Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.07.2016, Az. II ZB 3/16

2. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 7985

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Gegenstand

Versäumung der Berufungsbegründungsfrist: Wirksamkeit einer Fristverlängerungsverfügung bei Antragstellung nach Ablauf der Frist; Umdeutung in eine Wiedereinsetzung


Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des 8. Zivilsenats des [X.] vom 21. Dezember 2015 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.

[X.]: 756.700 €

Gründe

1

I. Das [X.] hat durch Urteil vom 13. März 2015 festgestellt, dass das Dienstverhältnis des [X.] als Vorstandsmitglied der beklagten Sparkasse durch die Kündigung der [X.]n vom 28. August 2014 nicht mit sofortiger Wirkung beendet worden ist und dass der Dienstvertrag der [X.]en durch die Anfechtung der [X.]n vom 28. August 2014 nicht nichtig ist.

2

Dieses Urteil wurde den erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der [X.]n am 9. April 2015 zugestellt. Die zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten legten am 5. Mai 2015 Berufung gegen das Urteil ein. Mit Schriftsatz vom 12. Juni 2015, beim Berufungsgericht eingegangen am 15. Juni 2015 (einem Montag), beantragten sie, die Frist zur Begründung der Berufung um einen Monat zu verlängern. Der Vorsitzende des [X.] verlängerte die Frist zur Begründung der Berufung am 6. Juli 2015 bis zum 9. Juli 2015 und wies darauf hin, dass das Urteil des [X.]s nach Aktenlage der [X.]n bereits am 9. April 2015 und nicht - wie in der Berufungsschrift angegeben - am 14. April 2015 zugestellt worden sei. Am 9. Juli 2015 ging die Berufungsbegründung der [X.]n beim Berufungsgericht ein.

3

Die [X.] hat beantragt, ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Zur Begründung des [X.] hat sie im Wesentlichen ausgeführt: Ihre zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten seien durch sie, die [X.], schon während des erstinstanzlichen Prozessverfahrens eingeschaltet worden. Diese hätten daher bereits eine "Handakte" angelegt. Das erstinstanzliche Urteil sei ihnen unmittelbar durch die [X.] am 15. April 2015 übermittelt worden. Beigefügt gewesen sei ein Schreiben der erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten an die [X.] vom 13. April 2015. In diesem Schreiben hätten die erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten die [X.] zutreffend darauf hingewiesen, dass das Urteil des [X.]s am 9. April 2015 übermittelt worden sei. Nach der Verwaltungsratssitzung der [X.]n am 28. April 2015 seien die zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten damit beauftragt worden, Berufung gegen das landgerichtliche Urteil einzulegen. Am Folgetag habe der Sachbearbeiter verfügt, neben der bereits vorhandenen "Handakte" eine Berufungsakte anzulegen, die Fristen zu notieren und ihm die Akte sodann zwecks Fertigung der Berufungsschrift wieder vorzulegen. Nach Aktenlage sei die Berufungsakte samt der zuvor angelegten "Handakte" dem [X.] der Prozessbevollmächtigten vorgelegt worden. Bei den jetzigen zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten bestehe die allgemeine Anweisung an den [X.] bzw. die stellvertretend mit der Fristenkontrolle beauftragten Mitarbeiter, alle Fristen unmittelbar auf der fristrelevanten Entscheidung zu notieren. Der [X.] habe sich an dem Schreiben der erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten vom 13. April 2015 orientiert und - aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen fehlerhaft - auf der [X.] notiert, dass die angefochtene Entscheidung laut Mitteilung der erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten am 14. April 2015 zugestellt worden sei. Wieso es zu diesem Übertragungsfehler gekommen sei, sei dem [X.] unerklärlich. An der Richtigkeit des seitens der erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der [X.]n mitgeteilten [X.] hätten keine Zweifel bestehen können.

4

Das an die [X.] gerichtete Schreiben der erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten sei in der zuvor angelegten "Handakte" verblieben. Eine Kopie sei nicht zu der neu angelegten Berufungsakte genommen worden. Die Berufungsakte sei sodann dem Sachbearbeiter der Prozessbevollmächtigten der [X.]n zwecks Fertigung der Berufungsschrift vorgelegt worden, allerdings ohne die zuvor angelegte "Handakte". Die [X.] habe keinen Eingangsstempel oder sonstigen Hinweis auf einen Zustellzeitpunkt enthalten. Der Sachbearbeiter der Prozessbevollmächtigten habe nun aus dem von dem [X.] angebrachten Vermerk bezüglich des Zustelldatums geschlossen, dass das Zustelldatum entsprechend der Übung und Weisungslage im Falle der Mandatierung unmittelbar durch die erstinstanzlich unterlegene [X.] durch einen Telefonanruf bei den erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten korrekt erfragt worden sei. Im weiteren Verfahren wurde die Wiedereinsetzungsbegründung dahin konkretisiert, dass eine Weisung bestehe, wonach ergänzend bei den erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten das Zustelldatum zu erfragen sei, wenn sich das Datum der Zustellung einer mit einer Berufung anzugreifenden Entscheidung nicht zweifelsfrei aus den von dem Mandanten übermittelten Unterlagen ergebe.

5

Das Berufungsgericht hat die Berufung der [X.]n als unzulässig verworfen und den Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der [X.]n.

6

II. Die Rechtsbeschwerde der [X.]n ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf noch erfordert sie eine Entscheidung des [X.] zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Der angefochtene Beschluss verletzt auch nicht den verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch der [X.]n auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Danach darf einer [X.] die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den [X.]en den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (st. Rspr. [X.], Beschluss vom 14. Juli 2015 - [X.], [X.], 1715; Beschluss vom 27. Januar 2015 - [X.], NJW 2015, 2038 Rn. 4 beide mwN).

7

1. Das Berufungsgericht ([X.], Beschluss vom 21. Dezember 2015 - 8 [X.], bei juris) hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

8

Die Berufungsbegründungsfrist sei mit Ablauf des 9. Juni 2015 verstrichen gewesen. Dabei könne dahinstehen, dass durch Verfügung vom 6. Juli 2015 die Berufungsbegründungsfrist bis zum 9. Juli 2015 verlängert worden sei. Ein [X.] müsse nämlich vor Fristablauf gestellt werden. Eine einmal abgelaufene Frist könne nicht mehr verlängert werden. Der [X.] sei erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist am 15. Juni 2015 eingegangen.

9

Die zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der [X.]n hätten in vorwerfbarer Weise nicht dafür Sorge getragen, dass das zutreffende Zustelldatum des landgerichtlichen Urteils richtig vermerkt worden sei. Den zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten sei das erstinstanzliche Urteil und das Schreiben der erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten vom 13. April 2015, aus dem sich mit dem 9. April 2015 das richtige Zustelldatum ergeben habe, unmittelbar durch die [X.] am 15. April 2015 übermittelt worden. Der Rechtsanwalt habe das erstinstanzliche Urteil und das Schreiben der erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten vom 13. April 2015 zur Kenntnis genommen. Dass dieses Schreiben wieder in Vergessenheit geraten sei, entlaste ihn nicht. Es hätte nämlich der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt entsprochen, wenn der Rechtsanwalt - als ihm alle Unterlagen selbst vorgelegen hätten - bereits persönlich dieses Zustelldatum auf dem ebenfalls mitübermittelten erstinstanzlichen Urteil vermerkt hätte. Dagegen spreche auch nicht, dass die zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten erst im Rahmen der Verwaltungsratssitzung am 28. April 2015 damit beauftragt worden seien, die Berufung durchzuführen, da die zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten durch die [X.] schon während des erstinstanzlichen Prozessverfahrens eingeschaltet worden seien.

Selbst wenn ein vorwerfbares Verschulden noch nicht darin gesehen werden sollte, dass der Rechtsanwalt das Zustelldatum nicht selbst auf der erstinstanzlichen Entscheidung vermerkt habe, sei es jedoch als vorwerfbares Versäumnis anzusehen, dass er nicht dafür Sorge getragen habe, dass ihm die Handakte im Zusammenhang mit der Berufungseinlegung mit dem maßgeblichen Schreiben der erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten vom 13. April 2015 vorgelegt worden sei.

Zudem hätte von einem sorgfältig arbeitenden Rechtsanwalt in der konkreten Situation erwartet werden können, dass er sich bei der Einlegung der Berufung daran erinnere, dass ihm wenige Tage zuvor von seiner Mandantin nicht nur das erstinstanzliche Urteil, sondern auch ein weiteres Schreiben der erstinstanzlichen Anwälte vorgelegt worden sei, aus dem sich das zutreffende Zustelldatum ergeben habe.

2. Es kann dahinstehen, ob die Ausführungen des [X.] den Angriffen der Rechtsbeschwerde standhalten. Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung jedenfalls im Ergebnis zu Recht versagt und die Berufung der Klägerin zu Recht als unzulässig verworfen.

a) Die [X.] hat die Frist zur Berufungsbegründung nach § 520 Abs. 2 ZPO versäumt. Die zweimonatige Berufungsbegründungsfrist begann gemäß § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO mit der Zustellung des Urteils des [X.]s am 9. April 2015. Sie ist gemäß § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB am 9. Juni 2015, einem Dienstag, abgelaufen. Innerhalb dieser Frist ist keine Berufungsbegründung eingegangen. Die durch den Vorsitzenden des [X.] am 6. Juli 2015 verfügte Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung der [X.]n bis zum 9. Juli 2015 war unwirksam, weil der Antrag auf Fristverlängerung nach Fristablauf, am 15. Juni 2015, bei Gericht eingegangen ist.

aa) Nach der gefestigten Rechtsprechung des [X.] ist bei der Prüfung der Frage, ob eine fehlerhafte Fristverlängerung wirksam ist, in erster Linie auf den allgemeinen Grundsatz der Wirksamkeit verfahrensfehlerhafter gerichtlicher Entscheidungen sowie insbesondere auf den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes abzustellen. Danach darf die Prozesspartei, der eine beantragte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gewährt worden ist, grundsätzlich darauf vertrauen, dass die betreffende richterliche Verfügung wirksam ist. Grenzen ergeben sich allerdings aus dem Gebot der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit. Im Hinblick darauf kann eine [X.] ein schützenswertes Vertrauen in die Wirksamkeit einer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist grundsätzlich nicht bilden, wenn die Verlängerung nach Ablauf der Frist erfolgt und sie bis zu deren Ablauf keinen Antrag gestellt hat. Eine solche Verlängerung ist unwirksam ([X.], Beschluss vom 17. Dezember 1991 - [X.], [X.]Z 116, 377; Beschluss vom 12. Februar 2009 - [X.], [X.], 1149 Rn. 13). Gegen die Bildung eines schützenswerten Vertrauens in die Wirksamkeit der Fristverlängerung spricht vorliegend zudem, dass der Vorsitzende des [X.] mit der Verlängerungsverfügung auf das zutreffende, von der Angabe in der Berufungsschrift abweichende Zustelldatum der erstinstanzlichen Entscheidung nach Aktenlage hingewiesen hat.

bb) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde weist der Fall keine grundsätzliche Bedeutung in Bezug auf die Frage auf, ob an diesen in der Entscheidung [X.]Z 116, 377 aufgestellten Grundsätzen festzuhalten ist oder ob zu den zuvor geltenden Rechtsprechungsgrundsätzen der Entscheidung des [X.] vom 30. September 1987 ([X.], [X.]Z 102, 37) zurückzukehren ist.

Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] hat eine Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deswegen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt, d.h. allgemein von Bedeutung ist. [X.] ist eine Rechtsfrage dann, wenn die durch das Berufungsurteil aufgeworfene Rechtsfrage zweifelhaft ist, also über Umfang und Bedeutung einer Rechtsvorschrift Unklarheiten bestehen. Derartige Unklarheiten bestehen unter anderem dann, wenn die Rechtsfrage vom [X.] bisher nicht entschieden ist und von einigen Oberlandesgerichten unterschiedlich beantwortet wird, oder wenn in der Literatur unterschiedliche Meinungen vertreten werden. Derartige Unklarheiten bestehen nicht, wenn abweichende Ansichten in der Literatur vereinzelt geblieben und nicht oder nicht nachvollziehbar begründet sind ([X.], Beschluss vom 8. Februar 2010 - [X.], [X.], 985). Gemessen daran hat die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene Rechtsfrage keine grundsätzliche Bedeutung. Es bedarf auch nicht der Rechtsfortbildung.

Mit dem bereits erwähnten Beschluss vom 17. Dezember 1991 ([X.], [X.]Z 116, 377) hat der [X.] entschieden, dass die Verlängerung der Frist zur Begründung eines Rechtsmittels durch den Vorsitzenden des Rechtsmittelgerichts nicht wirksam ist, wenn im Zeitpunkt des Eingangs des [X.] die Frist zur Rechtsmittelbegründung bereits abgelaufen war. Die Entscheidung weicht ab von einer älteren Entscheidung des damals [X.], heute [X.]. Zivilsenats des [X.] vom 30. September 1987 ([X.], [X.]Z 102, 37), nach der (auch) eine rechtswidrige Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist wirksam ist. Der [X.]-Senat hatte zu der vom [X.]. Zivilsenat beabsichtigten Rechtsprechungsänderung auf Anfrage mitgeteilt, dass er an seiner Auffassung nicht festhalte. Maßgeblich für die Rechtsprechungsänderung war die Erwägung, dass durch einen erst nach Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist eingehenden Verlängerungsantrag und seine Stattgabe weder der Rechtsmittelführer noch der Vorsitzende des Rechtsmittelgerichts die inzwischen eingetretene Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung wieder in Frage stellen können. Deshalb ist es auch unerheblich, ob der Vorsitzende erkannt hat, dass die Frist bereits abgelaufen war. Diese Auffassung entspricht seither der ständigen Rechtsprechung des [X.] ([X.], Urteil vom 17. Januar 2013 - [X.], NJW-RR 2013, 692 Rn. 11; Urteil vom 2. Oktober 2012 - [X.], [X.], 638 Rn. 21; Beschluss vom 30. Juni 2011 - [X.], juris Rn. 15; Beschluss vom 12. Februar 2009 - [X.], [X.], 1149 Rn. 13; Beschluss vom 9. November 2005 - [X.] ZB 140/05, NJW-RR 2006, 355 Rn. 6; Beschluss vom 23. September 2004 - [X.]I ZB 43/03, juris Rn. 5; Beschluss vom 17. Dezember 1991 - [X.], [X.], 842) an der auch nach Überprüfung ausdrücklich festgehalten wurde ([X.], Beschluss vom 24. Januar 1996 - [X.] ZB 184/95, NJW-RR 1996, 513, 514). Das Schrifttum hat sich dieser Auffassung überwiegend angeschlossen (etwa [X.]/[X.], ZPO, 31. Aufl., § 520 Rn. 16a; [X.], ZPO, 7. Aufl., § 520 Rn. 6; Musielak/Voit/Ball, ZPO, 13. Aufl., § 520 Rn. 7 und 12; [X.] ZPO/[X.], Stand: 1.3.2016, ZPO § 520 Rn. 8).

Die von der Rechtsbeschwerde angeführte Gegenauffassung von [X.] ([X.], 4. Aufl., § 520 Rn. 18) begründet als vereinzelt gebliebene Meinung keinen Klärungsbedarf. [X.] bringt auch keine "neuen Argumente" vor, die den [X.] dazu veranlassen könnten, seine Ansicht zu überprüfen. Die Auffassung von [X.] geht zurück auf seinen Beitrag in der Festschrift für [X.] aus dem Jahr 1997. Die Entscheidung des [X.] vom 17. Dezember 1991 ([X.], [X.]Z 116, 377) wurde seither mehrfach bestätigt (s.o. sowie [X.], Beschluss vom 20. Oktober 2009 - [X.]II ZB 97/08, NJW-RR 2010, 998 Rn. 10).

cc) Die Fristverlängerung durch den Vorsitzenden kann entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht in eine Wiedereinsetzung in die abgelaufene Berufungsbegründungsfrist umgedeutet werden. Eine Umdeutung kommt nicht in Betracht, weil im Verfahrensrecht zwar in entsprechender Anwendung des § 140 BGB der Grundsatz gilt, dass eine fehlerhafte [X.]handlung in eine zulässige und wirksame Prozesserklärung umgedeutet werden, dass das aber nur dann gilt, wenn deren Voraussetzungen eingehalten sind, die Umdeutung dem mutmaßlichen [X.]willen entspricht und kein schutzwürdiges Interesse des Gegners entgegensteht ([X.], Beschluss vom 28. April 2015  - [X.] 36/14, NJW 2015, 2590 Rn. 7 mwN).

Es kann dahinstehen, unter welchen Voraussetzungen im Einzelnen eine Umdeutung gerichtlicher Entscheidungen möglich ist (vgl. [X.], Urteil vom 20. Mai 2014 - [X.] ZR 187/13, NJW-RR 2014, 1118 Rn. 7; Beschluss vom 14. Mai 2008 - [X.] ZB 78/07, [X.], 2351 Rn. 23; Beschluss vom 17. Dezember 2003 - [X.], [X.], 530 Rn. 7; Beschluss vom 7. März 1995 - [X.], NJW 1995, 1561 Rn. 7). Im Streitfall lagen jedenfalls schon die formalen Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist allein aufgrund des [X.]s der [X.]n nicht vor. Zum einen war der Vorsitzende hierfür nicht zuständig, sondern der Senat des [X.] (§§ 237, 522 Abs. 1, § 523 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Zum anderen fehlte der für eine Wiedereinsetzung erforderliche, darauf gerichtete Antrag. Eine Wiedereinsetzung ist - vorbehaltlich der zum Zeitpunkt der Verfügung des Vorsitzenden nicht vorliegenden Voraussetzungen des § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO - nur zulässig, wenn ein entsprechender Antrag (§ 233 Abs. 1 Satz 1 ZPO) gestellt wird. Diesen hat die [X.] erst mit Schriftsatz vom 10. Juli 2015 - mithin nach der Verlängerungsverfügung des Vorsitzenden - gestellt.

b) Den (erst) mit diesem Schriftsatz wirksam gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat das Berufungsgericht jedenfalls im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Die Wiedereinsetzung setzt nach § 233 Satz 1 ZPO voraus, dass die [X.] ohne ihr Verschulden gehindert war, die versäumte Frist einzuhalten. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt, weil nicht auszuschließen ist, dass an der Fristversäumung ursächlich ein Organisationsverschulden der zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der [X.]n mitgewirkt hat; dieses muss sich die [X.] nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen. Die [X.] hat das Vorhandensein einer den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Organisation des [X.] genügenden Fristenkontrolle im Büro ihrer Prozessbevollmächtigten nicht dargetan.

aa) Die zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der [X.]n haben ihre Pflicht zur eigenverantwortlichen Prüfung der richtigen Notierung des Endes der Berufungsbegründungsfrist verletzt. Überlässt ein Rechtsanwalt die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft, hat er die erforderliche eigenverantwortliche Gegenkontrolle so zu organisieren, dass es ihm anhand der Vermerke in der Handakte auch möglich ist zu überprüfen, ob die notierten Fristen richtig berechnet sind (vgl. [X.], Beschluss vom 12. November 2013 - II ZB 17/12, [X.], 422 Rn. 15).

Die Sorgfaltspflicht in [X.] verlangt von einem Rechtsanwalt, alles ihm Zumutbare zu tun, um die Wahrung von [X.] zu gewährleisten. Überlässt er die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft, hat er durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört insbesondere, dass die [X.] in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in den [X.] eingetragen worden sind ([X.], Beschluss vom 12. November 2013 - [X.], [X.], 422 Rn. 15; Beschluss vom 8. Februar 2010 - [X.], [X.], 533 Rn. 7). Die Frist und ihre Eintragung im [X.] müssen nicht in jedem Fall auf dem Handaktenbogen notiert werden. Auch die Anbringung entsprechender Vermerke auf dem jeweiligen Schriftstück genügt den an eine ordnungsgemäße Organisation des [X.] zu stellenden Anforderungen ([X.], Beschluss vom 12. November 2013 - [X.], [X.], 422 Rn. 16; Beschluss vom 26. Januar 2009 - [X.], [X.], 1083 Rn. 11; Beschluss vom 22. Januar 2008 - [X.] 46/07, [X.], 1670 Rn. 1, 8).

Wird dem Rechtsanwalt die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung zur Bearbeitung vorgelegt, hat er die Einhaltung seiner Anweisungen zur Berechnung und Notierung laufender [X.] einschließlich deren Eintragung in den [X.] eigenverantwortlich zu prüfen, wobei er sich grundsätzlich auf die Prüfung der Vermerke in der Handakte beschränken darf, so dass in diesen Fällen die Vorlage der Handakte zur Fristenkontrolle zu veranlassen ist ([X.], Beschluss vom 15. September 2015 - [X.] ZB 37/14, [X.], 2163 Rn. 7; Urteil vom 25. September 2014 - [X.], NJW 2014, 3452 Rn. 8, 10; Beschluss vom 12. November 2013 - [X.], [X.], 422 Rn. 15; Beschluss vom 8. Februar 2010 - [X.], [X.], 533 Rn. 7).

Die Überwachungspflicht des Rechtsanwalts, dem die Handakte zwecks Fertigung der Berufungsschrift vorgelegt wird, beschränkt sich dabei nicht nur auf die Prüfung, ob die Berufungsfrist zutreffend notiert ist, sondern erstreckt sich auch auf die ordnungsgemäße Notierung der Berufungsbegründungsfrist, die nach § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO mit der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils zu laufen beginnt und deren Ablauf daher im Zeitpunkt der Fertigung der Berufungsschrift bereits feststeht. Mit der anwaltlichen Verpflichtung, alle zumutbaren Vorkehrungen gegen [X.] zu treffen, wäre nicht zu vereinbaren, wenn sich der Anwalt bei der im Zusammenhang mit der Aktenvorlage zwecks Fertigung der Berufungsschrift gebotenen Prüfung der Fristnotierung auf die Berufungsfrist beschränken und die Prüfung der bereits feststehenden Berufungsbegründungsfrist aussparen wollte. Er hat daher bei Vorlage der Handakte zur Fertigung der Berufungsschrift auch zu prüfen, ob die Berufungsbegründungsfrist richtig notiert worden ist ([X.], Beschluss vom 15. September 2015 - [X.] 37/14, [X.], 2163 Rn. 7 mwN; Urteil vom 25. September 2014 - [X.], NJW 2014, 3452 Rn. 8, 10; Beschluss vom 3. Mai 2011 - [X.] 4/11, juris Rn. 6).

bb) Legt man die im [X.] vorgetragene Organisation des [X.] im Büro der zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der [X.]n zugrunde, konnte der Sachbearbeiter die erforderliche eigenverantwortliche Prüfung der ordnungsgemäßen Notierung der Berufungsbegründungsfrist im Zusammenhang mit der Aktenvorlage zwecks Fertigung der Berufungsschrift nicht durchführen. Dem [X.] der [X.]n lässt sich nicht entnehmen, dass der auf dem erstinstanzlichen Urteil angebrachte Vermerk über das Zustelldatum als Ausgangspunkt der Fristberechnung die sichere Prüfung ermöglichte, ob die Berufungsbegründungsfrist richtig berechnet worden war. Damit traf nach diesem Vorbringen die Prozessbevollmächtigten ein für die Fristversäumung [X.] Organisationsverschulden. Denn bei sachgerechter Organisation der Fristenkontrolle wäre die fehlerhafte Übertragung des Datums aus dem Anwaltsschreiben vom 13. April 2015 ersichtlich gewesen und bei der im Zusammenhang mit der Fertigung der Berufungsschrift gebotenen Prüfung offenbar geworden.

Nach dem Vorbringen der [X.]n im [X.] standen dem [X.] im Büro ihrer Prozessbevollmächtigten für den Fall, dass der Auftrag zur Einlegung der Berufung direkt von der Mandantschaft übermittelt wird, zwei Wege offen, das Datum der Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung zu ermitteln. Das Datum war entweder den von dem Mandanten übermittelten Unterlagen zu entnehmen. Wenn sich das Datum der Zustellung einer mit einer Berufung anzugreifenden Entscheidung nicht zweifelsfrei aus den von dem Mandanten übermittelten Unterlagen ergab, hatte der [X.] ergänzend bei den erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten das Zustelldatum zu erfragen und auf der relevanten Entscheidung zu notieren. Diese Vorgaben wurden auch so umgesetzt. Nach der eidesstattlichen Versicherung des [X.]s hat dieser, ohne telefonische Nachfrage, das Zustelldatum der Entscheidung dem in der "Handakte" befindlichen Schreiben vom 13. April 2015 entnommen und auf die [X.] in der Berufungsakte übertragen. Damit es dem Prozessbevollmächtigten anhand der Vermerke in der Handakte möglich ist zu überprüfen, ob die notierten Fristen richtig berechnet sind, ist in einem solchen Fall der alternativen Ermittlung des Zustelldatums der erstinstanzlichen Entscheidung erforderlich, dass der Vermerk in der Handakte den Hinweis enthält, ob das Zustelldatum telefonisch erfragt wurde oder aus einer bereits vorliegenden Unterlage entnommen worden ist. Denn nur dann ist es möglich, dass der Prozessbevollmächtigte überprüft, ob sich der entsprechenden Unterlage tatsächlich das Zustelldatum entnehmen lässt und ob dies richtig übertragen wurde.

Eines Hinweises der anwaltlich vertretenen [X.]n nach § 139 ZPO auf diesen Gesichtspunkt bedurfte es entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht. Ein Nachschieben von Vortrag mit der Rechtsbeschwerde ist daher ausgeschlossen. Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine wirksame Organisation des [X.] stellt, sind bekannt und müssen einem Anwalt auch ohne richterliche Hinweise geläufig sein. Tragen die zur Begründung des [X.] gemachten Angaben diesen Anforderungen nicht Rechnung, deutet das nicht auf Unklarheiten oder Lücken des Vortrags hin, die aufzuklären oder zu füllen wären, sondern erlaubt den Schluss darauf, dass entsprechende organisatorische Maßnahmen gefehlt haben (vgl. [X.], Urteil vom 25. September 2014 - [X.], NJW 2014, 345 Rn. 19; Beschluss vom 26. November 2013 - [X.], [X.], 424 Rn. 12; Beschluss vom 20. Dezember 2012 - [X.]/12, Rn. 8 ff.; Beschluss vom 24. Januar 2012 - [X.], NJW-RR 2012, 747 Rn. 12 mwN).

cc) Die unzureichende Organisation im Büro des Prozessbevollmächtigten der [X.]n war auch kausal für das Fristversäumnis. Hätte der Vermerk des [X.]s den Hinweis enthalten, das Zustelldatum sei dem Schreiben vom 13. April 2015 entnommen worden, hätte der Prozessbevollmächtigte der [X.]n bei der ihm im Rahmen der Vorlage der Akte bei Einlegung der Berufung obliegenden Überprüfungspflicht sich das Schreiben vorlegen lassen müssen und hierbei festgestellt, dass seinem [X.] ein Übertragungsfehler unterlaufen ist. Der Fehler hätte korrigiert und die Berufungsbegründungsfrist hätte eingehalten werden können.

Strohn                            Reichart                        Wöstmann

                 Drescher                            Born

Meta

II ZB 3/16

19.07.2016

Bundesgerichtshof 2. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Hamm, 21. Dezember 2015, Az: I-8 U 96/15

§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 Abs 1 S 1 ZPO, § 234 ZPO, § 520 Abs 2 ZPO, § 140 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.07.2016, Az. II ZB 3/16 (REWIS RS 2016, 7985)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 7985


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. II ZB 3/16

Bundesgerichtshof, II ZB 3/16, 19.07.2016.


Az. 8 U 96/15

Oberlandesgericht Hamm, 8 U 96/15, 21.12.2015.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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