Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.11.2012, Az. XII ZB 235/09

12. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 909

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Gegenstand

Wiedereinsetzungsverfahren nach Versäumung der Berufungsbegründungsfrist: Statthaftigkeit des Antrags auf Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist nach Berufungsverwerfung; Fristversäumung auf Grund von Mittellosigkeit


Leitsatz

1. Hat das Gericht den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verworfen, weil er nicht innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO eingegangen ist, steht dies einem Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist nicht entgegen, da bei Gewährung der Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist dem Verwerfungsbeschluss die Grundlage entzogen würde (Fortführung BGH, 9. Februar 2005, XII ZB 225/04, FamRZ 2005, 791).

2. Wenn eine mittellose Partei innerhalb der Rechtsmittelfrist lediglich einen vollständigen Prozesskostenhilfeantrag einreicht und diesem einen nicht unterzeichneten Entwurf des Rechtsmittels und der Rechtsmittelbegründung ihres Prozessbevollmächtigten beifügt, ist ihre Mittellosigkeit kausal für die versäumte Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfrist geworden. Ihr kann nach Bewilligung der begehrten Prozesskostenhilfe und fristgerecht nachgeholten Prozesshandlungen Wiedereinsetzung in die versäumten Rechtsmittelfristen bewilligt werden (Abgrenzung BGH, 6. Mai 2008, VI ZB 16/07, NJW 2008, 2855).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des 5. [X.] des [X.] vom 20. November 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

Wert: bis 6.000 €

Gründe

I.

1

Die [X.]en streiten um Abänderung eines gerichtlichen Vergleichs über Kindesunterhalt. Das Urteil des Amtsgerichts, durch das der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen wurde, ist dem [X.]n am 13. Oktober 2008 zugestellt worden. Mit einem am 12. November 2008 eingegangenen Schriftsatz hat er Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Berufung beantragt. Mit Beschluss vom 12. Juni 2009 hat das Berufungsgericht dem [X.]n teilweise Prozesskostenhilfe bewilligt und den Antrag im Übrigen zurückgewiesen. Der Beschluss ist dem [X.]n am 29. Juni 2009 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 13. Juli 2009, beim Berufungsgericht eingegangen am 14. Juli 2009, hat der [X.] im Umfang der bewilligten Prozesskostenhilfe Berufung eingelegt, zur Begründung auf den [X.] sowie auf den dem [X.] beigefügten Entwurf einer Berufung und Berufungsbegründung seines Rechtsanwalts Bezug genommen und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungs- und der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Mit Beschluss vom 11. September 2009 hat das [X.] den Wiedereinsetzungsantrag verworfen, weil dieser nicht innerhalb der zweiwöchigen [X.] eingegangen sei. Zugleich hat es den [X.]n darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, die Berufung ebenfalls zu verwerfen, da die Berufungsfrist nicht gewahrt sei. Der Beschluss ist dem [X.]n am 21. September 2009 zugestellt worden.

2

Am 28. September 2009 hat der [X.] beantragt, ihm Wiedereinsetzung in die versäumte [X.] zu bewilligen. Zur Begründung hat er vorgetragen, die Fristversäumnis beruhe auf einem ihm nicht zurechenbaren Versäumnis des Büroboten, den sein Rechtsanwalt damit beauftragt habe, den Schriftsatz vom 13. Juli 2009 noch am gleichen Tag in den Briefkasten des [X.]s einzuwerfen. Der Sachvortrag ist durch eidesstattliche Versicherung des Büroboten glaubhaft gemacht worden.

3

Das [X.] hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte [X.] zurückgewiesen und die Berufung verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des [X.]n.

II.

4

Für das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 [X.] noch das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 3. November 2012 - [X.] 197/10 - FamRZ 2011, 100 Rn. 10).

5

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert. Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach den §§ 233 ff. ZPO verkannt; der angefochtene Beschluss verletzt den [X.]n damit in seinen Verfahrensgrundrechten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

6

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Verfahrens an das [X.].

7

a) Das [X.] hat das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen, weil die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag vom 13. Juli 2009 in Rechtskraft erwachsen sei und deshalb nicht mehr abgeändert werden könne. Wenn - wie hier - der Wiedereinsetzungsantrag einer [X.] durch gesonderten Beschluss zurückgewiesen werde, müsse diese Entscheidung angefochten werden, da sie anderenfalls Bindungswirkung entfalte. Infolge der rechtskräftigen Ablehnung einer Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist sei die Berufung verfristet und deshalb zu verwerfen.

8

b) Diese Ausführungen halten den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht stand.

9

aa) Zutreffend ist das [X.] allerdings davon ausgegangen, dass der [X.] die Berufungsfrist versäumt hat. Das Urteil des Amtsgerichts ist ihm am 13. Oktober 2008 zugestellt worden; seine Berufung ist erst am 14. Juli 2009 beim [X.] eingegangen.

Ebenfalls zu Recht hat das [X.] darauf abgestellt, dass auch der Antrag des [X.]n auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist nicht innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 234 Abs. 1 ZPO eingegangen ist. Ist eine [X.] wegen Mittellosigkeit gehindert, die Berufungsfrist einzuhalten, entfällt das Hindernis für die Einlegung des Rechtsmittels grundsätzlich mit der Bekanntgabe des Beschlusses über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe, so dass der Lauf der [X.] des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu diesem Zeitpunkt beginnt (st. Rspr. vgl. etwa [X.], 14 = [X.], 1640 Rn. 10 mwN). Nachdem der [X.] dem [X.]n am 29. Juni 2009 zugestellt worden war, hätte er Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist bis zum 13. Juli 2009 beantragen müssen. Der erst am 14. Juli 2009 eingegangene Antrag hat diese Frist nicht gewahrt.

bb) Zu Unrecht hat das [X.] dem [X.]n allerdings die nach § 233 ZPO begehrte Wiedereinsetzung in die versäumte [X.] versagt. Die vom [X.]n nicht angefochtene Versagung der Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist steht einer Wiedereinsetzung in die ebenfalls versäumte [X.] nicht entgegen.

(1) In der Rechtsprechung des [X.] ist zwar geklärt, dass die rechtskräftige Ablehnung einer begehrten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der darauf aufbauenden Entscheidung über die Verwerfung des Rechtsmittels zugrunde zu legen ist. Hat die betroffene Prozesspartei die isolierte Abweisung ihres Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht angefochten und ist diese Entscheidung rechtskräftig geworden, bindet sie das Gericht im Rahmen der anschließenden Entscheidung über die Verwerfung des Rechtsmittels (Senatsbeschluss vom 7. Oktober 1981 - [X.] - FamRZ 1982, 163 f.; [X.] Beschlüsse vom 16. April 2002 - [X.]/00 - NJW 2002, 2397, 2398 und vom 3. November 1988 - [X.] 1/88 - [X.]R ZPO § 519 b Abs. 2 [X.] 1). Diese Rechtsprechung lässt sich auf den vorliegenden Fall allerdings nicht übertragen.

(2) Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass im umgekehrten Fall die rechtskräftige Verwerfung der Berufung wegen Fristversäumung einer vorrangig zu beurteilenden Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungs- oder der Berufungsbegründungsfrist nicht entgegensteht. Denn durch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird dem die Berufung verwerfenden Beschluss die Grundlage entzogen und er damit gegenstandslos (Senatsbeschlüsse vom 9. Februar 2005 - [X.] 225/04 - FamRZ 2005, 791, 792 mwN; vom 15. August 2007 - [X.] 101/07 - [X.], 1725, 1726 und vom 24. Februar 2010 - [X.] 168/08 - FamRZ 2010, 882, 883). Eine rechtzeitig beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann danach nicht mit der Begründung abgelehnt werden, über die darauf basierende Entscheidung sei bereits entschieden. Vielmehr ist das Gericht gehalten, vor einer Verwerfung des Rechtsmittels auf die versäumte Frist hinzuweisen, um der Prozesspartei Gelegenheit zu geben, eine schuldlose Fristversäumung glaubhaft zu machen.

Diese Rechtsprechung ist auf den hier vorliegenden Fall übertragbar. Der [X.] hatte beantragt, ihm Wiedereinsetzung in die versäumte [X.] zur Einlegung und Begründung der Berufung zu bewilligen. Die vom [X.] ohne vorherige Anhörung beschiedene und vom [X.]n nicht mit der Rechtsbeschwerde angefochtene Entscheidung über die Zurückweisung der begehrten Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist setzt eine vorherige Entscheidung über die beantragte Wiedereinsetzung in die versäumte [X.] voraus. Wenn dem [X.]n wegen schuldloser Fristversäumung Wiedereinsetzung in die Versäumung der [X.] des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO bewilligt wird, entzieht dies der ablehnenden Entscheidung über die Wiedereinsetzung in die Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist die Grundlage.

c) Die Entscheidung des [X.]s, dem [X.]n die beantragte Wiedereinsetzung in die versäumte [X.] zu versagen, hat auch nicht aus anderen Gründen Bestand.

aa) Allerdings kommt, wenn die Fristversäumung auf einem wirtschaftlichen Unvermögen des Rechtsmittelführers beruht, nach der Entscheidung über die beantragte Prozesskostenhilfe eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur in Betracht, wenn die Mittellosigkeit für die Fristversäumung kausal geworden ist (st. Rspr. vgl. etwa Senatsbeschluss vom 8. Februar 2012 - [X.] 462/11 - FamRZ 2012, 705 Rn. 9 mwN). Das war hier der Fall.

bb) Die Versäumung der [X.] beruhte hier allerdings nach dem Vortrag des [X.]n auf einem ihm nicht zurechenbaren Verschulden des [X.] seines Prozessbevollmächtigten. Bei weisungsgemäßer Ablieferung des Schriftsatzes an das [X.] wäre die [X.] des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewahrt worden.

Die Versäumung der Berufungs- und der Berufungsbegründungsfrist beruhte demgegenüber auf dem wirtschaftlichen Unvermögen des [X.]n. Für diese Fristversäumung ist die Mittellosigkeit auch kausal geworden. Zwar hat der [X.] entschieden, dass in Fällen, in denen ein Rechtsmittel bereits durch einen beim Rechtsmittelgericht zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt, die fristgerecht eingereichte und unterschriebene Rechtsmittelbegründung zunächst aber nur als Entwurf bezeichnet wurde, eine spätere Fristversäumung nicht auf der Mittellosigkeit beruht, weil der Prozessbevollmächtigte seine Leistung dann schon in vollem Umfang erbracht hat ([X.] Beschluss vom 6. Mai 2008 - [X.] - NJW 2008, 2855 Rn. 4 ff. mit kritischen [X.]. [X.], 460; [X.] FamRZ 2008, 1521; [X.] NJW 2008, 2856; [X.] 2009, 559 und [X.] JuS 2008, 1076). Ob dem zu folgen ist, kann hier dahinstehen. Denn wenn der Antragsteller sein Rechtsmittel - wie hier - bewusst noch nicht eingelegt, sondern von der Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe abhängig gemacht hat, ist die Mittellosigkeit schon für die Versäumung der Rechtsmittelfrist kausal geworden. Die Prozesspartei war dann auf Grund ihrer Mittellosigkeit bereits an der Einlegung des Rechtsmittels gehindert. Wird die Prozesskostenhilfe nicht bewilligt, kommt es erst gar nicht zum Berufungsverfahren (so auch [X.] NJW 2008, 2856 f.).

d) Das Berufungsgericht wird deswegen zunächst gemäß § 233 ZPO über den Antrag des [X.]n auf Wiedereinsetzung in die versäumte [X.] zu entscheiden haben. Insoweit hat der [X.] vorgetragen, seinen langjährigen [X.] am letzten [X.] im Rahmen einer konkreten Einzelanweisung beauftragt zu haben, die Berufung und Berufungsbegründung nebst Wiedereinsetzungsantrag noch am gleichen Tag beim [X.] einzuwerfen. Dies hat der Kanzleibote an Eides statt versichert (§ 236 Abs. 2 ZPO). Wenn dem [X.]n wegen unverschuldeter Fristversäumung Wiedereinsetzung in die versäumte [X.] bewilligt wird, ist dem angefochtenen Beschluss auch hinsichtlich der Verwerfung der Berufung die Grundlage entzogen. Das Berufungsgericht wird dann erneut über den Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist und, bei Bewilligung der Wiedereinsetzung, über die Berufung selbst zu entscheiden haben.

Dose                                 Weber-Monecke                                 [X.]

                 [X.]

Meta

XII ZB 235/09

28.11.2012

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Düsseldorf, 20. November 2009, Az: II-5 UF 225/08

§ 233 ZPO, § 234 Abs 1 ZPO, § 520 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.11.2012, Az. XII ZB 235/09 (REWIS RS 2012, 909)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 909

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