Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.11.2016, Az. 1 StR 492/15

1. Strafsenat | REWIS RS 2016, 2800

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:081116U1STR492.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
1
StR
492/15

vom
8. November
2016
in der Strafsache
gegen

1.
2.

wegen
zu 1.: Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht

geringer Menge u.a.

zu 2.: unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer

Menge u.a.

-
2
-
Der 1.
Strafsenat des [X.] hat
aufgrund der Hauptverhandlung vom 27. Oktober 2016
in der Sitzung am 8. November 2016, an denen
teilge-nommen haben:
[X.] am [X.]
Dr. Raum,

[X.] am [X.]
Prof. Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Radtke
und [X.]in am [X.]
Dr. [X.],

Oberstaatsanwältin beim [X.]

als Vertreterin
der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt

in der Verhandlung vom 27. Oktober 2016

als Verteidiger
des Angeklagten U.

,

Rechtsanwalt

als Verteidiger des Angeklagten G.

,

Justizobersekretärin

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

-
3
-
1. Auf die Revision des Angeklagten G.

wird das Urteil des [X.] vom 18. Juni 2015 im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.

Die weitergehende Revision des Angeklagten G.

wird verworfen.

2. Auf die Revision des Angeklagten U.

wird das vorge-nannte Urteil

a) im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte der Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatein-heit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln schuldig ist und
b) im gesamten Strafausspruch aufgehoben.

Die weitergehende Revision des Angeklagten U.

wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung
wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des
[X.]s zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

-
4
-
Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten G.

wegen
unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen vorsätzlichen Be-sitzes einer verbotenen Waffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsan-stalt sowie den [X.] eines Teils der Strafe angeordnet. Den Ange-klagten U.

hat es wegen Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von [X.] in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Im Übrigen wurden die Angeklagten freigesprochen.
Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Ange-klagten G.

beanstandet insbesondere die Bestimmung der nicht geringen .
[X.] U.

hat die nicht ausgeführte Sachrüge erhoben.
Die Revisionen der Angeklagten haben den aus dem [X.] ersicht-lichen Erfolg.
I.
1. Nach den Feststellungen des [X.]s erwarb der
Angeklagte G.

im Januar 2014 in einem Geschäft in [X.]
([X.]) etwa 48 kg [X.], die dort zu dekorativen Zwecken verkauft
wurden. Der An-geklagte U.

Kapseln mitzubringen. Er war davon
ausgegangen, mindestens 10 kg zu erhal-ten, hatte aber auch eine Menge bis zu 15 kg billigend in Kauf genommen und es für möglich
gehalten, dass der Angeklagte G.

eine ähnlich große Menge 1
2
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-
5
-
für sich selbst erwerben würde; mit mehr als 30 kg hatte er jedoch nicht [X.].
[X.] G.

bewahrte die Kapseln und

absprachegemäß auch den etwa 15 kg betragenden Anteil des Angeklagten U.

in seiner Wohnung und in der Garage auf. Üblicherweise konsumierte er morgens und abends je zwei Teelöffel gemahlener Kapseln mit warmem Wasser. Verlangte der Angeklagte U.

[X.], händigte ihm G.

(gemahlene) [X.] aus.
Am 4. April 2014 wurde die Garage des Angeklagten G.

durchsucht. Es wurden 32,4 kg [X.] sichergestellt. Eine Durchsuchung des Anwesens selbst am 23. Oktober 2014 führte zur Sicherstellung von knapp 16
kg

zum Teil gemahlener

Kapseln und eines Schlagringmessers.
In der Wohnung des Angeklagten U.

wurden 42,4 g gemahlene [X.] sichergestellt.
Der Wirkstoffgehalt der [X.] lag zwischen 0,19 % und 1,55 % Morphinbase und 0,017 % und 0,27 % [X.]base.

§
29a Abs.
1 Nr.
2, § 30 Abs.
1 BtMG
hat die Kammer

sachverständig beraten

bestimmt. [X.] seien opiumähnlich. Opium werde im Regelfall im Gegensatz zu [X.] geraucht und die nicht geringe Menge des-halb mit 6 g [X.] und 15 g [X.] angesetzt. Die ora-le Aufnahme des Opiums über den Magen sei gefährlicher, da beim Rauchen der Substanz ein erheblicher Teil verbrenne. Deshalb könne auch daran ge-dacht werden, den bei 4,5 g [X.] anzusetzen. Allerdings hätten die Angeklagten 5
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-
6
-
die Substanz mit Wasser stark verdünnt. Dadurch trete ein Resorptionsverlust ein und die [X.] Menge sei geringer. Die Wirkung sei daher [X.] mit (gerauchtem) Opium.

Die [X.] enthielten 569 g [X.] und 97,8 g [X.], so dass die nicht geringe Menge an [X.] um das 94-fache und an [X.] um das 6,4-fache
überschritten worden sei.
3. [X.] U.

habe sich nicht nur der Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gemacht, son-dern auch des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Er ha-be zu den vom Angeklagten G.

absprachegemäß für ihn verwahrten [X.] aufgrund ihrer Freundschaft und ihrer Einkaufsgemeinschaft ei-nen so sicheren Zugang gehabt, dass er ohne Schwierigkeiten darüber habe verfügen können. Dem stehe nicht entgegen, dass er den genauen Lagerort nicht gekannt hätte, denn er hätte diesen jederzeit von G.

erfahren [X.].
II.
Die
Revision des Angeklagten G.

ist im Schuldspruch unbegründet, im Rechtsfolgenausspruch begründet.
1. Der Senat setzt den
Grenzwert der nicht geringen Menge des [X.] in [X.]
(Papaver somniferum) auf 70 g fest.

10
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-
7
-
Bei der Festlegung der nicht geringen Menge ist nur auf das Hauptalka-loid Morphin als dem quantitativ und in der Gefährlichkeit dominierenden Wirk-stoff in [X.] abzustellen. [X.] bleibt außer Betracht, da es nicht wirkungsbestimmend ist.
2. Nach der in ständiger Rechtsprechung vom [X.] ange-wandten Methode zur Bestimmung des Grenzwerts eines Betäubungsmittels
(vgl. [X.], Urteile vom 3.
Dezember 2008

2
StR
86/08, [X.]St 53, 89
ff.;
vom 17.
November 2011

3
StR 315/10, [X.]St 57, 60
ff.;
vom
14. Januar 2015

1 [X.], [X.]St 60, 134, 136 und vom 5. November 2015

4 [X.], StraFo
2016, 37, 38) ist dieser
stets in Abhängigkeit von der konkreten Wirkungsweise und Wirkungsintensität des Betäubungsmittels festzulegen.
Maßgeblich ist zunächst die äußerst gefährliche, gar tödliche Dosis des Wirkstoffs (vgl. [X.], Beschluss vom 7. November 1983

1
StR 721/83, [X.]St 32, 162, 164;
Urteil vom 22.
Dezember 1987

1
StR
612/87, [X.]St 35, 179, 183). Fehlen hierzu gesicherte Erkenntnisse, so errechnet sich der Grenzwert als ein Vielfaches der durchschnittlichen [X.]einheit eines nicht an den Genuss dieser Droge gewöhnten [X.]enten. Ist auch die zur [X.] eines Rauschzustands durch einen nicht an den Genuss dieser Droge [X.] [X.]enten adäquate Dosis nicht feststellbar, ist die maßgebliche Einzelmenge am Tagesbedarf zu bemessen ([X.], Urteil vom 2. November 2010

1 [X.], [X.]St 56, 52). Das Vielfache ist nach Maßgabe der Ge-fährlichkeit des Stoffes, insbesondere seines Abhängigkeiten auslösenden oder sonst die Gesundheit schädigenden Potentials zu berechnen ([X.], Urteil vom 3.
Dezember 2008

2
StR
86/08, [X.]St 53, 89). Die Dosis ist hierbei von der Darreichungsform abhängig. Lassen sich auch zum [X.]verhalten keine ausreichenden Erkenntnisse gewinnen, so entscheidet ein Vergleich mit ver-wandten Wirkstoffen (vgl. [X.], Urteile vom 24.
April 2007

1
StR
52/07, 14
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16
-
8
-
[X.]St 51, 318, 322 und vom 17.
November 2011

3
StR
315/10, [X.]St 57, 60, 64).
3. Zur Wirkung und Gefährlichkeit von [X.] hat der [X.], sachverständig beraten durch die Sachverständigen

A.

und

S.

, nach deren Anhörung in der Hauptverhandlung Folgendes fest-gestellt:
a) Opium aus dem Milchsaft der Schlafmohnkapsel enthält zu 3 bis
18 % (im Mittel ca. 10 %) Morphin
als Hauptalkaloid sowie weitere Alkaloide. [X.] ist an zweiter Stelle der wirksamen Inhaltsstoffe [X.] mit einem Gehalt von
0,2 bis 6 % (im Mittel ca. 5 %).
Hohe Dosierungen von Morphin führen aufgrund der zentral dämpfenden Wirkung zu einer Atemdepression, also einer das Atemzentrum lähmenden Wirkung, die tödlich sein kann. Da Opium und [X.]

getrocknete Schlaf-mohnkapseln ohne Samenkapseln

weitere Alkaloide enthalten, die zum Teil einen stimulierenden Effekt auf die Atmung haben, ist es möglich, dass eine Atemdepression im Vergleich zur Applikation reinen [X.] erst bei höherer Dosierung eintritt. Auch [X.] kann die Morphinwirkung modifizieren oder modulieren. Gesicherte Erkenntnisse, ob überhaupt und ggf. inwieweit die atemdepressiven Effekte des [X.] durch opiumtypische [X.] abgeschwächt werden können, fehlen.
b) Getrocknete [X.] enthalten (neben weiteren Alkaloi-den) durchschnittlich 1
bis 1,5 % Morphin.
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c) Der [X.] von [X.] führt u.a. zu einer entspannen-den, euphorisierenden, tendenziell schlaffördernden Wirkung. Eine Abhängig-keit entwickelt sich nur langsam und weniger als bei anderen [X.]formen. Bei an den [X.] gewöhnten [X.]enten treten acht bis zehn Stunden nach dem [X.] Entzugserscheinungen auf (z.B. Knochenschmerzen, Spei-chelfluss, Juckreiz u.a.). Organische Schäden verursacht der [X.] von [X.] nicht.
Die akute Gefährlichkeit von
[X.] beruht auf der [X.], die bei [X.] größerer Mengen eintreten kann. Atemdepressive Effekte wurden schon bei [X.] von Kapseln mit Wirkstoffmengen zwischen 200 und 250 mg [X.] berichtet, auch wenn diese Mengen eine letale Dosis noch nicht erreichen.
Da der Wirkstoffgehalt getrockneter [X.] stark schwankt, kann es bei Aufnahme gleicher Mengen gemahlener Kapseln leichter zu unbe-absichtigten Fehldosierungen kommen. [X.] sind ohne aufwän-dige Verarbeitung und Aufreinigung nur für die orale Aufnahme geeignet.
Im Vergleich zu [X.] sind [X.] weniger ge-fährlich, weil deren orale Aufnahme eine langsamere Resorption zur Folge hat und die primäre Leberpassage zu einem First-Pass-Effekt führt; d.h. der Wirk-stoff steht dem Körper nach Abschluss des Leberstoffwechsels nicht mehr in vollem Umfang zur Verfügung (sog. reduzierte Bioverfügbarkeit). Die [X.] bei oraler Aufnahme gemahlener Kapseln mit Hilfe von Flüssigkeit beträgt ca. 20 %, d.h. nur etwa 20 % des Wirkstoffs erreichen nach Passage von Darm und Leber den Wirkort. Die parenterale Applikation von Morphin (in-travenös, subkutan oder intramuskulär injiziert) ist gefährlicher als die orale Ap-plikation, weil sie nicht zu einem Wirkstoffverlust führt und einen schnellen 21
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Intravenös angewendete Opiate/Opinoide werden des-halb als mindestens doppelt so gefährlich eingeschätzt wie oral applizierte.
Bei [X.] tritt keine Minderung der Bioverfügbarkeit ein, weil die Passage über den Magen-Darm-Trakt und die Leber umgangen wird; der Wirk-stoff flutet schnell an. Allerdings verbrennt ein schwer zu beziffernder Anteil.
Die Gefährlichkeit von [X.] ist im Vergleich zu Heroin, das den gleichen Wirkmechanismus hat, wesentlich geringer einzustufen, da [X.] nur oral aufgenommen werden können, ein deutlich gerin-geres suchterzeugendes Potential haben und es nicht wie bei Heroin zu einer extrem schnellen Wirkstoffanflutung kommt.
Kokain und Methamphetamin sind im Vergleich zu oral applizierten Opia-ten gefährlicher.
Der [X.] von Cannabis kann unabhängig von der Dosierung keine letalen Folgen haben, aber [X.] auslösen. [X.] Cannabis kann die Lungenfunktion beeinträchtigen. Cannabis besitzt nur ein gering aus-geprägtes Abhängigkeitspotential.

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-
Für Cannabisprodukte hat der [X.] einen Grenzwert von 7,5 g Tetrahyd-rocannabinol (500 [X.]einheiten zu je 15 mg, vgl. [X.], Urteil vom 18. Juli 1984

3 [X.], [X.]St 33, 8, 14) festgesetzt, aber darauf hingewiesen, dass

berücksichtigten Unsicherheitsfaktoren nicht ohne weiteres auch für die Be-rechnung der nicht geringen Menge anderer Betäubungsmittel angewendet

Cannabis und Opium sind auch deshalb kaum miteinander [X.], da sie unterschiedliche Wirkmechanismen haben.
Unter den Betäubungsmitteln bietet sich deshalb am ehesten ein Ver-gleich des oralen [X.]s von [X.] mit Morphin an, da hier vom gleichen Wirkmechanismus ausgegangen werden kann.
d) Eine als äußerst gefährlich zu bezeichnende, potentiell einen Atem-stillstand auslösende Menge kann nicht exakt angegeben werden, weil die Bioverfügbarkeit bei oraler Aufnahme von verschiedenen Faktoren, insbeson-dere auch der Konstitution des [X.]enten abhängt, und daher unterschied-lich ist. Hinzu kommt
der geringe Wirkstoffgehalt von
[X.], der eine exakte Bestimmung der letalen Dosis weiter erschwert.
Bei oral in Tabletten aufgenommenem Morphin liegt die äußerst gefährli-che Dosis zwischen 250 und 1000 mg [X.]. In der Annahme einer verzögerten und unvollständigen Freisetzung des [X.], das mittels getrockneter, gemahlener und mit Wasser versetztem Pulver eingenommen ö-hung würde sich ergeben, wenn [X.] und andere in den Kapseln enthaltene Alkaloide den Effekt von Morphin teilweise ausgleichen könnten. Verlässliche Grenzen für eine letale Dosis existieren nicht.
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-
e) Auch die durchschnittliche [X.]einheit bei oral konsumierten [X.] lässt sich nicht ausreichend exakt bestimmen. Der Wirk-stoffgehalt getrockneter [X.] schwankt stark, abhängig von Größe, Anbaugebiet, Erntezeitpunkt und anderen Faktoren. Auch bei der Art und Menge der oralen Applikation gibt es unterschiedliche
[X.]gewohnhei-ten, beginnend mit der verwendeten Flüssigkeit (kaltes oder heißes Wasser, Alkohol, Zugabe von Essig u.a.), die die Wasserlöslichkeit des Wirkstoffs beein-flusst. Die von den [X.]enten eingenommenen Wirkstoffmengen sind eben-falls unterschiedlich, da sie sich am kulturellen Hintergrund, an medizinischen Erwartungen, an erwünschten betäubenden u.a. Effekten ausrichten.
f) In Ermangelung gesicherter Erkenntnisse zu einer äußerst gefährli-chen oder gar tödlichen Dosis, zur Darreichungsform und zum [X.]verhal-ten orientiert sich der Senat bei der Bestimmung des Grenzwerts der nicht ge-ringen Menge des Wirkstoffs in [X.] an der Festsetzung der nicht geringen Menge für Morphinzubereitungen bei
intravenöser Injektion
([X.], Urteil vom 22. Dezember 1987

1 StR 612/87

[X.]St 35, 179 -
183). Hier besteht eine hohe Vergleichbarkeit, da Morphin das Hauptalkaloid von Opium ist und mithin im Grundsatz identische Wirkmechanismen vorliegen.
Die "nicht geringe Menge" wurde für Morphinzubereitungen bei
intrave-nöser Injektion
unter der Annahme von 45 äußerst gefährlichen Dosen
(je 100
mg [X.] intravenös injiziert) auf 4,5 g
[X.] festgesetzt.

Der Wert kann allerdings nicht ohne Korrektur übernommen werden, da sich für intravenös injiziertes [X.] eine letale Dosis für den [X.] (100 mg

intravenös injiziert

als äußerst gefährliche Einzeldosis) festlegen ließ, während bei gemahlenen und oral aufgenommenen 34
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-
13
-
[X.] eine als äußerst gefährlich zu bezeichnende, potentiell ei-nen Atemstillstand auslösende und daher letale Dosis nicht exakt angegeben werden kann. Zudem ist die intravenöse Applikation von [X.] mindestens doppelt so gefährlich wie die orale Applikation.
Weiter ist zu be-rücksichtigen, dass die Bioverfügbarkeit beim [X.] von gemahlenen [X.] nur 10 bis
20 % beträgt.
-
14
-
Der Senat hält es deshalb für angemessen, den Grenzwert für intrave-nös injiziertes [X.] von 4,5 g
[X.] mit
dem
Fak-tor 2 zu multiplizieren, um die geringere Gefährlichkeit bei oraler Applikation auszugleichen und mit
dem
Faktor 10
zu multiplizieren, um die geringe [X.] bei [X.] zu erfassen. Der stark schwankende Wirk-stoffgehalt der [X.] wird durch einen Abschlag
berücksichtigt.
4. [X.] G.

wusste, dass die [X.] die Ei-genschaften eines Rauschgifts aufwiesen. So war ihm bekannt, dass das Ab-setzen der Kapseln zu Entzugserscheinungen führt. Ein Tatbestandsirrtum nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB scheidet daher aus, weil der Angeklagte auch in seiner Laienspähre erkannt hat, dass es sich um Betäubungsmittel handelte. Sein Irrtum bezog sich deshalb allein darauf, ob das von ihm erworbene Betäu-bungsmittel in [X.] verboten ist. Dies berührt aber

wie das [X.] zutreffend ausgeführt hat

nur die Frage eines etwaigen Verbotsirrtums (§
17 StGB), lässt aber den Vorsatz unberührt.
5. [X.] handelte auch schuldhaft.
Soweit das [X.] einen Verbotsirrtum des Angeklagten als ver-meidbar gemäß § 17 StGB angesehen hat, hält dies rechtlicher Überprüfung stand.
Zwar hatte der Angeklagte G.

vorgetragen, er sei davon ausgegan-gen, dass die Kapseln in [X.] legal
seien, da er sie in [X.] habe legal erwerben können. Allerdings hatte die Beweisaufnahme ergeben, dass die Kapseln in [X.] nur zu Dekorationszwecken erlaubt sind und hierauf

wie der polizeiliche Ermittlungsbeamte berichtet hatte

in dem Geschäft [X.] worden war. In [X.] wurden sie überhaupt nicht verkauft, was Anlass für die Einkaufsfahrt gewesen war.
Die Kammer hat deshalb ohne 37
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40
41
-
15
-
Rechtsfehler in ihre Überzeugungsbildung eingestellt, dass dies den Angeklag-ten hätte misstrauisch machen und zur Einholung weiterer Informationen hätte veranlassen müssen.
6. Die (Neu)Festsetzung der nicht geringen Menge durch den Senat lässt
den Schuldspruch unberührt. Das [X.] ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass das in den [X.] enthaltene [X.] die Grenze zur nicht geringen Menge i.S.v. §
29a Abs.
1 Nr.
2, § 30 Abs.
1 BtMG überschritten hat.
7. Jedoch hat der Strafausspruch angesichts dessen, dass der Grenz-wert bei weitem nicht um das 94-fache überschritten worden ist, keinen [X.].
Eine starke Überschreitung der nicht geringen Menge ist bestimmender Strafschärfungsgrund (vgl. [X.], Beschlüsse vom 25. Februar 2016

2 StR 39/16, [X.], 141;
vom 30. Juni 2016

2 [X.] und vom 27.
September 2016

2 StR 41/16).
Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass sich
das neu zur Entschei-dung berufene Tatgericht bei der Prüfung einer Strafrahmenverschiebung nach § 17 Satz
2, § 49 Abs. 1 StGB eingehender als bisher damit zu befassen haben wird,
ob

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45
-
16
-
8. Der Senat hebt mit Rücksicht auf die seit dem Urteil des [X.]s verstrichene [X.] und die deutlich abweichende Einstufung der Gefährlichkeit oral applizierter [X.]
durch den Senat auch die Maßregel (ein-schließlich des [X.]s) auf, da im Rahmen
der (neuen) Prüfung des §
64 StGB eine andere Beurteilung des Hangs und eine andere Gefährlich-keitsprognose möglich erscheinen.

III.
1. Der Schuldspruch des Angeklagten U.

wegen Beihilfe zur uner-laubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ist frei von Rechtsfehlern.

2. Die Verurteilung
wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht ge-ringer Menge hat keinen Bestand.
Besitz im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes setzt ein tatsächliches Innehaben, ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis und [X.] voraus, der darauf gerichtet ist, sich die Möglichkeit ungehinderter Einwirkung auf die Sa-che zu erhalten (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteile
vom
3. März 1978

2 [X.], [X.]St 27, 380, 382
und
vom 22. Januar 1998

4 [X.], [X.], 148 f.; Beschlüsse vom 2. September 1994

2 [X.], [X.]R BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 3 Besitz 2;
vom 15. Oktober 1997

2 [X.],
[X.]R BtMG § 29 Abs. 1
Nr. 3 Besitz 4
und vom 27. Juli 2004

3 [X.], [X.]R BtMG §
29 Abs. 1 Nr. 3 Besitz 5 mwN). Die den Besitz von Betäubungsmitteln [X.] tatsächliche Verfügungsmacht über das Rauschgift hat es dem Täter zu er-möglichen, mit den Betäubungsmitteln nach Belieben zu verfahren, insbeson-dere sie zu verbrauchen, abzugeben, zu verstecken oder zu vernichten. Aus 46
47
48
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-
dieser Sicht begründet es keinen sachlichen Unterschied, ob der Täter selbst unmittelbar besitzt

oder ob er anderweit einen so sicheren Zugang zu dem an irgendeiner Stelle verwahrten Rauschgift hat, dass er ohne Schwierigkeit tat-sächlich darüber verfügen kann
([X.], Urteil vom 3. März 1978

2 [X.], [X.]St 27, 380, 382).
Solches belegen die Feststellungen nicht.
a) [X.] U.

hatte keinen ungehinderten Zugang und damit auch keine sichere Zugriffsmöglichkeit auf den ihm zustehenden Anteil von [X.], den der Angeklagte G.

in seinem Anwesen an einem ihm nicht bekannten Ort verwahrte. Er war auf dessen Anwesenheit und Kooperation an-gewiesen, ihm entweder den Zutritt zum Haus und seinem Anteil zu gewähren oder ihm diesen auszuhändigen.
Der aufgezeigte Mangel zwingt nicht zur Aufhebung der für sich gesehen rechtlich nicht zu beanstandenden Verurteilung wegen Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Lediglich die tateinheit-liche Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge entfällt.
b) Unmittelbaren Besitz hatte der Angeklagte U.

jedoch an den in seiner Wohnung sichergestellten 42,4 g gemahlener [X.]. Die-sen unmittelbaren Besitz
hatte er in dem Moment begründet, als ihm der Ange-klagte G.

diese oder eine diese Teilmenge umfassende größere Menge ausgehändigt hat. Damit hat er sich des unerlaubten Besitzes von Betäu-bungsmitteln
schuldig gemacht, der mit der Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit (§ 53 StGB) steht.
c) Diese Tat in der Anklageschrift nach Tatzeit, [X.] und [X.]

als unmittelbarer Besitz zur [X.] der Durchsuchung

konkreti-siert. In der rechtlichen Würdigung wird dem Angeklagten U.

sein zunächst 49
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vollständig bei dem Angeklagten G.

verwahrter, einschließlich der später ausgehäBesitz von etwa 15 kg Betäubungsmitteln zugerechnet. Aus rechtlichen Grün-den kann ihm jedoch nur die bei ihm selbst sichergestellte Teilmenge zu[X.] werden.

Die umfassende Kognitionspflicht (§ 264 Abs. 1 [X.]) des Gerichts ge-bietet es jedoch, die Anklage, wie sie im Eröffnungsbeschluss zugelassen ist, vollständig zu erschöpfen, also
die den Untersuchungsgegenstand bildende angeklagte Tat restlos nach allen tatsächlichen (§ 244 Abs.
2
[X.]) und denk-baren rechtlichen (§ 265
[X.]) Gesichtspunkten aufzuklären
und abzuurteilen
ohne Rücksicht auf die der Anklage und dem Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte rechtliche Bewertung (vgl. z.B. [X.], Urteile vom 12. Juli 2016

1 [X.] und vom 11. November 2015

1 [X.], NStZ-RR
2016, 47
-
49; Beschluss vom 24. September 2009

3 [X.], [X.], 131 f.; [X.], [X.], 26. Aufl., § 264 Rn. 37 mwN).
d) Soweit der Angeklagte U.

auch an weiteren Tagen durch die [X.] der ihm wunschgemäß von dem Angeklagten G.

ausgehän-digten Mengen an [X.] Besitz an Betäubungsmitteln begründet und damit jeweils den Tatbestand des unerlaubten Besitzes von [X.] erfüllt hat, waren diese als selbständige prozessuale Taten zu wertende Geschehen
nicht Gegenstand der Anklage. Eine Ergänzung des Schuldspruchs ist daher nicht möglich.
Der Gegenstand der gerichtlichen Untersuchung und Entscheidung reicht nur soweit wie der aus der Anklageschrift erkennbare Verfolgungswille der Anklagebehörde. Enthält die Anklageschrift mehrere Taten, sind nur dieje-nigen angeklagt, auf die sich der aus der Anklageschrift zu entnehmende Ver-53
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-
19
-
folgungswille der Staatsanwaltschaft bezieht. Wichtiger Hinweis ist dabei die Aufnahme
des tatsächlichen Geschehens in den [X.]. Ob aus der Schilderung eines konkreten Geschehens im [X.] der Verfolgungswille
der Staatsanwaltschaft entnommen werden kann, ist mit Blick auf sämtliche vom Gesetz in § 200 Abs. 1 [X.] vorgeschriebenen Bestandteile des Anklage-satzes und die nach §
200 Abs. 2 [X.] vorgesehenen Ausführungen zum [X.] Ergebnis der Ermittlungen zu entscheiden (vgl. [X.], Urteil vom 15.
Mai 1997

1 [X.], [X.]St 43, 96, 99 f.; vgl. [X.], [X.], 26. Aufl., § 264 Rn. 35 mwN).
Danach erfasste die Anklage den Vorwurf weiterer Delikte des unerlaub-ten Besitzes von Betäubungsmitteln
nicht. Im [X.] fehlen insoweit die nach § 200 Abs. 1 Satz 1 [X.] erforderlichen Angaben zu den gesetzlichen Merkmalen der Straftaten und zu der anzuwendenden Strafvorschriften. In der Anklageschrift sind weitere Taten des unerlaubten Besitzes von [X.] weder nach [X.], Ort noch Menge konkretisiert. Es wird lediglich mitge-teilt, dass der Angeklagte G.

dem
Angeklagten U.

, wenn dieser Bedarf an Kapseln hatte, ihm (gemahlene) Kapseln mit in den von beiden besuchten Si.

-Tempel in N.

brachte oder sie der Angeklagte U.

bei ihm abhol-te. Auch wird der Sachverhalt im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen nicht unter dem Gesichtspunkt weiterer (selbständiger) Straftaten beleuchtet.
3. [X.] beruht auf dem mitabgeurteilten unerlaubten Be-sitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29a Abs. 1 BtMG, da das [X.] die festzusetzende Strafe gemäß § 52 Abs. 2 StGB aus diesem Tatbestand und nicht dem des über § 27 Abs. 2 Satz
2, § 49 Abs. 1 Nr.
3 StGB gemilderten Strafrahmen des § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG entnommen 56
57
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20
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hat. Aus diesem Grund ist auch die festgesetzte Einzelstrafe und damit der Strafausspruch mitaufzuheben.
IV.
Die bisherigen Feststellungen können bestehen bleiben, nachdem es sich lediglich um [X.] handelt. Das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht darf

dies betrifft insbesondere die Prüfung
einer Strafrahmenver-schiebung nach § 17 Satz
2, § 49 Abs. 1 StGB bei dem Angeklagten G.

ergänzende Feststellungen treffen, soweit sie den bisher getroffenen nicht wi-dersprechen.
Raum Graf

Jäger

Radtke [X.]
58

Meta

1 StR 492/15

08.11.2016

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.11.2016, Az. 1 StR 492/15 (REWIS RS 2016, 2800)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 2800

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