Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.07.2020, Az. IV ZB 10/20

4. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 1859

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Verlusts des fristgebundenen Schriftsatzes auf dem Postweg: Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Einlegung des Schriftsatzes in ein Postausgangsfach des Rechtsanwalts; postfertiger Schriftsatz


Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 9. Zivilsenats des [X.] vom 23. Dezember 2019 wird auf seine Kosten verworfen.

[X.]: 6.115,94 €

Gründe

1

I. Der Kläger erstrebt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung.

2

Er hat gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 6. Juli 2019 zugestellte Urteil des [X.], mit dem seine Klage abgewiesen wurde, fristgerecht Berufung eingelegt. Auf seinen Antrag vom 22. August 2019 ist die Frist zur Berufungsbegründung um einen Monat, d.h. bis Montag, den 7. Oktober 2019 verlängert worden. Nachdem innerhalb dieser Frist keine Berufungsbegründung eingegangen war, hat das Berufungsgericht den Kläger mit Schreiben vom 14. Oktober 2019 auf diesen Umstand sowie die beabsichtigte Verwerfung der Berufung als unzulässig hingewiesen.

3

Der Kläger hat daraufhin mit [X.] seiner Prozessbevollmächtigten vom 17. Oktober 2019, der am selben Tage beim Berufungsgericht einging, unter gleichzeitiger Vorlage einer Berufungsbegründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt.

4

Zur Begründung des [X.] hat er sich auf eine gleichzeitig vorgelegte eidesstattliche Versicherung einer [X.] bezogen, die folgenden Wortlaut hat:

"Hiermit versichere ich, [...], die Berufungsbegründung an das [X.] versandt zu haben.

Ich habe am gleichen Tage die von Herrn Rechtsanwalt [...] über das Spracherkennungssystem [X.] erstellte Berufungsbegründung in 3-facher Ausfertigung ausgedruckt, zur Unterschrift vorgelegt und in den Postausgang übergeben, wo sie am gleichen Tage über den sich in der Nähe befindlichen Briefkasten zur Post gegeben wurde."

5

Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen.

6

Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Kläger weder schlüssig dargetan noch hinreichend glaubhaft gemacht habe, unverschuldet an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist gehindert gewesen zu sein.

7

Schriftsätzlich sei nur vorgetragen, dass die von seinem Prozessbevollmächtigten unterschriebene Berufungsbegründung vom 1. Oktober 2019 von dessen Rechtsanwaltsfachangestellter noch am gleichen Tage zur Post gegeben worden sei. Daraus sei nicht zu entnehmen, wie diese Aufgabe zur Post erfolgt sei; insbesondere sei nicht vorgetragen, dass die Angestellte die Berufungsbegründung persönlich in den Postkasten oder zu einer Poststelle gebracht habe.

8

Dies ergebe sich auch nicht aus ihrer eidesstattlichen Versicherung. Diese sei so zu verstehen, dass die Unterzeichnerin die Berufungsbegründung nur in den Postausgang übergeben, nicht aber selbst zum Briefkasten gebracht und dort eingeworfen habe. Unklar sei schon, was mit "Postausgang" gemeint sei. Mangels weiterer Angaben dazu, wer für die Weiterbeförderung der abgelegten Schriftstücke aus diesem "Postausgang" in den Briefkasten zur Post zuständig sei, und wie im Rahmen der Büroorganisation sichergestellt sei, dass im Postausgang befindliche fristwahrende Schriftstücke rechtzeitig bei einer Poststelle zur Versendung aufgegeben oder in den nahe gelegenen Briefkasten verbracht werden, sei nicht auszuschließen, dass ein dem Kläger [X.] Organisationsverschulden seines Prozessbevollmächtigten vorliege, das zur Versäumung der Berufungsbegründungsfrist geführt habe.

9

Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des [X.].

II. Die Rechtsbeschwerde ist zwar nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist aber nicht zulässig, da es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Die Ablehnung der Wiedereinsetzung verletzt weder den Anspruch des [X.] auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) noch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG). Eine Entscheidung des [X.] ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 ZPO) oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) erforderlich.

1. Das Berufungsgericht hat seiner rechtlichen Beurteilung zutreffend zugrunde gelegt, dass sich das Wiedereinsetzungsgesuch alleine auf den Inhalt der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung gestützt hat, weil darüber hinaus keine weitergehenden tatsächlichen Erklärungen im [X.] enthalten sind, und diese eidesstattliche Versicherung so zu verstehen ist, dass deren Unterzeichnerin aus eigenem Wissen lediglich bestätigt, die unterschriebene Berufungsbegründung in den Postausgang gelegt, nicht aber, diese selbst in den Briefkasten befördert und eingeworfen zu haben.

Letzteres folgt ungeachtet des ersten Satzes im Text der eidesstattlichen Versicherung aus der differenzierenden Formulierung in der eidesstattlichen Versicherung, in der die Unterzeichnerin das Ausdrucken der Berufungsbegründung, die Vorlage zur Unterschrift und die Übergabe in den Postausgang in der Ich-Form beschreibt, während die Weitergabe zur Post über den Briefkasten nachfolgend in der Passivform ohne Bezeichnung der handelnden Person geschildert wird. Diese Abweichung lässt den Schluss zu, dass dieser Vorgang eben nicht mehr von der die Erklärung abgebenden [X.] durchgeführt wurde.

2. Auf dieser Grundlage ist es nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht das Vorliegen eines [X.] als nicht ausreichend dargelegt angesehen hat.

a) Wird - wie im Streitfall - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Behauptung begehrt, ein fristgebundener [X.] sei auf dem Postweg verloren gegangen, ist Wiedereinsetzung nur dann zu gewähren, wenn der Antragsteller auf der Grundlage einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe bis zur rechtzeitigen Aufgabe des in Verlust geratenen [X.]es zur Post (zunächst) darlegt und (dann auch) glaubhaft macht, dass der Verlust mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht im Verantwortungsbereich der [X.] oder ihres Prozessbevollmächtigten eingetreten ist. Erforderlich ist Vortrag zu der rechtzeitigen Aufgabe des Schriftstücks zur Post (oder Verbringung in den Gerichtsbriefkasten), die als letzter Teil des Übermittlungsgeschehens noch der Wahrnehmung der [X.] zugänglich ist. Die Schilderung muss (mindestens) eine lückenlose Darstellung des Weges des konkreten Schriftstücks in den dafür vorgesehenen [X.] als der letzten Station auf dem Weg zum Adressaten enthalten und den hinreichend sicheren Schluss erlauben, dass das Schriftstück nach der Unterschrift durch den Prozessbevollmächtigten nur in das [X.] gelangt sein konnte und nicht unterwegs liegen geblieben, verloren gegangen oder fehlgeleitet worden ist ([X.], Beschluss vom 16. April 2019 - [X.], [X.], 507 Rn. 11 m.w.N.).

Es kann somit unter Umständen die Darlegung und Glaubhaftmachung genügen, dass der fristwahrende [X.] in ein [X.] des Rechtsanwalts eingelegt worden ist, von wo die abgehende Post unmittelbar zum Briefkasten oder zur maßgeblichen gerichtlichen [X.] gebracht wird, das [X.] also "letzte Station" auf dem Weg zum Adressaten ist. Eine zusätzliche Überwachung der abgehenden Post, etwa durch Führung eines Postausgangsbuchs, ist unter diesen Umständen nicht erforderlich. Ein Nachweis dafür, dass das Schriftstück tatsächlich in den Postlauf gelangt ist, ist dann ebenso wenig gefordert wie eine - meist nicht mögliche - Darlegung, wann und wie genau ein Schriftstück verloren gegangen ist ([X.], Beschluss vom 12. April 2011 - [X.], [X.], 506 Rn. 7 m.w.N.).

Voraussetzung hierfür ist aber, dass das [X.] des Rechtsanwalts "letzte Station" auf dem Weg zum Adressaten ist. Der fristwahrende [X.] muss "postfertig" sein, d.h. die Beförderung zu der Stelle, für die der [X.] bestimmt ist, muss organisatorisch so weit vorbereitet sein, dass sie durch Versehen, welche die eigentliche Beförderung nicht betreffen, nicht mehr verhindert werden kann ([X.] aaO Rn. 8 m.w.N.).

b) Dass diese Voraussetzung erfüllt ist, ist im Streitfall nicht ersichtlich. So ist ein in das [X.] des Rechtsanwalts gelegter [X.] noch nicht postfertig, wenn die dort gesammelten Schriftsätze noch in Umschläge einsortiert werden müssen, wodurch die Gefahr entsteht, dass ein [X.] in ein anderes Kuvert gerät, und erst im nächsten Schritt zur Post gebracht werden können (vgl. [X.] aaO Rn. 10 m.w.N.). Dazu, ob die in das [X.] gelegten Schriftsätze noch kuvertiert werden mussten, bevor sie zur Post gebracht werden konnten, verhalten sich weder die vorgelegte eidesstattliche Versicherung noch der allein auf deren Inhalt bezugnehmende Wiedereinsetzungsantrag.

3. Zu Unrecht vertritt die Beschwerde die Ansicht, das Berufungsgericht hätte dem Kläger einen Hinweis auf die unzureichende Glaubhaftmachung seines Vortrages erteilen oder die benannte [X.] auch ohne einen solchen Hinweis als Zeugin vernehmen müssen.

a) Zwar trifft es zu, dass ein Gericht, das einer eidesstattlichen Versicherung im Verfahren der Wiedereinsetzung keinen Glauben schenken will, die [X.] zuvor darauf hinweisen und ihr Gelegenheit geben muss, entsprechenden Zeugenbeweis anzutreten ([X.], Beschlüsse vom 28. Januar 2020 - [X.] 39/19, NJW-RR 2020, 499 Rn. 18 m.w.N.; vom 11. Juli 2017 - [X.] 20/17, juris Rn. 14; vom 30. März 2017 - [X.]/16, juris Rn. 13; st. Rspr.). Auch ist in der Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung regelmäßig der Antrag zu sehen, denjenigen, der die eidesstattliche Versicherung abgegeben hat, als Zeugen zu vernehmen ([X.], Beschlüsse vom 22. November 2017 - [X.]/15, [X.], 281 Rn. 18; vom 18. Januar 2011 - [X.] 45/10, [X.], 176 Rn. 9; jeweils m.w.N.).

b) Im Streitfall hat das Berufungsgericht aber entscheidend nicht auf eine ungenügende Glaubhaftmachung des vorgetragenen [X.] abgestellt, sondern bereits eine schlüssige Darlegung dieses Grundes verneint. Dem Vortrag sei nicht zu entnehmen, dass im Rahmen der Büroorganisation bereits mit der Übergabe des Schriftstücks in den Postausgang dessen rechtzeitige Aufgabe in den Briefkasten oder direkt bei einer Poststelle sichergestellt gewesen sei.

Das betrifft nicht die Glaubhaftigkeit des zur Entschuldigung vorgetragenen Geschehensablaufs oder die Glaubwürdigkeit der benannten Rechtsanwaltsfachangestellten. Es geht vielmehr bereits um die Ergiebigkeit der dargestellten Geschehnisse in ihrer Eignung, zumindest indiziell die Absendung des im Streit stehenden [X.]es als überwiegend wahrscheinlich erscheinen zu lassen (vgl. auch [X.], Beschluss vom 11. Juli 2017 - [X.] 20/17, juris Rn. 15).

Felsch     

        

Harsdorf-Gebhardt     

        

Lehmann

        

Dr. Brockmöller     

        

Dr. Bußmann     

        

Meta

IV ZB 10/20

08.07.2020

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Köln, 23. Dezember 2019, Az: 9 U 125/19

§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 520 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.07.2020, Az. IV ZB 10/20 (REWIS RS 2020, 1859)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1859


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. IV ZB 10/20

Bundesgerichtshof, IV ZB 10/20, 08.07.2020.


Az. 9 U 125/19

Oberlandesgericht Hamm, 9 U 125/19, 28.01.2020.

Oberlandesgericht Köln, 9 U 125/19, 23.12.2019.


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VI ZB 33/17

VI ZB 6/10

VIII ZB 39/19

VIII ZB 20/17

III ZB 43/16

VII ZB 67/15

VIII ZB 45/10

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