Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.09.2017, Az. V ZB 109/16

V. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 4564

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:280917BVZB109.16.0

BUN[X.]S[X.]ERICHTSHOF

BESCHLUSS
V [X.]/16
vom

28. September
2017

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
[X.] § 72 Abs. 2; WE[X.] § 43 Nr. 1; ZPO § 233 B
Auch ein Rechtsanwalt, der Fachanwalt für Miet-
und Wohnungseigentums-recht ist, darf in der Regel darauf vertrauen, dass die Rechtsmittelbelehrung in [X.] und in Zivilsachen mit wohnungseigentums-rechtlichem Bezug zutreffend ist (Fortführung von Senat, Beschluss vom 9.
März 2017 -
V [X.], [X.], 293).
[X.], Beschluss vom 28. September 2017 -
V [X.]/16 -
L[X.] [X.] am Main

A[X.] [X.]

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2
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Der V. Zivilsenat des [X.] hat am 28. September
2017 durch die Vorsitzende Richterin [X.], die Richterinnen Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und [X.], [X.] [X.]öbel und die Richterin Haberkamp

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des [X.]s [X.] am Main -
9. Zivilkammer -
vom 13. Juli 2016 aufgehoben.

Der Klägerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gewährt.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht [X.].

Der [X.]egenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 3.000

[X.]ründe:

I.

Die Klägerin ist eine Wohnungseigentümergemeinschaft; der
Beklagte ist der frühere Verwalter der Klägerin. Mit der vor dem [X.] erhobe-nen Klage verlangt die Klägerin die Herausgabe von Unterlagen nach Ende der 1
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Verwaltertätigkeit. Die für [X.] zuständige Amtsrichterin hat die Klage abgewiesen. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Klä-gerin, einem in [X.] ansässigen Fachanwalt für Miet-
und Wohnungseigen-tumsrecht,
am 30. Oktober 2015 zugestellt worden. In der Rechtsmittelbeleh-rung wird das [X.] [X.] als zuständiges Berufungsgericht bezeichnet.
Mit einem am 25. November 2015 eingegangenen Schriftsatz hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin
Berufung bei dem [X.] [X.] ein-gelegt. Nach einem am 3. Dezember 2015 erfolgten gerichtlichen Hinweis auf die Unzuständigkeit des [X.]s [X.] hat er am 10. Dezember 2015
die dort eingelegte
Berufung zurückgenommen und Berufung bei dem [X.] [X.] am Main als dem gemäß § 72
Abs. 2 Satz 1 [X.] für [X.] zuständigen Berufungsgericht eingelegt, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt
und die Berufung begründet. Das [X.] [X.] am Main hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.
Der Beklagte beantragt die Zurückweisung des [X.].

II.

Das Berufungsgericht meint, Wiedereinsetzung sei nicht zu gewähren. Die unzutreffende Rechtsmittelbelehrung sei nicht ursächlich für die Fristver-säumung. Dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin sei
ein vermeidbarer und nicht entschuldbarer Rechtsirrtum unterlaufen. Die Rechtsmittelbelehrung des Amtsgerichts sei offensichtlich falsch gewesen. Sie hätte
den mit der [X.] vertrauten Prozessbevollmächtigten der Klägerin
zu einer
weiteren Überprüfung veranlassen müssen. Die in
§
72 Abs. 2 [X.] vorgesehene besondere Zuständigkeit für Berufungen in Woh-2
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nungseigentumssachen gehöre zu den [X.]rundkenntnissen des Verfahrens-
und Rechtsmittelrechts.

III.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Sie ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Ein [X.] ist gegeben, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Sinne von § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO eine Entscheidung des [X.] erfordert. Das Berufungsgericht hat der Klägerin
den Zugang zu dem von der Zivilprozessordnung eingeräumten Instanzenzug in [X.], aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert. Dies verletzt ihren Anspruch auf [X.]ewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 [X.][X.] i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. [X.] 77, 275, 284) und [X.] die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO (vgl. Senat, Beschluss vom 23. Oktober 2003 -
V [X.], [X.], 367, 368 mwN).
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch in der Sache begründet.
a) Die bei dem [X.] [X.] eingelegte Berufung hat die Frist des §
517 ZPO nicht gewahrt. Zuständiges Berufungsgericht ist nämlich gemäß §
72 Abs. 2 Satz 1 [X.] das [X.] [X.] am Main,
weil das Verfahren
eine
Streitigkeit zwischen einer Wohnungseigentümergemeinschaft und einem früheren Hausverwalter über
die Herausgabe von Unterlagen nach Ende der Verwaltertätigkeit betrifft und es sich
damit um eine Wohnungseigentumssache gemäß §
43 Nr. 3
WE[X.] handelt
(vgl. Senat, Beschluss vom 9. Dezember 2010 -
V [X.], [X.], 185 Rn. 11).
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b) Die unzutreffende Rechtsmittelbelehrung des Amtsgerichts hat dazu geführt, dass die Klägerin die Berufungsfrist ohne ihr Verschulden versäumt hat. Aus diesem [X.]rund ist ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu ge-währen (§
233 ZPO).
aa) Die
inhaltlich unzutreffende Rechtsmittelbelehrung
war entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts
kausal für die Versäumung der Berufungsfrist.
Daran bestehen nach dem tatsächlichen Ablauf keine Zweifel, weil der Pro-zessbevollmächtigte der Klägerin die fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung be-folgt hat (vgl.
dazu
Senat, Beschluss vom 12. Januar 2012 -
V [X.],
[X.], [X.], 2443 Rn. 8 mwN).
bb) Die Klägerin hat die Frist
unverschuldet versäumt.
(1) Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass durch eine unzutreffende Rechtsbehelfsbelehrung ein [X.] geschaffen wird,
der zur Wiedereinsetzung wegen schuldloser Fristver-säumnis berechtigt, wenn die Belehrung einen unvermeidbaren oder zumindest entschuldbaren Rechtsirrtum auf Seiten der [X.] hervorruft und die Fristver-säumnis darauf beruht. Auch eine anwaltlich vertretene [X.] darf sich im [X.]rundsatz auf die Richtigkeit einer Belehrung durch das [X.]ericht verlassen, oh-ne dass es darauf ankommt, ob diese gesetzlich
vorgeschrieben ist oder nicht (vgl. zum [X.]anzen Senat, Beschluss vom 12. Januar 2012 -
V [X.],
[X.], [X.], 2443 Rn. 10 mwN; siehe auch Senat, Beschluss vom 12. Oktober 2016 -
V [X.], [X.], 1112
Rn. 11; Beschluss vom 9.
März 2017 -
V [X.], [X.], 293 Rn. 11).
(2) Anders als das Berufungsgericht meint, befand sich der Prozessbe-vollmächtige der Klägerin in einem entschuldbaren Rechtsirrtum.
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(a) Ein Rechtsirrtum ist, unabhängig von seiner Vermeidbarkeit, schon dann entschuldbar, wenn die Rechtsmittelbelehrung nicht offenkundig fehlerhaft und der durch sie verursachte Irrtum nachvollziehbar ist (vgl. Senat, Beschluss vom 12. Januar 2012 -
V [X.], [X.], [X.], 2443 Rn. 11 mwN; Beschluss vom 9. März 2017-
V [X.], [X.], 293
Rn. 11). [X.] Frage erörtert das Berufungsgericht zwar. Es
stellt aber zu geringe Anforde-rungen an die Offenkundigkeit der Fehlerhaftigkeit. Offenkundig fehlerhaft
ist eine Rechtsmittelbelehrung
dann, wenn sie
-
ausgehend von dem bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Kenntnisstand -
nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermochte (vgl. Senat, Beschluss vom 12. Oktober 2016 -
V [X.], [X.], 1112
Rn. 12 mwN); unter dieser Vorausset-zung ist die Vermutung des fehlenden Verschuldens gemäß § 233 Satz 2 ZPO widerlegt (vgl. dazu MüKoZPO/[X.], 5. Aufl., § 232 Rn. 13). Hiernach bemisst sich, ob der Rechtsirrtum nachvollziehbar ist oder nicht.
(b)
Wie der Senat
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allerdings nach Erlass des angefochtenen Beschlus-ses -
entschieden hat, unterliegt der Rechtsanwalt in aller Regel einem unver-schuldeten Rechtsirrtum, wenn er die Berufung in einer Wohnungseigen-tumssache aufgrund einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung nicht bei dem nach § 72 Abs. 2 [X.] zuständigen Berufungsgericht, sondern bei dem für all-gemeine Zivilsachen zuständigen Berufungsgericht einlegt.
Denn eine solche Rechtsmittelbelehrung ist regelmäßig nicht offenkundig in einer Weise fehler-haft, dass sie -
ausgehend von dem bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzen-den Kenntnisstand -
nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermag
(Senat, Beschluss vom 9. März 2017 -
V [X.], [X.], 293
Rn.
13).
Die Zuständigkeit des Berufungsgerichts
in Wohnungseigentumssa-chen und in Zivilsachen
mit wohnungseigentumsrechtlichem
Bezug
hängt näm-lich
von zwei Unwägbarkeiten
ab.
Zum einen ist nach
§
72 Abs. 2 Satz 2 [X.] nicht zwingend das in § 72 Abs. 2 Satz 1 [X.] genannte [X.] am Sitz 13
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des Oberlandesgerichts für Berufungen in [X.] zustän-dig, weil die Länder durch Rechtsverordnung ein anderes [X.] bestim-men können.
Zum anderen tritt die Zuständigkeitskonzentration nicht schon dadurch
ein, dass -
wie hier -
der für [X.] zuständige Amtsrichter entschieden hat; maßgeblich ist allein, ob es sich um eine Streitig-keit im Sinne von § 43 Nr. 1 bis 4 oder Nr. 6 WE[X.] handelt (Senat, Beschluss vom 9. März 2017 -
V [X.], aaO Rn. 14 f.; vgl. auch Senat, Beschluss vom 12. November 2015 -
V [X.], [X.], 247 Rn. 10).
Die Rechtsmittelzu-ständigkeit kann deshalb
für den Anwalt, auch wenn er am Ort des Prozessge-richts ansässig ist, fraglich sein.
Der
Fachanwalt für Miet-
und Wohnungseigentumsrecht unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht
von einem Anwalt, der
über die Fachanwaltsqualifi-kation nicht verfügt.
Für ihn
ergeben sich in Bezug auf die Frage des zuständi-gen Berufungsgerichts
die genannten Unwägbarkeiten
gleichermaßen. Auch ein Rechtsanwalt, der Fachanwalt für Miet-
und Wohnungseigentumsrecht ist, darf deshalb in der Regel darauf vertrauen, dass die Rechtsmittelbelehrung in [X.] und in Zivilsachen mit wohnungseigentumsrechtli-chem
Bezug zutreffend ist.
cc) Die weiteren Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vori-gen Stand gegen die
Versäumung der Berufungsfrist liegen vor.
3. Soweit die Klägerin auch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt hat, bedarf es keiner Entscheidung
durch das Rechtsbeschwerdegericht.
Nach Aktenlage ist
die Berufungsbegründungsfrist des §
520 Abs. 2 Satz 1 ZPO offensichtlich ge-wahrt. Die Berufungsbegründung ist am 30. Dezember 2015 und damit [X.] von zwei Monaten ab Zustellung des Urteils bei dem zuständigen [X.]ericht 15
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eingegangen. Eine teilweise Zurückweisung der Rechtsbeschwerde ist damit nicht verbunden.
4. Der die Berufung verwerfende Beschluss wird mit der [X.] gegenstandslos ([X.], Beschluss vom 9. Februar 2005 -
XII [X.], [X.], 791, 792). Seine Aufhebung erfolgt nur klarstellend.

IV.

Den [X.]egenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat der Senat nach der Wertfestsetzung des Berufungsgerichts bestimmt.

Stresemann Schmidt-Räntsch Brückner

[X.]öbel Haberkamp
Vorinstanzen:
A[X.] [X.], Entscheidung vom 27.10.2015 -
37 [X.] ([X.]) -

L[X.] [X.] am Main, Entscheidung vom 13.07.2016 -
2-9 S 12/16 -

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Meta

V ZB 109/16

28.09.2017

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.09.2017, Az. V ZB 109/16 (REWIS RS 2017, 4564)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 4564

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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