Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.02.2023, Az. 4 StR 211/22

4. Strafsenat | REWIS RS 2023, 1909

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MORD STRAFRECHT BUNDESGERICHTSHOF (BGH) STRAFTATEN AUTO REVISION (STRAFRECHT)

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Gegenstand

Widersprüchliche Beweiswürdigung zum bedingten Tötungsvorsatz bei einem verbotenem Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge


Tenor

1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des [X.] vom 7. Juni 2021 mit den Feststellungen zur subjektiven Tatseite aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an das [X.] zurückverwiesen.

2. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hatte den Angeklagten am 17. Februar 2020 im ersten Rechtsgang wegen Mordes in Tateinheit mit verbotenem Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und eine isolierte Fahrerlaubnissperre verhängt. Auf die Revision des Angeklagten hob der [X.]nat mit Beschluss vom 18. Februar 2021 (4 [X.], [X.], 271) das Urteil, soweit es ihn betraf, mit den Feststellungen auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurück. Nunmehr hat das [X.] den Angeklagten mit Urteil vom 7. Juni 2021 wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von fünf Jahren keine Fahrerlaubnis zu erteilen. Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger mit ihren zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und mit der Sachrüge begründeten Revisionen, mit denen sie eine Verurteilung des Angeklagten wegen eines vollendeten Tötungsdelikts erstreben. Die Rechtsmittel erzielen den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg und führen zur Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen zur subjektiven Tatseite; im Übrigen sind sie unbegründet.

I.

2

Nach den Feststellungen verabredete der Angeklagte am [X.] mit dem früheren Mitangeklagten [X.].   ein Kraftfahrzeugrennen durch das Stadtgebiet von [X.]. Während dem Angeklagten, der nicht über eine Fahrerlaubnis verfügte, der PKW [X.] mit 612 PS seiner Familie zur Verfügung stand, nutzte der frühere Mitangeklagte einen PKW [X.] mit einer Motorleistung von 528 PS. Dem Angeklagten und dem früheren Mitangeklagten ging es darum, ihre Kraftfahrzeuge jeweils mit [X.] zu beschleunigen und das andere Fahrzeug zu überholen.

3

Die beiden Kontrahenten trafen sich gegen 21.50 Uhr auf einem Parkplatz und befuhren zunächst mit angepasster Geschwindigkeit die [X.], die über Bahngleise führt und in die [X.].      straße einmündet; diese verläuft nahezu geradlinig durch ein Wohngebiet und verfügt über jeweils eine Fahrspur in jede Fahrtrichtung. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit ist auf 50 km/h beschränkt. Von beiden [X.]iten münden Straßen in die vorfahrtsberechtigte, durch Straßenlaternen beleuchtete [X.].      straße ein.

4

Nach Passieren der von der späteren Unfallstelle ca. 226 Meter entfernten Bahngleise lenkte der Angeklagte sein Fahrzeug in Umsetzung der [X.] auf die [X.] und beschleunigte maximal; auch der frühere Mitangeklagte beschleunigte sein Fahrzeug jedenfalls über einige Zeit mit Vollgas bis zu einer Geschwindigkeit von mindestens 92 km/h. Der Angeklagte erreichte etwa 101 Meter vor der späteren Unfallstelle eine Geschwindigkeit von 157 km/h. Aufgrund der deutlich überlegenen Motorleistung seines Fahrzeuges hatte er bereits einen Vorsprung vor dem schwächer motorisierten PKW seines Kontrahenten erzielt. In diesem Moment nahm er wahr, dass die Geschädigte mit ihrem PKW [X.] ‒ aus seiner Sicht von links aus einer [X.]itenstraße (der [X.]-straße) kommend ‒ unter Missachtung der Vorfahrt in Fahrtrichtung des Angeklagten in die [X.].      straße einbog. Um einen Zusammenstoß zu vermeiden, leitete der weiterhin die [X.] mit einer Geschwindigkeit von nunmehr 167 km/h befahrende Angeklagte eine Vollbremsung ein. Zugleich versuchte er, dem PKW der Geschädigten auszuweichen. Zu diesem Zweck lenkte er sein Fahrzeug zunächst leicht nach rechts zurück auf die rechte Fahrspur, und anschließend, da die Geschädigte bereits annähernd bis zur Mittellinie in die [X.].      straße eingebogen war, wieder nach links in Richtung der [X.]. Gleichwohl konnte er eine Kollision nicht vermeiden und fuhr mit einer Geschwindigkeit von noch 105 km/h mit der rechten Vorderseite seines Fahrzeugs auf das Heck des Fahrzeugs der Geschädigten auf. Diese erlitt infolge der Kollision schwerste Verletzungen und verstarb im Krankenhaus.

5

Der Angeklagte, der sein Fahrzeug rund 70 Meter entfernt am linken Fahrbahnrand zum Stehen gebracht hatte, blieb unverletzt. Er stieg aus und entfernte sich zügig zu Fuß von der Unfallstelle, ohne sich um das Unfallopfer zu kümmern oder Feststellungen zu seiner Unfallbeteiligung zu ermöglichen. Er hielt sich mehrere Tage versteckt und stellte sich schließlich den Ermittlungsbehörden, nachdem er als Unfallverursacher ermittelt und eine Öffentlichkeitsfahndung nach ihm eingeleitet worden war.

6

Zur subjektiven Tatseite hat das [X.] festgestellt:

7

Der Angeklagte kannte „die Örtlichkeiten auf der [X.].     straße einschließlich der in seiner Fahrtrichtung links gelegenen Einmündung der [X.] -straße und der dortigen Verkehrsregelung“; er war sich „über die Gefährlichkeit der Durchführung des Rennens bewusst“ und „hielt insbesondere für möglich, dass die [X.] eine Gefahr für die körperliche Unversehrtheit und das Leben sowie erhebliche Vermögenswerte anderer Verkehrsteilnehmer und Eigentümer sowie den Zeugen [X.].    und ihn selbst begründen könnte“. Er hielt weiterhin für möglich, dass andere Verkehrsteilnehmer plötzlich aus den angrenzenden Wohngebieten auftauchen und es zu einem tödlichen Zusammenstoß mit ihnen kommen könnte. Angesichts der „gefahrenen hohen Geschwindigkeiten“ lag dabei auf der Hand, dass dies „zu erheblichen Sachschäden und zu schweren Gesundheitsschäden oder zum Tod anderer Menschen, insbesondere Verkehrsteilnehmer oder auch der Rennteilnehmer selbst führen könne“. Eine solche Gefährdung der Gesundheit und des Lebens anderer Menschen sowie erheblicher Sachwerte nahm der Angeklagte billigend in Kauf, weil er „die überlegene Motorkraft“ des von ihm geführten Fahrzeugs demonstrieren und sein Ansehen innerhalb seines [X.] steigern wollte. Nicht festzustellen war, dass der Angeklagte die Tötung und Verletzung anderer Personen oder die Beschädigung von Sachen billigte oder ihm dies „um des erstrebten Willens“ (richtig wohl: um des erstrebten Zieles willen) gleichgültig war. Nicht ausschließbar vertraute er darauf, dass es keinen Unfall geben werde, weil andere Verkehrsteilnehmer seine Vorfahrt beachten oder grundsätzlich, wenn auch eingeschränkt, in der Lage sein würden, sein äußerst riskantes Fahrverhalten und das seines Kontrahenten zu erkennen und sich auf die sich hieraus ergebende Gefahrenlage einzustellen. Zu seinen Gunsten sei daher davon auszugehen, dass er ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraute, dass die [X.] nicht zu einem Unfall und zur Verletzung oder Tötung anderer Verkehrsteilnehmer oder zur Beschädigung von Sachen führen werde.

8

Auf dieser Grundlage hat das [X.] einen bedingten Tötungsvorsatz verneint, einen bedingten [X.] im Sinne des § 315d Abs. 2 StGB aber bejaht und den Angeklagten wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge verurteilt.

II.

9

Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und in ihrem [X.] auf die Strafbarkeit des Angeklagten wegen des zur Kollision führenden [X.] beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf die strafrechtliche Bewertung des zur Kollision führenden Fahrverhaltens des Angeklagten beschränkt.

a) Die Staatsanwaltschaft hat die Aufhebung des angegriffenen Urteils beantragt und die Sachrüge erhoben. Nach dem Inhalt der [X.] erstrebt sie mit ihrem zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Rechtsmittel allein die Aufhebung des Urteils wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge mit dem Ziel einer Verurteilung des Angeklagten ‒ auch ‒ wegen eines vollendeten Tötungsdelikts im dritten Rechtsgang. Sie macht geltend, dass die tatgerichtlichen Beweiserwägungen, die der Verneinung des voluntativen Elements des bedingten Tötungsvorsatzes zugrunde liegen, lückenhaft seien. Dass auch eine Verletzung der Kognitionspflicht in Bezug auf das Verhalten des Angeklagten nach der Kollision geltend gemacht werden soll, ist der Revisionsbegründung auch unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs nicht zu entnehmen. Der [X.]nat geht daher, auch unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 [X.], davon aus, dass ausschließlich die strafrechtliche Bewertung des Verhaltens des Angeklagten in Bezug auf die tödliche Kollision angegriffen sein soll (vgl. auch [X.], Urteil vom 2. Februar 2017 ‒ 4 StR 481/16, [X.], 105, 106 mwN [zur Beschränkung auf den Strafausspruch]).

b) Diese Beschränkung ist auch wirksam.

aa) Wie die Berufung (vgl. § 318 StPO) kann auch die Revision gemäß § 344 Abs. 1 StPO beschränkt eingelegt werden. Damit hat der Gesetzgeber dem [X.] eine prozessuale Gestaltungsmacht eingeräumt, deren Ausübung im Rahmen des rechtlich Möglichen zu respektieren ist (vgl. [X.], Beschluss vom 27. April 2017 ‒ 4 StR 547/16, [X.]St 62, 155 Rn. 17 mwN; Urteil vom 15. Juli 2020 ‒ 2 [X.] Rn. 7). Eine Revisionsbeschränkung ist wirksam, wenn sie sich auf Beschwerdepunkte bezieht, die nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angegriffenen Teil rechtlich und tatsächlich selbstständig beurteilt werden können, ohne eine Prüfung des Urteils im Übrigen erforderlich zu machen, und die stufenweise entstehende Gesamtentscheidung frei von inneren Widersprüchen bleibt (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteil vom 12. März 2020 ‒ 4 StR 537/19 Rn. 6; Urteil vom 17. Juni 2010 ‒ 4 [X.], [X.]St 55, 174 Rn. 3; Beschluss vom 22. Juli 1971 ‒ 4 StR 184/71, [X.]St 24, 185, 187 f.; Beschluss vom 24. Juli 1963 ‒ 4 StR 168/63, [X.]St 19, 46, 48; siehe auch [X.], Urteil vom 15. Juli 2020 ‒ 2 [X.] Rn. 8).

[X.]) Gemessen hieran ist die Rechtsmittelbeschränkung wirksam.

Zwar bildet das strafbare Verhalten des Angeklagten während der [X.] mit seinem Verhalten nach der Kollision eine Tat im prozessualen Sinne (vgl. [X.], Beschluss vom 30. Juni 2011 ‒ 4 StR 241/11, juris Rn. 3 f.; Urteil vom 7. November 1991 ‒ 4 [X.], juris Rn. 16; Beschluss vom 22. Juli 1971 ‒ 4 StR 184/71, [X.]St 24, 185, 186). Dies schließt es aber nicht grundsätzlich aus, den Rechtsmittelangriff auf eines der im Verhältnis der Tatmehrheit im Sinne des § 53 Abs. 1 StGB zueinander stehenden Delikte zu beschränken (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Juli 1971 ‒ 4 StR 184/71, [X.]St 24, 185, 187; siehe auch [X.], Beschluss vom 26. Mai 1967 ‒ 2 StR 129/67, [X.]St 21, 256, 258; Beschluss vom 15. Juni 1954 ‒ 4 StR 310/54, [X.]St 6, 229, 230).

Allerdings könnte ‒ worauf der [X.] zutreffend hingewiesen hat ‒ ein Rechtsmittel regelmäßig nicht auf das mögliche strafbare Verhalten eines Täters nach der Kollision beschränkt werden (vgl. [X.], Beschluss vom 9. November 1972 ‒ 4 [X.], [X.]St 25, 72, 74 ff.), weil die Frage der Strafbarkeit wegen eines durch Unterlassen begangenen versuchten Tötungsdelikts untrennbar mit der dafür wesentlichen Vorfrage einer Garantenstellung infolge vorangegangenen Tuns (vgl. [X.], Beschluss vom 24. März 2021 ‒ 4 StR 416/20, [X.]St 66, 66 Rn. 22) verknüpft ist.

Die Strafbarkeit des zur Kollision führenden Verhaltens des Angeklagten lässt sich aber losgelöst von der Frage beurteilen, ob er sich durch sein Verhalten nach der Kollision eines durch Unterlassen verwirklichten versuchten Tötungsdelikts (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 9. März 2022 ‒ 4 StR 200/21 Rn. 11; Urteil vom 7. November 1991 ‒ 4 [X.], [X.], 583, 584; Beschluss vom 12. Januar 1993 ‒ 4 [X.], [X.], 41; Beschluss vom 24. März 2021 ‒ 4 StR 416/20, [X.]St 66, 66) schuldig gemacht haben könnte. Daher kann der [X.]nat offenlassen, ob ‒ worauf die Verteidigung hingewiesen hat ‒ eine Erörterung angesichts der Feststellungen zu dem Kollisionsgeschehen, das sich im Stadtgebiet von [X.] vor den Augen hilfsbereiter Dritter ereignete, entbehrlich war.

2. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat in ihrem beschränkten [X.] Erfolg. Die Beweiserwägungen, mit denen das [X.] einen bedingten Tötungsvorsatz verneint hat, halten auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen [X.] (vgl. [X.], Urteil vom 1. März 2018 ‒ 4 StR 399/17, [X.]St 63, 88 Rn. 16 f.; Urteil vom 5. Dezember 2017 ‒ 1 StR 416/17, [X.], 206, 207) einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) [X.] Tötungsvorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes eines anderen Menschen abfindet, mag ihm der [X.] auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 18. Februar 2021 ‒ 4 [X.]; Urteil vom 18. Juni 2020 ‒ 4 StR 482/19, NJW 2020, 2900 Rn. 22; Urteil vom 1. März 2018 ‒ 4 StR 399/17, [X.]St 63, 88 Rn. 17).

Ob der Täter nach diesen rechtlichen Maßstäben bedingt vorsätzlich gehandelt hat, ist in Bezug auf beide Elemente im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen (vgl. [X.], Urteil vom 4. Februar 2021 ‒ 4 StR 403/20 Rn. 16; Urteil vom 7. Juli 2016 ‒ 4 StR 558/15 Rn. 14 mwN).

b) Die Beweiserwägungen, mit denen das [X.] einen bedingten Tötungsvorsatz verneint hat, sind im Ergebnis nicht tragfähig. Zwar sind sie entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft nicht durchgreifend lückenhaft (aa)). Sie stehen aber in einem unaufgelösten Spannungsverhältnis zu den Ausführungen, mit denen das [X.] seine Überzeugung vom Vorliegen bedingten [X.]es im Sinne des § 315d Abs. 2 StGB begründet hat ([X.])). Im Einzelnen:

aa) Entgegen der Auffassung der Revision weisen die Beweiserwägungen zur voluntativen [X.]ite des bedingten Tötungsvorsatzes für sich genommen keine einen Rechtsfehler begründende Lücke auf. Das [X.] war nicht gehalten, als ein auf bedingten Tötungsvorsatz hindeutendes Indiz ausdrücklich in seine Gesamtwürdigung einzustellen, dass der Angeklagte sein Fahrzeug nach dem Überholen seines Kontrahenten nicht sofort auf die rechte Fahrspur zurücklenkte, sondern seine Fahrt auf der [X.] fortsetzte. Denn es ist nicht festgestellt, dass ‒ wovon die Revision ausgeht ‒ der Angeklagte die [X.] noch zu einem Zeitpunkt befuhr, zu dem ihm ein gefahrloses Überwechseln auf die rechte Fahrspur bereits möglich war. Zwar hat das sachverständig beratene [X.] festgestellt, dass der Angeklagte mit seinem Fahrzeug bereits einen „deutlichen Vorsprung“ gegenüber dem PKW [X.] erzielt hatte, bevor es zu dem Unfall kam. Es hat jedoch keine Feststellungen zu treffen vermocht, nach welcher Wegstrecke der Angeklagte mit seinem höher motorisierten Fahrzeug seinen Kontrahenten überholt hatte und ab wann ihm ein gefahrloses Wiedereinscheren auf die rechte Fahrbahn möglich war. Angesichts dieses sowie des weiteren Umstands, dass das Rennen bis zur späteren Kollision nur fünf [X.]kunden dauerte, liegt es nicht nahe, dass der Angeklagte nach erfolgreichem Überholen seines Gegners ein risikoverminderndes Verhalten unterlassen hat, das als ein auf einen bedingten Tötungsvorsatz hindeutendes Indiz ausdrücklicher Erörterung bedurfte.

[X.]) Die Beweiserwägungen, mit denen das [X.] einen bedingten Tötungsvorsatz verneint hat, stehen aber in einem unaufgelösten Spannungsverhältnis zu den Ausführungen, mit denen es an anderer Stelle die Annahme bedingten [X.]es im Sinne des § 315d Abs. 2 StGB begründet hat. Dies nötigt zur Aufhebung des Urteils.

Das [X.] hat das Wissenselement des bedingten Tötungsvorsatzes mit der Begründung bejaht, dem Angeklagten sei klar gewesen, dass er sein Fahrzeug innerhalb einer geschlossenen Ortschaft im Bereich eines Wohngebiets maximal beschleunigen und die [X.] befahren werde; ihm sei weiterhin bewusst gewesen, dass andere Verkehrsteilnehmer jederzeit aus den angrenzenden Straßen einfahren, er mit ihnen kollidieren und eine solche Kollision zu ihrem Tod führen könnte. Das voluntative Element des bedingten Tötungsvorsatzes hat das [X.] mit der Begründung verneint, der Angeklagte habe trotz objektiv hoher Gefährlichkeit der Tathandlung darauf vertraut, dass es nicht zu einem Unfall und zur Tötung anderer Verkehrsteilnehmer kommen werde; aufgrund des Umstands, dass es sich bei der von ihm befahrenen Straße um eine gut ausgebaute Vorfahrtsstraße handelte, das Rennen nach seiner Vorstellung nicht lange dauern und er den [X.] rasch überholen werde, habe er nicht ausschließbar darauf vertraut, dass andere Verkehrsteilnehmer seine Vorfahrt beachten oder „grundsätzlich, wenn auch eingeschränkt, in der Lage sein würden, sein äußerst riskantes Fahrverhalten und das seines Kontrahenten zu erkennen und sich auf die hieraus ergebende Gefahrenlage einzustellen“; er habe darauf vertraut, dass es „letztlich nicht zu einem Zusammenstoß“ kommen werde.

Zur Begründung des bedingten [X.]es im Sinne des § 315d Abs. 2 StGB hat das [X.] an anderer Stelle knapp, aber für sich genommen tragfähig ausgeführt, der Angeklagte habe insbesondere mit der Möglichkeit gerechnet, dass andere Verkehrsteilnehmer plötzlich aus angrenzenden Straßen auftauchen, in die [X.].      straße einbiegen und es in der Folge zu einem Zusammenstoß mit ihnen kommen könnte. Dies und die angesichts der gefahrenen Geschwindigkeit mit einer solchen Kollision verbundenen Folgen für die beteiligten Verkehrsteilnehmer habe er billigend in Kauf genommen, weil er die Überlegenheit des Fahrzeugs seiner Familie vor seinen Freunden habe demonstrieren und sein Ansehen mehren wollen.

Diese Ausführungen zum bedingten [X.] lassen sich nicht widerspruchsfrei mit den Erwägungen zum bedingten Tötungsvorsatz vereinbaren, wonach der Angeklagte darauf vertraut habe, dass es „letztlich nicht zu einem Zusammenstoß“ mit Fahrzeugen des [X.] kommen werde. Weiterhin lassen die Urteilsgründe offen, aus welchen rational einsichtigen Gründen der Angeklagte angesichts dieses im Rahmen des [X.]es festgestellten Vorstellungsbildes einer möglichen Kollision seines Fahrzeugs mit seitlichem Querverkehr ernsthaft und tatsachenbasiert, nicht nur vage auf das Ausbleiben eines tödlichen Erfolgs vertraut haben könnte. Dies versteht sich nicht von selbst, sondern hätte eingehender Erörterung bedurft. Hieran fehlt es.

3. Die tatgerichtliche Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite ist damit auch zum Nachteil des Angeklagten rechtsfehlerhaft. Dies führt auf die Revision der Staatsanwaltschaft (vgl. § 301 StPO) zur [X.], soweit der Angeklagte wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge (§ 315d Abs. 2 und Abs. 5 StGB) verurteilt worden ist.

a) Ein bedingter [X.] im Sinne des § 315d Abs. 2 StGB liegt vor, wenn der Täter über die allgemeine Gefährlichkeit des Kraftfahrzeugrennens hinaus auch die Umstände kennt, die den in Rede stehenden Gefahr erfolg im Sinne eines Beinaheunfalls als naheliegende Möglichkeit erscheinen lassen, und er sich mit dem Eintritt einer solchen Gefahrenlage zumindest abfindet (vgl. [X.], Urteil vom 18. August 2022 ‒ 4 StR 377/21 Rn. 10; Beschluss vom 13. Januar 2016 ‒ 4 StR 532/15 Rn. 10; Beschluss vom 9. [X.]ptember 2014 ‒ 4 [X.] Rn. 3; Urteil vom 24. Juli 1975 ‒ 4 StR 165/75, [X.]St 26, 176, 179; Urteil vom 15. Dezember 1967 ‒ 4 StR 441/67, [X.]St 22, 67, 73 ff.).

b) Gemessen hieran hat das [X.] seine Überzeugung, dass der Angeklagte eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer für möglich gehalten hat, weil sie in die [X.].     straße einbiegen und mit seinem Fahrzeug kollidieren könnten, nicht tragfähig belegt. Das [X.] hat das voluntative Element bedingten Tötungsvorsatzes mit der Begründung verneint, er habe auf das Ausbleiben einer Kollision mit dem Querverkehr vertraut; die Annahme bedingten [X.]es im Sinne des § 315d Abs. 2 StGB hat es aber mit der Begründung bejaht, der Angeklagte habe mit einer Kollision mit Verkehrsteilnehmern gerechnet, die aus angrenzenden Straßen in die von ihm auf der [X.] befahrene Vorfahrtsstraße einbiegen könnten. Diese auch unter Berücksichtigung des Zusammenhangs nicht miteinander zu vereinbarenden Ausführungen lassen auch die Annahme bedingten [X.]es als rechtsfehlerhaft erscheinen.

Zwar liegt die Annahme von [X.] im Sinne des § 315d Abs. 2 StGB angesichts der vom [X.] zu Recht angenommenen, anschaulichen Höchstgefährlichkeit des vom Angeklagten absprachegemäß durchgeführten Kraftfahrzeugrennens durch die Innenstadt von [X.], in dessen Verlauf er die [X.] befuhr und ‒ wenn auch kurzfristig ‒ die innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit um ein Mehrfaches überschritt, nahe. Den Urteilsgründen kann aber auch unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs nicht eindeutig entnommen werden, welche konkreten Gefährdungsszenarien sich der Angeklagte vorstellte, die zwar nicht zu einer Kollision, aber doch zu einer Situation führten, die als Beinaheunfall (vgl. dazu im Einzelnen [X.], Urteil vom 18. August 2022 ‒ 4 StR 377/21 Rn. 9 mwN) beschrieben werden kann. Unter den hier gegebenen besonderen Umständen hätte das [X.] jedoch im Einzelnen darlegen und tragfähig belegen müssen, welche Geschehensabläufe sich der Angeklagte vorgestellt hat, die zwar nicht zu einer Kollision mit anderen Verkehrsteilnehmern, aber zu einem Beinaheunfall in dem beschriebenen Sinne führen könnten. Hieran fehlt es.

4. Die aufgezeigten Rechtsfehler nötigen zur Aufhebung des Urteils. Der [X.]nat vermag nicht auszuschließen, dass das Urteil zu Gunsten und zu Ungunsten des Angeklagten auf den aufgezeigten Darlegungsmängeln im Rahmen der Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite beruht (§ 337 Abs. 1 StPO). Die Feststellungen zum Vortatgeschehen und zum äußeren Tatgeschehen sind von den [X.] nicht berührt (§ 353 Abs. 2 StPO) und können daher bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen sind möglich, soweit sie zu den bindend gewordenen Feststellungen nicht in Widerspruch treten.

III.

Die gemäß § 400 Abs. 1 StPO zulässigen Revisionen der Nebenkläger sind ‒ wie die Revision der Staatsanwaltschaft ‒ nach dem Inhalt der Revisionsbegründungschrift ebenfalls auf das zur Kollision führende Verkehrsgeschehen beschränkt. Sie haben im gleichen Umfang Erfolg wie die Revision der Staatsanwaltschaft und führen zur Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen zur subjektiven Tatseite zu Ungunsten und zu Gunsten (vgl. § 301 StPO) des Angeklagten.

IV.

Der [X.]nat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1, Alternative 2 StPO Gebrauch und verweist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das [X.] Duisburg.

Quentin     

  

Bartel     

  

Maatsch

  

Scheuß     

  

Messing     

  

Meta

4 StR 211/22

16.02.2023

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Kleve, 7. Juni 2021, Az: 150 Ks 1/21

§ 211 StGB, § 212 StGB, § 315d Abs 1 StGB, § 315d Abs 2 StGB, § 315d Abs 5 StGB, § 261 StPO, § 344 Abs 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.02.2023, Az. 4 StR 211/22 (REWIS RS 2023, 1909)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 1909

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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