Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.09.2013, Az. 6 AZR 953/11

6. Senat | REWIS RS 2013, 2842

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Gegenstand

Halteprämie - keine Masseverbindlichkeit - Stichtag vor Insolvenzeröffnung


Tenor

1. Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 20. Juli 2011 - 10 [X.]/11 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision und die Kosten dritter Instanz der Streithelfer zu 1. und 2. zu tragen.

Tatbestand

1

Die [X.]arteien streiten über den Anspruch auf ein Retention [X.]ayment (künftig: [X.]), dessen Erfüllung der [X.] als Insolvenzverwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.] (Schuldnerin) verweigert.

2

Der Kläger war bei der Schuldnerin als „Senior Media Relations Manager“ beschäftigt und ausschließlich für die [X.]ressearbeit zuständig. Sein Monatsgehalt betrug zuletzt 6.550,00 Euro brutto. Darüber hinaus erhielt er jährliche Bonuszahlungen in unterschiedlicher Höhe.

3

Im Verlauf der Kalenderjahre 2007 und 2008 geriet die Schuldnerin in finanzielle Schwierigkeiten, die - wie auch die Suche nach Investoren und Kreditgebern - ab Januar 2008 Gegenstand überregionaler [X.]resseberichterstattung waren. Ihre Bemühungen, einen Investor zu finden, hatten keinen Erfolg. Eine angedachte Finanzhilfe der [X.], der Muttergesellschaft der Schuldnerin, konnte nicht realisiert werden. Auch Verhandlungen mit dem [X.] über eine Finanzhilfe von 300 Millionen Euro, die im [X.] 2008 mit [X.] begonnen hatten, scheiterten am 21./22. Januar 2009. Während dieser Gespräche hatte die vom [X.] beauftragte [X.] Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ([X.]) in einem Gutachten zur [X.]lausibilität der mittelfristigen Geschäftsplanung der Schuldnerin in ihrem Bericht vom 4. Dezember 2008 zusammenfassend festgestellt, dass „ein Engagement des [X.] möglich, aber mit hohen Risiken behaftet“ sei.

4

Ab August/September 2008 ließ die Schuldnerin von externen Beratern in Zusammenarbeit mit einer internen Arbeitsgruppe („Rocky [X.]roject Group“) wöchentliche Liquiditätsberichte erstellen. Hinsichtlich der laufenden Gehaltszahlungen an die Mitarbeiter der Schuldnerin kam es zu keinen Verzögerungen oder Rückständen.

5

Die von der Schuldnerin beauftragte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft [X.] verweigerte wegen mangelnder Fortführungsprognose und Existenzbedrohung der Schuldnerin das [X.] zum 30. September 2008. In einem Schreiben an den Vorstand der Schuldnerin vom 14. Oktober 2008 wiesen die bestellten [X.]rüfer nach § 321 Abs. 1 Satz 3 HGB auf eine Bestandsgefährdung des Unternehmens hin. Das Geschäftsergebnis des vierten [X.]uartals und der Jahresabschluss wurden nicht mehr veröffentlicht.

6

Mit Schreiben vom 21. Oktober 2008 sagte die Schuldnerin dem Kläger eine [X.] zu. Das Schreiben lautet auszugsweise:

        

1Sehr geehrter Herr …,

        

wir freuen uns, dass wir Ihnen zum 31. März 2009 einen einmaligen Betrag in Höhe von

        

19.650,00 € brutto

        

zusagen können. 2Die Auszahlung des Betrages setzt voraus, dass Sie zu diesem Zeitpunkt Ihr Arbeitsverhältnis mit der [X.] nicht von sich aus gekündigt haben. …

        

4An dieser Stelle möchten wir uns für die bisher erbrachte Leistung sehr herzlich bei Ihnen bedanken!

        

5Wir setzen auch in Zukunft auf Ihre Unterstützung und Ihr Engagement, um unser Ziel zu erreichen, [X.] dauerhaft am Markt zu etablieren.

        

…“    

7

Die Schuldnerin sagte im Oktober 2008 einer Vielzahl von anderen Mitarbeitern [X.]n in unterschiedlicher Höhe und mit unterschiedlichen Stichtagen zu. Die Sonderzahlung wurde nicht an den Kläger ausgezahlt.

8

Am 23. Januar 2009 beantragte die Schuldnerin, das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen zu eröffnen. Am selben Tag wurde das vorläufige Insolvenzverfahren eröffnet und der [X.] zum vorläufigen „schwachen“ Insolvenzverwalter bestellt. Am 1. April 2009, 9:00 Uhr, wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der [X.] zum Insolvenzverwalter bestellt.

9

Der [X.] kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 1. April 2009 zum 31. Juli 2009. Am 8. Juni 2009 meldete der Kläger einen Anspruch auf Zahlung der [X.] zur Insolvenztabelle an. Der [X.] bestritt die Forderung.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, ihm stehe die [X.] zu.

Er hat zuletzt beantragt,

        

den [X.]n zu verurteilen, an ihn 19.650,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf [X.]rozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. Mai 2009 zu zahlen.

Der [X.] hat zur Begründung seines Klageabweisungsantrags ua. vorgetragen, die [X.] sei keine Masseverbindlichkeit, sondern eine Insolvenzforderung. Die Forderung sei am 31. März 2009, 24:00 Uhr, entstanden, während das Insolvenzverfahren erst am 1. April 2009, 9:00 Uhr, eröffnet worden sei.

Der [X.] hat den Streithelfern zu 1. und 2. mit Schriftsatz vom 8. September 2009 den Streit verkündet. Diese sind dem Rechtsstreit auf [X.]nseite beigetreten.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision des [X.] ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen.

A. Die Klage ist zulässig.

I. Der Kläger beruft sich darauf, dass der Anspruch auf die [X.] eine Masseverbindlichkeit sei. Sollte der Anspruch demgegenüber als Insolvenzforderung zu bewerten sein, führte dies nicht zur Unzulässigkeit, sondern zur Unbegründetheit der Klage (vgl. [X.] 21. Februar 2013 - 6 [X.] - Rn. 17 f.).

[X.]. Die Klage ist auch nicht deshalb unzulässig, weil der Kläger seinen Anspruch auf die [X.] nach § 174 [X.] als Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle angemeldet und der Beklagte den Anspruch bestritten hat. Die [X.] zur Tabelle festgestellter Forderungen beschränkt sich nach § 178 Abs. 3 [X.] auf Insolvenzforderungen. Die vorsorgliche oder irrtümliche Anmeldung einer Forderung zur Tabelle steht einer Geltendmachung dieser Forderung auch als Masseverbindlichkeit daher nicht entgegen (vgl. [X.] 4. Dezember 2002 - 10 [X.] - zu [X.] 1 a der Gründe, [X.]E 104, 94).

B. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat den Anspruch auf die [X.] erworben. Das [X.] hat jedoch zutreffend angenommen, dass es sich bei dem Anspruch auf die [X.] um eine Insolvenzforderung und nicht um eine Masseverbindlichkeit handelt.

I. Der Anspruch auf die zum 31. März 2009 zugesagte [X.] ist entstanden.

1. Der Kläger hat - soweit ersichtlich - auf das Schreiben vom 21. Oktober 2008 nicht reagiert. Insbesondere hat er das darin liegende Angebot, eine [X.] zu den dargelegten Bedingungen zu zahlen, nicht ausdrücklich angenommen. Einer solchen ausdrücklichen Annahme bedurfte es jedoch nicht. Er hat das Angebot einer [X.] nicht ausdrücklich abgelehnt. Darin liegt der erforderliche unzweideutige [X.]. Dadurch ist eine Vereinbarung über eine solche Prämie zu den Konditionen des Schreibens vom 21. Oktober 2008 nach § 151 Satz 1 BGB zustande gekommen, weil die Zusage einer [X.] für den Kläger lediglich rechtlich vorteilhaft war (vgl. [X.] 22. Juli 2010 - I [X.] - Rn. 23). Der Kläger wurde dadurch nicht in seiner Kündigungsfreiheit beeinträchtigt. Er behielt die volle Wahlfreiheit, ob und wann er das Risiko einer Insolvenz mit den sich daraus ergebenden nachteiligen Entgeltfolgen und dem drohenden Verlust des Arbeitsplatzes nicht länger eingehen, sondern die Verdienstchancen bei einem Arbeitsplatzwechsel der [X.] vorziehen wollte. Auf die Gegenleistung für schon erbrachte Arbeit musste er bei einer Entscheidung, das Arbeitsverhältnis durch Kündigung zu beenden, nicht verzichten (vgl. [X.] 18. Januar 2012 - 10 [X.] - Rn. 28, [X.]E 140, 231).

2. Die Vereinbarung über die [X.] ist wirksam.

a) Sie ist nicht nach § 134 BGB bzw. § 119 [X.] nichtig. Sie beschränkt das Recht der Schuldnerin bzw. des Beklagten zur außerordentlichen Kündigung nicht unzulässig.

aa) Die Vereinbarung aufgrund des Vertragsangebots vom 21. Oktober 2008 ist nicht gemäß § 134 BGB nichtig. Zwar darf die Ausübung des Kündigungsrechts nicht durch die Verpflichtung zur Zahlung einer Abfindung, die auch dann zu zahlen ist, wenn der [X.] selbst den Kündigungsgrund schuldhaft gesetzt hat, unzumutbar erschwert werden (vgl. [X.] 8. August 1963 - 5 [X.] - zu I 2 der Gründe, [X.]E 14, 294; [X.] 17. März 2008 - [X.] ZR 239/06 - Rn. 16; 3. Juli 2000 - [X.] [X.] - zu 2 der Gründe; für eine Vertragsstrafe bereits [X.] 15. Februar 1911 - I 387/10 - [X.]Z 75, 234, 238; [X.]. [X.] BGB § 626 Kündigungserschwerung Nr. 2). Eine nach diesen Maßstäben unzumutbare Kündigungserschwerung für die Schuldnerin oder den Beklagten enthielt die Regelung aufgrund der Zusage vom 21. Oktober 2008 jedoch nicht. Der Anspruch auf die [X.] setzte allein voraus, dass der Kläger bis zu dem im Schreiben vom 21. Oktober 2008 genannten Stichtag des 31. März 2009 keine Eigenkündigung erklärt hatte. Es hing allein vom Willen des [X.] ab, ob die [X.] zu zahlen war. Die Schuldnerin oder der Beklagte konnte das Entstehen des Anspruchs auf die [X.] durch ihr bzw. sein eigenes Verhalten nicht verhindern. [X.] der Kläger nicht, entstand der Anspruch auf die [X.] unabhängig davon, ob die Schuldnerin oder der Beklagte (außerordentlich) kündigte oder eine solche Erklärung unterließ. Ihre Entschließungsfreiheit, das Arbeitsverhältnis außerordentlich zu beenden, wurde durch die [X.] nicht beeinträchtigt.

bb) Die Vereinbarung ist auch nicht gemäß § 119 [X.] unwirksam. Diese Bestimmung stellt sicher, dass gegenseitige Verträge in der Insolvenz nach der Systematik der §§ 103 bis 118 [X.] abgewickelt werden ([X.]/[X.] 2. Aufl. § 119 Rn. 2; [X.]/[X.] 13. Aufl. § 119 [X.] Rn. 1). Anders als insolvenzabhängige [X.] (dazu [X.] 15. November 2012 - [X.] - Rn. 13 ff., [X.]Z 195, 348) griff die Vereinbarung aufgrund der Zusage vom 21. Oktober 2008 in die Gestaltungsrechte des Beklagten nach §§ 103 ff. [X.] nicht ein. Sie beschränkte insbesondere sein Kündigungsrecht rechtlich nicht und beeinträchtigte, wie ausgeführt, seine Entschließungsfreiheit nicht, weil eine Kündigung des Beklagten den Anspruch auf die [X.] nicht auslöste. Für die vorliegende Konstellation sieht die Insolvenzordnung allein die Anfechtungsrechte der §§ 130 ff. [X.] vor.

b) Auch die Kündigungsfreiheit des [X.] wurde durch die Vereinbarung über die [X.] nicht unzulässig beeinträchtigt. Es kann daher dahinstehen, ob die Vereinbarung insgesamt gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam wäre, wenn sie eine unangemessene Benachteiligung des [X.] iSv. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB enthielte, weil sie ohne eine Bindung des [X.] bis zu dem Stichtag des 31. März 2009 sinnentleert wäre.

aa) Das [X.] hat nicht festgestellt, ob es sich bei den im Schreiben vom 21. Oktober 2008 enthaltenen Bestimmungen um Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt. Das ist jedoch offenkundig iSv. § 291 ZPO. Von einer Verwendungsabsicht für eine Vielzahl von Verträgen iSd. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB ist auszugehen, wenn ein Text in mindestens drei Fällen zur Grundlage von Vertragsbedingungen gemacht wird ([X.] 18. Januar 2012 - 10 [X.] - Rn. 14, [X.]E 140, 231). Es ist ohne besondere Fachkunde allein anhand allgemein zugänglicher, zuverlässiger Quellen (vgl. [X.] 23. August 2011 - 3 [X.]/09 - Rn. 53, [X.]E 139, 69) festzustellen, dass die Schuldnerin im Oktober 2008 vergleichbare Prämien in deutlich mehr als drei Fällen zugesagt hat. Die einschlägigen Entscheidungen, insbesondere des [X.]s München, können über eine Recherche mit Hilfe allgemein gebräuchlicher Suchmaschinen oder direkt auf der Homepage des [X.]s München ohne Weiteres ermittelt werden.

bb) Sieht eine Allgemeine Geschäftsbedingung eine Bindungsklausel vor, die den Anspruch auf eine Sonderzahlung, die jedenfalls auch Vergütung bereits erbrachter Arbeitsleistung ist, daran knüpft, dass das Arbeitsverhältnis zu einem [X.]punkt außerhalb des Bezugszeitraums, in dem die Arbeitsleistung erbracht wurde, fortbesteht, ist die Klausel nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam. Eine solche Klausel steht im Widerspruch zum Grundgedanken des § 611 Abs. 1 BGB, weil sie dem Arbeitnehmer bereits erarbeitetes Entgelt entzieht. Sie verkürzt außerdem in nicht zu rechtfertigender Weise die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit des Arbeitnehmers, indem sie die Ausübung seines Kündigungsrechts unzulässig erschwert. Seine entgegenstehende Rechtsprechung ([X.] 28. März 2007 - 10 [X.] - Rn. 18) hat der Zehnte Senat des [X.] aufgegeben ([X.] 18. Januar 2012 - 10 [X.] - Rn. 22, 27 f., [X.]E 140, 231; im [X.] an [X.] 5. Juli 2011 - 1 [X.] - Rn. 28, 39, 43; 7. Juni 2011 - 1 [X.] 807/09 - Rn. 34).

Entgegen einer im Schrifttum vertretenen Ansicht ([X.] 2012, 1642, 1644 zu [X.]. 17) steht diese Rechtsprechung nicht im Widerspruch zu der Entscheidung des Senats vom 7. Dezember 1989 (- 6 [X.] 324/88 - zu [X.] 2 b und [X.] 3 c der Gründe, [X.]E 63, 385). Diese Entscheidung betraf eine tarifliche Sonderzahlung. Einer [X.] unterliegen Tarifnormen gemäß § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB nicht. Ebenso wenig sind sie einer Kontrolle unmittelbar am Maßstab von Art. 12 Abs. 1 GG zu unterziehen. Außerhalb von Verstößen gegen Art. 3 und Art. 6 GG sind Tarifnormen nur darauf zu überprüfen, ob sie gegen elementare Gerechtigkeitsanforderungen aus den Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 GG verstoßen ([X.] 28. Mai 2009 - 6 [X.] 144/08 - Rn. 29 f.).

cc) Dem Arbeitgeber ist es dagegen durch § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht verwehrt, Betriebstreue zu honorieren, so einen finanziellen Anreiz für den Verbleib im Arbeitsverhältnis zu setzen und dem Arbeitnehmer deutlich zu machen, welchen Wert für ihn dessen Verbleib im Arbeitsverhältnis und damit der Bestand des Arbeitsverhältnisses als solcher darstellt (vgl. [X.] 18. Januar 2012 - 10 [X.] - Rn. 28, [X.]E 140, 231; 18. Januar 2012 - 10 [X.] 667/10 - Rn. 13, [X.]E 140, 239; kritisch [X.] 2012, 1642, 1644, der diese Unterscheidung als gekünstelt bezeichnet).

dd) Nach diesen Grundsätzen steht § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB der Wirksamkeit der Vereinbarung einer [X.] nicht entgegen. Der Kläger sollte nach dem Verbleib im Arbeitsverhältnis für etwas mehr als fünf Monate ein Viertel seines garantierten [X.] als [X.] erhalten. Dies beeinträchtigte ihn, wie ausgeführt, nicht in seiner Kündigungsfreiheit. Ungeachtet ihrer Höhe war die Prämie auch kein (verkapptes) Arbeitsentgelt, sondern sollte vor dem Hintergrund der schwierigen wirtschaftlichen Situation der Schuldnerin einen Anreiz für den Kläger schaffen, sein Kündigungsrecht trotz der finanziellen Schwierigkeiten der Schuldnerin nicht auszuüben und betriebstreu zu bleiben, also seine Betriebstreue honorieren. Die [X.] wurde für den bloßen Verbleib des [X.] im Arbeitsverhältnis zugesagt (vgl. [X.] 14. November 2012 - 10 [X.] 3/12 - Rn. 32 für eine von der Schuldnerin erteilte Zusage einer [X.], die sich nur in der Höhe von der vorliegenden unterschied).

3. Der Kläger verblieb bis zum 31. März 2009 im Arbeitsverhältnis.

[X.]. Das [X.] ist jedoch zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei dem Anspruch auf die [X.] um eine Insolvenzforderung iSv. §§ 38, 108 Abs. 3 [X.] und nicht um eine Masseverbindlichkeit iSv. §§ 53, 55 Abs. 1 oder Abs. 2 [X.] handelt.

1. Die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 1 [X.] sind für den erhobenen [X.] auf die [X.] nicht erfüllt. Von dieser Vorschrift werden Ansprüche erfasst, die der Insolvenzverwalter in seiner Funktion als Partei kraft Amtes selbst begründet. Werden Ansprüche dagegen - wie hier - durch Vereinbarungen des Schuldners vor Insolvenzeröffnung begründet, handelt es sich auch für den [X.]raum nach Insolvenzeröffnung nicht um Masseverbindlichkeiten iSv. § 55 Abs. 1 Nr. 1 [X.] (vgl. [X.] 21. Februar 2013 - 6 [X.] - Rn. 23).

2. Der Anspruch auf die [X.] ist auch keine Masseverbindlichkeit iSv. § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 [X.]. Danach sind Masseverbindlichkeiten alle Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen, soweit deren Erfüllung für die [X.] nach Insolvenzeröffnung erfolgen muss.

a) Die Einordnung eines Entgeltanspruchs als Masseverbindlichkeit iSd. § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 [X.] setzt voraus, dass eine Leistung mit Entgeltcharakter vorliegt. Das folgt aus dem Zweck der Vorschrift, die sicherstellt, dass der Gläubiger, der noch voll zur Masse leisten muss, auch die volle vereinbarte Gegenleistung erhält und nicht die Masse auf seine Kosten bereichert wird ([X.] 14. November 2012 - 10 [X.] 3/12 - Rn. 17), sowie aus dem systematischen Zusammenhang des § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 [X.] mit § 108 Abs. 3 [X.]. Eine tatsächliche Arbeitsleistung ist dabei nicht zwingend erforderlich ([X.] 19. Juli 2007 - 6 [X.] 1087/06 - Rn. 19, [X.]E 123, 269). Darüber hinaus muss der geltend gemachte Anspruch erst nach Verfahrenseröffnung entstanden sein ([X.] 19. Januar 2006 - 6 [X.] 529/04 - Rn. 18, [X.]E 117, 1). Voraussetzung für die Anerkennung als Masseverbindlichkeit ist demnach grundsätzlich, dass der Anspruch in einem zumindest teilweise synallagmatischen Verhältnis zu der erbrachten Arbeitsleistung steht. Es muss im weitesten Sinne Entgelt „für die [X.]“ nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschuldet sein. Demgegenüber genügt es nicht, dass die Forderung erst nach Eröffnung des Verfahrens fällig wird, also erst „in der [X.]“ nach Verfahrenseröffnung erfüllt werden muss ([X.] 21. Februar 2013 - 6 [X.] - Rn. 28 f.). Auch Leistungen, die nur vom Bestand des Arbeitsverhältnisses zu einem bestimmten Stichtag abhängen, können danach Masseverbindlichkeiten sein (vgl. [X.] 27. September 2007 - 6 [X.] 975/06 - Rn. 20, [X.]E 124, 150).

b) Nach diesen Grundsätzen war der streitbefangene Anspruch auf die [X.] keine Masseverbindlichkeit iSd. § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 [X.].

aa) Ob Sonderleistungen, dh. Zuwendungen zum laufenden Arbeitsentgelt ([X.]/Hefermehl 3. Aufl. § 55 Rn. 180), als Insolvenzforderungen oder Masseverbindlichkeiten einzuordnen sind, hängt vom Zweck der Leistungen ab ([X.] 27. September 2007 - 6 [X.] 975/06 - Rn. 19, [X.]E 124, 150).

bb) Die [X.] sollte stichtagsbezogen die erwiesene Betriebstreue honorieren. Der Anspruch auf die Prämie war zwar nur abhängig vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, dh. eines auf den Austausch von Leistung und Gegenleistung gerichteten Dauerschuldverhältnisses. Der maßgebende Stichtag des 31. März 2009 lag jedoch vor Insolvenzeröffnung. Der Anspruch auf die [X.] war bereits am 31. März 2009, 24:00 Uhr, entstanden. Zu diesem [X.]punkt waren alle Voraussetzungen des Anspruchs erfüllt. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgte demgegenüber erst am 1. April 2009, 9:00 Uhr.

3. Die [X.] ist ferner nicht nach § 55 Abs. 2 Satz 2 [X.] als Masseverbindlichkeit einzuordnen.

a) Danach sind Masseverbindlichkeiten Verbindlichkeiten aus einem Dauerschuldverhältnis, soweit der vorläufige Insolvenzverwalter für das von ihm verwaltete Vermögen die Gegenleistung in Anspruch genommen hat. Der Kläger verzichtete zwar auch im Stadium der vorläufigen Insolvenzverwaltung auf eine Kündigung. § 55 Abs. 2 Satz 2 [X.] bezieht sich aber allein auf eine Leistung an den sog. „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis iSv. § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 iVm. § 22 Abs. 1 Satz 1 [X.].

aa) § 55 Abs. 2 Satz 2 [X.] knüpft nach seinem Wortlaut an § 55 Abs. 2 Satz 1 [X.] an. § 55 Abs. 2 Satz 1 [X.] regelt die Verbindlichkeiten, die vom vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis begründet worden sind. § 55 Abs. 2 Satz 2 [X.] bezieht sich darauf mit der Verweisung „Gleiches gilt ...“. Die Gesetzesbegründung des § 55 Abs. 2 [X.] unterscheidet mit Blick auf die Qualität als Masseverbindlichkeit nicht zwischen den in beiden Sätzen dieses Absatzes geregelten Fällen (vgl. BT-Drucks. 12/2443 S. 126 zu § 64). Vielmehr stellt sie hinsichtlich des Schutzzwecks ausdrücklich „Personen, die Geschäfte mit einem vorläufigen Insolvenzverwalter abschließen“ (Satz 1), mit denen gleich, die „ihm gegenüber ein Dauerschuldverhältnis erfüllen“ (Satz 2). Damit kann nur der in Satz 1 ausdrücklich erwähnte „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter gemeint sein (vgl. [X.] 18. Juli 2002 - [X.]/01 - zu [X.]I 2 a der Gründe, [X.]Z 151, 353).

bb) Die Entstehungsgeschichte und der Zweck der Norm bestätigen diese Auslegung. Sonst käme es zu einer vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten Besserstellung einzelner Gläubiger, die während des Eröffnungsverfahrens vorleisten. Unter Geltung des § 106 Abs. 1 Satz 2 und 3 KO entsprach es ständiger Rechtsprechung, dass der während des Eröffnungsverfahrens bestellte Sequester keine Masseschulden begründen konnte. Auch die Insolvenzmasse soll nicht weiter haften, als der Insolvenzverwalter zu rechtsgeschäftlichem Handeln befugt ist. Nur aufgrund eines allgemeinen Verfügungsverbots kann der vorläufige Insolvenzverwalter nach § 22 Abs. 1 Satz 1 [X.] umfassend für den Schuldner handeln. Dagegen bewirkt der Zustimmungsvorbehalt des § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 [X.] ohne ergänzende gerichtliche Anordnungen lediglich, dass der vorläufige Insolvenzverwalter wirksame rechtsgeschäftliche Verfügungen des Schuldners verhindern kann (vgl. [X.] 18. Juli 2002 - [X.]/01 - zu [X.]I 2 b und c der Gründe mwN, [X.]Z 151, 353). § 55 Abs. 2 [X.] betrifft demnach ausschließlich Rechtshandlungen eines vorläufigen Insolvenzverwalters, auf den die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übergegangen ist. Die Vorschrift ist weder unmittelbar noch entsprechend auf Rechtshandlungen eines vorläufigen Insolvenzverwalters ohne begleitendes allgemeines Verfügungsverbot anzuwenden (vgl. [X.] 24. Januar 2008 -  [X.]/06  - Rn. 9 mwN).

b) Der Beklagte war nur ein sog. „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter. Zu seinen Gunsten wurde ein Zustimmungsvorbehalt iSv. § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 [X.] angeordnet. Ihm wurde aber nicht die Verfügungsbefugnis über das Vermögen der Schuldnerin übertragen. Der Beklagte war im Eröffnungsverfahren deswegen nicht vorläufiger Insolvenzverwalter iSv. § 55 Abs. 2 Satz 2 [X.].

4. Zugunsten des [X.] besteht schließlich kein als Masseverbindlichkeit iSv. § 55 Abs. 1 Nr. 1 [X.] einzuordnender Schadensersatzanspruch in Höhe der [X.].

a) Rechtsverletzungen des Insolvenzverwalters, die außerhalb der Insolvenz einen Schadensersatzanspruch begründen, führen zu Masseverbindlichkeiten iSv. § 55 Abs. 1 Nr. 1 [X.], wenn der Insolvenzverwalter sie in seinem Wirkungskreis begeht (vgl. [X.]/[X.] 13. Aufl. § 55 [X.] Rn. 23).

b) Ein solcher Anspruch besteht nicht.

aa) Die Revision rügt die Verletzung einer Hinweispflicht durch den Beklagten. Der Beklagte habe die Betriebstreue des [X.] nicht entgegennehmen dürfen, ohne darauf hinzuweisen, dass er nicht gewillt sei, die Prämienzusage vom 21. Oktober 2008 zu erfüllen.

bb) Diese Argumentation lässt außer [X.], dass der Beklagte als vorläufiger Insolvenzverwalter mit bloßem Zustimmungsvorbehalt nicht in die Arbeitgeberstellung eingerückt war. Für die Dauer des vorläufigen Insolvenzverfahrens trafen ihn gegenüber dem Kläger keine arbeitsvertraglichen Nebenpflichten, die einen Schadensersatzanspruch hätten begründen können. Auch die Verletzung einer gesetzlichen Hinweispflicht durch den Beklagten in seiner Eigenschaft als vorläufiger Insolvenzverwalter ist nicht ersichtlich.

C. Der Kläger hat die Kosten der Revision sowie die Kosten dritter Instanz der Streithelfer zu 1. und 2. zu tragen (§ 97 Abs. 1, § 101 Abs. 1 ZPO). Arbeitsgericht und [X.] haben entgegen § 101 Abs. 1 ZPO nicht über die Kosten der Streithilfe entschieden. Die Entscheidungen können im Kostenpunkt nicht ergänzt werden, weil der nach § 321 Abs. 2 ZPO erforderliche Antrag nicht gestellt worden ist (vgl. zu der grundsätzlich möglichen Urteilsergänzung im Fall der Nebenintervention [X.] 2. Dezember 2004 - IX ZR 422/99 -).

        

    Fischermeier    

        

    Gallner    

        

    Spelge    

        

        

        

    Lorenz    

        

    Wollensak    

                 

Meta

6 AZR 953/11

12.09.2013

Bundesarbeitsgericht 6. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG München, 18. Januar 2011, Az: 35 Ca 16952/09, Urteil

§ 38 InsO, § 53 InsO, § 55 Abs 1 Nr 1 InsO, § 55 Abs 1 Nr 2 Alt 2 InsO, § 55 Abs 2 S 2 InsO, § 108 Abs 3 InsO

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.09.2013, Az. 6 AZR 953/11 (REWIS RS 2013, 2842)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 2842

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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