Bundesgerichtshof, Urteil vom 29.03.2018, Az. 4 StR 568/17

4. Strafsenat | REWIS RS 2018, 11383

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Gegenstand

Strafrechtliche Vermögensabschöpfung: Entscheidung über die Anordnung des Verfalls und des Verfalls von Wertersatz im Sinne der Übergangsvorschrift


Leitsatz

Eine „Entscheidung über die Anordnung des Verfalls und des Verfalls von Wertersatz“ im Sinne von Art. 316h Satz 2 EGStGB ist auch das nicht begründete Unterbleiben der Anordnung einer dieser Maßnahmen in einem tatrichterlichen Urteil.

Tenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 29. Juni 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit eine Entscheidung über die Anordnung eines [X.] unterblieben ist.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen bewaffneten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit gewerbsmäßiger unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige in acht Fällen und unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit gewerbsmäßiger unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige in 92 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf den Strafausspruch und die unterbliebene Entscheidung über die Anordnung eines [X.] beschränkten Revision. Das vom [X.] vertretene Rechtsmittel hat den aus der Urteilsformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet.

I.

2

Das [X.] hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

1. In der [X.] von Januar 2016 bis Mitte Dezember 2016 kaufte der zuletzt täglich fünf bis sechs Gramm Marihuana konsumierende Angeklagte in insgesamt 92 Fällen jeweils mindestens 100 Gramm Marihuana mit einem Tetrahydrocannabinol-Anteil von etwa 13,8 Gramm sowie eine „unbekannte Menge“ Kokain von dem Rauschgifthändler [X.]. Für das Marihuana zahlte der Angeklagte bei dessen Ankauf 340 bis 350 Euro. Etwa 20 Gramm des Marihuanas konsumierte er jeweils selbst, die übrige Menge verkaufte er aus seinem Apartment in [X.]heraus zu [X.] zwischen 5 und 10 Euro an seine wenigstens 100 Abnehmer weiter. Auf diese Weise verschaffte er sich eine fortlaufende Einnahmequelle erheblichen Umfangs, die ihm eine Finanzierung seines Eigenkonsums und eine Aufbesserung seines Lebensunterhalts ermöglichte. Von [X.] 2016 bis zum Ende desselben Jahres überwies der Angeklagte insgesamt 11.168,89 Euro an seine Familie in Tunesien.

4

Nachdem der Angeklagte Mitte Dezember 2016 in seinem Apartment überfallen worden war, verschaffte er sich eine Machete (Klingenlänge 30 cm), einen als Taschenlampe getarnten Elektroschocker und ein Pfefferspray. Diese lagerte er offen in seiner Wohnung, um sich jederzeit gegen einen Angreifer verteidigen zu können. Danach erwarb der Angeklagte bis zum 17. Januar 2017 noch in acht weiteren Fällen jeweils 100 Gramm Marihuana (etwa 13,6 Gramm Tetrahydrocannabinol) bei [X.] und verkaufte dieses anschließend in kleinen Mengen aus seinem Apartment heraus an seine Abnehmer weiter.

5

Während des gesamten Tatzeitraums verkaufte der Angeklagte in 650 Fällen auch Marihuana (jeweils zwischen 0,5 und 10 Gramm) an Minderjährige im Alter zwischen 15 und 17 Jahren, wobei ihm deren Minderjährigkeit in einem Fall positiv bekannt war und im Übrigen von ihm für möglich gehalten und mit Rücksicht auf den erzielbaren finanziellen Vorteil in Kauf genommen wurde. In 14 Fällen verkaufte er an seine minderjährigen Abnehmer auch Kleinmengen Kokain und in zwei Fällen Amphetamin. Unter den Minderjährigen befanden sich auch Erstkonsumenten.

6

Am 18. Januar 2017 wurde das Apartment des Angeklagten von der Polizei durchsucht. Dabei versuchte der Angeklagte die am Kopfteil seines Bettes abgelegte Machete zu ergreifen. Bei der Durchsuchung konnten 32,8 Gramm Marihuana, die Machete, der Elektroschocker und das Pfefferspray sichergestellt werden.

7

2. Hinsichtlich der 92 Fälle des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) in Tateinheit mit gewerbsmäßiger unerlaubter Abgabe an Minderjährige (§ 30 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG) hat die [X.] den Strafrahmen des § 30 Abs. 1 BtMG zugrunde gelegt und in allen Fällen auf Einzelstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe erkannt. Bei den acht Fällen des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) ist das [X.] jeweils von minder schweren Fällen (§ 30a Abs. 3 BtMG) ausgegangen und hat die für diese Taten verhängten Einzelstrafen von jeweils drei Jahren ebenfalls dem Strafrahmen des § 30 Abs. 1 BtMG für die in allen Fällen tateinheitlich verwirklichte gewerbsmäßige unerlaubte Abgabe an Minderjährige (§ 30 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG) entnommen. Eine Anordnung von [X.] hat die [X.] nicht erörtert.

II.

8

Die wirksam auf den Strafausspruch und die unterbliebene Anordnung eines [X.] beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat nur hinsichtlich der unterbliebenen Anordnung eines [X.] Erfolg.

9

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft richtet sich nur gegen den Strafausspruch und die unterbliebene Anordnung eines [X.].

Die Auslegung der Revisionserklärungen (vgl. dazu [X.], Urteil vom 10. Januar 2018 - 2 StR 200/17, Rn. 11; Urteil vom 18. Dezember 2014 - 4 StR 468/14, [X.], 88 mwN) ergibt, dass neben dem Strafausspruch auch die [X.] eines [X.] angegriffen wird. Zwar schließt die [X.] mit dem Antrag, nur den Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben; aus der vorangestellten Begründung und den dort erhobenen Einzelbeanstandungen ergibt sich aber eindeutig, dass auch die unterbliebene Anordnung eines [X.] als rechtsfehlerhaft gerügt ist. Dass auch die [X.] einer Unterbringung des Angeklagten nach § 64 StGB angegriffen werden soll, lässt sich der [X.] dagegen nicht entnehmen. Insoweit fehlt es an einer ausdrücklichen Beanstandung. Für eine über die erhobenen [X.] hinausgehende Auslegung ist - entgegen der Auffassung des [X.]s - bei einer Revisionserklärung der Staatsanwaltschaft mit Rücksicht auf Nr. 156 Abs. 2 [X.] in der Regel kein Raum.

2. Die erklärte Beschränkung ist auch rechtswirksam.

a) Eine den Schuldspruch unberührt lassende isolierte Anfechtung des Strafausspruchs ist grundsätzlich möglich (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 2. Februar 2017 - 4 StR 481/16, [X.], 105; Urteil vom 8. Januar 1954 - 2 StR 572/53, [X.]St 5, 252). Es liegen keine Umstände vor, aus denen sich ausnahmsweise eine untrennbare Verknüpfung von Schuld- und Straffrage ergibt. Auch die Entscheidung über die [X.] eines [X.] kann getrennt vom Schuldspruch angefochten werden (vgl. [X.], Urteil vom 5. September 2017 - 1 [X.], [X.], 342; Urteil vom 17. Juni 2010 - 4 [X.], [X.]St 55, 174, 175; Urteil vom 5. Dezember 1996 - 5 StR 542/96, [X.], 270, 271 [zur [X.] des Verfalls]).

b) Eine Erstreckung der Anfechtung des Strafausspruchs auf die Entscheidung über die [X.] einer Unterbringung nach § 64 StGB ist nicht veranlasst. Grundsätzlich besteht zwischen beiden Rechtsfolgen keine Wechselwirkung. Nur wenn sich den Urteilsgründen oder der Strafhöhe ausnahmsweise entnehmen lässt, dass der Strafausspruch von dem Unterbleiben der [X.] beeinflusst sein kann, bestehen gegen die [X.] beider Entscheidungen Bedenken, sodass eine isolierte Anfechtung unzulässig wäre (st. Rspr. in Bezug auf Angeklagtenrevisionen, grundlegend [X.], Urteil vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, [X.]St 38, 362, 364 f.; weitere Nachweise bei [X.], StGB, 65. Aufl., § 64 Rn. 29; krit. in Bezug auf Revisionen der Staatsanwaltschaft [X.], Beschluss vom 10. Mai 2012 - 3-19/12, [X.], 124 f.). Dies ist hier aber nicht der Fall. Dass die Tatumstände Anlass zur Prüfung dieser Frage geboten hätten, verbindet die Straffrage mit der Maßregelfrage noch nicht zu einer untrennbaren Einheit.

3. [X.] und die Bemessung der Gesamtstrafe weisen keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf.

a) Die Strafbemessung (Strafrahmenbestimmung, Festsetzung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe) ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Ein Eingriff des [X.] ist nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, von unzutreffenden Tatsachen ausgehen, das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatrichter eingeräumten Spielraums liegt. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen. In Zweifelsfällen muss das Revisionsgericht die vom Tatgericht vorgenommene Bewertung bis an die Grenze des [X.] hinnehmen (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 10. April 1987 - [X.], [X.]St 34, 345, 349; Urteil vom 2. Februar 2017 - 4 StR 481/16, [X.], 105, 106; Urteil vom 22. Oktober 1953 - 5 [X.], [X.]St 5, 57, 59).

b) Mit Blick auf diesen eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die konkrete Bemessung der Einzelstrafen revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Der Erörterung bedarf lediglich das Folgende:

aa) Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass die [X.] von minder schweren Fällen des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln ausgegangen ist (§ 30a Abs. 3 BtMG).

(1) Die Entscheidung, ob ein minder schwerer Fall vorliegt, erfordert eine Gesamtbetrachtung, bei der alle Umstände zu würdigen sind, die für die Wertung der Tat und des [X.] in Betracht kommen. Dabei sind alle wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände gegeneinander abzuwägen. Erst nach dem Gesamteindruck kann entschieden werden, ob der außerordentliche Strafrahmen anzuwenden ist (vgl. [X.], Urteil vom 22. August 2012 - 2 StR 235/12, [X.], 150, 151; Beschluss vom 22. Dezember 2011 - 4 [X.], [X.], 289 f.).

(2) Dies hat das [X.] nicht verkannt. Es hat alle bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkte ohne einseitige Beschränkung auf die Milderungsgründe berücksichtigt und keinen Gesichtspunkt herangezogen, der ohne Belang wäre. Dabei hat es rechtsfehlerfrei zugunsten des Angeklagten gewürdigt, dass eine Gefahr des Waffeneinsatzes bei den Geschäften mit seinem Drogenlieferanten [X.]    nicht gegeben war und die gefährlichen Gegenstände bei den [X.] nicht zum Einsatz kamen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Realisierung der in § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG unter eine erhöhte Strafdrohung gestellten abstrakten Gefahr kam, indem die bereitgehaltenen gefährlichen Gegenstände zur Anwendung gelangten, ist ein zumessungserheblicher Umstand. War sie gering, kann dies zugunsten des [X.] in die Bewertung eingestellt werden. Dabei ist es ohne Belang, ob die [X.] die dafür maßgeblichen Umstände positiv oder negativ umschreiben (vgl. [X.], Beschluss vom 10. April 1987 - [X.], [X.]St 34, 345, 350). Der [X.] schließt aus, dass die [X.] in diesem Zusammenhang aus dem Blick verloren hat, dass der Angeklagte bei der polizeilichen Durchsuchung den Versuch unternahm, die am Kopfteil seines Bettes abgelegte Machete zu ergreifen. Dass der Angeklagte in Einzelfällen auch Kokain an Minderjährige abgab, hat die [X.] ebenso berücksichtigt, wie den Umstand, dass es sich teilweise auch um Erstkonsumenten handelte.

bb) Die Bemessung der Einzelstrafen weist ebenfalls keinen durchgreifenden Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten auf. Dass die [X.] dabei die Zusage, gegen Hintermänner umfangreiche Angaben zu machen, als Ausdruck von Reue gewertet hat, liegt innerhalb des tatrichterlichen [X.]. Soweit sie dem Angeklagten die erlittene Untersuchungshaft allein mit der Begründung gutgebracht hat, dass diese „ihn als Erstverbüßer besonders belastet haben dürfte“, begegnet dies mit Rücksicht auf die nicht eindeutig festgestellte Belastung und das Fehlen besonderer Umstände zwar rechtlichen Bedenken (vgl. [X.], Urteil vom 2. Februar 2017 - 4 StR 481/16, [X.], 105, 106 mwN). Der [X.] vermag aber auszuschließen, dass die [X.] ohne Berücksichtigung dieses Milderungsgrundes auf höhere Einzelstrafen erkannt hätte.

c) Auch die Bestimmung der Gesamtstrafe lässt durchgreifende Rechtsfehler nicht erkennen.

aa) Die Bemessung der Gesamtstrafe nach § 54 Abs. 1 StGB ist ein eigenständiger [X.], bei dem die Person des [X.] und die einzelnen Straftaten zusammenfassend zu würdigen sind. Dabei sind vor allem das Verhältnis der einzelnen Taten zueinander, ihre größere oder geringere Selbstständigkeit, die Häufigkeit der Begehung, die Gleichheit oder Verschiedenheit der verletzten Rechtsgüter und der [X.] sowie das Gesamtgewicht des abzuurteilenden Sachverhalts zu berücksichtigen. Besteht zwischen den einzelnen Taten ein enger zeitlicher, sachlicher und situativer Zusammenhang, hat die Erhöhung der [X.] in der Regel geringer auszufallen. Auch hierbei braucht der Tatrichter nach § 267 Abs. 3 Satz 1 [X.] nur die bestimmenden Zumessungsgründe im Urteil darzulegen. Eine Bezugnahme auf die zu den Einzelstrafen gemachten Ausführungen ist grundsätzlich zulässig. Einer eingehenderen Begründung bedarf es hingegen, wenn die [X.] nur geringfügig überschritten oder die Summe der Einzelstrafen nahezu erreicht wird (vgl. [X.], Urteil vom 2. Februar 2017 - 4 StR 481/16, [X.], 105, 107; Urteil vom 30. November 1971 - 1 StR 485/71, [X.]St 24, 268, 271 jeweils mwN).

bb) Danach erweisen sich die Bemessung der Gesamtstrafe und deren Darlegung hier nicht als rechtsfehlerhaft. Die [X.] hat die Erhöhung der [X.] im Wesentlichen durch eine Bezugnahme auf die - auch tatübergreifende Umstände einbeziehende - Strafzumessungserwägungen begründet, die der [X.] und den verhängten Einzelstrafen zugrunde liegen, und dabei die Bedeutung des Geständnisses des Angeklagten nochmals hervorgehoben. Dass sich die Urteilsgründe nicht ausdrücklich dazu verhalten, dass zwischen den [X.] ein enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang besteht, der einen straffen Zusammenzug der Einzelstrafen rechtfertigt, ist hier unschädlich, weil sich dies aus den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen von selbst ergibt (vgl. [X.], Beschluss vom 10. November 2016 - 1 [X.]). Die maßvolle Bemessung der Gesamtstrafe lässt unter diesen Umständen nicht besorgen, dass die [X.] die Grundsätze der Gesamtstrafenbildung verkannt hat. Sie entfernt sich auch nicht so weit nach unten von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatrichter eingeräumten Spielraums liegt.

4. Die [X.] des Verfalls von Wertersatz gemäß § 73a Satz 1 StGB aF wird durch die Urteilsgründe nicht belegt und hält deshalb einer sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Hinsichtlich der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung kommt im vorliegenden Verfahren noch das bis zum 1. Juli 2017 geltende Recht zur Anwendung, weil bereits vor dem 1. Juli 2017 eine erstinstanzliche Entscheidung über die Anordnung des Verfalls oder des Verfalls von Wertersatz ergangen ist (Art. 316h Sätze 1 und 2 [X.]). „Eine Entscheidung über die Anordnung des Verfalls oder des Verfalls von Wertersatz“ im Sinne von Art. 316h Satz 2 [X.] ist auch die [X.] einer dieser Maßnahmen (vgl. BT-Drucks. 18/11640, [X.] sowie BT-Drucks. 18/9525, [X.] und [X.], Urteil vom 29. November 2017 - 2 StR 271/17, Rn. 11 jeweils zu Art. 14 [X.]). Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Tatgericht eine Verfallsanordnung ausdrücklich geprüft und in den Urteilsgründen dargelegt hat, welche der tatbestandlichen Voraussetzungen es für nicht gegeben hielt. Denn auch das nicht begründete Unterbleiben einer Verfallsanordnung oder einer Anordnung des Verfalls von Wertersatz ist eine hierzu ergangene „Entscheidung“ im Sinne der Übergangsvorschrift (vgl. dazu auch [X.] in: [X.], 7. Aufl., § 260 Rn. 17; [X.] in: [X.], [X.], 26. Aufl., § 260 Rn. 34 mwN). Würde das begründungslose Unterbleiben einer Verfalls- oder [X.]anordnung in einem vor dem 1. Juli 2017 ergangenen tatrichterlichen Urteil im Rechtsmittelverfahren nicht an dem zum Urteilszeitpunkt geltenden alten Recht gemessen, sondern in Anwendung von Art. 316h Satz 1 [X.] an dem Recht der Vermögensabschöpfung in der seit dem 1. Juli 2017 geltenden Fassung, könnte dies im Einzelfall dazu führen, dass das erstinstanzliche Urteil insoweit allein wegen der Gesetzesänderung aufgehoben wird. Gerade dies zu verhindern ist aber die ratio legis von Art. 316h Satz 2 [X.] (vgl. BT-Drucks. 18/11640, [X.]). Auch könnte eine andere Sichtweise eine parallele Anwendung von altem und neuem Recht in demselben Verfahren zur Folge haben, wenn sich der Tatrichter etwa teilweise zum Verfall verhält und sich teilweise hierzu rechtsfehlerhaft nicht äußert. Anhaltspunkte dafür, die Auslegung von Art. 316h [X.] daran zu messen, ob der Tatrichter die [X.] einer Vermögensabschöpfung begründet hat oder die Begründung im Urteil unterblieben ist, lassen sich weder dem Wortlaut der Vorschrift, noch den Gesetzesmaterialien entnehmen (vgl. [X.], Beschluss vom 19. Dezember 2017 - 4 StR 589/17, [X.] 2018, 121).

b) Die [X.] eines [X.] nach § 73 Abs. 1 Satz 1, § 73a Satz 1 StGB aF kann nicht bestehen bleiben, weil eine entsprechende Anordnung nach den getroffenen Feststellungen sachlich-rechtlich nahelag und die Urteilsgründe nicht belegen, warum es gleichwohl nicht zu einer Anordnung gekommen ist.

aa) Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB aF unterliegen die bei [X.] erzielten Erlöse ohne Abzug etwaiger Aufwendungen (Bruttoprinzip) zwingend dem Verfall, sofern sie als solche bei dem Täter noch vorhanden sind. Ist eine Verfallsanordnung an dem unmittelbar aus den Drogenverkäufen erlangten Geld aus tatsächlichen Gründen nicht mehr möglich, muss ein entsprechender [X.] gemäß § 73a Satz 1 StGB aF angeordnet werden, soweit nicht die gleichfalls zwingende Härtevorschrift des § 73c Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB aF entgegensteht (vgl. [X.], Urteil vom 1. März 2007 - 4 [X.], Rn. 3 [insoweit in NStZ-RR 2009, 320 nicht abgedruckt]; Beschluss vom 10. September 2002 - 1 [X.], [X.], 198, 199; Urteil vom 21. August 2002 - 1 [X.], [X.]St 47, 369, 370).

bb) Danach lag die Anordnung eines [X.] hier nahe und hätte deshalb erörtert werden müssen (zur Erörterungspflicht vgl. [X.], Urteil vom 7. Juli 2011 - 3 [X.], Rn. 4 [zu Verfall und erweitertem Verfall]; [X.] in: [X.], 7. Aufl., § 267 Rn. 36; [X.] in: SSW-[X.], 3. Aufl., § 267 Rn. 38 mwN). Nach den Feststellungen verkaufte der Angeklagte im Tatzeitraum mehr als 7.900 Gramm Marihuana (100 x 100 Gramm abzgl. des Eigenverbrauchsanteils und der Sicherstellungsmenge) zu [X.] zwischen 5 und 10 Euro an seine teilweise minderjährigen Abnehmer. Die dabei erlangten Gelder waren bei der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten, die auch zu seiner Festnahme führte, nicht mehr vorhanden. Dass die Härtevorschrift des § 73c StGB aF der Anordnung eines [X.] voll umfänglich entgegensteht, liegt mit Rücksicht auf die von dem Angeklagten im Tatzeitraum getätigten Geldüberweisungen an seine [X.] Herkunftsfamilie und die weiteren Feststellungen zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht auf der Hand.

Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Dabei wird wiederum das alte Recht anzuwenden sein (vgl. [X.], Beschluss vom 20. Juni 2017 - 1 StR 227/17, [X.], 22; Urteil vom 6. September 2017 - 5 [X.], [X.], 375, 376), denn auch aufgehobene Entscheidungen zu Verfall und [X.] sind Entscheidungen im Sinne des Art. 316h Satz 2 [X.] (vgl. [X.]/[X.], NStZ 2017, 665, 682).

III.

Rechtsfehler zulasten des Angeklagten hat die durch den Umfang der Anfechtung begrenzte (vgl. [X.], Urteil vom 7. September 2016 - 1 [X.], Rn. 13 [insoweit in NJW 2016, 3670 nicht abgedruckt]; Urteil vom 4. Dezember 2001 - 1 [X.], Rn. 11 [insoweit in NStZ 2002, 198 nicht abgedruckt]; [X.]/[X.], [X.], 60. Aufl., § 301 Rn. 1 mwN) sachlich-rechtliche Überprüfung des Urteils nach § 301 [X.] nicht ergeben. Der Umstand, dass die [X.] dem Angeklagten bei der Bemessung aller 100 Einzelstrafen den Verkauf von Kokain angelastet hat, obgleich es hierzu nach den Feststellungen nur in 14 Fällen kam, stellt den Strafausspruch im Ergebnis nicht in Frage. Der [X.] entnimmt den Urteilsgründen, dass das [X.] damit die in allen Taten zum Ausdruck gekommene Gesinnung (§ 46 Abs. 2 StGB) des Angeklagten näher kennzeichnen wollte. Dies ist mit Rücksicht auf das gleichartige Vorgehen des Angeklagten und seine übergreifende kommerzielle [X.] rechtlich nicht zu beanstanden.

Sost-Scheible     

        

Roggenbuck     

        

Cierniak

        

[X.]      

        

Quentin      

        

Meta

4 StR 568/17

29.03.2018

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Detmold, 29. Juni 2017, Az: 21 KLs 14/17

Art 316h S 2 StGBEG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 29.03.2018, Az. 4 StR 568/17 (REWIS RS 2018, 11383)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 11383

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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