Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.04.2018, Az. VIII ZB 35/17

8. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 11104

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Gegenstand

Berufungsverfahren: Heilung des Formmangel fehlender Unterzeichnung des Berufungsschriftsatzes; Gehörsverletzung bei Nichtberücksichtigung des entsprechenden Klägervortrags


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des [X.] wird der undatierte Verwerfungsbeschluss der 3. Zivilkammer des [X.] (Aktenzeichen 3 S 44/17) aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] wird auf 4.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Kläger erwarb vom Beklagten einen gebrauchten [X.] und macht geltend, dieser habe ihn beim Abschluss des Kaufvertrages arglistig getäuscht. Wegen eines Minderwerts des Fahrzeugs verlangt der Kläger die Rückzahlung eines Teilbetrages in Höhe von 4.000 € nebst Zinsen.

2

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Der Kläger hat gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 9. März 2017 zugestellte Urteil mit am 31. März 2017 beim [X.] eingegangenem [X.] Berufung eingelegt. Dieser Schriftsatz war nicht unterschrieben.

3

Die Geschäftsstelle des [X.]s hat die Kanzlei des klägerischen Prozessbevollmächtigten am 31. März 2017 telefonisch über die fehlende Unterschrift informiert. Im Rahmen eines am 4. April 2017 geführten weiteren Telefonats hat die Kanzlei des Klägervertreters mitgeteilt, dass sich dieser bis zum 10. April 2017 in [X.] befinde und nach seiner Rückkehr einen unterzeichneten Berufungsschriftsatz an das Gericht übersenden werde. Nach telefonischer Erinnerung durch die Geschäftsstelle ist die unterschriebene Berufungsschrift am 20. April 2017 per Fax beim [X.] eingegangen. Mit Schriftsatz vom 24. April 2017 hat der Klägervertreter die Berufung begründet.

4

Das [X.] hat den Kläger mit Verfügung vom 5. Mai 2017 darauf hingewiesen, dass die Berufung verspätet eingegangen sei, weil die unterschriebene Berufung erst am 20. April 2017 vorgelegen habe. Auch eine Wiedereinsetzung komme nicht in Betracht, weil die Geschäftsstelle die Kanzlei des Klägervertreters über die fehlende Unterschrift bereits am 31. März 2017 informiert habe und innerhalb der zweiwöchigen [X.] kein Wiedereinsetzungsgesuch eingereicht worden sei.

5

Der Klägervertreter hat in seiner Stellungnahme vom 15. Mai 2017 auf eine Mitteilung der Geschäftsstelle verwiesen, wonach die mit der ursprünglichen Berufungsschrift eingereichte beglaubigte Abschrift unterschrieben gewesen sei; hierüber habe ihn die Geschäftsstelle mündlich unterrichtet. Hilfsweise hat er Wiedereinsetzung beantragt.

6

Das [X.] hat die Berufung als unzulässig verworfen und den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es sich bei dem am 31. März 2017 eingegangenen Schreiben nicht um eine ordnungsgemäße Berufungsschrift handele, da weder das Schreiben noch ein anderweitig beigefügtes zuzuordnendes Schriftstück von dem Prozessbevollmächtigten des [X.] unterzeichnet gewesen sei.

7

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

8

Die Rechtsbeschwerde führt gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

9

1. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Denn die angefochtene Entscheidung verletzt in entscheidungserheblicher Weise das Verfahrensgrundrecht des [X.] auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und damit zugleich auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (st. Rspr.; vgl. [X.], [X.], 976, 977 mwN; Senatsbeschlüsse vom 25. September 2012 - [X.], [X.], 237 Rn. 7; vom 4. November 2014 - [X.], NJW 2015, 253 Rn. 6; vom 1. März 2016 - [X.], NJW 2016, 2042 Rn. 12; vom 12. Juli 2016 - [X.]/15, [X.], 632 Rn. 1; vom 9. Mai 2017 - [X.], [X.], 2041 Rn. 9; jeweils mwN).

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht durfte das Rechtsmittel des [X.] nicht gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO mit der Begründung, die vor Ablauf der [X.] (§ 517 ZPO) eingereichte Berufungsschrift sei entgegen § 519 ZPO nicht unterzeichnet worden, als unzulässig verwerfen, ohne zuvor dem Vortrag des [X.] nachzugehen, dass die beigefügte beglaubigte Abschrift unterschrieben gewesen sei. Insoweit hätte das Berufungsgericht den Sachverhalt von Amts wegen aufklären müssen.

a) Ob eine Berufung zulässig ist oder nicht, haben sowohl das Berufungsgericht als auch das Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu prüfen (vgl. Senatsurteil vom 31. Mai 2017 - [X.], [X.], 2285 Rn. 19 mwN).

Ausgehend vom Vorbringen des [X.], welches im Rechtsbeschwerdeverfahren zugrunde zu legen ist, war die beglaubigte Abschrift der Berufungsschrift vom Prozessbevollmächtigten des [X.] unterschrieben, was für eine ordnungsgemäße Einlegung der Berufung nach der Rechtsprechung des [X.] ausreichend ist.

aa) Zwar ist nach der Rechtsprechung des [X.] grundsätzlich die eigenhändige Unterschrift des Ausstellers nach § 519 Abs. 4, § 130 Nr. 6 ZPO Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Berufungsschrift. Mit der Unterschrift soll die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung ermöglicht und dessen unbedingter Wille zum Ausdruck gebracht werden, den Schriftsatz zu verantworten und bei Gericht einzureichen. Für den [X.] bedeutet dies, dass die Berufungsschrift von einem dazu bevollmächtigten und bei dem Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt zwar nicht selbst verfasst, aber nach eigenverantwortlicher Prüfung genehmigt und unterschrieben sein muss ([X.], Beschlüsse vom 25. September 2012 - [X.], aaO Rn. 9; vom 14. März 2017 - [X.], NJW-RR 2017, 760 Rn. 6; vom 13. Juni 2017 - [X.], juris Rn. 6; jeweils mwN).

bb) Von diesem Grundsatz sind jedoch Ausnahmen möglich. Denn das Erfordernis der Schriftlichkeit ist kein Selbstzweck. Deshalb dürfen an die Beachtung formeller Voraussetzungen für die Geltendmachung eines [X.] keine überspannten Anforderungen gestellt werden ([X.], Urteil vom 10. Mai 2005 - [X.], NJW 2005, 2086 unter [X.]; Beschlüsse vom 24. November 2009 - [X.] 36/09, aaO; vom 2. April 2008 - [X.], aaO). Wenn sich aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen ergibt, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen, kann das Fehlen einer Unterschrift ausnahmsweise unschädlich sein ([X.], Beschlüsse vom 10. März 2009 - [X.]/06, NJW-RR 2009, 933 Rn. 8; vom 24. November 2009 - [X.] 36/09, juris Rn. 8; vom 2. April 2008 - [X.], NJW-RR 2008, 1020 Rn. 8).

Es ist daher in der Rechtsprechung des [X.] anerkannt, dass der Mangel der Unterschrift in einem als Urschrift der Berufung gedachten Schriftsatz durch eine gleichzeitig eingereichte beglaubigte Abschrift dieses Schriftsatzes behoben werden kann, auf der der [X.] von dem Prozessbevollmächtigten handschriftlich vollzogen worden ist. Denn dann ist davon auszugehen, dass der Rechtsanwalt die Verantwortung für den Inhalt eines fristwahrenden Schriftsatzes übernommen hat ([X.], Beschlüsse vom 3. Mai 1957 - [X.], [X.]Z 24, 179, 180; vom 24. November 2009 - [X.] 36/09, aaO; vom 2. April 2008 - [X.], aaO Rn. 9; vom 26. März 2012 - [X.], [X.], 1738 Rn. 9 mwN).

b) Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht nicht hinreichend beachtet. Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde, dass das Berufungsgericht das Vorbringen des [X.] zur rechtzeitigen Einreichung einer unterschriebenen beglaubigten Abschrift nicht zur Kenntnis genommen hat. Es hat in seinem Beschluss ausgeführt, dass "weder das Schreiben noch ein anderweitig beigefügtes, zuzuordnendes Schriftstück von dem Prozessbevollmächtigten des [X.] unterzeichnet war". Auf den Vortrag des [X.], dass innerhalb der Berufungsfrist nicht nur eine nicht unterzeichnete Urschrift, sondern auch eine vom Klägervertreter unterschriebene beglaubigte Abschrift der Berufung eingereicht und dies auf telefonische Nachfrage von der Geschäftsstelle am 20. April 2017 bestätigt worden sei, ist es gehörswidrig nicht eingegangen. Mangels Aufklärung des Sachverhalts kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieser Vortrag zutrifft. Der [X.], der im Besitz der beglaubigten Abschrift ist, hat dem klägerischen Vortrag nicht widersprochen. Das Berufungsgericht hat, was die Rechtsbeschwerdebegründung ebenfalls zu Recht rügt, weder den Beklagtenvertreter aufgefordert, die beglaubigte Abschrift zu den Akten zu reichen, noch eine dienstliche Stellungnahme der Geschäftsstelle hierzu eingeholt.

3. Der Verwerfungsbeschluss war daher aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO), damit die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen getroffen werden können. Der Senat ist nicht gehalten, die fehlenden Feststellungen selbst nachzuholen. Vielmehr ist es schon im Hinblick auf die größere Orts- und Sachnähe sachgerecht, die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses die erforderlichen Feststellungen selbst trifft (Senatsurteil vom 31. Mai 2017 - [X.], [X.], 2285 Rn. 30 mwN).

Dr. Milger     

      

Dr. [X.]     

      

Dr. [X.]

      

Dr. Schneider     

      

Kosziol     

      

Meta

VIII ZB 35/17

10.04.2018

Bundesgerichtshof 8. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Detmold, 5. Mai 2017, Az: 3 S 44/17

Art 2 Abs 1 GG, Art 103 Abs 1 GG, § 519 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.04.2018, Az. VIII ZB 35/17 (REWIS RS 2018, 11104)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 11104

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