Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.10.2020, Az. 2 StR 311/20

2. Strafsenat | REWIS RS 2020, 2184

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Betäubungsmitteldelikt: Bestimmung des Grenzwertes zur nicht geringen Menge bei Opium


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 14. Mai 2020, auch soweit es die Mitangeklagten [X.]und K.              betrifft, im Strafausspruch aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten, die nicht revidierenden Mitangeklagten [X.]und [X.]            wegen desselben Schuldspruchs zu Freiheitsstrafen von vier Jahren und neun Monaten bzw. fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 [X.].

2

1. Nach den Feststellungen transportierten die drei Angeklagten im Auftrag eines im [X.] ansässigen [X.] gemeinschaftlich 18.940 g „Opium“ mit einem Wirkstoffgehalt von 1.345,72 g [X.] in drei LKWs aus dem [X.] nach [X.], wo sie dieses im Auftrag des [X.] an dessen Abnehmer übergeben und die Kaufpreise entgegennehmen sollten. Sie wurden nach erfolgter Einreise bei der Übergabe einer Teilmenge in [X.]            festgenommen. Das Rauschgift war fast ausschließlich für hier lebende „iranisch-stämmige“ Personen bestimmt, die das „Opium“ als ein Kulturgut ansehen.

3

Für die Bemessung des Schuldumfangs ist die [X.] von einer 299-fachen Überschreitung des Grenzwertes zur nicht geringen Menge im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG ausgegangen, wobei sie ihrer Wertung einen Grenzwert von 4,5 g [X.] für das transportierte und gehandelte „Opium“ zugrunde gelegt hat.

4

2. Während die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Schuldspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat, hält der Strafausspruch rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Nach den Urteilsgründen bleibt offen, auf welcher Grundlage die [X.] festgelegt hat, dass 4,5 g [X.] bei den sichergestellten Betäubungsmitteln eine nicht geringe Menge im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG darstellen.

5

a) Nach der in ständiger Rechtsprechung vom [X.] angewandten Methode zur Bestimmung des Grenzwertes eines Betäubungsmittels ist dieser stets in Abhängigkeit von der konkreten Wirkungsweise und Wirkungsintensität des Betäubungsmittels festzulegen (vgl. [X.], Beschluss vom 26. Juni 2018 - 1 [X.], [X.], 338; Urteile vom 8. November 2016 - 1 [X.], [X.], 45; vom 5. November 2015 - 4 [X.], [X.], 37, 38; vom 17. November 2011 - 3 [X.]; [X.]St 57, 60, 63 f.; [X.], Urteil vom 3. Dezember 2008 - 2 StR 86/08, [X.]St 53, 89, 95 f.). Bei Opium besteht die Besonderheit, dass es nicht nur als Rohstoff ein Betäubungsmittel darstellt. Es dient auch als Ausgangsmaterial zur Herstellung von Opium-Alkaloiden, wie zum Beispiel Morphin, Kodein oder Papaverin (vgl. [X.] in Körner/[X.]/[X.], BtMG, 9. Aufl., Stoffe, Teil 1. Betäubungsmittel Rn. 160). Dementsprechend gilt die Festlegung des [X.]s, dass bei einer überwiegend intravenös injizierten Morphinzubereitung ein Grenzwert von 4,5 g [X.] für die Annahme einer nicht geringen Menge im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG zugrunde zu legen ist (vgl. [X.], Urteil vom 22. Dezember 1987 - 1 [X.], [X.]St 35, 179 ff.), aufgrund der divergierenden Applikationsformen nicht für alle Opiumprodukte (vgl. [X.] in Körner/[X.]/[X.], aaO, § 29a Rn. 99). Denn die Bioverfügbarkeit unterscheidet sich etwa bei einem oralen Konsum signifikant von einer intravenösen Zuführung (vgl. [X.], Urteil vom 8. November 2016 - 1 [X.], aaO, 46).

6

Für die Festlegung eines Grenzwerts ist daher maßgeblich, ob Rohopium, das auch gegessen, getrunken oder geraucht werden kann (vgl. zu den Konsumformen des Opiums [X.] in Körner/[X.]/[X.], aaO, Stoffe Teil 1. Betäubungsmittel Rn. 172; [X.], BtMG, 5. Aufl., § 1 Rn. 615; [X.], Wörterbuch der Polizei, 3. Aufl., Opium), oder eine gefährlichere Verarbeitungsform wie beispielsweise [X.] (vgl. [X.], in Körner/[X.]/[X.], aaO, Rn. 168) oder Rohmorphin (vgl. [X.] in Körner/[X.]/[X.], aaO, Rn. 179) Gegenstand des Handelns war. Denn für die Gefährlichkeit der Dosis kommt es auf die [X.] an, die bei der regelmäßig zu erwartenden Darreichungsform auf den Konsumenten einwirkt (vgl. [X.], Urteil vom 8. November 2016 - 1 [X.], aaO, 45; Urteil vom 22. Dezember 1987 - 1 [X.], aaO, 180).

7

b) Hieran gemessen ist der von der [X.] zur Ermittlung des [X.] zugrunde gelegte Grenzwert von 4,5 g [X.] für die Annahme einer nicht geringen Menge im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG nicht belegt. Die Urteilsgründe lassen offen, welches Opiumprodukt dem festgestellten Tatgeschehen zugrunde lag. Der Inhalt des Gutachtens des [X.], das neben der Menge und dem Wirkstoffgehalt auch die Art der sichergestellten Betäubungsmittel zum Gegenstand hat, wird nicht mitgeteilt. Ob dem Gutachten auch Ausführungen zur Festlegung eines Grenzwertes für die sichergestellten Betäubungsmittel zu entnehmen sind, bleibt offen (vgl. − bezogen auf die Festlegung des Grenzwertes − zum [X.] bei nicht standardisierten Sachverständigengutachten [X.], Beschluss vom 6. Mai 2020 - 2 StR 391/19, juris Rn. 10; [X.], Beschluss vom 25. April 2019 - 1 StR 427/18, [X.], 294, 297; Urteil vom 27. Oktober 1999 - 3 StR 241/99, [X.], 106, 107, jeweils mwN; vgl. auch [X.]/[X.]/[X.], 8. Aufl., § 267 Rn. 16; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 63. Aufl., § 267 Rn. 13, jeweils mwN). Der [X.] kann daher nicht ausschließen, dass die [X.] der Verurteilung des Angeklagten einen zu großen Schuldgehalt zugrunde gelegt hat.

8

c) Der Rechtsfehler lässt den Schuldspruch unberührt. Angesichts der sichergestellten Betäubungsmittel mit einer Gesamtmenge von 1.345,72 g [X.] ist, unabhängig von der exakten Bemessung des Grenzwerts für die hier eingeführten und gehandelten Betäubungsmittel, eine nicht geringe Menge im Sinne der § 30 Abs. 1 Nr. 4, § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG zweifelsfrei belegt (vgl. zum Grenzwert der nicht geringen Menge von [X.] in Schlafmohnkapseln [X.], Urteil vom 8. November 2016 - 1 [X.], aaO, 45 f.).

9

3. Die Aufhebung des Strafausspruchs ist auf die beiden Mitangeklagten zu erstrecken (§ 357 [X.]). Die sie betreffenden [X.] sind von dem identischen Rechtsfehler betroffen (vgl. Fehleridentität bei [X.] [X.], Beschluss vom 2. Juli 2015 - 2 [X.], NJW 2015, 3525, 3527; [X.]/[X.]-Wiedner, [X.]., § 357 Rn. 13; LR-[X.]/[X.], 26. Aufl., § 357 Rn. 22).

4. Für die neue Hauptverhandlung bemerkt der [X.]:

a) Sollte es sich bei den gehandelten Betäubungsmitteln um Rohopium oder [X.] handeln, wird der neue Tatrichter für die Bestimmung des Grenzwertes einer nicht geringen Menge im Sinne der § 30 Abs. 1 Nr. 4, § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG auf keine höchstrichterliche Rechtsprechung zurückgreifen können. Der Beschluss des [X.]s vom 15. November 2011 (3 [X.]), der [X.] betraf, legt keinen Grenzwert fest.

Die Annahme des [X.]s Köln in einem Beschluss vom 17. März 1992 ([X.] 1993, 529 ff.) und - ihr folgend - des [X.] in einem Urteil vom 15. März 1994 ([X.] 1995, 306), nach denen der Grenzwert zur nicht geringen Menge im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG bei Opium, das geraucht werden soll, bei 6 g [X.] liegen soll (kritisch [X.], [X.], 257, 258), erscheint nicht unbedenklich. Das [X.] Köln hat den Grenzwert der nicht geringen Menge für Opium zwar anhand der grundsätzlich anerkannten Berechnungsmethode aus dem Produkt der durchschnittlichen Konsumeinheit und einer insbesondere an der akuten und chronischen Toxizität sowie des Suchtpotentials des Rauschmittels orientierten Maßzahl (vgl. hierzu [X.] in Körner/[X.]/[X.], aaO, § 29a Rn. 49 ff.), jedoch gänzlich ohne wissenschaftlich-fundierte Tatsachenbasis ermittelt. Ob ein an wissenschaftlichen - vornehmlich toxikologischen − Kriterien orientierter Grenzwert für Opium, das geraucht werden soll, über oder unter dem vom [X.] Köln im Jahr 1992 angenommenen Maß von 6 g [X.] liegt, ist damit offen.

b) Der neue Tatrichter wird daher zunächst gehalten sein, genauer als bisher die Art des eingeführten und gehandelten Rauschgifts festzustellen. Er wird sodann − mit sachverständiger Hilfe − nach den eingangs geschilderten Maßstäben einen Grenzwert für das hier verfahrensgegenständliche Betäubungsmittel unter Berücksichtigung der regelmäßigen Konsumgewohnheiten zu ermitteln haben.

5. Die zugehörigen Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 [X.]). Der neue Tatrichter kann ergänzende Feststellungen treffen. Diese dürfen zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

[X.]     

        

Krehl     

        

Meyberg

        

Grube     

        

Schmidt     

        

Meta

2 StR 311/20

06.10.2020

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Limburg, 14. Mai 2020, Az: 4 Js 13788/19 - 5 KLs

§ 29a Abs 1 Nr 2 BtMG, § 30 Abs 1 Nr 4 BtMG, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.10.2020, Az. 2 StR 311/20 (REWIS RS 2020, 2184)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2184

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

3 Ns 221 Js 22995/19 (LG Memmingen)

Berufung, Freiheitsstrafe, Schuldspruch, Staatsanwaltschaft, Rechtsfolgenausspruch, Strafzumessung, Form, Angeklagter, Angeklagten, Strafe, Technik, Konsum, Strafsenat, Erlaubnis, nicht …


120 KLs -102 Js 122/20- 37/20 (Landgericht Kleve)


1 StR 492/15 (Bundesgerichtshof)

Unerlaubte Einfuhr und unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln: Grenzwert der nicht geringen Menge bei Schlafmohnkapseln


2 StR 110/20 (Bundesgerichtshof)

Unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln: Konkurrenzverhältnis bei Besitz verschiedener Betäubungsmittel zum Eigenkonsum


1 StR 492/15 (Bundesgerichtshof)


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.