Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.01.2015, Az. IV ZB 14/14

4. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 17482

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Anforderungen an die Fristen- und Postausgangskontrolle des Prozessbevollmächtigten


Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des 11. Zivilsenats des [X.] vom 15. April 2014 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.

[X.]: 6.000 €

Gründe

1

I. Die Beklagte erstrebt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist.

2

Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche aus einer Haftpflichtversicherung geltend. Das der Klage stattgebende Urteil des [X.] ist der Beklagten am 3. Mai 2013 zugestellt worden. Sie hat gegen das Urteil fristgerecht Berufung eingelegt. Das [X.] hat die Berufungsbegründungsfrist bis zum 3. August 2013, einem Samstag, verlängert. Mit Verfügung vom 6. August 2013, der Beklagten am 8. August 2013 zugegangen, hat das [X.] darauf hingewiesen, dass bis zum 5. August 2013 keine [X.] eingereicht worden sei. Mit einem am 21. August 2013 beim [X.] eingegangenen Schriftsatz hat die Beklagte beantragt, ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

3

Dazu hat sie ausgeführt, die Berufungsbegründung müsse auf dem [X.]weg verloren gegangen sein. Der sachbearbeitende Prozessbevollmächtigte habe den Schriftsatz am 1. August 2013 vor einer mehrtägigen Abwesenheit unterzeichnet und mit den Akten auf den in der Kanzlei für die ausgehende [X.] vorgesehenen Tisch gelegt. Auf dem zugehörigen Verfügungsblatt in den Akten habe seine Sekretärin seinem Diktat entsprechend handschriftlich verfügt, dass die [X.] an das [X.] zu versenden sei und ihm die Akten anschließend wieder vorzulegen seien. Eine namentlich nicht zu ermittelnde Kanzleimitarbeiterin habe den Schriftsatz kuvertiert, frankiert und in das auf demselben Tisch befindliche [X.] gelegt. Sodann habe diese Mitarbeiterin auf dem Verfügungsblatt neben der Versendungsverfügung das Datum "01.08." vermerkt. Im [X.] sei die Berufungsbegründungsfrist wegen der Fertigung und Absendung der [X.] gestrichen worden. Auf diese Weise werde fristgebundene [X.] in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten durchweg bearbeitet. Wie jeden Tag sei das [X.] geleert und die [X.] zur etwa 200 Meter entfernten [X.]filiale gebracht worden. Bei Rückkehr des sachbearbeitenden Prozessbevollmächtigten am 4. August 2013 sei das [X.] leer gewesen. Er habe sich vor Ablauf des 5. August 2013 vergewissert, dass neben der Übersendungsverfügung in den Akten ein Datum vermerkt gewesen sei, dass sich die [X.] nicht mehr in den Akten befunden habe und dass dort stattdessen eine für die Akten vorgesehene Abschrift eingeheftet gewesen sei.

4

Das [X.] hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Rechtsbeschwerde.

5

II. Die Rechtsbeschwerde ist nach den §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft, jedoch im Übrigen nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Eine Entscheidung des [X.] ist insbesondere nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Das Berufungsgericht hat die in der Rechtsprechung des [X.] entwickelten Anforderungen an die [X.] in einer Anwaltskanzlei beachtet und nicht die Verfahrensgrundrechte der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, indem es ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt hat.

6

1. Nach seiner Ansicht hat die Beklagte nicht glaubhaft gemacht, dass sie die Berufungsbegründungsfrist ohne Verschulden versäumt hat. Sie habe weder substantiiert vorgetragen noch glaubhaft gemacht, dass die [X.] rechtzeitig am 1. oder 2. August 2013 in den [X.]lauf gelangt sei. Sie habe im Einzelnen darlegen und glaubhaft machen müssen, wann, von wem und in welcher Weise die [X.] zur [X.] gegeben worden sei. Demgegenüber habe die Beklagte nur vorgetragen, dass ihr Prozessbevollmächtigter den Schriftsatz auf den für die ausgehende [X.] vorgesehenen Tisch gelegt habe. Wer den Schriftsatz kuvertiert, frankiert und in das [X.] gelegt habe, sei nicht aufklärbar. Es sei auch nicht dargelegt, wer dafür nach dem kanzleiinternen Organisationsplan zuständig gewesen sei und wer den Schriftsatz habe zur [X.] bringen müssen. Dass den Bürokräften der Prozessbevollmächtigten bei der Bearbeitung des Schriftsatzes ein Versehen unterlaufen sei, habe die Beklagte nicht vorgetragen. Das neben der Übersendungsverfügung vermerkte Datum "01.08.", die gestrichene Berufungsbegründungsfrist im [X.] und die Beschaffenheit des Tisches, die ein Herunterfallen von Schriftstücken ausschließe, reichten nicht aus, um mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auszuschließen, dass die [X.] weder in den Kanzleiräumen, noch auf dem Weg zur [X.]filiale verloren gegangen sei. Jedenfalls sei ihr Vorbringen ungeeignet, ein Organisationsverschulden der Prozessbevollmächtigten der Beklagten auszuschließen. Es sei insbesondere nicht vorgetragen, dass für die Behandlung fristgebundener [X.] ausreichend zuverlässiges und regelmäßig überwachtes Personal mit abgegrenzten Aufgabenbereichen eingesetzt werde. Für ein Organisationsverschulden spreche vielmehr, dass die Prozessbevollmächtigten der Beklagten nach drei Wochen nicht mehr hätten aufklären können, wer die [X.] postfertig gemacht habe.

7

2. Damit hat das Berufungsgericht die Anforderungen an die anwaltliche Sorgfaltspflicht bei Übermittlung fristgebundener Schriftsätze nicht überspannt. Es hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Beklagte nicht glaubhaft gemacht hat, dass die Ursache für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist außerhalb eines ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Anwaltsverschulden liegt.

8

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] gehört es zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Der Prozessbevollmächtigte muss durch organisatorische Maßnahmen gewährleisten, dass für den [X.]versand vorgesehene Schriftstücke zuverlässig auf den [X.]weg gebracht werden (Senatsbeschlüsse vom 16. Juli 2014 - [X.], juris Rn. 9; vom 5. Februar 2003 - [X.], NJW-RR 2003, 862 unter [X.]; vom 18. Dezember 2002 - [X.], NJW-RR 2003, 569 unter [X.]; [X.], Beschluss vom 27. November 2013 - [X.]/13, juris Rn. 8; Urteil vom 11. Januar 2001 - [X.], [X.], 380 unter [X.]; jeweils m.w.[X.]). Zu diesem Zweck hat er eine [X.] zu organisieren, die einen gestuften Schutz gegen Fristversäumungen bietet ([X.], Beschlüsse vom 4. November 2014 - [X.], [X.], 2388 Rn. 8 f.; vom 16. Dezember 2013 - [X.], juris Rn. 10). Zunächst muss der Rechtsanwalt sicherstellen, dass im [X.] vermerkte Fristen erst dann gestrichen oder anderweitig als erledigt gekennzeichnet werden, wenn die fristwahrende Maßnahme tatsächlich durchgeführt, der Schriftsatz also gefertigt und versandfertig gemacht und die weitere Beförderung der ausgehenden [X.] organisatorisch zuverlässig vorbereitet worden ist (Senatsbeschluss vom 16. Juli 2014 aaO; [X.], Beschlüsse vom 4. November 2014 aaO Rn. 8; vom 16. Dezember 2013 aaO Rn. 9; vom 8. Januar 2013 - [X.], [X.], 645 Rn. 10; jeweils m.w.[X.] ). Vor dem Streichen der Frist hat sich die damit betraute Bürokraft anhand der Akten oder des postfertigen Schriftsatzes zu vergewissern, dass zweifelsfrei nichts weiter zu veranlassen ist (vgl. [X.], Beschlüsse vom 8. Januar 2013 aaO; vom 11. September 2007 - [X.], NJW 2007, 3497 unter [X.]; jeweils m.w.[X.]). Ferner gehört dazu die Anordnung des Rechtsanwalts, dass die Erledigung von fristgebundenen Schriftsätzen am Abend eines jeden [X.] anhand des [X.]s durch eine dazu beauftragte Bürokraft überprüft wird. Dabei muss gewährleistet sein, dass die Bürokraft nochmals und abschließend prüft, welche fristwahrenden Schriftsätze hergestellt, abgesandt oder zumindest versandfertig gemacht worden sind und ob diese mit den im [X.] vermerkten Schriftsätzen übereinstimmen ([X.], Beschlüsse vom 4. November 2014 aaO Rn. 9 f.; vom 2. März 2000 - [X.], [X.], 1564).

9

b) Gemessen daran hat die Beklagte nicht glaubhaft gemacht, dass die Ursache der Fristversäumnis außerhalb ihres Verantwortungsbereichs liegt. Sie hat die Möglichkeit nicht ausgeräumt, dass die Berufungsbegründung in der Kanzlei ihrer Prozessbevollmächtigten verloren gegangen ist, bevor sie dort versandfertig gemacht worden ist, und dass dies aufgrund unzureichender Kontrolle der ausgehenden [X.] nicht entdeckt worden ist.

aa) Die [X.] in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Beklagten entspricht nicht den genannten Vorgaben. Eine Anordnung an die dortigen Bürokräfte, vor dem Streichen der Frist anhand der Akten oder des postfertigen Schriftsatzes zu überprüfen, dass zweifelsfrei nichts weiter zu veranlassen ist, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Ihrem erkennbar auf den Einzelfall bezogenen Vortrag, die Berufungsbegründungsfrist sei wegen Fertigung und Absendung der [X.] im [X.] gelöscht worden, ist eine allgemeine Anweisung an die Bürokräfte nicht zu entnehmen. Zu einer nochmaligen abendlichen Fristenkontrolle in der Kanzlei ihrer Prozessbevollmächtigten hat die Beklagte ebenfalls nicht vorgetragen.

bb) Der sachbearbeitende Prozessbevollmächtigte selbst hat die Bearbeitung der [X.] nicht ausreichend kontrolliert. Es reicht nicht, dass er sich noch vor Ablauf des 5. August 2013 vergewisserte, dass das Datum "01.08." auf dem Verfügungsblatt in den Akten vermerkt war und sich anstelle des Originals der [X.] das dafür vorgesehene Doppel in den Akten befand. Weder das auf dem Verfügungsblatt vermerkte Datum, noch das Fehlen des Originals der [X.] oder das in den Akten abgeheftete Doppel lassen zweifelsfrei erkennen, dass die [X.] tatsächlich postfertig in das [X.] der Kanzlei gelegt wurde.

cc) Die unzureichende Kontrolle der ausgehenden [X.] ist ursächlich für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewesen. Es reicht aus, dass eine mögliche Ursächlichkeit für das Versäumen der Frist nicht ausgeräumt werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Oktober 2000 - [X.], [X.], 85 unter 2). Das ist der Beklagten nicht gelungen. Hätten in der Kanzlei ihrer Prozessbevollmächtigten entsprechende Anordnungen zur Durchführung der beschriebenen [X.] bestanden, wäre bei ansonsten pflichtgemäßem Verhalten der zuständigen Bürokraft ein möglicher Fehler bei der Bearbeitung des Schriftsatzes innerhalb der Kanzlei aufgefallen.

Die Ursächlichkeit entfällt auch nicht deswegen, weil die Berufungsbegründung trotz unzureichender Kontrolle ordnungsgemäß bearbeitet worden und in den [X.]ausgang gelangt ist. Die Beklagte hat nicht glaubhaft gemacht, dass die Berufungsbegründung postfertig gemacht und tatsächlich zur [X.] gegeben wurde. Die vorgelegten Versicherungen an Eides statt des sachbearbeitenden Prozessbevollmächtigten und von dessen Sekretärin reichen nicht aus, weil beide nicht mit der Bearbeitung des Schriftsatzes betraut waren.

[X.]                                  [X.]                                       [X.]

               [X.]                        Dr. [X.]

Meta

IV ZB 14/14

07.01.2015

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend Brandenburgisches Oberlandesgericht, 15. April 2014, Az: 11 U 72/13

§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 520 Abs 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.01.2015, Az. IV ZB 14/14 (REWIS RS 2015, 17482)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 17482

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