Bundesgerichtshof, Urteil vom 08.11.2016, Az. 1 StR 492/15

1. Strafsenat | REWIS RS 2016, 2804

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Unerlaubte Einfuhr und unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln: Grenzwert der nicht geringen Menge bei Schlafmohnkapseln


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten [X.]wird das Urteil des [X.] vom 18. Juni 2015 im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.

Die weitergehende Revision des Angeklagten [X.] wird verworfen.

2. Auf die Revision des Angeklagten [X.]wird das vorgenannte Urteil

a) im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte der Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln schuldig ist und

b) im gesamten Strafausspruch aufgehoben.

Die weitergehende Revision des Angeklagten [X.]wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten [X.]wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen vorsätzlichen Besitzes einer verbotenen Waffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie den [X.] eines Teils der Strafe angeordnet. Den Angeklagten [X.]hat es wegen Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Im Übrigen wurden die Angeklagten freigesprochen.

2

Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten [X.]beanstandet insbesondere die Bestimmung der nicht geringen Menge des [X.] von [X.]n „analog“ zu Opium. Der Angeklagte [X.]hat die nicht ausgeführte Sachrüge erhoben.

3

Die Revisionen der Angeklagten haben den aus dem [X.] ersichtlichen Erfolg.

I.

4

1. Nach den Feststellungen des [X.]s erwarb der Angeklagte [X.] im Januar 2014 in einem Geschäft in [X.] ([X.]) etwa 48 kg [X.]n, die dort zu dekorativen Zwecken verkauft wurden. Der Angeklagte [X.]hatte ihm 1.000 € mitgegeben und gebeten, auch für ihn solche Kapseln mitzubringen. Er war davon ausgegangen, mindestens 10 kg zu erhalten, hatte aber auch eine Menge bis zu 15 kg billigend in Kauf genommen und es für möglich gehalten, dass der Angeklagte [X.]eine ähnlich große Menge für sich selbst erwerben würde; mit mehr als 30 kg hatte er jedoch nicht gerechnet.

5

Der Angeklagte [X.]bewahrte die Kapseln und – absprachegemäß auch den etwa 15 kg betragenden Anteil des Angeklagten [X.]– in seiner Wohnung und in der Garage auf. Üblicherweise konsumierte er morgens und abends je zwei Teelöffel gemahlener Kapseln mit warmem Wasser. Verlangte der Angeklagte [X.] [X.], händigte ihm [X.]  (gemahlene) Kapseln aus.

6

Am 4. April 2014 wurde die Garage des Angeklagten [X.]durchsucht. Es wurden 32,4 kg [X.]n sichergestellt. Eine Durchsuchung des Anwesens selbst am 23. Oktober 2014 führte zur Sicherstellung von knapp 16 kg – zum Teil gemahlener – Kapseln und eines Schlagringmessers.

7

In der Wohnung des Angeklagten [X.]wurden 42,4 g gemahlene Kapseln sichergestellt.

8

[X.] lag zwischen 0,19 % und 1,55 % Morphinbase und 0,017 % und 0,27 % [X.]base.

9

2. Die „nicht geringe Menge“ im Sinne von § 29a Abs. 1 Nr. 2, § 30 Abs. 1 BtMG hat die Kammer – sachverständig beraten – „analog“ zu Opium bestimmt. [X.]n seien opiumähnlich. Opium werde im Regelfall im Gegensatz zu [X.] geraucht und die nicht geringe Menge deshalb mit 6 g [X.] und 15 g [X.] angesetzt. Die orale Aufnahme des Opiums über den Magen sei gefährlicher, da beim Rauchen der Substanz ein erheblicher Teil verbrenne. Deshalb könne auch daran gedacht werden, den Grenzwert zur nicht geringen Menge „analog“ zu Morphin bei 4,5 g [X.] anzusetzen. Allerdings hätten die Angeklagten die Substanz mit Wasser stark verdünnt. Dadurch trete ein Resorptionsverlust ein und die [X.] Menge sei geringer. Die Wirkung sei daher vergleichbar mit (gerauchtem) Opium.

Die [X.]n enthielten 569 g [X.] und 97,8 g [X.], so dass die nicht geringe Menge an [X.] um das 94-fache und an [X.] um das 6,4-fache überschritten worden sei.

3. Der Angeklagte [X.]habe sich nicht nur der Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gemacht, sondern auch des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Er habe zu den vom Angeklagten [X.]  absprachegemäß für ihn verwahrten [X.] aufgrund ihrer Freundschaft und ihrer Einkaufsgemeinschaft einen so sicheren Zugang gehabt, dass er ohne Schwierigkeiten darüber habe verfügen können. Dem stehe nicht entgegen, dass er den genauen Lagerort nicht gekannt hätte, denn er hätte diesen jederzeit von [X.]  erfahren können.

II.

Die Revision des Angeklagten [X.] ist im Schuldspruch unbegründet, im Rechtsfolgenausspruch begründet.

1. Der Senat setzt den Grenzwert der nicht geringen Menge des [X.]s in [X.]n (Papaver somniferum) auf 70 g fest.

Bei der Festlegung der nicht geringen Menge ist nur auf das Hauptalkaloid Morphin als dem quantitativ und in der Gefährlichkeit dominierenden Wirkstoff in [X.]n abzustellen. [X.] bleibt außer Betracht, da es nicht wirkungsbestimmend ist.

2. Nach der in ständiger Rechtsprechung vom [X.] angewandten Methode zur Bestimmung des Grenzwerts eines Betäubungsmittels (vgl. [X.], Urteile vom 3. Dezember 2008 – 2 [X.], [X.]St 53, 89 ff.; vom 17. November 2011 – 3 [X.], [X.]St 57, 60 ff.; vom 14. Januar 2015 – 1 [X.], [X.]St 60, 134, 136 und vom 5. November 2015 – 4 [X.], [X.], 37, 38) ist dieser stets in Abhängigkeit von der konkreten Wirkungsweise und Wirkungsintensität des Betäubungsmittels festzulegen.

Maßgeblich ist zunächst die äußerst gefährliche, gar tödliche Dosis des Wirkstoffs (vgl. [X.], Beschluss vom 7. November 1983 – 1 StR 721/83, [X.]St 32, 162, 164; Urteil vom 22. Dezember 1987– 1 [X.], [X.]St 35, 179, 183). Fehlen hierzu gesicherte Erkenntnisse, so errechnet sich der Grenzwert als ein Vielfaches der durchschnittlichen [X.]einheit eines nicht an den Genuss dieser Droge gewöhnten [X.]enten. Ist auch die zur Erzielung eines Rauschzustands durch einen nicht an den Genuss dieser Droge gewöhnten [X.]enten adäquate Dosis nicht feststellbar, ist die maßgebliche Einzelmenge am Tagesbedarf zu bemessen ([X.], Urteil vom 2. November 2010 – 1 [X.], [X.]St 56, 52). Das Vielfache ist nach Maßgabe der Gefährlichkeit des Stoffes, insbesondere seines Abhängigkeiten auslösenden oder sonst die Gesundheit schädigenden Potentials zu berechnen ([X.], Urteil vom 3. Dezember 2008 – 2 [X.], [X.]St 53, 89). Die Dosis ist hierbei von der Darreichungsform abhängig. Lassen sich auch zum [X.]verhalten keine ausreichenden Erkenntnisse gewinnen, so entscheidet ein Vergleich mit verwandten Wirkstoffen (vgl. [X.], Urteile vom 24. April 2007 – 1 [X.], [X.]St 51, 318, 322 und vom 17. November 2011 – 3 [X.], [X.]St 57, 60, 64).

3. Zur Wirkung und Gefährlichkeit von [X.]n hat der Senat, sachverständig beraten durch die Sachverständigen      [X.]und   S.      , nach deren Anhörung in der Hauptverhandlung Folgendes festgestellt:

a) Opium aus dem Milchsaft der [X.] enthält zu 3 bis 18 % (im Mittel ca. 10 %) Morphin als Hauptalkaloid sowie weitere Alkaloide. Darunter ist an zweiter Stelle der wirksamen Inhaltsstoffe [X.] mit einem Gehalt von 0,2 bis 6 % (im Mittel ca. 5 %).

Hohe Dosierungen von Morphin führen aufgrund der zentral dämpfenden Wirkung zu einer Atemdepression, also einer das Atemzentrum lähmenden Wirkung, die tödlich sein kann. Da Opium und Mohnstroh – getrocknete [X.]n ohne Samenkapseln – weitere Alkaloide enthalten, die zum Teil einen stimulierenden Effekt auf die Atmung haben, ist es möglich, dass eine Atemdepression im Vergleich zur Applikation reinen [X.] erst bei höherer Dosierung eintritt. Auch [X.] kann die Morphinwirkung modifizieren oder modulieren. Gesicherte Erkenntnisse, ob überhaupt und ggf. inwieweit die atemdepressiven Effekte des [X.] durch opiumtypische [X.] abgeschwächt werden können, fehlen.

b) Getrocknete [X.]n enthalten (neben weiteren Alkaloiden) durchschnittlich 1 bis 1,5 % Morphin.

c) Der [X.] von [X.]n führt u.a. zu einer entspannenden, euphorisierenden, tendenziell schlaffördernden Wirkung. Eine Abhängigkeit entwickelt sich nur langsam und weniger als bei anderen [X.]formen. Bei an den [X.] gewöhnten [X.]enten treten acht bis zehn Stunden nach dem [X.] Entzugserscheinungen auf (z.B. Knochenschmerzen, Speichelfluss, Juckreiz u.a.). Organische Schäden verursacht der [X.] von [X.]n nicht.

Die akute Gefährlichkeit von [X.]n beruht auf der Atemdepression, die bei [X.] größerer Mengen eintreten kann. Atemdepressive Effekte wurden schon bei [X.] von Kapseln mit Wirkstoffmengen zwischen 200 und 250 mg [X.] berichtet, auch wenn diese Mengen eine letale Dosis noch nicht erreichen.

Da der Wirkstoffgehalt getrockneter [X.]n stark schwankt, kann es bei Aufnahme gleicher Mengen gemahlener Kapseln leichter zu unbeabsichtigten Fehldosierungen kommen. [X.]n sind ohne aufwändige Verarbeitung und Aufreinigung nur für die orale Aufnahme geeignet.

Im Vergleich zu injiziertem Morphin sind [X.]n weniger gefährlich, weil deren orale Aufnahme eine langsamere Resorption zur Folge hat und die primäre Leberpassage zu einem First-Pass-Effekt führt; d.h. der Wirkstoff steht dem Körper nach Abschluss des Leberstoffwechsels nicht mehr in vollem Umfang zur Verfügung (sog. reduzierte Bioverfügbarkeit). Die Bioverfügbarkeit bei oraler Aufnahme gemahlener Kapseln mit Hilfe von Flüssigkeit beträgt ca. 20 %, d.h. nur etwa 20 % des Wirkstoffs erreichen nach Passage von Darm und Leber den Wirkort. Die parenterale Applikation von Morphin (intravenös, subkutan oder intramuskulär injiziert) ist gefährlicher als die orale Applikation, weil sie nicht zu einem Wirkstoffverlust führt und einen schnellen Wirkeintritt hat („Kick“). [X.] angewendete Opiate/Opioide werden deshalb als mindestens doppelt so gefährlich eingeschätzt wie oral applizierte.

Bei [X.] tritt keine Minderung der Bioverfügbarkeit ein, weil die Passage über den Magen-Darm-Trakt und die Leber umgangen wird; der Wirkstoff flutet schnell an. Allerdings verbrennt ein schwer zu beziffernder Anteil.

Die Gefährlichkeit von [X.]n ist im Vergleich zu Heroin, das den gleichen Wirkmechanismus hat, wesentlich geringer einzustufen, da [X.]n nur oral aufgenommen werden können, ein deutlich geringeres suchterzeugendes Potential haben und es nicht wie bei Heroin zu einer extrem schnellen Wirkstoffanflutung kommt.

Kokain und Methamphetamin sind im Vergleich zu oral applizierten Opiaten gefährlicher.

Der [X.] von Cannabis kann unabhängig von der Dosierung keine letalen Folgen haben, aber [X.] auslösen. [X.] Cannabis kann die Lungenfunktion beeinträchtigen. Cannabis besitzt nur ein gering ausgeprägtes Abhängigkeitspotential.

Für Cannabisprodukte hat der [X.] einen Grenzwert von 7,5 g Tetrahydrocannabinol (500 [X.]einheiten zu je 15 mg, vgl. [X.], Urteil vom 18. Juli 1984 – 3 [X.], [X.]St 33, 8, 14) festgesetzt, aber darauf hingewiesen, dass „die hohe Zahl von 500 durchschnittlichen [X.]einheiten wegen der berücksichtigten Unsicherheitsfaktoren nicht ohne weiteres auch für die Berechnung der nicht geringen Menge anderer Betäubungsmittel angewendet werden kann“. Cannabis und Opium sind auch deshalb kaum miteinander vergleichbar, da sie unterschiedliche Wirkmechanismen haben.

Unter den Betäubungsmitteln bietet sich deshalb am ehesten ein Vergleich des oralen [X.]s von [X.]n mit Morphin an, da hier vom gleichen Wirkmechanismus ausgegangen werden kann.

d) Eine als äußerst gefährlich zu bezeichnende, potentiell einen Atemstillstand auslösende Menge kann nicht exakt angegeben werden, weil die Bioverfügbarkeit bei oraler Aufnahme von verschiedenen Faktoren, insbesondere auch der Konstitution des [X.]enten abhängt, und daher unterschiedlich ist. Hinzu kommt der geringe Wirkstoffgehalt von [X.]n, der eine exakte Bestimmung der letalen Dosis weiter erschwert.

Bei oral in Tabletten aufgenommenem Morphin liegt die äußerst gefährliche Dosis zwischen 250 und 1000 mg [X.]. In der Annahme einer verzögerten und unvollständigen Freisetzung des [X.], das mittels getrockneter, gemahlener und mit Wasser versetztem Pulver eingenommen wurde, erhöht sich die „äußerst gefährliche“ Menge weiter. Eine weitere Erhöhung würde sich ergeben, wenn [X.] und andere in den Kapseln enthaltene Alkaloide den Effekt von Morphin teilweise ausgleichen könnten. Verlässliche Grenzen für eine letale Dosis existieren nicht.

e) Auch die durchschnittliche [X.]einheit bei oral konsumierten [X.]n lässt sich nicht ausreichend exakt bestimmen. Der Wirkstoffgehalt getrockneter [X.]n schwankt stark, abhängig von Größe, Anbaugebiet, Erntezeitpunkt und anderen Faktoren. Auch bei der Art und Menge der oralen Applikation gibt es unterschiedliche [X.]gewohnheiten, beginnend mit der verwendeten Flüssigkeit (kaltes oder heißes Wasser, Alkohol, Zugabe von Essig u.a.), die die Wasserlöslichkeit des Wirkstoffs beeinflusst. Die von den [X.]enten eingenommenen Wirkstoffmengen sind ebenfalls unterschiedlich, da sie sich am kulturellen Hintergrund, an medizinischen Erwartungen, an erwünschten betäubenden u.a. Effekten ausrichten.

f) In Ermangelung gesicherter Erkenntnisse zu einer äußerst gefährlichen oder gar tödlichen Dosis, zur Darreichungsform und zum [X.]verhalten orientiert sich der Senat bei der Bestimmung des Grenzwerts der nicht geringen Menge des Wirkstoffs in [X.]n an der Festsetzung der nicht geringen Menge für Morphinzubereitungen bei intravenöser Injektion ([X.], Urteil vom 22. Dezember 1987 – 1 [X.] – [X.]St 35, 179 - 183). Hier besteht eine hohe Vergleichbarkeit, da Morphin das Hauptalkaloid von Opium ist und mithin im Grundsatz identische Wirkmechanismen vorliegen.

Die "nicht geringe Menge" wurde für Morphinzubereitungen bei intravenöser Injektion unter der Annahme von 45 äußerst gefährlichen Dosen (je 100 mg [X.] intravenös injiziert) auf 4,5 g [X.] festgesetzt.

Der Wert kann allerdings nicht ohne Korrektur übernommen werden, da sich für intravenös injiziertes [X.] eine letale Dosis für den [X.] (100 mg – intravenös injiziert – als äußerst gefährliche Einzeldosis) festlegen ließ, während bei gemahlenen und oral aufgenommenen [X.]n eine als äußerst gefährlich zu bezeichnende, potentiell einen Atemstillstand auslösende und daher letale Dosis nicht exakt angegeben werden kann. Zudem ist die intravenöse Applikation von [X.] mindestens doppelt so gefährlich wie die orale Applikation. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Bioverfügbarkeit beim [X.] von gemahlenen [X.]n nur 10 bis 20 % beträgt.

Der Senat hält es deshalb für angemessen, den Grenzwert für intravenös injiziertes [X.] von 4,5 g [X.] mit dem Faktor 2 zu multiplizieren, um die geringere Gefährlichkeit bei oraler Applikation auszugleichen und mit dem Faktor 10 zu multiplizieren, um die geringe Bioverfügbarkeit bei [X.]n zu erfassen. Der stark schwankende Wirkstoffgehalt der [X.]n wird durch einen Abschlag berücksichtigt.

4. Der Angeklagte [X.] wusste, dass die [X.]n die Eigenschaften eines Rauschgifts aufwiesen. So war ihm bekannt, dass das Absetzen der Kapseln zu Entzugserscheinungen führt. Ein Tatbestandsirrtum nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB scheidet daher aus, weil der Angeklagte auch in seiner Laiensphäre erkannt hat, dass es sich um Betäubungsmittel handelte. Sein Irrtum bezog sich deshalb allein darauf, ob das von ihm erworbene Betäubungsmittel in [X.] verboten ist. Dies berührt aber – wie das [X.] zutreffend ausgeführt hat – nur die Frage eines etwaigen Verbotsirrtums (§ 17 StGB), lässt aber den Vorsatz unberührt.

5. Der Angeklagte handelte auch schuldhaft.

Soweit das [X.] einen Verbotsirrtum des Angeklagten als vermeidbar gemäß § 17 StGB angesehen hat, hält dies rechtlicher Überprüfung stand.

Zwar hatte der Angeklagte [X.] vorgetragen, er sei davon ausgegangen, dass die Kapseln in [X.] legal seien, da er sie in [X.] habe legal erwerben können. Allerdings hatte die Beweisaufnahme ergeben, dass die Kapseln in [X.] nur zu Dekorationszwecken erlaubt sind und hierauf – wie der polizeiliche Ermittlungsbeamte berichtet hatte – in dem Geschäft hingewiesen worden war. In [X.] wurden sie überhaupt nicht verkauft, was Anlass für die Einkaufsfahrt gewesen war. Die Kammer hat deshalb ohne Rechtsfehler in ihre Überzeugungsbildung eingestellt, dass dies den Angeklagten hätte misstrauisch machen und zur Einholung weiterer Informationen hätte veranlassen müssen.

6. Die (Neu)Festsetzung der nicht geringen Menge durch den Senat lässt den Schuldspruch unberührt. Das [X.] ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass das in den [X.]n enthaltene [X.] die Grenze zur nicht geringen Menge i.S.v. § 29a Abs. 1 Nr. 2, § 30 Abs. 1 BtMG überschritten hat.

7. Jedoch hat der Strafausspruch angesichts dessen, dass der Grenzwert bei weitem nicht um das 94-fache überschritten worden ist, keinen Bestand. Eine starke Überschreitung der nicht geringen Menge ist bestimmender Strafschärfungsgrund (vgl. [X.], Beschlüsse vom 25. Februar 2016 – 2 StR 39/16, [X.], 141; vom 30. Juni 2016 – 2 [X.] und vom 27. September 2016 – 2 StR 41/16).

Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass sich das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht bei der Prüfung einer Strafrahmenverschiebung nach § 17 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB eingehender als bisher damit zu befassen haben wird, ob der Irrtum tatsächlich „auf einfachste Weise“ zu vermeiden war.

8. Der Senat hebt mit Rücksicht auf die seit dem Urteil des [X.]s verstrichene [X.] und die deutlich abweichende Einstufung der Gefährlichkeit oral applizierter [X.]n durch den Senat auch die Maßregel (einschließlich des [X.]s) auf, da im Rahmen der (neuen) Prüfung des § 64 StGB eine andere Beurteilung des Hangs und eine andere Gefährlichkeitsprognose möglich erscheinen.

III.

1. Der Schuldspruch des Angeklagten [X.] wegen Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ist frei von Rechtsfehlern.

2. Die Verurteilung wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hat keinen Bestand.

Besitz im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes setzt ein tatsächliches Innehaben, ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis und [X.] voraus, der darauf gerichtet ist, sich die Möglichkeit ungehinderter Einwirkung auf die Sache zu erhalten (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteile vom 3. März 1978 – 2 [X.], [X.]St 27, 380, 382 und vom 22. Januar 1998 – 4 StR 393/97, [X.], 148 f.; Beschlüsse vom 2. September 1994 – 2 [X.], [X.]R BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 3 Besitz 2; vom 15. Oktober 1997 – 2 StR 393/97, [X.]R BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 3 Besitz 4 und vom 27. Juli 2004 – 3 [X.], [X.]R BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 3 Besitz 5 mwN). Die den Besitz von Betäubungsmitteln begründende tatsächliche Verfügungsmacht über das Rauschgift hat es dem Täter zu ermöglichen, mit den Betäubungsmitteln nach Belieben zu verfahren, insbesondere sie zu verbrauchen, abzugeben, zu verstecken oder zu vernichten. Aus dieser Sicht begründet es keinen sachlichen Unterschied, ob der Täter selbst „unmittelbar besitzt“ oder ob er anderweit einen so sicheren Zugang zu dem an irgendeiner Stelle verwahrten Rauschgift hat, dass er ohne Schwierigkeit tatsächlich darüber verfügen kann ([X.], Urteil vom 3. März 1978 – 2 [X.], [X.]St 27, 380, 382). Solches belegen die Feststellungen nicht.

a) Der Angeklagte [X.]hatte keinen ungehinderten Zugang und damit auch keine sichere Zugriffsmöglichkeit auf den ihm zustehenden Anteil von etwa 15 kg, den der Angeklagte [X.] in seinem Anwesen an einem ihm nicht bekannten Ort verwahrte. Er war auf dessen Anwesenheit und Kooperation angewiesen, ihm entweder den Zutritt zum Haus und seinem Anteil zu gewähren oder ihm diesen auszuhändigen.

Der aufgezeigte Mangel zwingt nicht zur Aufhebung der für sich gesehen rechtlich nicht zu beanstandenden Verurteilung wegen Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Lediglich die tateinheitliche Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge entfällt.

b) Unmittelbaren Besitz hatte der Angeklagte [X.] jedoch an den in seiner Wohnung sichergestellten 42,4 g gemahlener [X.]n. Diesen unmittelbaren Besitz hatte er in dem Moment begründet, als ihm der Angeklagte [X.] diese oder eine diese Teilmenge umfassende größere Menge ausgehändigt hat. Damit hat er sich des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln schuldig gemacht, der mit der Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit (§ 53 StGB) steht.

c) Diese Tat in der Anklageschrift nach Tatzeit, [X.] und [X.] – als unmittelbarer Besitz zur [X.] der Durchsuchung – konkretisiert. In der rechtlichen Würdigung wird dem Angeklagten [X.]sein zunächst vollständig bei dem Angeklagten [X.]verwahrter, einschließlich der später ausgehändigten Teilmenge von 42,4 g, Anteil als unerlaubter („mittelbarer“) Besitz von etwa 15 kg Betäubungsmitteln zugerechnet. Aus rechtlichen Gründen kann ihm jedoch nur die bei ihm selbst sichergestellte Teilmenge zugerechnet werden.

Die umfassende Kognitionspflicht (§ 264 Abs. 1 [X.]) des Gerichts gebietet es jedoch, die Anklage, wie sie im Eröffnungsbeschluss zugelassen ist, vollständig zu erschöpfen, also die den Untersuchungsgegenstand bildende angeklagte Tat restlos nach allen tatsächlichen (§ 244 Abs. 2 [X.]) und denkbaren rechtlichen (§ 265 [X.]) Gesichtspunkten aufzuklären und abzuurteilen ohne Rücksicht auf die der Anklage und dem Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte rechtliche Bewertung (vgl. z.B. [X.], Urteile vom 12. Juli 2016 – 1 StR 595/15 und vom 11. November 2015 – 1 [X.], [X.], 47 - 49; Beschluss vom 24. September 2009 – 3 [X.], [X.], 131 f.; [X.], [X.], 26. Aufl., § 264 Rn. 37 mwN).

d) Soweit der Angeklagte [X.]auch an weiteren Tagen durch die Entgegennahme der ihm wunschgemäß von dem Angeklagten [X.] ausgehändigten Mengen an [X.]n Besitz an Betäubungsmitteln begründet und damit jeweils den Tatbestand des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln erfüllt hat, waren diese als selbständige prozessuale Taten zu wertende Geschehen nicht Gegenstand der Anklage. Eine Ergänzung des Schuldspruchs ist daher nicht möglich.

Der Gegenstand der gerichtlichen Untersuchung und Entscheidung reicht nur soweit wie der aus der Anklageschrift erkennbare Verfolgungswille der Anklagebehörde. Enthält die Anklageschrift mehrere Taten, sind nur diejenigen angeklagt, auf die sich der aus der Anklageschrift zu entnehmende Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft bezieht. Wichtiger Hinweis ist dabei die Aufnahme des tatsächlichen Geschehens in den [X.]. Ob aus der Schilderung eines konkreten Geschehens im [X.] der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft entnommen werden kann, ist mit Blick auf sämtliche vom Gesetz in § 200 Abs. 1 [X.] vorgeschriebenen Bestandteile des [X.]es und die nach § 200 Abs. 2 [X.] vorgesehenen Ausführungen zum wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen zu entscheiden (vgl. [X.], Urteil vom 15. Mai 1997 – 1 [X.], [X.]St 43, 96, 99 f.; vgl. [X.], [X.], 26. Aufl., § 264 Rn. 35 mwN).

Danach erfasste die Anklage den Vorwurf weiterer Delikte des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln nicht. Im [X.] fehlen insoweit die nach § 200 Abs. 1 Satz 1 [X.] erforderlichen Angaben zu den gesetzlichen Merkmalen der Straftaten und zu der anzuwendenden Strafvorschriften. In der Anklageschrift sind weitere Taten des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln weder nach [X.], Ort noch Menge konkretisiert. Es wird lediglich mitgeteilt, dass der Angeklagte [X.] dem Angeklagten [X.], wenn dieser Bedarf an Kapseln hatte, ihm (gemahlene) Kapseln mit in den von beiden besuchten [X.] -Tempel in [X.]      brachte oder sie der Angeklagte [X.] bei ihm abholte. Auch wird der Sachverhalt im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen nicht unter dem Gesichtspunkt weiterer (selbständiger) Straftaten beleuchtet.

3. Der Strafausspruch beruht auf dem mitabgeurteilten unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29a Abs. 1 BtMG, da das [X.] die festzusetzende Strafe gemäß § 52 Abs. 2 StGB aus diesem Tatbestand und nicht dem des über § 27 Abs. 2 Satz 2, § 49 Abs. 1 Nr. 3 StGB gemilderten Strafrahmen des § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG entnommen hat. Aus diesem Grund ist auch die festgesetzte Einzelstrafe und damit der Strafausspruch mitaufzuheben.

IV.

Die bisherigen Feststellungen können bestehen bleiben, nachdem es sich lediglich um [X.] handelt. Das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht darf – dies betrifft insbesondere die Prüfung einer Strafrahmenverschiebung nach § 17 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB bei dem Angeklagten [X.]– ergänzende Feststellungen treffen, soweit sie den bisher getroffenen nicht widersprechen.

Raum      

        

Graf      

        

Jäger 

        

Radtke      

        

Fischer      

        

Meta

1 StR 492/15

08.11.2016

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Nürnberg-Fürth, 18. Juni 2015, Az: 1 KLs 352 Js 21096/14

§ 29a Abs 1 Nr 2 BtMG, § 30 Abs 1 BtMG, § 261 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 08.11.2016, Az. 1 StR 492/15 (REWIS RS 2016, 2804)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 2804


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 1 StR 492/15

Bundesgerichtshof, 1 StR 492/15, 15.01.2020.

Bundesgerichtshof, 1 StR 492/15, 08.11.2016.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 StR 492/15 (Bundesgerichtshof)


2 StR 311/20 (Bundesgerichtshof)

Betäubungsmitteldelikt: Bestimmung des Grenzwertes zur nicht geringen Menge bei Opium


120 KLs -102 Js 122/20- 37/20 (Landgericht Kleve)


3 Ns 221 Js 22995/19 (LG Memmingen)

Berufung, Freiheitsstrafe, Schuldspruch, Staatsanwaltschaft, Rechtsfolgenausspruch, Strafzumessung, Form, Angeklagter, Angeklagten, Strafe, Technik, Konsum, Strafsenat, Erlaubnis, nicht …


3 StR 315/10 (Bundesgerichtshof)

Unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln: Grenzwert für eine nicht geringe Menge bei Methamphetaminracemat


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.