Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 13.12.2023, Az. 2 BvR 2143/21

2. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2023, 9046

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung des Willkürverbots (Art 3 Abs 1 GG) durch nicht nachvollziehbare fachgerichtliche Auslegung der §§ 14, 16 InsO im Falle eines Gläubigerantrags


Tenor

Der Beschluss des [X.] vom 11. Dezember 2020 - 330 [X.]/20 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 3 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird daher aufgehoben. Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Die [X.] hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens.

2

1. Über das Vermögen der Beschwerdeführerin wurde durch Beschluss des [X.] vom 20. August 2020 wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung das Insolvenzverfahren eröffnet.

3

Die Eröffnung erfolgte aufgrund von drei Gläubigeranträgen. Die Gläubiger hatten jeweils eine durch [X.] titulierte Forderung gegen die Beschwerdeführerin angeführt und die entsprechenden [X.] vorgelegt.

4

Der Eröffnungsbeschluss enthielt keine nähere Begründung, insbesondere keine Ausführungen zum Einwand der Beschwerdeführerin, dass die [X.] unzulässig seien.

5

2. Die Beschwerdeführerin legte gegen den Eröffnungsbeschluss sofortige Beschwerde ein. Sie führte hierzu im weiteren Verlauf unter anderem aus, dass die vorliegenden [X.] unzulässig seien, da das Bestehen einer Forderung des jeweiligen Gläubigers nicht glaubhaft gemacht worden sei. Die zur Glaubhaftmachung vorgelegten [X.] seien rechtswidrig und nicht rechtskräftig. Die Vorlage eines nicht rechtskräftigen [X.]s genüge zur Glaubhaftmachung einer Forderung nicht. Hinsichtlich eines weiteren [X.]s, der gegen eine andere Gesellschaft über die gleiche Forderung erwirkt worden sei, sei bei gleicher Sachlage die Zwangsvollstreckung aus dem [X.] durch Beschluss des [X.] mittlerweile eingestellt worden. Aus den Gründen dieses Beschlusses sei zu ersehen, dass die Titel zu Unrecht vollstreckbar gewesen seien.

6

3. Das [X.] half der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 16. November 2020 nicht ab.

7

Die sofortige Beschwerde sei unbegründet. Für die Frage, ob ein Eröffnungsgrund gemäß § 16 [X.] vorliege, komme es nach der Rechtsprechung des [X.] auch im Rahmen der Beschwerdeentscheidung auf den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung an. Neues Vorbringen, das sich auf diesen Zeitpunkt beziehe, sei dabei zu berücksichtigen. Der Beschwerdeführerin gelinge es nicht darzustellen, dass zum Zeitpunkt der Eröffnung keiner der in Betracht kommenden [X.] verwirklicht gewesen sei. Die Beschwerdeführerin sei angesichts der Feststellungen des Insolvenzverwalters zu diesem Zeitpunkt zahlungsunfähig und überschuldet gewesen.

8

4. Das [X.] wies die sofortige Beschwerde durch Beschluss vom 11. Dezember 2020 als unbegründet zurück.

9

Im Rahmen einer Beschwerdeentscheidung gegen den Beschluss über die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens sei maßgeblich, ob im Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung ein Insolvenzgrund gemäß § 16 [X.] vorgelegen habe. Das Amtsgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beide [X.], nämlich Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung der Beschwerdeführerin, vorgelegen hätten. Dies gelte auch dann, wenn man Verbindlichkeiten, hinsichtlich derer die Zwangsvollstreckung aus den [X.]n einstweilen eingestellt worden sei, nicht berücksichtigen würde. Denn angesichts weiterer im Insolvenzgutachten festgestellter Verbindlichkeiten bestünde auch dann Zahlungsunfähigkeit.

5. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Anhörungsrüge nach § 321a ZPO. Darin machte sie unter anderem geltend:

Das [X.] habe sich - ebenso wie das Amtsgericht - mit dem von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Einwand der fehlenden Zulässigkeit der [X.] nicht befasst. Die Beschwerdeführerin habe ausdrücklich und mit Verweis auf eine Kommentierung vorgebracht, dass die vorgelegten [X.] zur Glaubhaftmachung der Forderung (§ 14 [X.]) nicht ausreichten und die [X.] daher unzulässig seien. Damit hätte sich das [X.] in seiner Entscheidung zwingend auseinandersetzen müssen, was - entscheidungserheblich - nicht erfolgt sei.

6. Das [X.] wies die Anhörungsrüge durch Beschluss vom 25. Oktober 2021 als unbegründet zurück.

Es könne dahingestellt bleiben, ob sich das [X.] hinreichend mit dem Einwand der fehlenden Zulässigkeit des Insolvenzantrags auseinandergesetzt habe. Eine eventuelle Verletzung des rechtlichen Gehörs wäre jedenfalls nicht entscheidungserheblich. Nach der Rechtsprechung des [X.] im Beschluss vom 27. Juli 2006 - [X.] 204/04 - sei bei einer Entscheidung über ein Rechtsmittel gegen den Eröffnungsbeschluss maßgeblich, ob im Zeitraum der Eröffnungsentscheidung ein Eröffnungsgrund gemäß § 16 [X.] vorliege. Im Beschluss vom 2. April 2009 - [X.] 245/08 - habe der [X.] ergänzend darauf hingewiesen, dass die sofortige Beschwerde eine vollständige zweite Tatsacheninstanz eröffne und neues Vorbringen deshalb uneingeschränkt zu berücksichtigen sei. Das gelte auch im Verfahren der sofortigen Beschwerde gegen einen Eröffnungsbeschluss. Nach §§ 16, 17 [X.] komme es auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung unter Berücksichtigung neuen Vorbringens an, welches sich auf diesen Zeitpunkt beziehe. Das Gericht lege diese Ausführungen des [X.] dahingehend aus, dass es bei der Frage, ob eine Beschwerde gegen den Eröffnungsbeschluss Erfolg habe, letztlich auf die materielle Rechtslage im Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung ankomme, nicht hingegen darauf, ob der ursprüngliche Antrag des Gläubigers auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin zulässig gewesen sei. Aus diesem Grund sei auch die Frage, ob sich das Beschwerdegericht mit der Frage der Zulässigkeit des Insolvenzantrags hinreichend auseinandergesetzt habe, nicht entscheidungserheblich.

Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des [X.] vom 20. August 2020 (Eröffnungsbeschluss) und vom 16. November 2020 ([X.] der sofortigen Beschwerde) sowie gegen die Beschlüsse des [X.]s Hamburg vom 11. Dezember 2020 (Zurückweisung der sofortigen Beschwerde) und vom 25. Oktober 2021 (Zurückweisung der Anhörungsrüge).

Sie rügt die Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG durch die beiden Beschlüsse des [X.] sowie durch die beiden Beschlüsse des [X.]s Hamburg. Bei verständiger Würdigung der Entscheidungen könne nur davon ausgegangen werden, dass die Gerichte den Vortrag der Beschwerdeführerin über das Nichtbestehen der titulierten Forderungen und über die Art und Weise des Zustandekommens der [X.] jeweils gar nicht zur Kenntnis genommen hätten.

Weiter rügt sie die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG in Form des Willkürverbots durch die beiden Beschlüsse des [X.]s Hamburg. Die im Beschluss über die Anhörungsrüge geäußerte tragende Erwägung des [X.]s, wonach es im Beschwerdeverfahren gegen den Eröffnungsbeschluss nicht mehr auf die Zulässigkeit des Insolvenzantrags, sondern nur noch auf seine Begründetheit (Vorliegen eines Insolvenzgrunds) ankomme, sei unter keinem denkbaren rechtlichen Aspekt vertretbar, sondern willkürlich. Die Auffassung stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung des [X.], sie werde nirgends vertreten, lasse sich mit der allgemeinen Ausgestaltung des Insolvenz- und Beschwerdeverfahrens nicht in Einklang bringen und ergebe sich keinesfalls aus den vom [X.] zitierten Entscheidungen.

Der [X.] ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Sie hat hiervon keinen Gebrauch gemacht.

Die Akten des Ausgangsverfahrens haben der Kammer vorgelegen.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.] zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c [X.]). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen hat das [X.] bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zulässig und offensichtlich begründet.

1. Der Beschluss des [X.]s Hamburg vom 11. Dezember 2020 verletzt das Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Art. 3 Abs. 1 (in der Ausprägung als Willkürverbot) in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG (a). Auf die Frage, ob der Beschluss auch Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, kommt es damit nicht an (b).

a) Der Beschluss des [X.]s Hamburg vom 11. Dezember 2020 verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 (in der Ausprägung als Willkürverbot) in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG.

aa) Ein Richterspruch verstößt nach ständiger Rechtsprechung des [X.]s dann gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als Verbot objektiver Willkür (Art. 3 Abs. 1 GG), wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Schuldhaftes Handeln des Richters ist nicht erforderlich. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht objektiv willkürlich. [X.] unhaltbar ist eine fachgerichtliche Entscheidung vielmehr erst dann, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt, der Inhalt einer Norm in krasser Weise missverstanden oder sonst in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewendet wird, die Rechtslage also in krasser Weise verkannt wird (vgl. [X.] 89, 1 <13 f.>; 96, 189 <203>; 112, 185 <215 f.>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 29. Juli 2022 - 2 BvR 1154/21 -, Rn. 26).

bb) So liegt der Fall hier. Der angegriffene Beschluss vom 11. Dezember 2020 ist schlechterdings unhaltbar. Die ihm zugrundeliegende Annahme des [X.]s, bei der Prüfung der sofortigen Beschwerde gegen den Eröffnungsbeschluss komme es allein auf das Vorliegen eines [X.] (§ 16 [X.]) und nicht auf die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens an, übergeht die Existenz und verkennt die Bedeutung der Vorschrift des § 14 Abs. 1 Satz 1 [X.], deren Verhältnis zu § 16 [X.] sowie den Prüfungsumfang des Gerichts in nicht mehr nachvollziehbarer Weise. Sie ist damit unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar.

(1) Voraussetzung für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ist ein Insolvenzantrag (§ 13 Abs. 1 Satz 1 [X.]). Dieser muss zulässig und begründet sein (vgl. [X.], Beschluss vom 13. Juni 2006 - [X.] 214/05 -, juris, Rn. 6 und Rn. 13). Stellt ein Gläubiger den Insolvenzantrag, setzt die Zulässigkeit desselben gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 [X.] voraus, dass der Gläubiger ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat und seine Forderung sowie den Eröffnungsgrund glaubhaft macht. Begründet ist der Insolvenzantrag, wenn gemäß § 16 [X.] ein Eröffnungsgrund gegeben ist, im Falle eines Gläubigerantrags also Zahlungsunfähigkeit (§ 17 [X.]) oder Überschuldung (§ 19 [X.]) zur Überzeugung des Gerichts im Zeitpunkt der Eröffnung vorliegen (vgl. [X.], Beschluss vom 27. Juli 2006 - [X.] 204/04 -, juris, Rn. 8).

(2) Mit dieser Rechtslage lässt sich die tragende Annahme des [X.]s, für die Entscheidung über die sofortige Beschwerde sei allein maßgeblich, ob bezogen auf den Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung ein Eröffnungsgrund im Sinne von § 16 [X.] gegeben sei, nicht in Einklang bringen. Das Gesetz verlangt im Abschnitt "[X.] und Eröffnungsverfahren" nicht nur das Vorliegen eines [X.] (§ 16 [X.]), sondern setzt in §§ 13 bis 15b [X.] zusätzlich - sogar voranstehend - einen zulässigen Insolvenzantrag voraus. Die Gerichte haben vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens folglich nicht nur zu prüfen, ob ein Eröffnungsgrund gegeben ist (§ 16 [X.]), sondern sich zunächst mit der Frage zu befassen, ob ein zulässiger Insolvenzantrag vorliegt.

(3) So wird dies auch in Rechtsprechung und Literatur gesehen. Nach der - vom [X.] außer [X.] gelassenen - eindeutigen Rechtsprechung des [X.] hat sich die Prüfung des Insolvenzgerichts im gesamten [X.] bis zum Erlass der Eröffnungsentscheidung auch auf die Frage zu erstrecken, ob Zulässigkeitsvoraussetzungen fehlen. Ist dies der Fall, ist der Eröffnungsantrag als unzulässig abzuweisen, ohne dass es auf die weiteren Voraussetzungen der Insolvenzeröffnung, insbesondere auf die Überzeugung vom Vorliegen eines [X.] ankommt (vgl. [X.], Beschluss vom 13. Juni 2006 - [X.] 214/05 -, juris, Rn. 6). Gleiches gilt für das Beschwerdegericht im Falle einer gegen den Eröffnungsbeschluss eingelegten sofortigen Beschwerde (§ 34 Abs. 2 [X.]). Auch das Beschwerdegericht hat die Zulässigkeit des Insolvenzantrags zu prüfen, im Falle eines Gläubigerantrags also die Voraussetzungen gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 13. Juni 2006 - [X.] 214/05 -, juris, Rn. 6, 11 f.; [X.], in: [X.], [X.], 20. Aufl. 2023, § 34 Rn. 37 m.w.N.; [X.], in: [X.], [X.], 11. Aufl. 2023, § 34 Rn. 18, 26; [X.], in: [X.] Kommentar zur [X.], 4. Aufl. 2019, § 34 Rn. 74) und im Falle ihres Fehlens den Eröffnungsantrag als unzulässig abzuweisen (vgl. [X.], a.a.O.).

(4) Aus dem Beschluss vom 11. Dezember 2020 ergibt sich nichts, was die gegenteilige Annahme des [X.]s vertretbar erscheinen ließe. In dem Beschluss findet sich vielmehr keine nähere Begründung, weshalb für die Erfolgsaussichten der Beschwerde allein das Vorliegen eines Insolvenzgrunds gemäß § 16 [X.] maßgeblich sein soll. Eine Begründung wäre angesichts der Tatsache, dass das [X.] dabei von der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. IV.1.a)[X.])) zur Anwendung der maßgeblichen Normen abgewichen ist, verfassungsrechtlich geboten gewesen (vgl. Beschluss der [X.] des [X.] vom 7. Juli 2014 - 1 BvR 1063/14 -, Rn. 13, 16 f.).

(5) Aus den - ohnehin erst nachträglich - im Beschluss vom 25. Oktober 2021 zitierten höchstrichterlichen Entscheidungen herzuleiten, dass es nicht auf die Zulässigkeit des Insolvenzantrags, sondern allein auf das Vorliegen eines [X.] gemäß § 16 [X.] ankomme, ist ebenfalls unter keinem denkbaren rechtlichen Aspekt vertretbar. Die bereits im Beschluss vom 11. Dezember 2020 genannte Entscheidung des [X.] vom 27. Juli 2006 - [X.] 204/04 - betrifft allein die Frage, ob im Rahmen einer Beschwerdeentscheidung bei der Prüfung des Vorliegens eines [X.] (§ 16 [X.]), also für die Begründetheit des Antrags, auf den Zeitpunkt der letzten Tatsacheninstanz oder - so der [X.] - auf den Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung unter Berücksichtigung von neuem Vorbringen in der Beschwerdeinstanz abzustellen ist. Mit den Zulässigkeitsvoraussetzungen gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 [X.] und ihrem Verhältnis zu § 16 [X.] befassen sich diese und die weiteren erst im Beschluss vom 25. Oktober 2021 zitierten Entscheidungen an keiner Stelle. Die Zulässigkeit des Insolvenzantrags stand dort jeweils nicht in Frage.

b) Auf die Frage, ob der Beschluss des [X.]s vom 11. Dezember 2020 auch den Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG, verletzt und ob und inwieweit der Beschluss hierauf beruht, kommt es damit nicht mehr an.

2. Der Beschluss des [X.]s Hamburg vom 11. Dezember 2020 ist wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG aufzuheben (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 [X.]).

Die Sache ist an das [X.] zur erneuten Entscheidung über die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin zurückzuverweisen. Die Entscheidung über die Zurückverweisung beruht auf § 95 Abs. 2 [X.].

3. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung anzunehmen.

a) Aufgrund der Zurückverweisung der Sache an das [X.] steht der Rechtsweg zur Entscheidung über die verfahrensrechtlichen Einwendungen gegen den Eröffnungsbeschluss des [X.] vom 20. August 2020 wieder offen, so dass die Verfassungsbeschwerde insoweit nach dem in § 90 Abs. 2 Satz 1 [X.] zum Ausdruck kommenden Grundsatz der Subsidiarität nicht zur Entscheidung anzunehmen war (vgl. [X.]K 7, 350 <357>; 15, 37 <53>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 29. Juni 2022 - 2 BvR 447/22 -, Rn. 55).

b) Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den [X.]beschluss des [X.] vom 16. November 2020 richtet, ist sie unzulässig, da eine [X.]entscheidung als Verfahrensinternum nicht gesondert mit der Verfassungsbeschwerde angreifbar ist. Von einem [X.]beschluss geht keine eigenständige Beschwer aus, da er nur eine Zwischenentscheidung im Rechtsbehelfsverfahren darstellt (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 17. Dezember 2020 - 2 BvR 1787/20 -, Rn. 43). Die selbstständige Anfechtung einer gerichtlichen Zwischenentscheidung im Wege der Verfassungsbeschwerde ist nur dann zuzulassen, wenn ein dringendes schutzwürdiges Interesse daran besteht, dass über die Verfassungsmäßigkeit der Zwischenentscheidung selbst und nicht erst in Verbindung mit der Überprüfung der Endentscheidung entschieden wird (vgl. [X.] 1, 322 <324 f.>; 58, 1 <23>). Ein solches Interesse ist weder dargetan noch ersichtlich, zumal die den Instanzenzug abschließende Beschwerdeentscheidung des [X.]s Hamburg mit der Verfassungsbeschwerde gesondert angegriffen worden ist.

c) Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des [X.]s Hamburg vom 25. Oktober 2021 (Zurückweisung der Anhörungsrüge) richtet, ist sie mangels eigenständiger Beschwer unzulässig. Ein Beschluss, mit dem über eine Anhörungsrüge entschieden wird, kann nur dann Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein, wenn mit ihm eine eigenständige Beschwer verbunden ist (vgl. [X.] 119, 292 <295>; [X.]K 13, 496 <498> m.w.N.; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 31. Januar 2020 - 2 BvR 2992/14 -, Rn. 35; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 10. Mai 2023 - 2 BvR 370/22 -, Rn. 20). Eine solche kann insbesondere dann vorliegen, wenn der Beschluss über die Anhörungsrüge dazu führt, dass bereits der Zugang zum [X.] verwehrt wird (vgl. [X.] 119, 292 <295>; [X.]K 13, 496 <498> m.w.N.). Keine eigenständige Beschwer liegt hingegen vor, wenn der Beschwerdeführer lediglich die unterbliebene Korrektur und Perpetuierung vorangegangener [X.] rügt (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 26. Februar 2008 - 1 BvR 2327/07 -, Rn. 17; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 1. April 2019 - 2 BvR 382/19 -, Rn. 54; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 10. Mai 2023 - 2 BvR 370/22 -, Rn. 20). Eine mit der Entscheidung über die Anhörungsrüge verbundene eigenständige Beschwer ist danach vorliegend weder dargelegt noch ersichtlich. Denn die Beschwerdeführerin rügt bezogen auf den Beschluss vom 25. Oktober 2021 nur [X.], die das [X.] nach ihrem Vortrag auch bereits im Beschluss vom 11. Dezember 2020 begangen haben soll. Sie macht so lediglich eine Perpetuierung vorangegangener [X.] geltend, was keine mit der Anhörungsrüge verbundene eigenständige Beschwer zu begründen vermag. Eine solche ist auch unter keinem sonstigen Gesichtspunkt erkennbar.

4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin beruht auf § 34a Abs. 2 und Abs. 3 [X.].

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 2143/21

13.12.2023

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 2. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend LG Hamburg, 25. Oktober 2021, Az: 330 T 57/20, Beschluss

Art 3 Abs 1 GG, Art 19 Abs 3 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 14 Abs 1 S 1 InsO, § 16 InsO, § 34 Abs 2 InsO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 13.12.2023, Az. 2 BvR 2143/21 (REWIS RS 2023, 9046)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 9046

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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