Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.06.2011, Az. 4 StR 643/10

4. Strafsenat | REWIS RS 2011, 6006

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 643/10
vom
7. Juni
2011
in der Strafsache
gegen

wegen
räuberischer Erpressung mit Todesfolge u.a.

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Der 4.
Strafsenat des [X.] hat auf Antrag des Generalbundes-anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers
am 7. Juni 2011 gemäß §
349 Abs. 2 und 4 [X.]
beschlossen:
1.
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 5.
April 2002 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass von der verhängten [X.] sechs Monate als vollstreckt gelten.
2.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten am 5. April 2002 wegen räuberi-scher Erpressung mit Todesfolge in Tateinheit mit versuchtem Raub mit Todes-folge zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt.
Im Rahmen seiner Revision hat der Angeklagte mit der Verfahrensrüge geltend gemacht, dass er vor seiner polizeilichen
Vernehmung nicht gemäß Art.
36 Abs. [X.]. b Satz 3 [X.] belehrt worden sei.
Nach einer ersten Verwerfung der Revision gemäß § 349 Abs. 2 [X.] als unbegründet durch Beschluss des [X.] des [X.] vom 29. Januar 2003

5 [X.]

und der Aufhebung dieses Beschlusses sowie Zurückverweisung der Sache durch das [X.] mit [X.] vom 19. September 2006 (2 BvR 2115/01 u.a., [X.], 1
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499) wegen Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) hat der 5. Strafsenat des [X.] die Revision mit Beschluss vom 25.
September 2007 (veröffentlicht in [X.], 48) erneut verworfen, [X.] mit der Maßgabe, dass von der verhängten Freiheitsstrafe sechs Monate als vollstreckt gelten.
Auf die gegen diese Entscheidung wiederum erhobene Verfassungsbe-schwerde des Beschwerdeführers hat das [X.] mit [X.] vom 8. Juli 2010 (2 BvR 2485/07
u.a., NJW 2011, 207) auch die zweite Revisionsentscheidung wegen eines Verstoßes gegen das Recht des Beschwerdeführers auf ein faires Verfahren aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an einen anderen Strafsenat des [X.] zurückverwiesen.
Danach hat nunmehr der [X.] über die Revision des Angeklagten zu entscheiden.
II.
Diese Entscheidung kann im [X.] ergehen. Nach Aufhebung auch des zweiten die Revision des Angeklagten verwerfenden Beschlusses des [X.] ist das Verfahren erneut in den Stand zurückversetzt worden, den es vor der ersten
Revisionsentscheidung vom 29. Januar 2003 hatte. Die allein noch inmitten stehende Rechtsfrage nach den Auswirkungen eines Ver-stoßes gegen die Pflicht zur Belehrung aus Art. 36 Abs. [X.]. b Satz 3 [X.] ist durch die Vorgaben nunmehr zweier bundesverfassungsgerichtlicher Entschei-dungen klar umgrenzt; der [X.] und der Verteidiger des [X.] haben zu ihr nochmals ausführlich schriftlich Stellung genommen.
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Die Rechtsfrage ist nach Auffassung des [X.]s auch zweifelsfrei zu beantworten. Die Durchführung der Hauptverhandlung lässt keine neuen [X.] tatsächlicher oder rechtlicher Art erwarten, die das gefundene Er-gebnis in Zweifel ziehen könnten (vgl. [X.], Beschluss vom 12. Oktober 2000

5 [X.], [X.]R [X.] § 349 Abs. 2 Verwerfung 6; zur Bedeutung der Revisionshauptverhandlung vgl. [X.] JZ 2011, 78, 80).

III.
Die Revision erzielt lediglich wegen einer während des [X.] eingetretenen Verfahrensverzögerung einen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne
des § 349 Abs. 2 [X.].
1. Die vom Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen sowie die Sachrü-ge dringen nicht durch. Der Erörterung bedarf lediglich die Verfahrensrüge, mit der ein Verstoß gegen Art. 36 Abs. [X.]. b Satz 3 [X.] geltend gemacht wird.
a) Der [X.] sieht mit Blick auf die Bindungswirkung der Entscheidun-gen des [X.]s (§ 31 Abs. 1, § 93c Abs. 1 Satz 2
[X.]G) davon ab, die Rüge gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 [X.] als unzulässig zu verwerfen, obwohl die Revision verschweigt, dass der Angeklagte sich am 20. [X.]vember 2001

nach Konsultation seines Verteidigers

erneut zur Sa-che eingelassen und die Richtigkeit seiner früheren Angaben bestätigt hat ([X.]. 619-621). Diesem Umstand kommt, wie sich aus den [X.] Ausführungen ergibt, entscheidungserhebliche Bedeutung für die [X.] nach einem Verwertungsverbot zu.
b) [X.] ist unbegründet. Allerdings liegt eine Gesetzesverletzung darin, dass der Angeklagte, der [X.] Staatsangehöriger ist, nach seiner 7
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Festnahme nicht durch die Polizeibeamten gemäß Art. 36 Abs. [X.]. b Satz 3 [X.] über seine Rechte belehrt worden ist
(vgl. jetzt auch § 114b Abs. 2 Satz 3 [X.]).
aa) Das [X.], dem die [X.] und die [X.] beigetreten sind, steht in der [X.] Rechts-ordnung im Range eines Bundesgesetzes, das [X.] Behörden und Gerich-te wie anderes Gesetzesrecht im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden haben ([X.], Beschluss vom 19. September 2006

2 BvR 2115/01 u.a., [X.], 499, 501; vgl. auch [X.], Beschluss vom 12. Mai 2010

4 StR 577/09, [X.], 567, zur Parallele bei der [X.]). Nach dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes haben [X.] Gerichte dabei auch die Judikate der für [X.] zuständigen internationalen Gerichte zur Kenntnis zu nehmen und sich mit ihnen auseinan-derzusetzen ([X.], Beschluss vom 19. September 2006

2 BvR 2115/01 u.a., [X.], 499, 501; vgl. auch [X.], Urteil vom 4. Mai 2011

2 BvR 2365/09 u.a., Rn. 89 ff.). Sie haben

ungeachtet ihrer auf den Einzelfall beschränkten Bindungswirkung

normative Leitfunktion ([X.], [X.] vom 19. September 2006

2 BvR 2115/01 u.a., [X.], 499, 502).
[X.]) Nach Art. 36 Abs. [X.]. b
Satz 3 [X.] obliegt die Belehrungspflicht den zuständigen Behörden des [X.] und damit auch den [X.] Polizeibeamten, sofern sie Kenntnis von der ausländischen Staatsangehörigkeit erlangen oder Anhaltspunkte für eine solche bestehen ([X.], Beschluss vom 19. September 2006

2 BvR 2115/01 u.a., [X.], 499, 503, unter Bezugnahme auf [X.], [X.], [X.], [X.], [X.] an arrested person as soon as it is realized that the per-12
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son is a foreign national,
or once there are grounds to think that the person is probably a foreign natio

c) Der Geltendmachung des Verstoßes gegen die Belehrungspflicht des Art. 36 Abs. [X.]. b Satz 3 [X.] steht nicht entgegen, dass der Angeklagte kei-nen spezifisch auf die Verletzung des Art. 36 [X.] abstellenden Widerspruch erhoben, sondern der Verwertung seiner Angaben in der [X.] vom 1. [X.]vember 2001 durch zeugenschaftliche Vernehmung der Verhörspersonen mit Blick auf die nicht durchgreifende Beanstandung eines Verstoßes gegen §§ 136, 137 [X.] widersprochen hat. Der 1. Strafsenat hat allerdings mit Beschluss vom
11. September 2007 (1 [X.], [X.], 38) die von der Rechtsprechung des [X.]. [X.]. b Satz 3 [X.] angewandt und generell verlangt, dass die den [X.] für das Tatgericht begrenzende Begründung des Widerspruchs erkennen lässt, dass die Angriffsrichtung des Widerspruchs gerade auf eine Verletzung von Art. 36 Abs. [X.]. b Satz 3 [X.] abzielt.
Der vorliegende Fall unterscheidet sich von dem jener Entscheidung zu-grunde liegenden jedoch dadurch, dass hier eine Belehrung auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht erfolgt ist. Nach den maßgeblich zu beachtenden Grundsätzen des [X.] im [X.]-Urteil muss eine umfassende Überprüfung und Neubewertung von Schuld-
und Strafausspruch unter Berücksichtigung des Konventionsverstoßes möglich sein ([X.], [X.], Germany v.
United States of America, [X.], [X.] 2001, p. 466, [X.]. 128 [nichtamtliche [X.] Übersetzung in [X.] darf nicht unter Berufung auf das Fehlen nach nationalem Pro-14
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zessrecht erforderlicher Einwände ausgeaaO, [X.]. 90, zur US-dem [X.] ein Verstoß gegen Art. 36 Abs. 2 [X.] jeden-falls dann vorliegt, wenn die Belehrung über die Rechte nach Art. 36 Abs. [X.]. b Satz 3 [X.]

wie hier

solange nicht erfolgte, wie die Einwände nach [X.] Prozessrecht hät
e.
d) Das Fehlen der Belehrung nach Art. 36 Abs. [X.]. b
Satz 3 [X.] führt im vorliegenden Fall nicht zu einem Verwertungsverbot, weil dem Angeklagten hierdurch im weiteren Verfahren kein Nachteil erwachsen ist.
aa) Allerdings ist die Entstehung eines Beweisverwertungsverbotes aus einem Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach Art. 36 Abs. [X.]. b Satz 3 [X.] nicht von vornherein ausgeschlossen ([X.], Beschluss vom 8. Juli 2010

2 BvR 2485/07
u.a., NJW 2011, 207, 209 f.; anders

gegen die Mög-lichkeit eines Verwertungsverbotes

noch [X.], Urteil vom 20. Dezember 2007

3 [X.], [X.], 110, 114; offen gelassen in [X.], Beschluss vom 11. September 2007

1 [X.], [X.], 38, 41): Nach der Rechtspre-ist vielmehr im Einzel-fall zu untersuchen, ob dem Betroffenen aus dem Verstoß gegen Art. 36 Abs. [X.]. b Satz 3 [X.] im weiteren [X.] tatsächlich ein Nachteil ent-t-sprechung ist

was im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung möglich ist ([X.], Beschlüsse vom 19. September 2006

2 BvR 2115/01 u.a., [X.], 499, 503, und vom 8. Juli 2010

2 BvR 2485/07
u.a., NJW 2011, 207, 210)

dadurch Rechnung zu tragen, dass die vom [X.] für nicht speziell geregelte Beweisverwertungsverbote entwickelte Abwägungslehre zur Anwendung gebracht wird. Es hat eine Abwägung zwischen dem durch den 16
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Verfahrensverstoß bewirkten Eingriff in die Rechtsstellung des Beschuldigten
einerseits und den Strafverfolgungsinteressen des Staates andererseits stattzu-finden, wobei auf den Schutzzweck der verletzten [X.]rm ebenso abzustellen ist wie auf die Umstände, Hintergründe und Auswirkungen der Rechtsverletzung im Einzelfall ([X.], Beschluss vom 8. Juli 2010

2 BvR 2485/07
u.a., NJW 2011, 207, 210; vgl. [X.], Beschluss vom 13. Juli 2010

1 StR 251/10; s. auch
[X.]/[X.] StV 2011, 369, 376; [X.]/Müller [X.], 495, 498 ff.).
[X.]) Die hieran ausgerichtete Abwägung führt im Ergebnis nicht zur Un-verwertbarkeit der Angaben des Angeklagten bei seiner polizeilichen Verneh-mung am 1. [X.]vember 2001.
(1) Zweck der Belehrung nach Art. 36 Abs. [X.]. b Satz 3 [X.] ist die Verwirklichung des Rechts des Betroffenen auf konsularische Unterstützung bei der effektiven Wahrnehmung der eigenen Verteidigungsrechte ([X.], [X.] vom 19. September 2006

2 BvR 2115/01 u.a., [X.], 499, 502 f. un

aaO). Im [X.] steht die Vermittlung anwaltlichen Beistandes ([X.], Beschluss vom 19. September 2006

2 BvR 2115/01 u.a., [X.], 499, 503: Überschneidung der Belehrung über das Recht auf Hinzuzie-hung eines Verteidigers mit der Funktion der Belehrung nach Art. 36 Abs. 1 [X.], mit Hilfe des Konsulats einen Rechtsbeistand für den Beschuldigten zu beauftragen; [X.] GA 2007, 296, 305; [X.] 2008, 271, 274; vgl. auch [X.], Beschluss vom 14. September 2010

3 [X.], zum Inhalt der Hilfe für im Ausland inhaftierte [X.] Staatsangehörige durch [X.] Konsu-larbeamte nach § 7 KonsG). Dies gilt umso mehr, als nach der Rechtsprechung des [X.] nicht vorgesehen ist, dass der Konsular-
not envisaged, [X.] in Article 36, paragraph 1, or elsewhere in the Conven-18
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tion, [X.] entail [X.] legal representative or more directly engaging in the criminal justice pro-cess; anders offenbar [X.]/[X.] aaO S. 372). Art. 36 Abs. [X.]. b Satz 3 [X.] schützt dabei nicht speziell die Aussagefreiheit des Beschuldigten (ebenso [X.] aaO, S. 304), sondern allgemein das Recht auf effektive Vertei-digung (so auch [X.] aaO, [X.]); dies ergibt sich schon daraus, dass nach Abs. [X.].
b Satz 3 [X.] nicht verlangt, dass die Belehrung der ersten Vernehmung des Beschuldigten in jedem Fall vorausgehen muss ([X.], so [X.] a September 2006

2 BvR 2115/01 u.a., [X.], 499, 503).
(2) Vor dem Hintergrund dieses Schutzzwecks ist zunächst in die Abwä-gung einzustellen, dass der Angeklagte

was ihn freilich nicht vom persönli-chen Schutzbereich des Art. 36 Abs. 1 [X.] ausnimmt ([X.], Beschluss vom 19. September 2006

2 BvR 2115/01
u.a., [X.], 499, 503; [X.], Urteil vom 20. Dezember 2007

3 [X.], [X.], 110)

in [X.] geboren wurde und aufwuchs und nach den Feststellungen im Urteil keine sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten und keine Sozialisationsdefizite hatte, sondern insgesamt integriert in [X.] lebte. Eine wegen auslän-derspezifischer Verteidigungsdefizite konkret erhöhte Schutzbedürftigkeit des Angeklagten ist danach nicht erkennbar (vgl. dazu auch [X.] aaO).
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(3) Der

anlässlich seiner Festnahme sowohl von den [X.] als auch dem Haftrichter mehrfach über seine Rechte nach § 136 Abs. 1 Satz 2 [X.] belehrte

Angeklagte war über seine Verteidigungsmöglichkeiten orientiert. Das zeigt sich unter anderem darin, dass er auch ohne die Belehrung über die Möglichkeit konsularischen Beistands in der Lage war, seine pro-zessualen Rechte

insbesondere sein Recht zu schweigen

wahrzunehmen. So hat er vor dem Ermittlungsrichter eine Aussage unter Hinweis darauf ver-weigert, zunächst einen Rechtsanwalt sprechen zu wollen, um dessen Beauf-tragung er im Folgenden seine Familie gebeten hat. Seine Einlassung in der Beschuldigtenvernehmung vom 1. [X.]vember 2001 erfolgte, nachdem er [X.] über sein Recht auf Hinzuziehung eines Verteidigers belehrt worden war.
(4) Am 20. [X.]vember 2001, als der Angeklagte zwar noch immer nicht nach Art. 36 Abs. [X.]. b Satz 3 [X.] belehrt, wohl aber verteidigt war, also

wenngleich mit einiger Verzögerung

der Zustand hergestellt war, den sicher-zustellen Hauptzweck des Art. 36 Abs. 1 [X.] ist, hat der Angeklagte die [X.] aus seiner ersten polizeilichen Vernehmung bestätigt (vgl. auch [X.] aaO; [X.] aaO S.
305). Die Verteidigervollmacht für Rechtsanwalt T.

hatte der Angeklagte bereits am 2. [X.]vember 2001 in der JVA Hannover unter-zeichnet.
(5) Die Polizeibeamten unterließen weder bei der Festnahme noch im Vorfeld der Vernehmung vom 1. [X.]vember 2000 die Belehrung nach Art. 36 Abs. [X.]. b Satz 3 [X.] unter bewusster Umgehung dieser Vorschrift (vgl. [X.], Urteil vom 18. Dezember 2008

4 [X.], [X.]St 53, 112; [X.] vom 18. Oktober 2005

1 [X.], [X.], 236, und vom 19.
Oktober 2005

1 [X.], [X.], 181); nach damaliger in [X.] verbreiteter Rechtsauffassung (vgl. [X.],
Beschluss vom 7. [X.]-21
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vember 2001

5 [X.], [X.]R [X.] Art. 36 Unterrichtung 1) war nicht die Polizei, sondern der in §§ 115, 115 a, 128 [X.] genannte [X.] die für [X.] nach Art. 36 Abs. [X.]. b Satz 3 [X.] durch den Ermittlungsrichter hat der Angeklagte in der [X.] schon nicht behauptet. Solches ist auch nicht erkennbar: Die ermitt-lungsrichterliche Vernehmung musste ausweislich des Protokolls des [X.] vom 21. Oktober 2001 abgebrochen werden, da der Angeklagte igen Gefühlsausbruchs (krampfartiges Weinen) nicht in der Lage war, den Termin fort

(6) Schließlich kommt dem öffentlichen Interesse an einer möglichst voll-ständigen Wahrheitsermittlung angesichts der Schwere der hier inmitten ste-henden Straftat

eines Kapitalverbrechens

besondere Bedeutung zu (vgl. [X.], Beschluss vom 31. Januar 1973

2 BvR 454/71, [X.]E 34, 238, 248).
e) Dass das Urteil in sonstiger Weise auf der unterbliebenen Belehrung nach Art. 36 Abs. [X.]. b Satz 3 [X.] beruht (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 20.
Dezember 2007

3 [X.], [X.], 110 m.w.N.), kann der [X.] aus den bereits in die Abwägung eingestellten Gesichtspunkten zu den Um-ständen und Auswirkungen der Rechtsverletzung ausschließen. Für ein [X.] ist nichts ersichtlich, und die Revision trägt hierzu auch nichts vor.
2. Von der verhängten Freiheitsstrafe sind sechs Monate für vollstreckt zu erklären.
a) Allerdings kommt eine Kompensation des Verstoßes gegen die Pflicht lstre-24
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Großer [X.] für Strafsachen ,
Beschluss vom 17.
Januar 2008, [X.], 124) nicht in Betracht.
Die Entscheidung des [X.] vom 25. September 2007, für den Verstoß gegen Art. 36 Abs. [X.]. b Satz 3 [X.] eine Kompensation zu gewäh-ren, bindet den [X.] nicht; das [X.] hat diese Revisi-onsentscheidung in vollem Umfang aufgehoben ([X.], Beschluss vom 8. Juli 2010

2 BvR 2485/07
u.a., NJW 2011, 207, 211), also keine
Teilrechtskraft herbeigeführt (vgl. dazu [X.], Urteil vom 27. August 2009

3 [X.], [X.]St 54, 135; Beschluss vom 21. Dezember 2010

2 [X.]). Der Se-nat neigt der Auffassung des 3. Strafsenats aus dem Urteil vom 20. Dezember 2007 (3 [X.], [X.], 110, 118; vgl. auch [X.], Beschluss vom 10.
Dezember 2008

2 [X.]) zu, dass eine solche Kompensation gene-rell ausscheidet. Dies braucht der [X.] aber nicht zu entscheiden. Für eine Kompensation fehlt vorliegend bereits deshalb ein Anknüpfungspunkt, weil die Abwägung zur Frage nach einem Beweisverwertungsverbot und die Prüfung zum Beruhen im Übrigen ergeben haben, dass dem Angeklagten im konkreten Fall ein Nachteil im Sinne der Rechtsprechung des [X.] nicht entstanden ist (vgl. [X.], Beschluss vom 8. Juli 2010

2 BvR 2485/07
u.a., NJW 2011, 207, 210 m.w.N.).
b) Eine Kompensation nach der

i-ne

von Amts wegen zu beachtende ([X.], [X.], 53. Aufl., Art. 6 [X.] Rn. 9c m.w.N.)

der Justiz anzulastende Verfahrensverzögerung nach Erlass des tatrichterlichen Urteils zu gewähren.
aa) Eine solche sieht der [X.] für den Zeitraum ab der zweiten Revisi-onsentscheidung des [X.] vom 25. September 2007 als gegeben an. Dabei kann der [X.] offen lassen, ob und inwieweit grundsätzlich die Dauer 28
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des

vorliegend ohne offensichtliche Verzögerung durchgeführten ([X.], Beschluss vom 8. Juli 2010

2 BvR 2485/07
u.a., NJW 2011, 207, 208)

Rechtsmittelverfahrens sowie die Dauer eines Verfassungsbeschwerdever-fahrens bei der Bestimmung der für die Beurteilung einer Verzögerung maß-geblichen Verfahrensdauer mit einzubeziehen sind (zum [X.] vgl. [X.], Beschluss vom 8. Juli 2010

2 BvR 2485/07
u.a., NJW 2011, 207, 208 m.w.N.). Im vorliegenden Fall ergibt sich eine Verfah-rensverzögerung daraus, dass trotz der vom [X.] mit [X.] vom 19. September 2006 dargelegten Anforderungen bei der Prüfung der Folgen eines Verstoßes gegen die Belehrungspflicht aus Art. 36 Abs. [X.]. b Satz 3 [X.] der [X.] die Reichweite des Gebotes zur Beachtung der Rechtsprechung des [X.] erneut in einer die Grundrechte des Angeklagten beeinträchtigenden Weise unbeachtet gelassen hat. Diesen Umstand hat auch der Angeklagte in seiner Stellungnahme vom 17.
Februar 2011 hervorgehoben. Die dadurch eingetretene Verzögerung des Verfahrens, die sich über das neuerliche Verfassungsbeschwerdeverfahren und
das nach Aufhebung und Zurückverweisung erforderliche weitere Revisionsver-fahren vor dem [X.] erstreckt, begründet daher einen Kompensationsan-spruch aus Art. 13 [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 15. Januar 2009

4 StR 537/08, [X.], 241, zur überlangen Verfahrensdauer bei zweimaliger Auf-hebung des landgerichtlichen Urteils durch den [X.]).
[X.]) Nach der
Rechtsprechung des [X.] ist
die [X.] nicht mit dem Umfang der Verzögerung gleichzusetzen, sondern hat nach den Umständen des Einzelfalles grundsätzlich einen eher geringen Bruch-teil der Strafe
zu betragen
(vgl. nur [X.], Urteil vom 9. Oktober 2008

1 [X.], [X.], 633 m.w.N.). Danach ist vorliegend eine Kompensation von sechs Monaten insbesondere angesichts einer
Verzögerung von etwa vier [X.], die der Angeklagte nach seiner Entlassung aus der Haft am 10. Juni 2008 31
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weitgehend in Freiheit verbracht hat, sowie angesichts
der bei der Beurteilung der Verfahrensverzögerung zu berücksichtigenden besonderen Rolle des Bun-desverfassungsgerichts im innerstaatlichen Rechtssystem ([X.], Urteile
vom 22. Januar 2009

45749/06 und 51115/06, [X.], 561, 562, und vom 25.
Februar 2000

29357/95, NJW 2001, 211) an sich deutlich überhöht. An einer Kompensation in geringerem Umfang sieht sich der [X.] jedoch durch das Verbot der reformatio in peius gehindert. Zwar gilt das Schlechterstellungs-verbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 [X.] für den Fall der Aufhebung einer Revisi-onsentscheidung durch das [X.] nicht unmittelbar; § 79 Abs. 1 [X.]G
sieht jedoch die Möglichkeit eines [X.] gegen ein rechtskräftiges Urteil vor, das auf einer mit dem Grundgesetz für
un-vereinbar oder nach § 78 [X.]G für nichtig erklärten [X.]rm oder auf der Aus-legung einer [X.]rm beruht, die vom [X.] für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist. Zur Durchführung des [X.] verweist § 79 Abs. 1 [X.]G auf die Vorschriften der [X.], mithin auch auf das Schlechterstellungsverbot des § 373 Abs. 2 Satz 1 [X.]. Wenn dieses Verbot aber schon dort gilt, wo das [X.] die dem Strafurteil die Grundlage entziehende Entscheidung in einem anderen Verfahren trifft, so muss es erst recht zum Tragen kommen, wenn das Bundes-verfassungsgericht die fachgerichtliche Entscheidung unmittelbar aufhebt.
Das Verbot der reformatio in peius hindert den [X.] nicht, eine Kom-pensation für den Verstoß gegen die Belehrungspflicht aus Art. 36 Abs. [X.]. b Satz 3 [X.] nunmehr zu versagen. Es verhindert lediglich eine dem Angeklag-ten nachteilige Änderung in Art und Höhe der Rechtsfolgen, nicht jedoch eine Änderung der diesen zugrunde liegenden rechtlichen
Beurteilung.
c) Eine neben die Kompensation wegen rechtsstaatswidriger Verfah-rensverzögerung tretende Berücksichtigung der seit Tatbegehung vergangenen 32
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Zeit bei der Strafzumessung und infolge dessen die Aufhebung des Straf-ausspruchs ist vorliegend nicht geboten.
aa) Allerdings hat der 3. Strafsenat des [X.] (Beschluss vom 16. Juni 2009

3 [X.], [X.], 638) in einem Fall, in dem eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung von etwa drei Jahren im Revisions-verfahren durch Verlust der Akten aufgetreten war, die Sache nicht nur wegen einer vom Tatrichter vorzunehmenden Kompensation zurückverwiesen, son-dern auch im

für sich genommen nicht rechtsfehlerhaften

Strafausspruch aufgehoben, weil der lange Zeitraum zwischen Tat und Urteil wegen der [X.] Belastungen für den Angeklagten bereits im Rahmen der Straffindung zu berücksichtigen sei. Mit Beschlüssen
vom 15. März 2011

1 [X.] und
1 [X.]

hat der 1. Strafsenat des [X.] in der durch ein Anfrage-
und Vorlageverfahren nach § 132 [X.] bestimmten, nicht rechts-staatswidrig verzögerten Dauer des Revisionsverfahrens einen bestimmenden Strafzumessungsgrund erblickt und die vom Tatrichter rechtsfehlerfrei bemes-senen Einzelstrafen wie auch die Gesamtstrafe aufgehoben.
[X.]) Der [X.] braucht nicht zu entscheiden, ob er dieser

im Hinblick auf § 337 [X.] nicht unbedenklichen

Auffassung folgt. Der vorliegend inmit-ten stehende Sachverhalt weicht von den den genannten Entscheidungen zu-grunde liegenden
Fallgestaltungen
in wesentlichen Punkten erheblich ab. Zum einen betreffen jene Entscheidungen Fälle, in denen die Verzögerung im Rah-men des Revisionsverfahrens auftraten, während vorliegend die beiden

[X.] zu beurteilenden (vgl. oben III. 2. b) [X.]))

[X.] etwa zwei Drittel der Verfahrensdauer ausmachen. In diesen Zeit-räumen schwebte das Verfahren jeweils zunächst nicht mehr, sondern war rechtskräftig abgeschlossen, was u.a. im Hinblick auf die [X.] des [X.] nicht den
Beschränkungen der Untersuchungshaft unterworfenen Ange-34
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klagten von Belang ist. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die

von der Strafzumessung im engeren Sinne zu unterscheidende, aber mit ihr ver-schränkte (so auch [X.], Beschluss vom 16. Juni 2009

3 [X.],
aaO)

Kompensation für die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zu hoch be-messen ist. Nach Auffassung des [X.]s tritt daher das Zeitmoment
im konkre-ten Fall eines schweren und vom Gesetzgeber in § 78 Abs. 3 Nr. 1 StGB mit einer 30jährigen Verjährungsfrist versehenen Kapitaldelikts als Strafzumes-sungsgesichtspunkt in den Hintergrund.
Keinesfalls handelt es sich bei der hier gegebenen besonderen Sachlage um einen bestimmenden Strafzumessungs-grund.
3. [X.] beruht auf § 473 Abs. 4 [X.]. Angesichts des nur geringen Teilerfolges der Revision erscheint es nicht unbillig, den [X.] mit den vollen Kosten des Revisionsverfahrens zu belasten.

[X.] Roggenbuck

Cierniak

Mutzbauer Bender

36

Meta

4 StR 643/10

07.06.2011

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.06.2011, Az. 4 StR 643/10 (REWIS RS 2011, 6006)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 6006

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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