Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 13.09.2017, Az. 10 C 6/16

10. Senat | REWIS RS 2017, 5424

© Bundesverwaltungsgericht, Foto: Michael Moser

BEHÖRDEN STAATSRECHT UND STAATSORGANISATIONSRECHT EUROPA EUROPAPARLAMENT

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Gegenstand

Amtliche Äußerung eines Oberbürgermeisters im politischen Meinungskampf


Leitsatz

1. Amtliche Äußerungen eines kommunalen Amtsträgers im politischen Meinungskampf sind nur innerhalb des ihm zugewiesenen Aufgaben- und Zuständigkeitsbereichs zulässig.

2. Die Befugnis zu amtlichen Äußerungen, die sich gegen eine nicht zu den politischen Parteien (Art. 21 GG) zählende politische Gruppierung richten, findet ihre Grenze nicht in dem politischen Parteien gegenüber geltenden Neutralitätsgebot, wohl aber in dem für jedes staatliche Handeln geltenden Sachlichkeitsgebot. Dieses verlangt, dass sich die amtlichen Äußerungen am Gebot eines rationalen und sachlichen Diskurses ausrichten und auf eine lenkende Einflussnahme auf den Meinungsbildungsprozess der Bevölkerung verzichten.

Tatbestand

1

Die Klägerin meldete im Dezember 2014 beim [X.] für den 12. Januar 2015 in der [X.] von 18:45 Uhr bis 22:00 Uhr eine öffentliche Versammlung mit dem Motto "[X.] gegen die Islamisierung des Abendlandes" an. Als Veranstalterin benannte sie die Vereinigung "Dügida - [X.] gegen die Islamisierung des Abendlandes"; sich selbst benannte die Klägerin als verantwortliche Leiterin. Das [X.] bestätigte die Anmeldung der Versammlung mit Schreiben vom 8. Januar 2015.

2

Am 7. Januar 2015 wurde auf der Internetseite der [X.] [X.] folgender Text veröffentlicht:

"[X.] [X.] setzt Zeichen gegen Intoleranz

Neben dem [X.] wird an weiteren markanten Gebäuden am Montagabend, 12. Januar, die Beleuchtung ausgeschaltet.

Anlässlich der für Montagabend, 12. Januar, in [X.] angemeldeten Demonstration der '[X.] (Anmelderin [X.]) ruft Oberbürgermeister [X.] alle [X.]innen und [X.], örtliche Unternehmen und Geschäftsleute dazu auf, 'Zeichen gegen Intoleranz und Rassismus' zu setzen und die Beleuchtung ihrer Gebäude (ausgenommen sicherheitsrelevante Lichter) am Montagabend ab 18:25 Uhr auszuschalten.

Oberbürgermeister [X.]: 'Das ist das richtige Signal, dass in [X.] kein Platz für das Schüren dumpfer Ängste und Ressentiments ist. [X.] ist eine weltoffene [X.], in der jeder willkommen ist.'

Neben dem [X.] des [X.] wird aufgrund der Initiative von Oberbürgermeister [X.] auch die Beleuchtung von Gebäuden entlang des [X.], zum Beispiel die des [X.] und des [X.] am [X.], der [X.], der [X.] und des Ehrenhofes erlöschen. Auch andere historische Gebäude wie die [X.] oder die angestrahlten Bäume der [X.] sind Teil der Aktion. Weiterhin werden auch die Lichter am Riesenrad von [X.] um 18:25 Uhr abgeschaltet.

Zudem bittet Oberbürgermeister [X.], sich der Gegendemonstration '[X.] Bürgerinnen und Bürger für Demokratie und Vielfalt - Mit rheinischer Toleranz gegen Ausgrenzung und Hass' anzuschließen. Diese startet am Montag, 12. Januar, 17:30 Uhr an der [X.] 34-38 in Höhe des DGB-Hauses."

3

Die von der Klägerin angemeldete Versammlung fand am 12. Januar 2015 statt. Während ihrer Dauer wurde die Beleuchtung des [X.] sowie weiterer öffentlicher Gebäude der [X.] ausgeschaltet.

4

Im Februar 2015 hat die Klägerin Klage erhoben mit dem Begehren festzustellen, dass die in die Internetseite [X.] vom 7. bis 11. Januar 2015 eingestellte Erklärung des Oberbürgermeisters sowie das tatsächliche Ausschalten der Beleuchtung an öffentlichen Gebäuden der [X.] rechtswidrig gewesen sei. Das Verwaltungsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat das erstinstanzliche Urteil geändert und festgestellt, dass die Einstellung der Erklärung "[X.] [X.] setzt Zeichen gegen Intoleranz" in die Internetseite [X.] vom 7. bis zum 11. Januar 2015 durch den Oberbürgermeister der [X.] rechtswidrig gewesen sei, soweit sie die [X.] Bürger und Geschäftsleute aufgerufen habe, während der Versammlung der Klägerin die Beleuchtung an ihren Gebäuden auszuschalten. Auch das Ausschalten der Beleuchtung an verschiedenen öffentlichen Gebäuden der [X.] in Abweichung von der üblichen Beleuchtung sei rechtswidrig gewesen. Die Bitte des Oberbürgermeisters, an der Gegendemonstration teilzunehmen, hat das Oberverwaltungsgericht hingegen für rechtmäßig gehalten. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Oberbürgermeister der [X.] habe zwar grundsätzlich die Befugnis gehabt, sich mit der streitbefangenen Erklärung zu der von der Klägerin angemeldeten Versammlung amtlich zu äußern. Allerdings habe er die rechtlichen Grenzen seiner Äußerungsbefugnis teilweise überschritten. Sein Aufruf, anlässlich der Versammlung der Klägerin das Licht auszuschalten, sowie das Abschalten der Beleuchtung an öffentlichen Gebäuden der [X.], sei mit dem Sachlichkeitsgebot und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Ansehung des Grundrechtsschutzes der Art. 8 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht vereinbar. Der Oberbürgermeister habe kommunale Einrichtungen zu einer politischen Symbolsetzung zweckentfremdet und der Klägerin die Möglichkeit genommen, auf die damit verbundene Aussage politischer Missbilligung in diskursiver Form zu reagieren. [X.] sei hingegen sein Aufruf zur Teilnahme an einer friedlichen Gegendemonstration gewesen. Dieser sei auf [X.] diskursiver politischer Kommunikation verblieben.

5

Zur Begründung der Revision trägt die Beklagte vor: Das Oberverwaltungsgericht ziehe die Grenzen des Äußerungsrechts des Oberbürgermeisters zu eng. Es wende Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG sowie Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Art. 8 Abs. 1 GG unzutreffend an und verkenne den Inhalt des Sachlichkeitsgebots. Der Oberbürgermeister habe als kommunaler Wahlbeamter am politischen Meinungsbildungsprozess teilnehmen dürfen, soweit Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft betroffen gewesen seien. Seine Äußerungsbefugnis werde zwar durch die Grundrechte der Klägerin begrenzt. Die Erklärung "Licht aus!" auf der städtischen Internetseite sowie das Ausschalten der Beleuchtung an öffentlichen Gebäuden hätten die Klägerin und die von ihr angemeldete Demonstration aber weder in ihrer Meinungsäußerungsfreiheit noch in ihrer Versammlungsfreiheit berührt. Diese Maßnahmen hätten lediglich eine öffentlich bekundete Gegenposition dargestellt, die von der Klägerin als Grundrechtsträgerin grundsätzlich hinzunehmen gewesen sei. Der Oberbürgermeister habe auch das Sachlichkeitsgebot nicht verletzt. Da es an einer Beeinträchtigung der Grundrechte der Klägerin fehle, könne eine Verletzung des Sachlichkeitsgebots mangels subjektiver Rechtsverletzung die (teilweise) Begründetheit der Klage nicht tragen. Unabhängig davon stelle sich die "[X.] nicht als unsachlich dar. In einem auf Rede und Gegenrede angelegten öffentlichen Meinungskampf sei eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem politischen Wirken einer Gruppierung seitens des [X.]oberhauptes nicht nur wünschenswert, sondern auch erforderlich. Der Oberbürgermeister habe auch die "Waffengleichheit" in der öffentlichen Diskussion gewahrt.

6

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des [X.] für das [X.] vom 4. November 2016 zu ändern und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts [X.] vom 28. August 2015 insgesamt zurückzuweisen.

7

Die Klägerin beantragt,

die Revision der [X.] zurückzuweisen

sowie

das genannte Urteil des [X.] für das [X.] insoweit zu ändern, als die Berufung zurückgewiesen wurde, und festzustellen, dass die Einstellung der Erklärung "[X.] [X.] setzt Zeichen gegen Intoleranz" in die Internetseite [X.] vom 7. bis zum 11. Januar 2015 durch den Oberbürgermeister der [X.] auch insoweit rechtswidrig war, als sie folgenden Inhalt hatte:

"Zudem bittet Oberbürgermeister [X.], sich der Gegendemonstration '[X.] Bürgerinnen und Bürger für Demokratie und Vielfalt - Mit rheinischer Toleranz gegen Ausgrenzung und Hass' anzuschließen. Diese startet am Montag, 12. Januar, 17.30 Uhr an der [X.] 34-38 in Höhe des DGB-Hauses."

8

Zur Begründung der [X.] macht sie geltend: Der Oberbürgermeister habe seine kommunalrechtliche Kompetenz überschritten und auch mit seinem Aufruf zur Teilnahme an der Gegendemonstration in ihre Grundrechte aus Art. 5 und 8 GG eingegriffen. Zudem habe er gegen das Neutralitätsgebot verstoßen. Mit seiner Autorität als Oberhaupt der [X.] habe er der Gegendemonstration einen Ansehensvorsprung verschafft und zugleich das Ansinnen ihrer Demonstration diskriminiert.

9

Die Beklagte beantragt,

die [X.] der Klägerin zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision der [X.] ist unbegründet. Die Anschlussrevision der Klägerin hat hingegen Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht ist ohne Verstoß gegen [X.] Recht davon ausgegangen, dass der Aufruf des Oberbürgermeisters der [X.], aus Anlass der von der Klägerin angemeldeten Versammlung das Licht auszuschalten, sowie das zeitgleiche Abschalten der [X.]eleuchtung an städtischen Gebäuden rechtswidrig waren. Demgegenüber steht seine Auffassung, der Aufruf des Oberbürgermeisters zur Teilnahme an einer friedlichen Gegendemonstration sei rechtmäßig gewesen, nicht im Einklang mit [X.]undesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

1. Das Oberverwaltungsgericht hat die Zulässigkeit der nach § 43 Abs. 1 VwGO erhobenen Feststellungsklage zutreffend bejaht. Nach dieser Vorschrift kann die Feststellung des [X.]estehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Ein solches Rechtsverhältnis liegt vor, wenn rechtliche [X.]eziehungen streitig sind, die sich aus einem bestimmten Sachverhalt aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Regelung für das Verhältnis mehrerer Personen zueinander oder das Verhältnis einer Person zu einer Sache ergeben. Auch der Inhalt eines vergangenen Rechtsverhältnisses kann zum Gegenstand einer Feststellungsklage gemacht werden, wenn es über seine [X.]eendigung hinaus noch anhaltende Wirkungen entfaltet (stRspr, vgl. nur [X.]VerwG, Urteil vom 16. Juni 2015 - 10 C 14.14 - [X.]VerwGE 152, 204 Rn. 18 f.).

Zwischen den [X.]eteiligten besteht ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis. Sie streiten darüber, ob der Oberbürgermeister der [X.] mit den in Rede stehenden Maßnahmen unzulässig in Grundrechte der Klägerin eingegriffen hat. Sein Aufruf richtet sich unmittelbar gegen die von ihr angemeldete Versammlung sowie die damit verbundene Meinungskundgabe und betrifft sie in den Grundrechten der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) und der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG). Wegen des konkludent erhobenen Vorwurfs, diese Versammlung propagiere Intoleranz und Rassismus ("Zeichen gegen Intoleranz und Rassismus"), waren die Äußerungen des Oberbürgermeisters geeignet, interessierte [X.]ürger von einer Teilnahme an der Versammlung abzuhalten und damit die Wirkung der Veranstaltung nachteilig zu beeinflussen (vgl. [X.], [X.]eschlüsse vom 24. Mai 2005 - 1 [X.]vR 1072/01 - [X.]E 113, 63 Rn. 52; auch vom 7. November 2015 - 2 [X.]vQ 39/15 - [X.]E 140, 225 Rn. 11).

Ebenso ist das nach § 43 Abs. 1 VwGO erforderliche Feststellungsinteresse der Klägerin gegeben. Ein solches Interesse kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Natur sein. Die gerichtliche Entscheidung muss geeignet sein, die Rechtsposition der Klägerin zu verbessern. Liegt das feststellungsfähige Rechtsverhältnis in der Vergangenheit, ist ein berechtigtes Interesse nach Art. 19 Abs. 4 GG zu bejahen, wenn ohne die Möglichkeit einer Feststellungsklage kein wirksamer Rechtsschutz zu erlangen wäre. Effektiver Rechtsschutz verlangt, dass der [X.]etroffene ihn belastende Eingriffsmaßnahmen in einem gerichtlichen Hauptsacheverfahren überprüfen lassen kann. Stehen hoheitliche Maßnahmen im Streit, die sich typischerweise so kurzfristig erledigen, dass sie ohne die Annahme eines Feststellungsinteresses regelmäßig keiner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnten, ist das Feststellungsinteresse auch für ein vergangenes Rechtsverhältnis zu bejahen (vgl. [X.]VerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 - 8 C 14.12 - [X.]VerwGE 146, 303 Rn. 32 m.w.N.). Die in Rede stehenden Maßnahmen des Oberbürgermeisters stehen im engen Zusammenhang mit der Versammlung der Klägerin. Sie erledigen sich typischerweise so kurzfristig, dass gerichtlicher Rechtsschutz in der Hauptsache nicht rechtzeitig erlangt werden kann.

Die Klägerin ist entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt. Die Möglichkeit einer Verletzung in ihren Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 GG durch die Äußerungen des Oberbürgermeisters der [X.] erscheint nicht ausgeschlossen.

2. Das Urteil des [X.] verletzt [X.]undesrecht, soweit es den Aufruf des Oberbürgermeisters zur Teilnahme an einer Gegendemonstration als rechtmäßig erachtet hat (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Im Übrigen steht es mit [X.]undesrecht im Einklang. Im Einzelnen:

a) Das Oberverwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass der Oberbürgermeister der [X.] befugt ist, sich im Rahmen seines Aufgabenbereichs zu Angelegenheiten der örtlichen [X.] öffentlich zu äußern, und dass sich die streitgegenständlichen Äußerungen im Rahmen dieser Aufgabenzuweisung gehalten haben.

Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistet der Gemeinde das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen [X.] im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Daraus erwächst der Gemeinde die [X.]efugnis, sich aller Angelegenheiten der örtlichen [X.], die nicht durch Gesetz bereits anderen Trägern öffentlicher Gewalt überantwortet sind, ohne besonderen Kompetenztitel anzunehmen. Angelegenheiten der örtlichen [X.] im Sinne von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG sind diejenigen [X.]edürfnisse und Interessen, die in der örtlichen [X.] wurzeln oder auf sie einen spezifischen [X.]ezug haben, die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der Gemeinde betreffen. Die Stellungnahme eines kommunalen Amtsträgers muss demnach in spezifischer Weise ortsbezogen sein (vgl. [X.]VerwG, Urteil vom 14. Dezember 1990 - 7 C 37.89 - [X.]VerwGE 87, 228 <229 f.>).

Es ist anerkannt, dass staatliche Informations- und Öffentlichkeitsarbeit notwendig ist, um den Grundkonsens im [X.] Gemeinwesen lebendig zu erhalten. Darunter fällt auch die Darlegung und Erläuterung der Politik der Regierungs- und Verwaltungsorgane hinsichtlich getroffener Maßnahmen und künftiger Vorhaben angesichts bestehender oder sich abzeichnender Probleme sowie die sachgerechte, objektiv gehaltene Information über den [X.]ürger unmittelbar betreffende Fragen und wichtige Vorgänge auch außerhalb oder im Vorfeld der eigenen gestaltenden politischen Tätigkeit (zu Äußerungen der [X.]undesregierung vgl. [X.], Urteil vom 16. Dezember 2014 - 2 [X.] - [X.]E 138, 102 Rn. 40 m.w.N.). Das kann entsprechend für die Tätigkeit des [X.]ürgermeisters einer Gemeinde angenommen werden. Dem Amt des [X.]ürgermeisters als gewähltes [X.]oberhaupt ist - vergleichbar Regierungsmitgliedern - eine kommunikative Äußerungsbefugnis inhärent. Zwar ist er kommunaler [X.]; als Leiter der gesamten Verwaltung der Gemeinde steht er an deren Spitze (vgl. § 62 Abs. 1 Satz 2 Gemeindeordnung für das [X.] - [X.]). Zugleich wird er aber von den [X.]ürgern in allgemeiner, freier, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl gewählt und kann in [X.] obendrein vor Ablauf seiner Amtszeit abgewählt werden (vgl. § 65 Abs. 1, § 66 Abs. 1 GO NW). Deshalb hat er neben der Leitung der Verwaltung auch eine originär politische Funktion wahrzunehmen. Aufgrund seiner politischen Funktion ist er befugt, sich am politischen Diskurs über spezifisch örtliche Angelegenheiten zu beteiligen.

Der Oberbürgermeister der [X.] hat den ihm durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG und seine Organkompetenz zugewiesenen Rahmen eingehalten. Seine Erklärung steht im unmittelbaren Zusammenhang mit der von der Klägerin angemeldeten Versammlung und der diese Veranstaltung tragenden politischen Gruppierung. Sie ist als Gegenposition zu dem von der Klägerin benannten Thema ihrer Versammlung "[X.] gegen die Islamisierung des Abendlandes" zu verstehen und befasst sich thematisch mit der Integration von Ausländern und dem Zusammenleben mit Muslimen in der örtlichen [X.] der [X.]. Dabei wendet sich der Oberbürgermeister ausdrücklich an seine [X.] Mitbürger, an örtliche Unternehmen und Geschäftsleute und charakterisiert [X.] als weltoffene [X.]. Darüber hinaus erhalten die Aussagen des Oberbürgermeisters durch die Wahl der [X.] als Veranstaltungsort der Versammlung der Klägerin sowie der Gegendemonstration einen spezifisch örtlichen [X.]ezug.

b) Über die kommunale Aufgabenzuweisung hinaus bedurfte es für die Maßnahmen des Oberbürgermeisters keiner gesetzlichen Grundlage.

Die Zuweisung einer Aufgabe berechtigt grundsätzlich zur Informationstätigkeit im Rahmen der Wahrnehmung dieser Aufgabe, auch wenn dadurch Grundrechte Dritter berührt werden können. Der Vorbehalt des Gesetzes verlangt hierfür keine darüber hinausgehende besondere Ermächtigung durch den Gesetzgeber, es sei denn, die Maßnahme stellt sich nach Zielsetzung und Wirkungen als Ersatz für eine staatliche Maßnahme dar, die als Grundrechtseingriff im herkömmlichen Sinne zu qualifizieren ist. Durch die Wahl eines solchen funktionalen Äquivalents eines Eingriffs kann das Erfordernis einer besonderen gesetzlichen Grundlage nicht umgangen werden (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 26. Juni 2002 - 1 [X.]vR 670/91 - [X.]E 105, 279 <303>). Das gilt auch für das Grundrecht der Versammlungsfreiheit; auch in seinem Schutzbereich bedarf es für staatliche Maßnahmen erst dann einer gesetzlichen Grundlage, wenn sie in ihrer Intensität imperativen Maßnahmen gleichstehen und eine abschreckende Wirkung entfalten (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 7. November 2015 - 2 [X.]vQ 39/15 - [X.]E 140, 225 Rn. 11).

Die Maßnahmen des Oberbürgermeisters beeinträchtigen die Klägerin zwar faktisch in deren Meinungs- und Versammlungsfreiheit. In ihrer Intensität stehen sie einem zielgerichteten regulativen Grundrechtseingriff aber nicht gleich. Der Aufruf, das Licht auszuschalten, das Abschalten der [X.]eleuchtung an städtischen Gebäuden sowie der Aufruf, an einer Gegendemonstration teilzunehmen, greifen weder objektiv zielgerichtet in die Versammlungsfreiheit der Klägerin ein, noch wirken diese Maßnahmen wie ein regulativer Grundrechtseingriff. Sie beeinträchtigen die Versammlung der Klägerin lediglich in einem Randbereich, indem sie geeignet sind, noch Unentschlossene in der Entscheidung für oder gegen eine Teilnahme zu beeinflussen.

c) Die [X.]efugnis des Oberbürgermeisters, sich in amtlicher Funktion zu der von der Klägerin angemeldeten Versammlung öffentlich zu äußern, unterliegt freilich Grenzen. Diese ergeben sich hier jedoch nicht schon aus dem Neutralitätsgebot. Das Oberverwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass das Neutralitätsgebot als Grenze der Äußerungsbefugnis eines Amtsträgers nur im Verhältnis zu politischen Parteien im Sinne des Art. 21 GG, nicht aber im Verhältnis zu sonstigen politischen Gruppierungen herangezogen werden kann.

Das Neutralitätsgebot folgt aus dem Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit (Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG). Deren Recht, gleichberechtigt am Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes teilzunehmen, wird verletzt, wenn Staatsorgane als solche parteiergreifend zugunsten oder zulasten einer politischen Partei oder von Wahlbewerbern auf die politische Willensbildung des Volkes einwirken (vgl. [X.], Urteile vom 2. März 1977 - 2 [X.] - [X.]E 44, 125 <146> und vom 10. Juni 2014 - 2 [X.] - [X.]E 136, 323 Rn. 28). Das gilt nicht nur im Wahlkampf, sondern darüber hinaus auch für den politischen Meinungskampf und Wettbewerb im Allgemeinen (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 7. November 2015 - 2 [X.]vQ 39/15 - [X.]E 140, 225 Rn. 9). Auch auf [X.] greift das Neutralitätsgebot ein. So verstoßen etwa [X.] zugunsten einer Partei oder eines Wahlbewerbers, die ein [X.]ürgermeister im Kommunalwahlkampf in amtlicher Eigenschaft abgibt, gegen die Neutralitätspflicht (vgl. [X.]VerwG, Urteil vom 18. April 1997 - 8 C 5.96 - [X.]VerwGE 104, 323 <326 f.>; [X.]eschluss vom 19. April 2001 - 8 [X.] 33.01 - [X.]uchholz 160 Wahlrecht Nr. 47 S. 2; vgl. auch [X.], [X.]eschluss vom 19. März 2014 - 2 [X.]vQ 9/14 - juris Rn. 11).

Das Neutralitätsgebot dient dem Schutz der Chancengleichheit der politischen Parteien. Gegenüber politischen Gruppierungen, die nicht als politische Partei organisiert sind, sich nicht an politischen Wahlen beteiligen und sich in der Regel durch einen vergleichsweise niedrigen Organisationsgrad auszeichnen, besteht hingegen keine vergleichbare Interessenlage. Für eine Anwendung des Neutralitätsgebots zugunsten solcher politischer Gruppierungen besteht daher kein Anlass. Dabei kann offen bleiben, ob das Neutralitätsgebot bei öffentlichen Äußerungen von kommunalen Amtsträgern zu beachten wäre, wenn deren Meinungskundgabe eine politische Gruppierung im Vorfeld der Parteiengründung beträfe. Nach den für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des [X.] (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO) handelt es sich bei der die Versammlung der Klägerin tragenden "Dügida"-[X.]ewegung nicht um eine politische Partei, sondern um eine Vereinigung ohne feste Struktur mit einem in personeller wie sächlicher Hinsicht lediglich niedrigschwelligen Organisationsgrad, mithin nicht einmal um eine Gruppierung im Vorfeld der Parteiengründung.

d) Im Grundsatz trifft ebenso die Annahme des [X.] zu, die Äußerungsbefugnis des Oberbürgermeisters der [X.] im politischen Meinungskampf finde ihre Grenzen in den Anforderungen des Sachlichkeitsgebots, das für jedes Staatshandeln gilt (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 26. Juni 2002 - 1 [X.]vR 558, 1428/91 - [X.]E 105, 252 <272>). Allerdings hat das Oberverwaltungsgericht den Inhalt des Sachlichkeitsgebots zu eng bestimmt und deshalb die gebotenen rechtlichen Schlüsse daraus nur unvollständig gezogen.

aa) In der Rechtsprechung ist geklärt, dass amtliche Äußerungen sich an den allgemeinen Grundsätzen für rechtsstaatliches Verhalten in der Ausprägung des Willkürverbots und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu orientieren haben. Aus dem Willkürverbot ist abzuleiten, dass Werturteile nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen dürfen, d.h. bei verständiger [X.]eurteilung auf einem im Wesentlichen zutreffenden oder zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruhen müssen, und zudem den sachlich gebotenen Rahmen nicht überschreiten dürfen (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 15. August 1989 - 1 [X.]vR 881/89 - juris Rn. 7 und 15; [X.]VerwG, Urteil vom 23. Mai 1989 - 7 C 2.87 - [X.]VerwGE 82, 76 <83>; [X.]eschluss vom 11. November 2010 - 7 [X.] 54.10 - juris Rn. 14).

Staatliche Amtsträger unterstehen jedoch nicht allein dem [X.], sondern auch dem [X.]prinzip. Die freie [X.]ildung der öffentlichen Meinung ist Ausdruck des [X.] Staatswesens (Art. 20 Abs. 1 GG), in dem sich die Willensbildung des Volkes frei, offen, unreglementiert und grundsätzlich "staatsfrei" vollzieht. Der Willensbildungsprozess im [X.] Gemeinwesen muss sich vom Volk zu den Staatsorganen, nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk hin, vollziehen (vgl. [X.], Urteil vom 19. Juli 1966 - 2 [X.]vF 1/65 - [X.]E 20, 56 <98 f.>; [X.]eschlüsse vom 14. Mai 1985 - 1 [X.]vR 233, 341/81 - [X.]E 69, 315 <346> und vom 4. Juli 2012 - 2 [X.]vC 1, 2/11 - [X.]E 132, 39 <50>). Einem Amtsträger in Wahrnehmung seiner hoheitlichen Funktion ist deshalb eine lenkende oder steuernde Einflussnahme auf den politischen Meinungsbildungsprozess der [X.]evölkerung verwehrt. Dies findet seinen Niederschlag auch darin, dass Äußerungen eines Amtsträgers, der sich in Wahrnehmung seiner hoheitlichen Funktion am politischen Meinungskampf beteiligt, nicht demselben Maßstab unterliegen, der bei Meinungsäußerungen von [X.]ürgern untereinander anzulegen ist. Während sich der [X.]ürger auf die Wahrnehmung seines Grundrechts der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) stützen kann, ist dem Staat die [X.]erufung auf Art. 5 Abs. 1 GG gegenüber seinen [X.]ürgern verwehrt (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 27. März 1996 - 8 [X.] 33.96 - [X.]uchholz 415.1 [X.] Nr. 133 S. 5). Art. 5 GG garantiert die freie [X.]ildung der öffentlichen Meinung und will den Kommunikationsprozess im Interesse der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung sichern (vgl. [X.], Urteil vom 16. Juni 1981 - 1 [X.]vL 89/78 - [X.]E 57, 295 <319>; [X.]eschluss vom 9. Februar 1994 - 1 [X.]vR 1687/92 - [X.]E 90, 27 <32>). Damit ist eine lenkende Einflussnahme des Staates unvereinbar.

Auch dies führt wieder auf das Sachlichkeitsgebot zurück, das damit auch eine spezifisch demokratische Komponente besitzt. [X.] lebt vom Austausch sachlicher Argumente; sie zielt auf eine vernunftgeleitete Sorge um das gemeine Wohl. Ein [X.], der am politischen Diskurs teilnimmt, hat deshalb seine Äußerungen an dem Gebot eines rationalen und sachlichen Diskurses auszurichten. Das schließt eine Meinungskundgabe durch symbolische Handlungen nicht aus, fordert aber den Austausch rationaler Argumente, die [X.] argumentativer Auseinandersetzung nicht verlassen. Staatliche Amtsträger dürfen ferner in der öffentlichen Diskussion Vertreter anderer Meinungen weder ausgrenzen noch gezielt diskreditieren, solange deren Positionen die für alle geltenden rechtlichen Grenzen nicht überschreiten, namentlich nicht die allgemeinen Strafgesetze verletzen. Nur so kann die Integrationsfunktion des Staates sichergestellt werden, die ebenfalls im [X.]prinzip wurzelt.

bb) Nach diesen Maßstäben hat das Oberverwaltungsgericht den Aufruf des Oberbürgermeisters der [X.], das Licht auszuschalten, sowie das Abschalten der [X.]eleuchtung an mehreren städtischen Gebäuden zu Recht für rechtswidrig gehalten. Es hat zutreffend ausgeführt, dass das symbolische Verdunkeln der [X.] für sich genommen keinen Aufschluss darüber gebe, aus welchen inhaltlich-politischen Gründen die von der Klägerin auf ihrer Versammlung vertretenen Positionen zu missbilligen seien, etwa weil sie verfassungsfeindliche Tendenzen zeigten oder den Grundwerten der öffentlichen [X.] widersprächen. Die mit beiden Maßnahmen verbundene negative Symbolik des öffentlichen Lichtlöschens bringt in drastischer Weise die Missbilligung der mit der Versammlung der Klägerin verfolgten politischen Ziele zum Ausdruck. Sie verlässt [X.] eines rationalen und sachlichen Diskurses, ohne für eine weitere diskursive Auseinandersetzung mit den politischen Zielen der von der Klägerin angemeldeten Versammlung offen zu sein.

Entgegen der Auffassung des [X.] verletzt aber auch der Aufruf des Oberbürgermeisters der [X.], an einer friedlichen Gegendemonstration teilzunehmen, das Sachlichkeitsgebot. Der Aufruf verfolgte das Ziel, die Versammlung der Klägerin in ihrer Wirkung zu schwächen und die Gegendemonstration zu stärken. Er greift unzulässig in den Wettstreit der politischen Meinungen ein und nimmt lenkenden Einfluss auf die Grundrechtsausübung der [X.]ürger. Der Wettbewerb zwischen gegenläufigen friedlichen Versammlungen ist jedoch im Rahmen staatsfreier Meinungsbildung der [X.]evölkerung auszutragen und darf nicht staatlich beeinflusst werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Meta

10 C 6/16

13.09.2017

Bundesverwaltungsgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 4. November 2016, Az: 15 A 2293/15, Urteil

Art 5 Abs 1 GG, Art 8 Abs 1 GG, Art 19 Abs 4 GG, Art 20 Abs 1 GG, Art 21 Abs 1 GG, Art 28 Abs 2 GG, § 43 Abs 1 VwGO, § 127 VwGO, § 141 S 1 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 13.09.2017, Az. 10 C 6/16 (REWIS RS 2017, 5424)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 5424

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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