Bundessozialgericht, Urteil vom 07.09.2017, Az. B 10 ÜG 1/17 R

10. Senat | REWIS RS 2017, 5631

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

(Überlanges Gerichtsverfahren - Entschädigungsklage - Altfall - sozialgerichtliches Verfahren - Klagefrist nach Art 23 S 6 ÜberlVfRSchG - materiell-rechtliche Ausschlussfrist - keine Hemmung durch Prozesskostenhilfeverfahren - Gebot der Rechtsschutzgleichheit - unverzügliche Klageerhebung nach PKH-Bewilligung - keine Benachteiligung und keine Bevorzugung unbemittelter Kläger)


Leitsatz

Zur Wahrung der Rechtsschutzgleichheit ist die spezielle Klagefrist für Altfälle nach dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren auch dann gewahrt, wenn der Kläger vor Fristablauf nur einen vollständigen Prozesskostenhilfe-Antrag stellt, aber unverzüglich nach Bekanntgabe der abschließenden Prozesskostenhilfe-Entscheidung Entschädigungsklage erhebt.

Tenor

Auf die Revision des beklagten Freistaats wird das Urteil des [X.] vom 9. Dezember 2015 abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in allen Rechtszügen zu tragen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 1200 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt eine Entschädigung wegen eines nach seiner Ansicht unangemessen langen Gerichtsverfahrens vor dem [X.] ([X.] AL 118/98) und dem [X.] (L 3 AL 229/00).

2

Das Ausgangsverfahren wegen Maßnahmen zur Förderung der Arbeitsaufnahme begann im Januar 1998 mit der Klageerhebung beim [X.]. Es endete nach erfolgloser Klage, Berufung, Revision und Zurückverweisung durch das B[X.] ([X.] AL 13/08 R) im wieder eröffneten Berufungsverfahren beim L[X.] am [X.] mit einem Vergleich. Wegen der Verfahrensdauer erhob der Kläger am [X.] zum [X.] (EGMR).

3

Am 1.6.2012 hat der Kläger beim L[X.] PKH für eine Entschädigungsklage nach dem [X.] ([X.] bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, Juris: ÜberlVfRSchG) beantragt. Das L[X.] bewilligte die PKH, ordnete aber keinen Rechtsanwalt bei (Beschluss vom 15.4.2014; dem Kläger am 30.4.2014 zugestellt). Auf die Gegenvorstellung des Beklagten verfügte das L[X.] die Aussetzung der [X.] (Beschluss vom 8.5.2014), verwarf sodann aber die Gegenvorstellung (Beschluss vom 15.9.2014; dem Kläger am 23.9.2014 zugestellt).

4

Auf seine am 23.10.2014 eingegangene Klage hat das L[X.] dem Kläger eine Entschädigung in Höhe von 1200 Euro nebst Zinsen zugesprochen und seine weitergehende Klage abgewiesen (Urteil vom 9.12.2015). Die Klage sei zwar nach Ablauf der bis zum 3.6.2012 laufenden Klagefrist (Art 23 S 6 [X.]) erhoben, aber dennoch nicht verfristet. Der [X.] des Klägers habe den Fristablauf gehemmt. Nach der PKH-Bewilligung habe der Kläger noch rechtzeitig Klage erhoben. Die Grundsätze zur Wiedereinsetzung seien entsprechend dem Rechtsgedanken von § 204 Abs 1 [X.] des [X.] heranzuziehen (Verweis auf Senatsurteil vom [X.] ÜG 8/13 R). Nach Zustellung des Beschlusses am 23.9.2014 und Eingang der Klage am 23.10.2014 seien die sechsmonatige Frist des § 204 Abs 2 S 1 [X.] und sogar die aus §§ 66 Abs 2, 67 Abs 2 [X.]G folgenden Fristen gewahrt. In der Sache habe der Kläger einen Entschädigungsanspruch, weil das L[X.] im Vorprozess das Verfahren bis zum Jahr 2003 insgesamt 24 Monate nicht gefördert habe und aufgrund dessen ein immaterieller Schaden zu vermuten sei.

5

Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des Art 23 S 6 [X.]. Die Ausschlussfrist orientiere sich, anders als vom Entschädigungsgericht angenommen, an §§ 12 und 13 des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen ([X.]). Aus diesem Grund sei die Rechtsprechung zu diesen Vorbildern übertragbar, die eine unverzügliche Klageerhebung nach Zustellung der [X.] verlange (Hinweis auf [X.] Beschluss vom 30.11.2006 - [X.]). Gegen die Heranziehung von § 204 Abs 2 [X.] und §§ 66 Abs 2, 67 Abs 2 [X.]G spreche der [X.] der Verjährung als Einrede, während eine Ausschlussfrist von Gesetzes wegen wirke.

6

Der beklagte [X.] beantragt,
das Urteil des [X.] vom 9. Dezember 2015 abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen,

7

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Er tritt der Revision entgegen und beruft sich auf die Gründe des erstinstanzlichen Urteils. Er habe die Monatsfrist ausnutzen können. Er habe am 11.5.2014 an das L[X.] geschrieben und gefragt, ob er unbedingt anwaltlich vertreten sein müsse und ob auch im Entschädigungsverfahren die [X.] nach der PKH-Bewilligung einen Monat betrage. Eine Antwort habe er nicht erhalten.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet. Das Urteil des [X.] ist abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen (§ 170 [X.] [X.]), weil sie verfristet ist.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Entschädigungsanspruch des [X.] nur noch insoweit, als das [X.] seiner Klage stattgegeben und ihm eine Entschädigung in Höhe von 1200 Euro nebst Zinsen zugesprochen hat. [X.]oweit das Entschädigungsgericht die weitergehende Klage abgewiesen hat, ist sein Urteil rechtskräftig. Der Kläger hat dagegen keine eigene Revision eingelegt, sondern nur die Revision des Beklagten erwidert.

Zutreffend hat das [X.] das Begehren des [X.] sowohl in prozessualer als auch in materiell-rechtlicher Hinsicht an §§ 198 ff [X.] gemessen (dazu 1.). Der Kläger hat die danach statthafte Klage auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens formgerecht und wirksam erhoben. Anlass zu Zweifeln an seiner Prozessfähigkeit besteht nicht (dazu 2.). Die Klage ist allerdings abzuweisen, weil der Kläger die Klagefrist des Art 23 [X.] 6 [X.] versäumt hat (dazu 3.)

1. Der Kläger begehrt eine Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens. [X.]ein Anspruch richtet sich materiell und prozessual nach §§ 198 ff [X.]. Zwar sind diese Vorschriften erst am 3.12.2011 (vgl Art 24 [X.]) und damit nach Abschluss des Ausgangsverfahrens am [X.] in [X.] getreten. Nach der Übergangsregelung des Art 23 [X.] 1 [X.] sind sie hier aber rückwirkend anzuwenden. Denn als das [X.] in [X.] trat, war das abgeschlossene Verfahren des [X.] Gegenstand einer beim [X.] erhobenen Individualbeschwerde, wie es die Übergangsregelung verlangt (hierzu allgemein [X.] vom 5.5.2015 - [X.] ÜG 5/14 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]4 mwN).

Die Frist zur Erhebung der Beschwerde innerhalb von sechs Monaten nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung (Art 35 Abs 1 [X.] 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention), ist - sofern dies im Rahmen des Art 23 [X.] 1 [X.] erforderlich sein sollte (so [X.] Urteil vom 11.7.2013 - III ZR 361/12 - NJW 2014, 218; ebenso hierzu tendierend bereits [X.]surteil vom 21.2.2013 - [X.] ÜG 1/[X.] - [X.], 75 = [X.] 4-1720 § 198 [X.], Rd[X.]) - mit der am [X.] erhobenen Beschwerde gewahrt.

2. Die auf Entschädigung nach §§ 198 ff [X.] gerichtete Klage ist als allgemeine Leistungsklage i[X.] des § 54 Abs 5 [X.] statthaft vor dem [X.] erhoben (stRspr; vgl [X.]e vom [X.] - [X.] ÜG 12/13 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.] 20 mwN und [X.] ÜG 2/14 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]7 mwN). Anstatt der Vorschriften der ZPO gelten die Vorschriften des [X.] über das Verfahren vor den [X.]ozialgerichten im ersten Rechtszug entsprechend (§ 201 Abs 1 [X.] 1 und [X.] [X.] iVm § 202 [X.] 2 [X.]). Die Klage genügt in Form und Inhalt den Anforderungen der §§ 90, 92 Abs 1 [X.] 1 [X.].

a) Der [X.] hat keinen Grund, an der vom [X.] bejahten Prozessfähigkeit des [X.] zu zweifeln und zu prüfen, ob ihm nach § 72 [X.] ein besonderer Vertreter zu bestellen ist. [X.]chon nach dem vom [X.] zitierten Gutachten im Verfahren B 7 [X.] 13/08 R ging der dort gehörte [X.]achverständige von einer lediglich bis Juli 2005 andauernden wahnhaften [X.]törung aus. Ebenfalls für die Prozessfähigkeit des [X.] spricht es, dass seine zuvor angeordnete Betreuung bereits am 31.8.2009 aufgehoben worden ist. Das [X.] hat sich schließlich in der mündlichen Verhandlung erneut von der wiedererlangten Prozessfähigkeit des [X.] überzeugt. [X.]eine schriftlichen Äußerungen im Beschwerde- und Revisionsverfahren haben dem [X.] keinen anderen Eindruck vermittelt.

b) Vor Erhebung der [X.] brauchte der Kläger die Entschädigung nicht außergerichtlich geltend zu machen (vgl § 198 Abs 5 [X.]) und eine behördliche Entscheidung zu erwirken (vgl [X.] vom 21.2.2013 - [X.] ÜG 1/[X.] - [X.], 75 = [X.] 4-1720 § 198 [X.], Rd[X.]5).

c) Ebenso wenig galt für den Kläger die üblicherweise für [X.]n i[X.] des § 198 Abs 1 [X.] einzuhaltende Wartefrist von sechs Monaten nach Erhebung der Verzögerungsrüge (§ 198 Abs 5 [X.] 1 [X.]). Gemäß Art 23 [X.] 6 Alt 1 [X.] konnte bei bereits abgeschlossenen Verfahren die [X.] vielmehr sofort erhoben werden.

3. Die Klage ist allerdings unzulässig und deshalb ohne inhaltliche Prüfung eines Entschädigungsanspruchs abzuweisen, weil sie nicht spätestens bis zum Ablauf der nach Art 23 [X.] 6 Alt 2 [X.] für Altfälle geltenden Klagefrist bis zum 3.6.2012 erhoben worden ist (dazu a). Der isolierte [X.] des [X.] für seine [X.] hat den Ablauf der Klagefrist nicht in (entsprechender) Anwendung der Verjährungsvorschriften gehemmt (dazu b). Ebenso wenig hat dieser Antrag die Klagefrist nach dem Rechtsgedanken von [X.] und Glauben iVm Art 3 Abs 1 GG gewahrt, weil der Kläger nicht unverzüglich nach der endgültigen Entscheidung darüber Klage erhoben hat (dazu c). Eine Wiedereinsetzung in die Klagefrist scheidet wegen ihres Charakters als materielle Ausschlussfrist aus (dazu d).

a) Der Kläger hat seine [X.] zu spät erhoben. Zwar gilt die in § 87 Abs 1 [X.] 1 [X.] vorgesehene Klagefrist von einem Monat nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts nicht für die hier von ihm erhobene Leistungsklage ([X.] vom [X.] - [X.], 210 = [X.] 4-2700 § 33 [X.]). Jedoch konnte bei [X.] eine auf § 198 Abs 1 [X.] gestützte [X.] gemäß Art 23 [X.] 6 [X.] sofort und musste spätestens am 3.6.2012 erhoben werden. Diese Klagefrist, die eine besondere Zulässigkeitsvoraussetzung darstellt (vgl zu § 198 Abs 5 [X.] 2 [X.] ua [X.] vom 5.5.2015 - [X.] ÜG 8/14 R - [X.] 4-1710 Art 23 [X.] Rd[X.]6), hat der Kläger versäumt. [X.]ein als Klageschrift bezeichneter [X.]chriftsatz hat das [X.] erst am 23.10.2014 erreicht. Das zuvor am 1.6.2012 und damit vor Ablauf der Klagefrist (3.6.2012) eingegangene [X.]chreiben stellt (noch) keine Klage dar, sondern lediglich einen isolierten Antrag auf [X.] für eine noch zu erhebende Klage. Bei [X.] hat das Revisionsgericht - anders als jedenfalls bei individuellen materiell-rechtlichen Willenserklärungen - die Auslegung der Erklärung durch die Instanzgerichte in vollem Umfang und ohne Bindung an die vorinstanzliche Auslegung zu überprüfen (vgl [X.] vom 16.5.1995 - 9 RVs 11/94 - Juris mwN; [X.] vom 23.2.2017 - B 11 [X.] 2/16 R - Juris Rd[X.]5). Indes versteht der [X.] das genannte [X.]chreiben vom 1.6.2012 sowie das Entschädigungsgericht. Nach Wortlaut und seinen nach außen erkennbaren inneren Vorstellungen wollte der Kläger damit noch keine Klage erheben. Denn er führt darin mehrfach aus, eine Klage wegen einer angemessenen Entschädigung lediglich zu beabsichtigen. Wie in anderen von ihm geführten Verfahren legte er dem Beklagten stattdessen einen Vergleich nahe, um "weiteren Aufwand" zu vermeiden. Damit meinte der Kläger zumindest auch die bei [X.]n i[X.] des § 198 [X.] stets anfallenden Gerichtskosten. Diese werden erst bei Erhebung der Klage fällig (§ 6 Abs 1 [X.] GKG), wie dem Kläger aus den zahlreichen von ihm betriebenen Verfahren bekannt ist.

Der Eingang des isolierten Antrags auf [X.] beim [X.] hat die Klagefrist des Art 23 [X.] 6 [X.] nicht gewahrt, da die Vorschrift ausdrücklich eine Klageerhebung verlangt. Deshalb könnte auch eine entsprechende Anwendung des § 167 ZPO nicht zu einer rechtzeitigen Klageerhebung führen. [X.]oll durch eine Zustellung eine Frist gewahrt werden, tritt nach dieser Vorschrift die fristwahrende Wirkung bereits mit Eingang des Antrags oder der Erklärung bei Gericht ein, wenn die Zustellung an die Gegenseite demnächst erfolgt. Allein der isolierte Antrag auf [X.] für eine noch zu erhebende Klage genügte aber selbst bei Zustellung an den Beklagten nicht zur Fristwahrung. Ohnehin hätte im Fall des [X.] bereits der rechtzeitige Eingang seiner [X.] bei Gericht ausgereicht, um sie rechtshängig zu machen und so die Klagefrist einzuhalten. Einer Zustellung an den Beklagten bedurfte es nicht (vgl aber heute § 94 [X.] 2 [X.] idF des Gesetzes vom 11.10.2016 [X.]l I 2222).

b) Der Eingang des isolierten [X.]s hat den Ablauf der Klagefrist des Art 23 [X.] 6 [X.] nicht gehemmt. Das [X.] und die durch dieses Gesetz eingeführten Bestimmungen des [X.] sehen keine Hemmung der dort vorgeschriebenen [X.] vor. Vielmehr hat der Gesetzgeber bewusst darauf verzichtet, eine Hemmung oder sonstige Verlängerung der [X.] zu regeln. Das zeigen die Gesetzgebungsmaterialien. Die Gesetzesbegründung weist den Rechtsanwender insoweit lediglich auf die von der Rechtsprechung grundsätzlich anerkannte Möglichkeit hin, im Fall materieller Ausschlussfristen einzelne Vorschriften des Verjährungsrechts entsprechend anzuwenden (BT-Drucks 17/3802, [X.]). Ein solcher unverbindlicher Hinweis des [X.], der nicht in den Gesetzestext eingegangen ist, ersetzt keine gesetzliche Regelung. Es obliegt den [X.], die so verbliebene offene Gesetzeslücke zu füllen.

Der [X.] nutzt diesen vom Gesetzgeber eröffneten [X.]pielraum zur Rechtsfortbildung anders als das Entschädigungsgericht. Die Vorschriften des [X.] über die Verjährungshemmung können nicht gemäß § 45 Abs 2 [X.]GB I sinngemäß angewandt werden, da der Anspruch aus § 198 Abs 1 [X.] 1 [X.] keine [X.]ozialleistung darstellt. Anders als das [X.] hält der [X.] auch im Übrigen weder eine direkte noch eine analoge Anwendung von § 204 Abs 1 [X.]4 [X.] für geboten oder interessengerecht. Nach dieser Vorschrift kann die innerhalb der Verjährungsfrist erfolgte Bekanntgabe des erstmaligen Antrags auf Gewährung von [X.] oder ein fristgemäß eingegangener, demnächst zur Bekanntgabe veranlasster Antrag auf [X.] den Eintritt der Verjährung hemmen (vgl [X.]/[X.] in [X.], [X.], 2014, § 204 Rd[X.]17). Ein Fall der Verjährung oder eine im [X.] vergleichbare Konstellation liegen hier aber nicht vor. Die Verjährung kann den [X.] lediglich daran hindern, seinen Anspruch durchzusetzen. An seinem Fortbestand ändert sie nichts (vgl [X.]/[X.] in [X.], [X.], 2014, § 214 Rd[X.] 36). Im Prozess wirkt sich die Verjährung erst aus, wenn der Anspruchsgegner sie dem Anspruch als Einrede entgegenhält (§ 214 Abs 1 [X.]). Versäumt dagegen ein Kläger die Klagefrist des Art 23 [X.] 6 [X.], so ist dies von Amts wegen zu beachten und lässt den Entschädigungsanspruch ohne Weiteres erlöschen. Einer Einrede des [X.]chuldners bedarf es dafür nicht ([X.], Die Kompensation verlorener [X.] - Wenn Prozesse Pause machen, 2017, [X.]). Darin entspricht die Frist aus Art 23 [X.] 6 [X.] der in § 198 Abs 5 [X.] 2 [X.] geregelten sechsmonatigen Klagefrist. Diese wirkt in derselben Weise als materiell-rechtliche Ausschlussfrist, wie der [X.] bereits entschieden hat ([X.]surteil vom 10.7.2014 - [X.] ÜG 8/13 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] 2 Rd[X.]; [X.], aaO, [X.] 1166 ff). Wegen dieses gewichtigen strukturellen Unterschieds zu Verjährungsfristen kann der bloße Antrag auf [X.] weder in direkter noch in analoger Anwendung des § 204 Abs 1 [X.]4 [X.] den Ablauf der Klagefrist des Art 23 [X.] 6 [X.] hemmen. Insoweit gilt dasselbe wie für andere materiell-rechtliche Ausschlussfristen (vgl zu § 13 Abs 1 [X.] 2 [X.]trEG, [X.] Beschluss vom 30.11.2006 - [X.]/06 - [X.]Z 170, 108, 113 Rd[X.]). Der am 1.6.2012 und damit vor Fristablauf eingegangene isolierte [X.] des [X.] hat daher keine Hemmung bewirkt.

c) Ebenso wenig ist der Ablauf der Klagefrist nach Art 3 Abs 1 GG iVm den Grundsätzen von [X.] und Glauben unbeachtlich, obwohl der Kläger den isolierten [X.] vor Ablauf der Klagefrist gestellt hat. Denn dafür hätte der Kläger nach der [X.]-Entscheidung unverzüglich Klage erheben (lassen) müssen, was er versäumt hat.

Art 3 Abs 1 GG iVm Art 19 Abs 4 und Art 20 Abs 3 GG gebieten es, die [X.]ituation von [X.] und [X.]n bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes soweit wie möglich und erforderlich anzugleichen (vgl [X.] Beschluss vom 13.3.1990 - 2 BvR 94/88 - [X.]E 81, 347, 356). Wie der [X.] daraus in jahrzehntelanger Rechtsprechung für materielle Ausschlussfristen gefolgert hat ([X.] Urteil vom [X.] - [X.]Z 43, 235; Urteil vom 19.1.1978 - [X.] - [X.]Z 70, 235; Urteil vom 1.10.1986 - [X.] - [X.]Z 98, 295; Beschluss vom 30.11.2006 - [X.]/06 - [X.]Z 170, 108; Beschluss vom 30.11.2006 - [X.]/06 - NJW 2007, [X.] 441, 442), auf die auch die hiesige Gesetzesbegründung hinweist (vgl BT-Drucks 17/3802, [X.] f), genügt es zur Wahrung solcher Fristen, wenn die finanziell unbemittelte [X.] noch innerhalb dieser Fristen [X.] beantragt. Ihre anschließende Klage muss sodann unverzüglich nach der von ihr nicht verzögerten (positiven oder negativen) Entscheidung über den [X.] zugestellt werden. Diese Wertung hat der [X.] auf öffentlich-rechtliche Entschädigungsansprüche übertragen ([X.] Beschluss vom 30.11.2006 - [X.]/06 - NJW 2007, [X.] 441, 442), zu denen der Anspruch aus § 198 [X.] zählt. Der [X.] schließt sich dieser Rechtsprechung an. Ohne sie müsste ein [X.]r möglicherweise von einer Klageerhebung absehen, weil er den drohenden Fristablauf nur durch Klageerhebung und das damit zwingend verbundene Kostenrisiko abwenden könnte, ohne Gewissheit über die Gewährung von [X.] zu haben. Das wäre mit dem verfassungsrechtlich fundierten Gebot der Rechtsschutzgleichheit unvereinbar.

Andererseits folgt der [X.] in diesem Zusammenhang ebenfalls der Weiterentwicklung der genannten [X.]-Rechtsprechung. Danach bedarf es zur Begründung des genannten, verfassungsrechtlich vorgezeichneten Ergebnisses keiner analogen oder auch verfassungskonformen Anwendung der Vorschriften über die Verjährungshemmung mehr (vgl [X.] Beschluss vom 30.11.2006 - [X.]/06 - NJW 2007, [X.] 441, 442; s auch oben [X.]; anders früher [X.] Urteil vom 19.1.1978 - [X.] - [X.]Z 70, 235). Allenfalls ergänzend können einzelne Rechtsgedanken dieser Normen iVm mit dem Grundsatz von [X.] und Glauben herangezogen werden (zu § 198 [X.] vgl B[X.]G Urteil vom 10.7.2014 - [X.] ÜG 8/13 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] 2 Rd[X.]). Wollte man dagegen weitergehend mit dem [X.] § 204 Abs 1 [X.]4 [X.] und damit auch Absatz 2 der Vorschrift in vollem Umfang analog anwenden, würde dies die Ausschlussfrist des Art 23 [X.] 6 [X.] und damit die Überlegungszeit für unbemittelte Beteiligte nach § 204 [X.] [X.] um bis zu sechs Monate verlängern. Dies würde sie ohne sachliche Rechtfertigung erheblich besser stellen als bemittelte Beteiligte, die auf eigene Kosten prozessieren müssen.

Anders als das [X.] annimmt, kann dem unbemittelten Beteiligten im [X.] an die [X.]-Entscheidung daher auch nicht stets analog § 67 Abs 2 [X.] eine Frist von einem ganzen weiteren Monat für seine Klage eingeräumt werden. [X.] genießen vielmehr in ausreichend vergleichbarem Umfang Rechtsschutz wie bemittelte Beteiligte, wenn sie zwar - wie jeder andere Beteiligte - die Klagefrist bzw Ausschlussfrist beachten müssen, zu deren Wahrung aber lediglich rechtzeitig und in genügender Form [X.] zu beantragen brauchen. Um sie andererseits gegenüber bemittelten Klägern nicht zu bevorzugen, müssen sie, sobald die Entscheidung über die [X.] ergangen ist, zur weiteren Wahrung ihrer Rechte alle zumutbaren Anstrengungen unternehmen, um unverzüglich Klage zu erheben (vgl [X.] Beschluss vom 30.11.2006 - [X.]/06 - [X.]Z 170, 108, 113 ff zur Frist des § 13 Abs 1 [X.] 2 [X.]trEG: [X.] Urteil vom 1.10.1986 - [X.] - [X.]Z 98, 295, 299 ff zu § 12 Abs 3 [X.] 1 [X.] aF; vgl [X.] in [X.]teinbeiß-Winkelmann/[X.], Rechtsschutz bei überlangen Gerichtverfahren, 2013, § 198 Rd[X.] 258 mwN). Dadurch bleibt ihnen die Überlegungsfrist bis zum Ablauf der Klagefrist wie für bemittelte Beteiligte erhalten. Andererseits verlängert sich die Überlegungsfrist darüber hinaus nicht mehr als notwendig.

Unverzüglich nach der Entscheidung über seinen [X.] hat der Kläger seine [X.] aber nicht erhoben. Unverzüglich bedeutet ohne schuldhaftes Zögern (vgl § 121 Abs 1 [X.] 1 [X.]). Dies verlangt ein den Umständen des Falles angemessenes, beschleunigtes Handeln, das dem Interesse des Empfängers der betreffenden Erklärung an der gebotenen Klarstellung Rechnung trägt (vgl dazu [X.] vom 18.12.1964 - 7 [X.] - B[X.]GE 22, 187, 189 = [X.] [X.] zu § 143e AVAVG Bl Ba 1 R[X.]). "Unverzüglich" bedeutet damit nicht "sofort". Vielmehr ist dem Verfahrensbeteiligten noch eine angemessene Überlegungsfrist einzuräumen, ob er seine Rechte wahren will oder muss (vgl dazu allgemein [X.] Urteil vom 17.1.1990 - [X.] - NJW 1990, 1853, 1854; [X.] Urteil vom 23.6.1994 - VII ZR 163/93 - [X.] 1994, 1119). Die Rechtsprechung des [X.] hat bei materiellen Ausschlussfristen - nach dem Rechtsgedanken anderer zivilprozessualer Vorschriften wie §§ 91a, 269 ZPO - eine Frist von zwei Wochen noch als unschädlich angesehen. Es kann offenbleiben, ob dem in dieser Allgemeinheit zu folgen ist. Denn der Kläger hat mit der Erhebung der Klage einen vollen Monat bis zum 23.10.2014 gewartet. [X.]pätestens nach der Bekanntgabe der Entscheidung über die Gegenvorstellung des Beklagten am 2[X.] durfte er sich aber sicher sein, den Prozess mit [X.] führen zu können. Von ihm sind keine Umstände vorgetragen oder sonst für den [X.] ersichtlich, die danach trotzdem noch eine längere Bedenkzeit erfordert hätten. Der Kläger verfügte allgemein über reichhaltige Prozesserfahrung in Entschädigungssachen und im konkreten Fall über einen stattgebenden [X.]-Beschluss. Hätte er sich gleichwohl eine Entscheidung für eine Klage nicht zugetraut, so hätte er sich zügig einen Rechtsanwalt beiordnen lassen können. Darauf hatte er im Rahmen der [X.] einen Anspruch. [X.]tattdessen hat er auf eigenes Risiko einen Monat abgewartet und dann gleichwohl - ohne anwaltliche Hilfe - Klage erhoben.

Wie der Kläger einräumt, hat das [X.] ihn schließlich nicht fehlerhaft belehrt, dass eine Wiedereinsetzungsfrist von einem Monat gelte. Vielmehr hat das Entschädigungsgericht seine entsprechende Anfrage nicht beantwortet. Es kann dahin stehen, ob das [X.] hierzu verpflichtet war. Denn das [X.] hat dem Kläger die von ihm begehrte Monatsfrist eingeräumt. Dies ändert allerdings nichts daran, dass die zugrunde liegende Rechtsauffassung des Entschädigungsgerichts für das Revisionsgericht nicht verbindlich ist und der Kläger insoweit keinen Vertrauensschutz genießt.

d) Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist nach den Regelungen der §§ 66, 67 [X.] kann dem Kläger nicht gewährt werden. Dies folgt - wie der [X.] ebenfalls bereits zur Frist des § 198 Abs 5 [X.] 2 [X.] entschieden hat - aus der materiell-rechtlichen Wirkung einer Ausschlussfrist ([X.]surteil vom 10.7.2014 - [X.] ÜG 8/13 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] 2 Rd[X.]). Eine Wiedereinsetzung ist gemäß § 67 Abs 1 [X.] nur für den Fall der Versäumung einer gesetzlichen Verfahrensfrist, nicht einer materiell-rechtlichen Ausschlussfrist möglich. Eine Wiedereinsetzung durch entsprechende Anwendung des für das [X.]ozialverwaltungsverfahren geltenden § 27 [X.]GB X scheidet ebenfalls aus. [X.]ie widerspräche dem Wesen sowie dem Ziel und Zweck der Fristenregelung (vgl zu diesen Kriterien [X.] vom 23.1.2008 - [X.] EG 6/07 R - [X.] 4-7833 § 4 [X.] Rd[X.]3 mwN), die hier als materiell-rechtliche Ausschlussfrist auf den [X.] gerichtet ist (Rechtsgedanke aus § 27 Abs 5 [X.]GB X).

4. [X.] folgt aus § 197a Abs 1 [X.] 1 Teils 3 [X.] iVm § 154 Abs 1 VwGO.

5. Die [X.]treitwertentscheidung für das Revisionsverfahren beruht auf § 197a Abs 1 [X.] 1 Teils 1 [X.] iVm § 63 [X.], § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 [X.] 1 GKG.

Meta

B 10 ÜG 1/17 R

07.09.2017

Bundessozialgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: False

vorgehend SG Gotha, 29. Februar 2000, Az: S 13 AL 118/98, Gerichtsbescheid

Art 23 S 6 Alt 2 ÜberlVfRSchG, Art 23 S 6 Alt 1 ÜberlVfRSchG, Art 23 S 1 ÜberlVfRSchG, Art 24 ÜberlVfRSchG, § 198 Abs 1 S 1 GVG, Art 3 Abs 1 GG, Art 19 Abs 4 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 121 Abs 1 S 1 BGB, § 204 Abs 1 Nr 14 BGB, § 204 Abs 2 BGB, § 167 ZPO, § 117 ZPO, § 73a SGG, § 94 S 2 SGG, § 45 Abs 2 SGB 1

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 07.09.2017, Az. B 10 ÜG 1/17 R (REWIS RS 2017, 5631)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 5631

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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