Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 24.02.2015, Az. 1 BvR 562/13

1. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2015, 15073

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen Ausschluss des leiblichen Vaters von der Vaterschaftsanfechtung bei bestehender sozial-familiärer Beziehung von Kind, Kindesmutter und rechtlichem Vater


Gründe

I.

1

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Zurückweisung eines Antrags auf [X.]chaftsanfechtung.

2

1. Der Beschwerdeführer ist unstreitig leiblicher Vater einer im Jahr 2002 geborenen Tochter. Er war mit deren Mutter nicht verheiratet. Nach der Geburt lebten der Beschwerdeführer, die Kindesmutter und die Tochter in einem gemeinsamen Haushalt, wobei der Beschwerdeführer in die Versorgung und Betreuung des Kindes eingebunden war. [X.] trennten sich der Beschwerdeführer und die Kindesmutter. Die Tochter blieb bei der Mutter. Zwischen dem Beschwerdeführer und der Tochter fanden weiterhin Umgangskontakte statt. Ebenfalls im [X.] nahm die Mutter eine eheähnliche Gemeinschaft mit [X.] auf. Seit April 2009 hielt sich der neue Partner der Mutter bis auf einen Tag in der Woche im Haushalt der Mutter und ihrer Tochter auf und nahm dort am Familienleben teil. Im April 2011 bezog er mit der Mutter und deren Tochter die umgebaute gemeinsame Wohnung und erkannte die [X.]chaft für das Kind an. Im September 2012 schlossen die Kindesmutter und ihr neuer Partner die Ehe. Sie leben nach wie vor mit der Tochter in einem gemeinsamen Haushalt.

3

2. Im März 2012 machte der Beschwerdeführer ein [X.]chaftsanfechtungsverfahren anhängig und beantragte festzustellen, dass nicht der Ehemann der Kindesmutter, sondern er der Vater des betroffenen Kindes ist. Er machte geltend, dass er seit der Geburt des Kindes bis 2008 in einer sozial-familiären Beziehung mit dem Kind gelebt habe. Eine sozial-familiäre Beziehung des Kindes zum Ehemann der Mutter bestehe nicht. Dieser trage nicht dauerhaft Verantwortung für das Kind.

4

3. Mit angegriffenem Beschluss vom 19. Oktober 2012 wies das Amtsgericht den Antrag des Beschwerdeführers zurück. Die dagegen gerichtete Beschwerde wies das [X.] mit angegriffenem Beschluss vom 8. Januar 2013 zurück. Beide Gerichte kamen zu dem Ergebnis, dass der Ehemann der Kindesmutter aufgrund wirksamer [X.]chaftsanerkennung rechtlicher Kindesvater sei und eine [X.]chaftsanfechtung an der Regelung des § 1600 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 1600 Abs. 2 BGB scheitere, da zwischen Kind und rechtlichem Vater seit April 2009 eine sozial-familiäre Beziehung bestehe. Die Gerichte seien nach dem Ergebnis der amtsgerichtlichen Beweisaufnahme überzeugt, dass der rechtliche Vater seit April 2009 mit Mutter und Kind in häuslicher Gemeinschaft lebe und tatsächlich Verantwortung für das Kind trage. Die gesetzliche Regelung, die den leiblichen Vater auch dann von einer Anfechtung ausschließe, wenn dieser mit dem Kind früher in einer sozial-familiären Beziehung gelebt habe, verstoße nicht gegen die Verfassung und stehe auch in Einklang mit der Europäischen Konvention für Menschenrechte.

5

4. Mit der [X.]beschwerde rügt der Beschwerdeführer der Sache nach eine Verletzung von Art. 6 Abs. 2, Art. 3 Abs. 1 und 2 GG sowie von Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 6, 8, 14 [X.]. Bereits das [X.] sei von seiner Ausgestaltung her verfassungswidrig, da der Gesetzgeber eine [X.]chaftszuordnung durch [X.]chaftsanerkenntnis und Zustimmung der Mutter vorsehe, ohne dabei die Rechte und Interessen des Kindes sowie des leiblichen [X.] angemessen zu berücksichtigen. Auch sei der Ausschluss des Anfechtungsrechts des leiblichen [X.] verfassungswidrig, wenn nicht berücksichtigt werde, dass der leibliche Vater - so wie der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall - ebenfalls in einer sozial-familiären Beziehung mit dem Kind gelebt habe. Die konkrete Rechtsanwendung im Einzelfall sei ebenfalls verfassungswidrig, nachdem die Gerichte bei der Frage nach der Anfechtungsberechtigung des Beschwerdeführers keinen angemessenen Ausgleich der Interessen herbeigeführt hätten. Auch hätten es die Gerichte versäumt zu prüfen, ob der rechtliche Vater überhaupt dauerhaft für die Zukunft Verantwortung für das Kind tragen werde.

II.

6

Die [X.]beschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 [X.] nicht zur Entscheidung angenommen, weil ihr keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und deren Annahme nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 [X.] genannten Rechte angezeigt ist. Die [X.]beschwerde ist unbegründet.

7

1. Die gesetzliche Ausgestaltung des [X.]chaftsanerkenntnisverfahrens und der [X.]chaftsanfechtung verletzt den Beschwerdeführer insbesondere nicht in seinem verfassungsrechtlichen Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG). Zwar schützt Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG das Interesse des leiblichen [X.] eines Kindes, auch die rechtliche Stellung als Vater einzunehmen; die Verpflichtung des Gesetzgebers, hierfür ein Verfahren bereitzustellen, ist Teil der verfahrensrechtlichen Gewährleistung aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG (vgl. [X.] 108, 82 <104 f.>). Das [X.] hat jedoch bereits festgestellt, dass es verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden ist, den mutmaßlichen biologischen Vater zum Schutz der [X.] von der [X.]chaftsanfechtung auszuschließen (vgl. [X.] 108, 82 <106 ff.>). Es hat dies auch in Fällen für verfassungsgemäß gehalten, in denen der biologische Vater vor und in den Monaten nach der Geburt eine sozial-familiäre Beziehung zum Kind aufgebaut hat und hat für diese Konstellation lediglich aus Art. 6 Abs. 1 GG ein Umgangsrecht abgeleitet (vgl. [X.] 108, 82 <87 f., 90, 106, 109, 112 f.>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 4. Dezember 2013 - 1 BvR 1154/10 -, juris, Rn. 5). Aus der Rechtsprechung des [X.] folgt nichts anderes. Der Gerichtshof hat insbesondere klargestellt, dass die Entscheidung darüber, ob dem biologischen Vater in dem Fall, dass die rechtliche [X.]chaft mit der Rolle als [X.] Vater übereinstimmt, die Anfechtung der [X.]chaft gestattet werden soll, innerhalb des Regelungsspielraums des Staates liegt (EGMR, [X.], Urteil vom 22. März 2012, Nr. 23338/09, juris, Rn. 78 ff.; [X.] v. [X.], Urteil vom 22. März 2012, Nr. 45071/09, juris, Rn. 74 ff.; [X.] v. [X.], Entscheidung vom 11. Dezember 2012, Nr. 11858/10, juris).

8

Auch der vorliegende Fall gibt keinen Anlass, an der Vereinbarkeit der gesetzlichen Ausgestaltung des Zugangs biologischer Väter zur rechtlichen Elternschaft mit deren Grundrechten zu zweifeln. Zwar unterscheidet sich der hier zu entscheidende Fall von den früher beurteilten Sachverhalten insofern als der Beschwerdeführer hier von der Geburt des Kindes im Jahr 2002 bis zur Trennung der Eltern im [X.] mit dem Kind zusammengelebt und auch nach der Trennung eine tatsächliche Verbindung zum Kind durch Umgangskontakte aufrechterhalten hat. Trotz der [X.] Beziehungen zu seinem Kind hatte der Beschwerdeführer rechtlich keine Möglichkeit, die Erlangung der rechtlichen [X.]chaft durch den Lebenspartner der Mutter im Jahr 2011 in dessen [X.] zu verhindern; eine Prüfung der biologischen [X.]chaft ist im [X.] nicht vorgesehen. Gleichwohl war das Interesse des Beschwerdeführers daran, die rechtliche Elternstellung einzunehmen, aber auch hier rechtlich hinreichend geschützt. Da hier, anders als in früher entschiedenen Fällen, für das im Jahr 2002 geborene Kind bis zur [X.]chaftsanerkennung durch den neuen Partner der Mutter im Jahr 2011 keine [X.]chaft irgendeines Mannes für das Kind bestand, hätte der Beschwerdeführer als leiblicher Vater bis zu diesem Zeitpunkt jederzeit die rechtliche [X.]tellung einnehmen können, ohne dass die Mutter oder Dritte dies hätten verhindern können. Dass dies nicht geschehen ist, liegt daran, dass der Beschwerdeführer bis zur [X.]chaftsanfechtung im Jahr 2012 die erforderlichen Schritte nicht unternommen hat, ohne dass er daran erkennbar gehindert gewesen wäre. Die rechtliche [X.]tellung zu erlangen, wäre ihm bis zur [X.]chaftsanerkennung durch den neuen Partner der Mutter im Jahr 2011 rechtlich ohne Weiteres möglich gewesen. Er hätte die [X.]chaft bis dahin nach § 1592 Nr. 2, § 1594 BGB anerkennen können. Hätte die Mutter die Zustimmung hierzu nach § 1595 Abs. 1 BGB verweigert, hätte der Beschwerdeführer die [X.]chaft nach § 1600d BGB gerichtlich feststellen lassen können. Dies war ihm auch nach der Trennung von der Mutter noch bis zum Zeitpunkt der [X.]chaftsanerkennung durch deren neuen Partner möglich. Bis zu diesem Zeitpunkt hätte auch eine sozial-familiäre Beziehung zwischen dem neuen Partner und dem Kind der Erlangung der rechtlichen [X.]tellung durch den Beschwerdeführer, sei es durch Anerkennung sei es aufgrund gerichtlicher Feststellung, nicht entgegengestanden, weil diese nur die Anfechtung (§ 1600 Abs. 2 BGB), nicht aber die Anerkennung und gerichtliche Feststellung der [X.]chaft ausschließt. Ein weitergehender Schutz des Interesses des leiblichen [X.], auch die rechtliche Stellung als Vater einzunehmen, ist von [X.] wegen nicht geboten.

9

2. Unbegründet ist die [X.]beschwerde auch, soweit sich der Beschwerdeführer gegen die Anwendung des § 1600 Abs. 2 BGB in seinem konkreten Fall wendet.

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers waren die Gerichte nicht verpflichtet, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob der rechtliche Vater der Tochter auch künftig elterliche Verantwortung ausüben werde. Nach der Vorschrift des § 1600 Abs. 2 und 4 Satz 1 BGB reicht es zur Annahme einer das Anfechtungsrecht des leiblichen [X.] ausschließenden sozial-familiären Beziehung zwischen Kind und rechtlichem Vater aus, dass der rechtliche Vater zum maßgeblichen Zeitpunkt für das Kind tatsächliche Verantwortung trägt. Der maßgebliche Zeitpunkt ist grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. [X.], Urteil vom 6. Dezember 2006 - [X.]/04 -, juris, Rn. 17). Davon sind die Fachgerichte nach der durchgeführten Beweisaufnahme ausgegangen, ohne dass dagegen verfassungsrechtliche Bedenken bestehen. Die Beweiswürdigung wird vom Beschwerdeführer auch nicht angegriffen. Ob der rechtliche Vater auch in Zukunft Verantwortung tragen wird, ist unerheblich, da jedenfalls zum maßgeblichen Zeitpunkt eine durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte, intakte, sozial-familiäre Verbindung zwischen Kind und rechtlichem Vater bestand, die nach der vom Gesetzgeber getroffenen und mit der Verfassung in Einklang stehenden Wertentscheidung des § 1600 Abs. 2 BGB nicht durch den außerhalb des [X.] stehenden leiblichen Vater gefährdet werden soll (vgl. [X.] 108, 82 <109>).

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 562/13

24.02.2015

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 1. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Bamberg, 8. Januar 2013, Az: 7 UF 374/12, Beschluss

Art 6 Abs 2 S 1 GG, § 1592 Nr 2 BGB, § 1594 BGB, § 1600 Abs 1 Nr 2 BGB, § 1600 Abs 2 BGB, § 1600 Abs 4 S 1 BGB, Art 8 Abs 1 MRK, Art 8 Abs 2 MRK

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 24.02.2015, Az. 1 BvR 562/13 (REWIS RS 2015, 15073)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 15073

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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