precede any interrogation so that the commencement of interrogation before the information is given would be a breach of Article 36"). Beide Belehrungen sind daher nicht gleichrangig und gleichwertig (vgl. [X.], [X.] 2007, S. 296 <305>; [X.], [X.], S. 271 <275 f.>; Weigend, [X.], S. 39 <42>). Vielmehr kann bei der für die Entscheidung über ein Beweisverwertungsverbot wegen unterlassener Belehrung nach Art. 36 Abs. 1 [X.] notwendigen Gesamtabwägung auch eine ordnungsgemäße Belehrung nach § 136 Abs. 1, § 163a [X.] Berücksichtigung finden.

(3) Nicht zu beanstanden ist ferner, dass der Umstand, dass die zweite polizeiliche Vernehmung des Beschwerdeführers "ohne anwaltlichen Beistand" erfolgt ist, in der Abwägung des [X.]s keine Berücksichtigung gefunden hat. Art. 36 Abs. 1 [X.] schützt nicht die Aussagefreiheit des Betroffenen, sondern ausschließlich die Möglichkeit, über den konsularischen Beistand einen Verteidiger beizuziehen ([X.], 110 <116>; [X.], [X.], S. 271 <275>). Nach der Rechtsprechung des [X.] ist es zulässig, den Betroffenen zunächst ohne Belehrung zu vernehmen oder die Vernehmung - nach Belehrung - vor der Kontaktaufnahme mit dem Konsulat durchzuführen ([X.], Fall [X.], a.a.[X.], Rn. 87 f.; [X.], [X.] 2007, 296 <306>; [X.], [X.] 2007, S. 99 <100 f.>). Denn es ist gerade nicht Aufgabe des [X.], selbst anwaltlich tätig zu werden, sondern nur, den Betroffenen zu besuchen, mit ihm zu sprechen und ihm Hilfestellung bei der Suche nach einem Verteidiger zu leisten ([X.], Fall [X.], a.a.[X.], Rn. 85).

Zum Zeitpunkt der zweiten polizeilichen Vernehmung hatte der Beschwerdeführer bereits einen Verteidiger, den er auch schon konsultiert hatte. Weshalb dieser nicht bei der Vernehmung anwesend war, bleibt letztlich unklar; jedenfalls aber war in diesem Zeitpunkt der Schutzzweck der [X.] erfüllt, sodass dem Beschwerdeführer kein Nachteil im Sinne der Rechtsprechung des [X.] entstanden sein dürfte ([X.], Überlange Verfahrensdauer und andere Verfahrensfehler im Strafverfahren unter Berücksichtigung der [X.] des Großen Senats für Strafsachen, 2011, [X.]).

(4) Ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass die Aufhebung des Strafurteils bei unterbliebener Belehrung nach den Regeln des [X.] Strafprozesses davon abhängt, dass das Urteil auch auf dem [X.] beruht.

Auch der [X.] verlangt nicht nur einen tatsächlich entstandenen Nachteil für den Betroffenen, sondern darüber hinaus die Feststellung eines Ursachenzusammenhangs zwischen diesem Nachteil und der Verletzung des Völkerrechts (vgl. [X.], Fall [X.], a.a.[X.], Rn. 122 f., 138: "in the causal sequence of events" bzw. "the possible prejudice caused by that violation"; vgl. [X.], [X.] 2004, S. 691 <697 f.>). Fehlt es daran, so gibt es nichts dagegen zu erinnern, dass - wie in der angegriffenen Entscheidung - der Ausfall der Belehrung im Ergebnis ohne prozessuale Sanktion bleibt. Ausdrücklich verlangt der [X.] nicht in jedem Fall eine Sanktionierung des Völkerrechtsverstoßes ([X.], Fall [X.], a.a.[X.], Rn. 139: " whatever may be the actual outcome of such review and reconsideration").

Dass der [X.] die Gesichtspunkte des Nachteils und des Ursachenzusammenhangs in die Beruhensprüfung integriert hat, lässt einen Verstoß gegen diese Anforderungen und das Recht auf ein faires Verfahren nicht erkennen.

cc) Die Nichtgewährung einer Kompensation im Rahmen der sogenannten [X.] (vgl. hierzu [X.], 124 ff.) kann den Beschwerdeführer schon deshalb nicht in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzen, weil die [X.] nicht im Einklang mit den Vorgaben für eine angemessene Wiedergutmachung für eine unterbliebene Belehrung stünde. In Fällen, in denen der Betroffene - wie hier - zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, ist die erneute Überprüfung des Schuld- und Strafausspruchs geboten ([X.], Fall [X.], a.a.[X.], Rn. 125: " review and reconsideration of the conviction and sentence"). Dagegen bleibt es bei der sogenannten [X.] bei der dem Unrecht und der Schuld angemessenen Strafe, die nicht in eine aus Entschädigungsgründen reduzierte Strafe umgewandelt wird (vgl. [X.], 124 <141>); der Strafausspruch - und erst recht der Schuldspruch - bleiben unberührt ([X.]/[X.], [X.], S. 495 <500 f.>; [X.], [X.], S. 271 <277>; [X.]/[X.], [X.], S. 369 <370>; [X.], a.a.[X.], S. 208 f.). Die Anwendung der [X.] eröffnet damit keine Möglichkeit, das Strafurteil im Einzelfall in seiner Gesamtheit zu überprüfen und die Fragen der Schuld und der Strafzumessung neu zu bewerten. "Review and reconsideration" sollen indes gerade sicherstellen, dass im Revisionsverfahren geprüft wird, welchen Einfluss der [X.] auf die Urteilsfindung hatte ([X.]/[X.], [X.] 14 <2005>, S. 7 <36>; [X.]/[X.], [X.], S. 495 <501 f.>).

2. Auch soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG rügt, hat die Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg. Ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG kann zwar auch dadurch begründet sein, dass das Revisionsgericht eine Vorlage gemäß § 132 Abs. 2 [X.] an den [X.] oder die [X.] unterlässt ([X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 17. Juli 2007 - 2 BvR 1255/07 -, [X.], S. 39 m.w.N.). Der Beschwerdeführer legt jedoch nicht dar, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Divergenzvorlage erfüllt waren. Soweit er eine Abweichung der angegriffenen Entscheidung von dem Beschluss des 5. Strafsenats vom 25. September 2007 ([X.], 48 ff.) behauptet, setzt er sich nicht damit auseinander, dass diese Entscheidung vom [X.] gemäß § 95 Abs. 2 [X.] aufgehoben wurde, damit keine Rechtswirkungen mehr von ihr ausgehen können und sie erst recht keine Grundlage mehr für eine Divergenzvorlage bilden kann (vgl. [X.], in: [X.] Kommentar zur [X.], 7. Aufl. 2013, § 132 [X.], Rn. 8). Hinsichtlich der behaupteten Abweichung der angegriffenen Entscheidung von einem Beschluss des [X.] ([X.], Beschluss vom 6. Mai 2010 - [X.]/09 -, [X.] 2010, [X.]), legt der Beschwerdeführer nicht dar, dass dieser Beschluss der angegriffenen Entscheidung entgegensteht. Die dort behandelte [X.] ergab sich nicht aus Art. 36 Abs. 1 Buchstabe b Satz 3 [X.], sondern ließ sich - da der Betroffene aus [X.] stammte - nur aus dem Konsularvertrag zwischen der [X.] und dem [X.] ([X.] 1957, [X.]) herleiten, der eine Art. 36 Abs. 1 Buchstabe b Satz 3 [X.] entsprechende ausdrückliche [X.] nicht vorsieht.

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 1579/11

05.11.2013

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 1. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BGH, 7. Juni 2011, Az: 4 StR 643/10, Beschluss

Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 132 Abs 2 GVG, Art 36 Abs 1 Buchst b S 3 KonsÜbk Wien, Art 36 Abs 2 KonsÜbk Wien, § 337 StPO, § 344 Abs 2 S 1 Alt 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 05.11.2013, Az. 2 BvR 1579/11 (REWIS RS 2013, 1467)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 1467


Verfahrensgang

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Az. 2 BvR 1579/11

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 1579/11, 05.11.2013.


Az. 4 StR 643/10

Bundesgerichtshof, 4 StR 643/10, 07.06.2011.


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V ZB 223/09

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