Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.09.2017, Az. V ZB 109/16

5. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 4580

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Einlegung der Berufung in einer Wohnungseigentumssache beim unzuständigen Gericht aufgrund einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung


Leitsatz

Auch ein Rechtsanwalt, der Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht ist, darf in der Regel darauf vertrauen, dass die Rechtsmittelbelehrung in Wohnungseigentumssachen und in Zivilsachen mit wohnungseigentumsrechtlichem Bezug zutreffend ist (Fortführung von Senat, Beschluss vom 9. März 2017, V ZB 18/16, ZWE 2017, 293).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des [X.] - 9. Zivilkammer - vom 13. Juli 2016 aufgehoben.

Der Klägerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gewährt.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 3.000 €.

Gründe

I.

1

Die Klägerin ist eine Wohnungseigentümergemeinschaft; der Beklagte ist der frühere Verwalter der Klägerin. Mit der vor dem [X.] erhobenen Klage verlangt die Klägerin die Herausgabe von Unterlagen nach Ende der Verwaltertätigkeit. Die für [X.] zuständige Amtsrichterin hat die Klage abgewiesen. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin, einem in [X.] ansässigen Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht, am 30. Oktober 2015 zugestellt worden. In der Rechtsmittelbelehrung wird das [X.] [X.] als zuständiges Berufungsgericht bezeichnet.

2

Mit einem am 25. November 2015 eingegangenen Schriftsatz hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin Berufung bei dem [X.] [X.] eingelegt. Nach einem am 3. Dezember 2015 erfolgten gerichtlichen Hinweis auf die Unzuständigkeit des [X.]s [X.] hat er am 10. Dezember 2015 die dort eingelegte Berufung zurückgenommen und Berufung bei dem [X.] als dem gemäß § 72 Abs. 2 Satz 1 [X.] für [X.] zuständigen Berufungsgericht eingelegt, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die Berufung begründet. Das [X.] hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde. Der Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

II.

3

Das Berufungsgericht meint, Wiedereinsetzung sei nicht zu gewähren. Die unzutreffende Rechtsmittelbelehrung sei nicht ursächlich für die Fristversäumung. Dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin sei ein vermeidbarer und nicht entschuldbarer Rechtsirrtum unterlaufen. Die Rechtsmittelbelehrung des Amtsgerichts sei offensichtlich falsch gewesen. Sie hätte den mit der Spezialmaterie des Wohnungseigentumsrechts vertrauten Prozessbevollmächtigten der Klägerin zu einer weiteren Überprüfung veranlassen müssen. Die in § 72 Abs. 2 [X.] vorgesehene besondere Zuständigkeit für Berufungen in [X.] gehöre zu den Grundkenntnissen des Verfahrens- und Rechtsmittelrechts.

III.

4

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

5

1. Sie ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Ein Zulassungsgrund ist gegeben, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Sinne von § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO eine Entscheidung des [X.] erfordert. Das Berufungsgericht hat der Klägerin den Zugang zu dem von der Zivilprozessordnung eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer, aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert. Dies verletzt ihren Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. [X.] 77, 275, 284) und eröffnet die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO (vgl. Senat, Beschluss vom 23. Oktober 2003 - [X.], [X.], 367, 368 mwN).

6

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch in der Sache begründet.

7

a) Die bei dem [X.] [X.] eingelegte Berufung hat die Frist des § 517 ZPO nicht gewahrt. Zuständiges Berufungsgericht ist nämlich gemäß § 72 Abs. 2 Satz 1 [X.] das [X.], weil das Verfahren eine Streitigkeit zwischen einer Wohnungseigentümergemeinschaft und einem früheren Hausverwalter über die Herausgabe von Unterlagen nach Ende der Verwaltertätigkeit betrifft und es sich damit um eine Wohnungseigentumssache gemäß § 43 Nr. 3 WEG handelt (vgl. Senat, Beschluss vom 9. Dezember 2010 - [X.]/10, [X.], 185 Rn. 11).

8

b) Die unzutreffende Rechtsmittelbelehrung des Amtsgerichts hat dazu geführt, dass die Klägerin die Berufungsfrist ohne ihr Verschulden versäumt hat. Aus diesem Grund ist ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 233 ZPO).

9

aa) Die inhaltlich unzutreffende Rechtsmittelbelehrung war entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kausal für die Versäumung der Berufungsfrist. Daran bestehen nach dem tatsächlichen Ablauf keine Zweifel, weil der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung befolgt hat (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 12. Januar 2012 - [X.] 198/11, [X.] 199/11, [X.], 2443 Rn. 8 mwN).

bb) Die Klägerin hat die Frist unverschuldet versäumt.

(1) Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass durch eine unzutreffende Rechtsbehelfsbelehrung ein Vertrauenstatbestand geschaffen wird, der zur Wiedereinsetzung wegen schuldloser Fristversäumnis berechtigt, wenn die Belehrung einen unvermeidbaren oder zumindest entschuldbaren Rechtsirrtum auf Seiten der [X.] hervorruft und die Fristversäumnis darauf beruht. Auch eine anwaltlich vertretene [X.] darf sich im Grundsatz auf die Richtigkeit einer Belehrung durch das Gericht verlassen, ohne dass es darauf ankommt, ob diese gesetzlich vorgeschrieben ist oder nicht (vgl. zum Ganzen Senat, Beschluss vom 12. Januar 2012 - [X.] 198/11, [X.] 199/11, [X.], 2443 Rn. 10 mwN; siehe auch Senat, Beschluss vom 12. Oktober 2016 - [X.] 178/15, NJW 2017, 1112 Rn. 11; Beschluss vom 9. März 2017 - [X.] 18/16, [X.], 293 Rn. 11).

(2) Anders als das Berufungsgericht meint, befand sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in einem entschuldbaren Rechtsirrtum.

(a) Ein Rechtsirrtum ist, unabhängig von seiner Vermeidbarkeit, schon dann entschuldbar, wenn die Rechtsmittelbelehrung nicht offenkundig fehlerhaft und der durch sie verursachte Irrtum nachvollziehbar ist (vgl. Senat, Beschluss vom 12. Januar 2012 - [X.] 198/11, [X.] 199/11, [X.], 2443 Rn. 11 mwN; Beschluss vom 9. März 2017- [X.] 18/16, [X.], 293 Rn. 11). Diese Frage erörtert das Berufungsgericht zwar. Es stellt aber zu geringe Anforderungen an die Offenkundigkeit der Fehlerhaftigkeit. Offenkundig fehlerhaft ist eine Rechtsmittelbelehrung dann, wenn sie - ausgehend von dem bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Kenntnisstand - nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermochte (vgl. Senat, Beschluss vom 12. Oktober 2016 - [X.] 178/15, NJW 2017, 1112 Rn. 12 mwN); unter dieser Voraussetzung ist die Vermutung des fehlenden Verschuldens gemäß § 233 Satz 2 ZPO widerlegt (vgl. dazu MüKoZPO/[X.], 5. Aufl., § 232 Rn. 13). Hiernach bemisst sich, ob der Rechtsirrtum nachvollziehbar ist oder nicht.

(b) Wie der Senat - allerdings nach Erlass des angefochtenen Beschlusses - entschieden hat, unterliegt der Rechtsanwalt in aller Regel einem unverschuldeten Rechtsirrtum, wenn er die Berufung in einer Wohnungseigentumssache aufgrund einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung nicht bei dem nach § 72 Abs. 2 [X.] zuständigen Berufungsgericht, sondern bei dem für allgemeine Zivilsachen zuständigen Berufungsgericht einlegt. Denn eine solche Rechtsmittelbelehrung ist regelmäßig nicht offenkundig in einer Weise fehlerhaft, dass sie - ausgehend von dem bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Kenntnisstand - nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermag (Senat, Beschluss vom 9. März 2017 - [X.] 18/16, [X.], 293 Rn. 13). Die Zuständigkeit des Berufungsgerichts in [X.] und in Zivilsachen mit wohnungseigentumsrechtlichem Bezug hängt nämlich von zwei Unwägbarkeiten ab. Zum einen ist nach § 72 Abs. 2 Satz 2 [X.] nicht zwingend das in § 72 Abs. 2 Satz 1 [X.] genannte [X.] am Sitz des [X.] in [X.] zuständig, weil die Länder durch Rechtsverordnung ein anderes [X.] bestimmen können. Zum anderen tritt die [X.] nicht schon dadurch ein, dass - wie hier - der für [X.] zuständige Amtsrichter entschieden hat; maßgeblich ist allein, ob es sich um eine Streitigkeit im Sinne von § 43 Nr. 1 bis 4 oder Nr. 6 WEG handelt (Senat, Beschluss vom 9. März 2017 - [X.] 18/16, aaO Rn. 14 f.; vgl. auch Senat, Beschluss vom 12. November 2015 - [X.] 36/15, [X.], 247 Rn. 10). Die [X.] kann deshalb für den Anwalt, auch wenn er am Ort des [X.] ansässig ist, fraglich sein.

Der Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht von einem Anwalt, der über die Fachanwaltsqualifikation nicht verfügt. Für ihn ergeben sich in Bezug auf die Frage des zuständigen Berufungsgerichts die genannten Unwägbarkeiten gleichermaßen. Auch ein Rechtsanwalt, der Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht ist, darf deshalb in der Regel darauf vertrauen, dass die Rechtsmittelbelehrung in [X.] und in Zivilsachen mit wohnungseigentumsrechtlichem Bezug zutreffend ist.

cc) Die weiteren Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist liegen vor.

3. Soweit die Klägerin auch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt hat, bedarf es keiner Entscheidung durch das Rechtsbeschwerdegericht. Nach Aktenlage ist die Berufungsbegründungsfrist des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO offensichtlich gewahrt. Die Berufungsbegründung ist am 30. Dezember 2015 und damit innerhalb von zwei Monaten ab Zustellung des Urteils bei dem zuständigen Gericht eingegangen. Eine teilweise Zurückweisung der Rechtsbeschwerde ist damit nicht verbunden.

4. Der die Berufung verwerfende Beschluss wird mit der Wiedereinsetzung gegenstandslos ([X.], Beschluss vom 9. Februar 2005 - [X.]/04, [X.], 791, 792). Seine Aufhebung erfolgt nur klarstellend.

IV.

Den Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat der Senat nach der Wertfestsetzung des Berufungsgerichts bestimmt.

[X.]     

      

Schmidt-Räntsch     

      

Brückner

      

Göbel     

      

Haberkamp     

      

Meta

V ZB 109/16

28.09.2017

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Frankfurt, 13. Juli 2016, Az: 2-9 S 12/16

§ 72 Abs 2 S 1 GVG, § 43 Nr 3 WoEigG, § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 511 ZPO, § 517 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.09.2017, Az. V ZB 109/16 (REWIS RS 2017, 4580)

Papier­fundstellen: MDR 2018, 134-135 REWIS RS 2017, 4580

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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