Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.08.2016, Az. VI ZB 40/15

6. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 6716

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Postausgangskiste als Bestandteil des organisatorischen Verantwortungsbereichs des Prozessbevollmächtigten


Leitsatz

Die Postausgangskiste eines Prozessbevollmächtigten gehört zu dessen organisatorischem Verantwortungsbereich und ist nicht bereits Teil des Postwegs.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des [X.] gegen den Beschluss des 4. Zivilsenats des [X.] vom 13. November 2015 wird auf Kosten des [X.] als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 7.000 €.

Gründe

I.

1

Der Kläger nimmt den Beklagten auf Schmerzensgeld und Feststellung nach einer ärztlichen Behandlung in Anspruch. Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Gegen das ihm am 28. Juli 2015 zugestellte Urteil hat der Kläger rechtzeitig Berufung eingelegt. Nach Hinweis des Vorsitzenden des Berufungsgerichts, die Berufung sei nicht begründet worden, übermittelte der Kläger am 12. Oktober 2015 eine auf den 8. September 2015 datierte Berufungsbegründung. Zugleich hat der Kläger beantragt, ihm insoweit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

2

Zur Begründung dieses Antrags hat der Kläger im Wesentlichen ausgeführt, die Berufungsbegründung sei am 8. September 2015 für den Postversand frankiert und in das [X.] gelegt worden. Dort sei sie offensichtlich hinter das Regal des Postfaches gerutscht und erst im Rahmen der Suche in Folge des gerichtlichen Hinweises aufgefunden worden. Einzige Erklärung hierfür sei, dass die gelben Postkisten - wie es in letzter [X.] häufiger vorgekommen sei - derart vollgefüllt waren, dass die oberen Postsendungen bereits über den Rand des [X.] hinausragten.

3

Auf den weiteren Hinweis des Vorsitzenden des Berufungsgerichts, dass es an einer Glaubhaftmachung der zur Begründung des [X.] vorgetragenen Tatsachen ebenso fehle wie an substantiiertem Vortrag u.a. dazu, wann und von wem die [X.] in einen Umschlag getan, frankiert und in das [X.] gelegt worden sein soll, hat der Kläger eine eidesstattliche Versicherung seines Prozessbevollmächtigten vorgelegt, wonach dieser den Schriftsatz am Nachmittag des 8. September 2015 unterschrieben und die Versendung an das Gericht veranlasst habe. Die Berufungsbegründung sei für den Postversand frankiert und ins Postfach gelegt worden. Dies sei ihm von seinem Personal versichert worden. Offensichtlich sei der Brief mit der Berufungsbegründung hinter den Schrank gerutscht. Zwar könnten eigentlich keine Briefe hinter das Regal gelangen. Allerdings sei es in letzter [X.] häufiger vorgekommen, dass die Postkisten derart vollgefüllt waren, dass die oberen Postsendungen bereits über den Rand des [X.] hinausragten.

4

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 13. November 2015 hat das Berufungsgericht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt und die Berufung als unzulässig verworfen, weil die Berufung nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist begründet worden sei. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, das Wiedereinsetzungsgesuch sei in der Sache ohne Erfolg. Denn es sei nicht glaubhaft gemacht, dass der Kläger ohne Verschulden gehindert gewesen sei, die Berufung rechtzeitig zu begründen. Vielmehr stünden Versäumnisse seiner Prozessbevollmächtigten im Raum, die sich der Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse. Der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, dass die Ursache der Fristversäumnis außerhalb des Verantwortungsbereichs seines Prozessbevollmächtigten liege. Zum einen habe der Kläger nicht ausreichend konkret dargelegt und glaubhaft gemacht, dass die [X.] in der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten am 8. September 2015 zum Postversand fertig in das [X.] gelegt worden sei. Es fehle insoweit an einer lückenlosen Darlegung des Ablaufs, nämlich wann und von wem die Berufungsbegründung in einen Umschlag getan, frankiert und in das [X.] gelegt worden sein soll; eine Glaubhaftmachung unter Nennung von Namen von [X.] und Vorlage von deren eidesstattlichen Versicherungen sei nicht erfolgt. Im Übrigen - die Angaben des [X.] als ausreichend konkret zugrunde gelegt - liege aufgrund der bekannten Überfüllung der Postabholkiste ein dem Kläger zurechenbares Organisationsverschulden vor.

5

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

6

Die statthafte (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO) Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2015 - [X.], NJW 2016, 873 Rn. 5 mwN), sind nicht erfüllt. Eine Entscheidung des [X.] ist nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) erforderlich; insbesondere verletzen die angefochtenen Beschlüsse nicht den Anspruch des [X.] auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. [X.], NJW 2003, 281 mwN).

7

1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass der Kläger nicht glaubhaft gemacht hat, dass ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumung, das dem Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist und die Wiedereinsetzung ausschließt (§ 233 Satz 1 ZPO), nicht vorliegt.

8

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] gehört es zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Der Prozessbevollmächtigte muss durch organisatorische Maßnahmen gewährleisten, dass für den Postversand vorgesehene Schriftstücke zuverlässig auf den Postweg gebracht werden ([X.], Beschlüsse vom 16. Juli 2014 - [X.]/13, juris Rn. 9; vom 5. Februar 2003 - [X.], NJW-RR 2003, 862 unter [X.]; vom 18. Dezember 2002 - [X.], NJW-RR 2003, 569 unter [X.]; [X.], Beschluss vom 27. November 2013 - [X.]/13, juris Rn. 8; Urteil vom 11. Januar 2001 - [X.], [X.], 380 unter [X.]; jeweils mwN). Zu diesem Zweck hat er eine Ausgangskontrolle zu organisieren, die einen gestuften Schutz gegen Fristversäumungen bietet ([X.], Beschlüsse vom 4. November 2014 - [X.], [X.], 2388 Rn. 8 f.; vom 16. Dezember 2013 - [X.], juris Rn. 10). Geht ein fristgebundener Schriftsatz verloren, ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn die [X.] auf der Grundlage einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe bis zur rechtzeitigen Aufgabe zur Post glaubhaft macht, dass der Verlust mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht im Verantwortungsbereich der [X.] oder ihres Prozessbevollmächtigten eingetreten ist ([X.], Beschlüsse vom 19. Juni 2013 - [X.], juris Rn. 9; vom 6. Mai 2015 - [X.], [X.], Rn. 11; vom 10. September 2015 - [X.], [X.], 2161 Rn. 14).

9

b) Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vor.

Der Wiedereinsetzungsantrag des [X.] und die eidesstattliche Versicherung seines Prozessbevollmächtigten lassen - trotz entsprechenden Hinweises durch den Vorsitzenden des Berufungsgerichts - bereits einen lückenlosen Vortrag dazu vermissen, wann und von wem die [X.] versandfertig gemacht und in die [X.] gelegt worden ist. Es fehlt diesbezüglich auch an hinreichender Glaubhaftmachung; der Hinweis des Prozessbevollmächtigten auf die ihm insoweit erteilte Auskunft durch das "Personal" ist erkennbar ungenügend. Zutreffend hat das Berufungsgericht zudem ein dem Kläger zurechenbares Organisationsverschulden seines Prozessbevollmächtigten darin gesehen, dass nach dessen Schilderung die Postkisten bereits in der Vergangenheit häufiger derart vollgefüllt gewesen seien, dass die oberen Postsendungen bereits über den Rand des [X.] hinausragten. Der Prozessbevollmächtigte wäre gehalten gewesen, zumindest eine weitere Postkiste vorzuhalten bzw. organisatorisch hierauf hinzuwirken.

Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, dem Kläger könne ein Verschulden während des [X.] nicht zugerechnet werden, verkennt sie, dass der Schriftsatz vorliegend noch im organisatorischen Verantwortungsbereich des Prozessbevollmächtigten, hinter dessen Regal die Berufungsbegründung gerutscht war, und nicht erst auf dem Transport durch die Post verlustig gegangen ist. Aus der Rechtsprechung des [X.] zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beim Verlust von fristwahrenden Schriftstücken auf dem Postweg (vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 11. Februar 1957 - [X.], [X.]Z 23, 291, 293; Beschluss vom 6. Mai 2015 - [X.], [X.], 69 Rn. 11) kann die Rechtsbeschwerde daher nichts herleiten.

2. Die darüber hinaus in der Rechtsbeschwerde erhobene [X.], wonach das Berufungsgericht das Wiedereinsetzungsvorbringen des [X.] unzutreffend gewürdigt habe, greift nicht durch. Entgegen der Annahme der Rechtsbeschwerde ist das Berufungsgericht nicht davon ausgegangen, dass bereits in der Vergangenheit [X.] hinter das Regal gerutscht seien. Der [X.] liegt insoweit ein Missverständnis der diesbezüglich von ihr angegriffenen Stelle in der Begründung des angegriffenen Beschlusses zugrunde.

[X.]                       Offenloch                      [X.]

              [X.]

Meta

VI ZB 40/15

16.08.2016

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, 13. November 2015, Az: 4 U 97/15

§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 520 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.08.2016, Az. VI ZB 40/15 (REWIS RS 2016, 6716)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 6716

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