Bundesverfassungsgericht, Einstweilige Anordnung vom 16.10.2013, Az. 2 BvR 736/13

2. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2013, 1927

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Erlass einer eA, mit der die Zwangsvollstreckung aus einem gegenüber einem ausländischen Staat ergangenen arbeitsgerichtlichen Teilversäumnisurteil vorläufig ausgesetzt wird


Tenor

Die Zwangsvollstreckung aus dem Teilversäumnisurteil des [X.] vom 25. Mai 2011 - 35 Ca 17879/09 - wird einstweilen bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens auf die Dauer von sechs Monaten, ausgesetzt.

Gründe

I.

1

1. Die Beschwerdeführerin ist die [X.], die vor dem [X.] von einem [X.] Staatsangehörigen auf Rückzahlung eines über das [X.] Generalkonsulat [X.] vom monatlichen Bruttoeinkommen einbehaltenen Betrags in Anspruch genommen wird. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin handelt es sich bei dem einbehaltenen Betrag um eine Steuer auf das Einkommen, das der Kläger als bei der [X.] angestellter Lehrer an der Privaten Volksschule der [X.] in [X.] und im [X.] erzielt hat. Da die Beschwerdeführerin im Gütetermin vor dem [X.] nicht erschienen war, verkündete das [X.] am 25. Mai 2011 ein Teilversäumnisurteil, gegen das die Beschwerdeführerin Einspruch eingelegt hat. Am 16. Juni 2011 wurde dem Kläger eine vollstreckbare Ausfertigung des Teilversäumnisurteils erteilt.

2

Am 28. September 2011 erhob die Beschwerdeführerin Erinnerung gegen die Erteilung der Vollstreckungsklausel für das Teilversäumnisurteil. Die Erinnerung wurde durch Beschluss des Arbeitsgerichts [X.] vom 2. November 2011 zurückgewiesen. Auf die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin änderte das Landesarbeitsgericht [X.] mit Beschluss vom 20. Dezember 2011 die Entscheidung des Arbeitsgerichts [X.] dahingehend ab, dass die Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigung zu Unrecht erfolgt und die Zwangsvollstreckung hieraus insgesamt unzulässig sei. Dagegen erhob der Kläger Rechtsbeschwerde zum [X.].

3

Das [X.] hat mit Beschluss vom 14. Februar 2013 die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts [X.] aufgehoben und die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts [X.] zurückgewiesen.

4

2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Zur Begründung führt sie aus, dass das [X.] die steuerliche Maßnahme des [X.] Staates als hoheitliche Maßnahme der Beschwerdeführerin hätte erkennen und die Rechtsbeschwerde daher zurückweisen müssen. Zu diesen Fragen habe bereits Rechtsprechung des [X.]s wie auch des [X.] vorgelegen. Soweit das [X.] hiervon habe abweichen oder einen Fall hoheitlichen Handelns habe verneinen wollen, hätte es die Sache entweder dem [X.] nach § 45 Abs. 2 ArbGG oder dem [X.] nach Art. 100 Abs. 2 GG zur Entscheidung vorlegen müssen. Dies sei willkürlich unterblieben.

5

Mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt die Beschwerdeführerin, die Zwangsvollstreckung aus dem Teilversäumnisurteil des Arbeitsgerichts [X.] vom 25. Mai 2011 einstweilen einzustellen.

II.

6

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen vor. Der zulässige Antrag ist begründet.

7

1. Nach § 32 Abs. 1 [X.] kann das [X.] einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 [X.] gegeben sind, ist wegen der weittragenden Folgen einer einstweiligen Anordnung regelmäßig ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. [X.] 55, 1 <3>; 82, 310 <312>; 94, 166 <216 f.>; 104, 23 <27>; 106, 51 <58>). Dieser wird noch weiter verschärft, wenn eine Maßnahme mit völkerrechtlichen oder außenpolitischen Auswirkungen in Rede steht (vgl. [X.] 35, 193 <196 f.>; 83, 162 <171 f.>; 88, 173 <179>; 89, 38 <43>; 108, 34 <41>; 118, 111 <122>; 125, 385 <393>; 126, 158 <167>; 129, 284 <298>; [X.], Urteil des [X.] vom 12. September 2012 - 2 [X.] u.a. -, NJW 2012, S. 3145 <3146, Rn. 190>).

8

Bei der Entscheidung über die einstweilige Anordnung haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahmen vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die in der Hauptsache begehrte Feststellung oder der in der Hauptsache gestellte Antrag erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. [X.] 89, 38 <44>; 103, 41 <42>; 118, 111 <122>; stRspr). Erweist sich der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen, so hat das [X.] grundsätzlich lediglich im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, ihr der Erfolg in der Hauptsache aber zu versagen wäre (vgl. [X.] 105, 365 <371>; 106, 351 <355>; 108, 238 <246>; 125, 385 <393>; 126, 158 <168>; 129, 284 <298>; [X.], Urteil des [X.] vom 12. September 2012 - 2 [X.] u.a. -, NJW 2012, S. 3145 <3146, Rn. 191>; stRspr).

9

2. Die Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin ist eine Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen. Da es bei diesem Recht weniger um die Sicherung individueller Autonomie denn um Mindestanforderungen an prozedurale Gerechtigkeit und Waffengleichheit als Voraussetzung einer richtigen Entscheidung geht (vgl. [X.] 9, 89 <95>), muss es für jedes gerichtliche Verfahren gelten und daher auch jedem zugutekommen, der nach den einschlägigen Verfahrensnormen parteifähig ist oder von dem Verfahren betroffen wird (vgl. [X.] 21, 362 <373>; stRspr). Auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG können sich daher nicht nur inländische juristische Personen des öffentlichen Rechts (vgl. [X.] 61, 82 <104>; 75, 192 <200>), sondern auch ausländische juristische Personen des privaten (vgl. [X.] 18, 441 <447>; 21, 207 <208>; 23, 229 <236>; 64, 1 <11>) wie des öffentlichen Rechts berufen, und damit auch ausländische [X.] (vgl. [X.]K 1, 32 <37 f.>; 9, 211 <213>).

Sowohl die unterbliebene Vorlage gemäß § 45 Abs. 2 ArbGG an den [X.] als auch die unterbliebene Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 2 GG können eine Verletzung des Rechts aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG begründen, sofern das [X.] eine gebotene Vorlage nicht nur rechtsfehlerhaft, sondern willkürlich unterlassen hat (vgl. [X.] 3, 359 <363 f.>; 9, 213 <215 f.>; 13, 132 <143>; 19, 38 <42 f.>; 64, 1 <21>; 96, 68 <77 f.>). Ob dies dargetan ist, erscheint angesichts der Komplexität der Rechtslage als offen. Dem Beschwerdevortrag dürfte sich auch noch hinreichend deutlich entnehmen lassen, welche Fragen jeweils hätten vorgelegt werden sollen (vgl. zu diesem Erfordernis mit Blick auf Art. 100 Abs. 2 GG zuletzt [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 12. Oktober 2011 - 2 BvR 2984/09 u.a. -, NJW 2012, S. 293 <294>).

3. Die nach § 32 [X.] gebotene Abwägung fällt zugunsten der Beschwerdeführerin aus.

a) Erginge die beantragte einstweilige Anordnung, stellte sich die Verfassungsbeschwerde später aber als unbegründet heraus, hätte sich die Zwangsvollstreckung aus dem nicht rechtskräftigen Teilversäumnisurteil des Arbeitsgerichts [X.] für den Kläger lediglich verzögert. Es ist nicht erkennbar, dass der Kläger bereits dadurch unwiederbringliche Rechtsnachteile erlitte, zumal es sich bei den streitbefangenen Beträgen lediglich um 5 % seines Gehalts handelt. Die Beträge sind überdies bereits ab dem [X.] vom jeweiligen Bruttogehalt einbehalten worden.

b) Unterbliebe der Erlass einer einstweiligen Anordnung, stellte sich die Verfassungsbeschwerde aber später als begründet heraus, wäre dies mit erheblichen Nachteilen verbunden.

Zwar ist die Vollstreckung gegen einen ausländischen Staat nach den allgemeinen Regelungen des Völkerrechts nicht generell unzulässig (vgl. [X.] 46, 342 <388 f., 392>; 64, 1 <23 f.>; 117, 141 <154>). Für Ansprüche aus hoheitlichem Handeln ist die Immunität jedoch anerkannt (vgl. [X.] 46, 342 <364, 392>; 64, 1 <40>; 117, 141 <154>). Auch stellt der Zugriff auf Vermögenswerte eines ausländischen Staates in jedem Fall einen besonders schweren Eingriff in dessen Souveränität dar (vgl. [X.] 117, 141 <154>).

Eine unzulässige Zwangsvollstreckung gegen einen ausländischen Staat - die [X.] - wäre zudem mit der Gefahr schwerer außenpolitischer Nachteile für die [X.] verbunden. Dies muss bei der Gesamtabwägung besonders ins Gewicht fallen (vgl. [X.] 83, 162 <173 f.>; 88, 173 <180 ff.>; 89, 38 <43>), weil bei anderen Völkerrechtssubjekten Zweifel an der Völkerrechtstreue der [X.] und ihrer Bereitschaft, sich zukünftig an das Völkergewohnheitsrecht halten zu wollen, entstehen könnten, und dies zu außenpolitischen Nachteilen führen kann.

c) Bei Abwägung der widerstreitenden Interessen überwiegen die für die [X.] aus einer vorläufigen Gestattung der Zwangsvollstreckung drohenden außenpolitischen Nachteile. Auf Seiten des [X.] führt der Erlass der einstweiligen Anordnung lediglich zu einer Verzögerung der Befriedigung von teilweise mehr als zehn Jahre alten Ansprüchen, ohne dass über die konkrete Befriedigung hinausgehende Belange, namentlich irreparable Nachteile oder eine Existenzgefährdung, erkennbar wären.

Meta

2 BvR 736/13

16.10.2013

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 1. Kammer

Einstweilige Anordnung

Sachgebiet: BvR

vorgehend BAG, 14. Februar 2013, Az: 3 AZB 5/12, Beschluss

Art 100 Abs 2 GG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 45 Abs 2 ArbGG, Art 10 DBA GRC, Art 11 DBA GRC, Art 22 DBA GRC

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Einstweilige Anordnung vom 16.10.2013, Az. 2 BvR 736/13 (REWIS RS 2013, 1927)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 1927


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 2 BvR 736/13

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 736/13, 17.03.2014.

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 736/13, 16.10.2013.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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