Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 05.05.2014, Az. 2 BvR 1823/13

2. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2014, 5913

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Teilweise stattgebender Kammerbeschluss: unzureichende Gewährung effektiven Rechtsschutzes im fachgerichtlichen Eilverfahren durch mangelnde Sachaufklärung - Anspruch eines Strafgefangenen auf Krankenbehandlung (§ 58 StVollzG) - hier: Verletzung der Grundrechte eines Strafgefangenen aus Art 2 Abs 2 S 1 GG iVm Art 20 Abs 3 GG und Art 19 Abs 4 GG durch unzureichende Sachaufklärung bzgl der Notwendigkeit sofortiger Krankenbehandlung


Tenor

Der Beschluss des [X.] vom 1. August 2013 - 595 [X.] - verletzt den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 und Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben.

Die Sache wird zur Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits an das [X.] zurückverwiesen.

Das [X.] hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde des strafgefangenen Beschwerdeführers betrifft seine Vorstellung in einer Augenklinik.

I.

2

1. Der Beschwerdeführer verbüßt eine Freiheitsstrafe in der [X.]. Mit Schriftsatz vom 30. Juli 2013 beantragte er beim [X.] den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur sofortigen Vorstellung in der Augenklinik der [X.]. Am 29. Juli 2013 seien beim Arbeiten in der [X.] in sein linkes Auge eingedrungen; das Auge habe sich stark entzündet. Die Sehkraft auf dem Auge schwinde. Dies sei am 29. und 30. Juli 2013 der [X.] worden. Der Anstaltsarzt habe für den Fall der Verschlechterung sofortige Vorstellung bei der Augenklinik angewiesen, da die [X.] und das Entfernen des Fremdkörpers "durch die Mittel des Vollzugs nicht zu beheben" seien. Der Beschwerdeführer beantragte, sofort zu handeln, da die Schwellung sich im Bereich des [X.] befinde, der nur auf einer Silikonplatte liege und sich stark entzünde. Der Verlust des linken Auges sei nicht hinnehmbar.

3

Mit angegriffenem Beschluss vom 1. August 2013 verwarf das [X.] den Antrag kostenfällig und setzte den Streitwert auf 600 Euro fest. Eine vorläufige Zustandsregelung erscheine weder zur Abwendung eines dem Beschwerdeführer drohenden unverhältnismäßigen Nachteils noch aus anderen vorgreiflichen Gründen geboten. Die Vorstellung in der Arztgeschäftsstelle sei am [X.] erfolgt. Der Arzt habe nach den Angaben des Beschwerdeführers eine sofortige Vorstellung in der Augenklinik für den Fall der Verschlechterung angewiesen. Eine solche Verschlechterung sei nicht vorgetragen. Der Zustand der "starken Entzündung" habe nach dem Vortrag des Beschwerdeführers auch schon während der Vorstellung in der Arztgeschäftsstelle bestanden.

4

2. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Beschluss Gegenvorstellung und rügte, dass keine Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt eingeholt worden sei. Das [X.] habe billigend in Kauf genommen, dass durch die Behandlungsverweigerung der Vollzugsbehörde ein immaterieller Schaden am Auge eintrete. Der Arbeitsunfall habe sich am 29. Juli 2013 ereignet, gleichwohl sei er erst am 1. August 2013 in der Augenklinik vorgestellt worden.

5

Das [X.] verwarf die Gegenvorstellung mit nicht angegriffenem Beschluss vom 14. August 2013. Gegenvorstellungen gegen rechtskräftige Entscheidungen seien ausgeschlossen.

6

3. a) Mit der am 15. August 2013 rechtzeitig eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen den seinen Eilantrag ablehnenden Beschluss des [X.]s. Dieser verletze Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG, § 58 [X.] und Art. 3 [X.]. Die Verweigerung der Behandlung durch Justizvollzugsanstalt und [X.] habe zum Verlust des linken Augenlichts geführt; die Sehkraft betrage dort nur noch zehn Prozent. Der Vorfall mit seinem Auge habe sich am 29. Juli 2013 ereignet. Dennoch sei er erst am 1. August 2013 ins Krankenhaus ausgeführt worden. Zudem sei aktenkundig und der Strafvollstreckungskammer bekannt, dass eine HNO-Ärztin der [X.] bereits am 17. August 2012 eine lebensnotwendige [X.] angeordnet habe, da das linke Auge bei nochmaliger Entzündung der verschlossenen [X.] verloren gehen würde. Dies sei nun eingetreten.

7

b) Mitweiterem Schriftsatz vom 24. August 2013 wendet sich der Beschwerdeführer darüber hinaus gegen den im Rubrum bezeichneten Beschluss des [X.], mit dem eine Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung in dem angegriffenen Beschluss des [X.]s als unzulässig verworfen wurde, weil der [X.] des § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG in Höhe von 200 Euro nicht erreicht worden sei; bei einem Streitwert von 600 Euro ergebe sich eine Gebühr von 26,50 Euro. Der Beschwerdeführer sieht sich hier in seinen Rechten aus Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 3, 6 und 13 [X.] verletzt.

8

c) Einen mit der Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des [X.]s verbundenen Eilantrag hat das [X.] abgelehnt, da der Beschwerdeführer nach seinem eigenen Vorbringen zwischenzeitlich - am 1. August 2013 - die begehrte Ausführung in die Augenklinik erhalten hatte ([X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 13. September 2013 - 2 BvR 1823/13 -).

9

4. a) Die [X.] [X.] hält die Verfassungsbeschwerde für nicht begründet. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen die Gerichtsbeschlüsse wende, werde bereits nicht die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts gerügt. Es sei nicht ersichtlich, inwiefern die Bedeutung und Tragweite von Grundrechten des Beschwerdeführers grundsätzlich verkannt worden sein sollte. Jedenfalls sei er weder durch das Vorgehen der Justizvollzugsanstalt noch durch die gerichtlichen Entscheidungen in seinen Grundrechten verletzt. Sein Vorbringen zu seinem Gesundheitszustand und zu den Vorgängen in der [X.] sei schlicht unzutreffend. Nach Auskunft des zuständigen Arztes der Justizvollzugsanstalt habe es weder einen Verlust des Augenlichtes gegeben, noch seien dem Beschwerdeführer notwendige Behandlungsmaßnahmen versagt worden. Vielmehr sei der Beschwerdeführer, ohne dass dafür eine zwingende medizinische oder gesetzliche Veranlassung vorgelegen habe, in dieser Angelegenheit sogar mehrfach in externe Krankenhäuser ausgeführt worden. In einem Fall sei es zu der von dem Beschwerdeführer selbst immer wieder geforderten [X.] deshalb nicht gekommen, weil dieser mit den Modalitäten der Ausführung nicht einverstanden gewesen sei. Nach Einschätzung des Arztes sei der Beschwerdeführer nicht in der Lage, seine gesundheitlichen Beschwerden, die notwendigen medizinischen Maßnahmen, deren "Dringlichkeit" sowie die Belange der Justizvollzugsanstalt in einen rationalen Zusammenhang zu bringen. Insgesamt scheine der Beschwerdeführer sich häufig in seinem Redefluss von medizinischen und juristischen Floskeln zu verrennen, deren Inhalt er selbst kaum überblicken könne. Trotz einer andauernden Verweigerungshaltung und mangelnder Zugänglichkeit des Beschwerdeführers für sachliche Argumente würden ihm alle sinnvollen medizinischen Maßnahmen zuteil, und es werde immer wieder mit hohem Aufwand um sein Verständnis für das dazu notwendige Prozedere geworben.

b) Der Beschwerdeführer hat hierauf erwidert, der Sachvortrag der Senatsverwaltung sei unwahr. Seit dem 17. August 2012 werde ihm eine HNO-[X.] verweigert. Die Sehkraft auf seinem linken Auge betrage sieben Prozent, und er sehe laufend Doppelbilder. Der Anstaltsarzt verweigere ihm seit 18 Monaten eine Behandlung.

II.

1. Soweit der Beschwerdeführer sich gegen den die Streitwertbeschwerde verwerfenden Beschluss des [X.] wendet, wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Insoweit wird von einer Begründung abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 [X.]G).

2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]G). Die Voraussetzungen für eine stattgebende [X.] (§ 93c Abs. 1 [X.]G) liegen vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Grundsätze sind in der Rechtsprechung des [X.]s geklärt (s.u. a), b)). Nach diesen Grundsätzen ist die Verfassungsbeschwerde, soweit sie den angegriffenen Beschluss des [X.]s betrifft, zulässig (a)) und in einem die Zuständigkeit der Kammer begründenden Sinne offensichtlich begründet (b)).

a) Zur Erschöpfung des Rechtswegs (§ 90 Abs. 2 Satz 1 [X.]G) genügt es, dass der Beschwerdeführer den Rechtsweg im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erschöpft hat. Auf die vorherige Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache muss er sich nicht verweisen lassen, da die Verfassungsbeschwerde die Frage einer Verletzung speziell des grundrechtlichen Anspruchs auf effektiven Eilrechtsschutz aufwirft (vgl. [X.]E 35, 382 <397 f.>; 59, 63 <83 f.>; 104, 65 <70 f.>).

Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht auch nicht ein fehlendes Rechtsschutzinteresse im Hinblick darauf entgegen, dass der Beschwerdeführer nach seinem Vortrag am 1. August 2013 in der Augenklinik vorgestellt wurde und das im fachgerichtlichen Verfahren verfolgte Begehren sich somit erledigt hat. Wenn, wie hier, eine besonders schwerwiegende Grundrechtsbeeinträchtigung in Rede steht, entfällt das Rechtsschutzinteresse nicht durch die Erledigung des ursprünglichen [X.](vgl. [X.]E 104, 220 <232>; 107, 299 <338>; 109, 279 <372>; 110, 77 <88>).

b) Der angegriffene Beschluss des [X.]s verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 19 Abs. 4 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.

aa) Aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes ergeben sich Anforderungen an die Auslegung und Anwendung der jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen über den Eilrechtsschutz (vgl. [X.]E 49, 220 <226>; 77, 275 <284>). Dieser muss darauf ausgerichtet sein, dass der Rechtsschutz sich auch im Eilverfahren nicht in der bloßen Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts erschöpft, sondern zu einer wirksamen Kontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht führt (vgl. [X.]E 40, 272 <275>; 61, 82 <111>; 67, 43 <58>; [X.]K 1, 201 <204 f.>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 3. Dezember 2013 - 2 BvR 2299/13 -, NStZ-RR 2014, [X.]).

Bei Vornahmesachen verlangt Art. 19 Abs. 4 GG, jedenfalls sofern nicht Gründe von noch größerem Gewicht entgegenstehen, die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, wenn anderenfalls schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. [X.]E 93, 1 <13 f.>; 79, 69 <74>; 46, 166 <177 ff.>). Im Einzelfall kann daher auch der Erlass einer einstweiligen Anordnung, die die Hauptsache zugunsten des Antragstellers vorwegnimmt, zulässig und geboten sein (vgl. [X.]E 79, 69 <77 f.>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 30. April 2008 - 2 BvR 338/08 -, juris).

Steht eine Grundrechtsverletzung in Rede, ist eine besonders intensive Prüfung geboten (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02 -, NJW 2003, S. 1236 <1237>; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 30. April 2008 - 2 BvR 338/08 -, juris, m.w.[X.]). Je schwerer die sich aus einer Versagung vorläufigen Rechtsschutzes ergebenden Belastungen wiegen und je geringer die Wahrscheinlichkeit ist, dass sie im Falle des Obsiegens in der Hauptsache rückgängig gemacht werden können, umso weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition zurückgestellt werden (vgl. [X.]E 35, 382 <402>; 65, 1 <70>; 67, 43 <58>; 69, 315 <363>; 79, 69 <74>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 30. April 2008 - 2 BvR 338/08 -, juris). In jedem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 -, NVwZ 2005, S. 927 <928>; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 30. April 2008 - 2 BvR 338/08 -, juris).

Zudem ist zu beachten, dass die fachgerichtliche Überprüfung grundrechtseingreifender Maßnahmen die rechtsstaatlich gebotene Beachtung des geltenden Rechts und den effektiven Schutz der berührten materiellen Rechte nur gewährleisten kann, wenn sie auf zureichender Aufklärung des jeweiligen Sachverhalts beruht (vgl. [X.]E 101, 275 <294 f.>; [X.]K 4, 119 <127 f.>; 13, 487 <493>). Das Rechtsstaatsprinzip, die materiell berührten Grundrechte und das Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG sind verletzt, wenn grundrechtseingreifende Maßnahmen im Haftvollzug von den Gerichten ohne zureichende Sachverhaltsaufklärung als rechtmäßig bestätigt werden (vgl. [X.]K 13, 487 <493 f.>; 19, 157 <164>).

Zur Klärung der tatsächlichen Grundlagen für die erforderliche Abwägung können Maßnahmen der gerichtlichen Sachverhaltsermittlung bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes geboten sein (vgl. [X.]K 3, 135 <140>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 30. April 2008 - 2 BvR 338/08 -, juris; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 24. März 2009 - 2 BvR 2347/08 -, juris). An der notwendigen Sachverhaltsaufklärung ist ein Gericht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht durch den Grundsatz der summarischen Prüfung im Eilverfahren von vornherein gehindert; auch hier ist, jedenfalls wenn eine erhebliche Grundrechtsverletzung in Rede steht, eine Prüfung des [X.] auch in tatsächlicher Hinsicht geboten (vgl. [X.]E 79, 69 <74 f.>; 93, 1 <13 f.>; [X.]K 5, 135 <140>). Demgemäß besteht eine - durch den Charakter und die Eigenheiten des Eilverfahrens wie etwa die Eilbedürftigkeit gegebenenfalls beschränkte - Pflicht zur Ermittlung der entscheidungserheblichen Umstände (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 30. April 2008 - 2 BvR 338/08 -, juris; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 3. Dezember 2013 - 2 BvR 2299/13 -, NStZ-RR 2014, [X.], m.w.[X.]).

Bei der Anwendung dieser Grundsätze ist das besondere Gewicht des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) zu berücksichtigen (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 30. April 2008 - 2 BvR 338/08 -, juris).

Die Bestimmung des medizinisch Erforderlichen ist zwar in erster Linie Sache der ärztlichen Beurteilung. Auf Einschätzungen des Anstaltsarztes gestützte vollzugliche Entscheidungen über die medizinische Behandlung eines Gefangenen können jedoch im Hinblick auf die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht jeder gerichtlichen Kontrolle entzogen sein. Sie unterliegen der gerichtlichen Überprüfung daraufhin, ob die Grenzen pflichtgemäßen ärztlichen Ermessens überschritten wurden (vgl. zur gerichtlichen Überprüfung von Ermessensentscheidungen allgemein [X.]E 113, 273 <310 f.> m.w.[X.]; für den Strafvollzug [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 29. Februar 2012 - 2 BvR 309/10 -, juris; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 15. November 2012 - 2 BvR 683/11 -, NStZ-RR 2013, [X.]).

bb) Nach diesen Maßstäben hat das [X.] den Sachverhalt im vorliegenden Fall nicht in der für die getroffene Entscheidung notwendigen Weise aufgeklärt.

Aus § 58 [X.] folgt ein - grundrechtlich durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteter - Anspruch auf Krankenbehandlung(vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 27. März 2013 - 2 BvR 2757/11 -, juris). Da Strafgefangene kein Recht auf freie Arztwahl haben, ist zunächst der Anstaltsarzt für ihre Behandlung zuständig (vgl. § 158 Abs. 1 [X.]). Erreicht der Anstaltsarzt die Grenzen seines Könnens oder der Ausstattung der Justizvollzugsanstalt, muss er jedoch einen anderen ([X.] hinzuziehen oder den Strafgefangenen zur Behandlung an einen für die betreffende Angelegenheit besser qualifizierten oder besser ausgestatteten Arzt oder an ein geeignetes Krankenhaus überweisen (vgl. [X.], in: [X.], AK-[X.], 6. Aufl. 2012, § 56 Rn. 16, § 58 Rn. 9).

Ob der Beschwerdeführer, auch unter Berücksichtigung des von den Gerichten zu respektierenden ärztlichen Entscheidungsspielraums (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 15. November 2012 - 2 BvR 683/11 -, NStZ-RR 2013, [X.], m.w.[X.]), bereits angesichts des von ihm geschilderten Krankheitsbildes einen Anspruch auf Vorstellung in einer Augenklinik hatte, hat das [X.] nicht geprüft. Mit den vom Beschwerdeführer entsprechend seinen Darlegungsobliegenheiten (vgl. [X.], Beschlüsse der [X.] des Zweiten Senats vom 16. August 1994 - 2 BvR 2171/93 -, juris, und vom 7. September 1994 - 2 BvR 1958/93 -, juris) vorgebrachten Gründen für die Erforderlichkeit einer sofortigen Vorstellung in der Augenklinik und mit der Berechtigung der ärztlichen Entscheidung, zunächst den Eintritt einer Verschlechterung abzuwarten, hat das [X.] sich nicht ansatzweise auseinandergesetzt und den Eilantrag des [X.], ohne den Hintergrund dieser Entscheidung in irgendeiner Weise aufzuklären. Für den Versuch umgehender, in der notwendigen Weise beschleunigter (vgl. [X.]K 19, 25 <31> m.w.[X.]) Aufklärung hätte umso mehr Anlass bestanden, als der grundrechtlich durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistete Anspruch auf Krankenbehandlung nicht nur zur Verhütung von Verschlimmerungen, sondern unabhängig davon zur Heilung und zur Linderung von [X.] besteht (§ 58 Satz 1 [X.]; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 27. März 2013 - 2 BvR 2757/11 -, juris) und angesichts des vom Beschwerdeführer mitgeteilten Sachverhalts nicht auszuschließen war, dass bereits das Abwarten einer weiteren Verschlechterung des Zustandes des Beschwerdeführers zu irreversiblen Schäden führen würde.

c) Die angegriffene Entscheidung des [X.]s beruht auch auf dem Grundrechtsverstoß. Es kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht bei Beachtung der verfassungsrechtlichen Anforderungen an seine Amtsaufklärung eine dem Beschwerdeführer günstigere Entscheidung getroffen hätte.

3. Die Entscheidung über die Aufhebung und Zurückverweisung beruht auf § 95 Abs. 2 [X.]G. Nachdem hinsichtlich des im fachgerichtlichen Eilverfahren verfolgten [X.] Erledigung eingetreten ist und im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eine Fortsetzungsfeststellungsentscheidung nicht in Betracht kommt (vgl. [X.], [X.], 3. Aufl. 2011, § 115 Rn. 11, m.w.[X.]), erfolgt die Zurückverweisung nur noch zur erneuten Entscheidung über die Kosten.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 [X.]G. Da die Verfassungsbeschwerde nur in einem untergeordneten, den Streitwert betreffenden Punkt nicht zur Entscheidung angenommen wird, im Wesentlichen aber Erfolg hat, ist es angemessen, dem Land die Erstattung der gesamten notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers aufzuerlegen (vgl. [X.]E 32, 1 <39>; 53, 366 <407>; [X.]K 9, 390 <399>; 19, 25 <32>).

Meta

2 BvR 1823/13

05.05.2014

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 3. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend KG Berlin, 20. August 2013, Az: 2 Ws 411/13 Vollz, Beschluss

Art 2 Abs 2 S 1 GG, Art 19 Abs 4 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 12 StVollzG, § 58 S 1 StVollzG, § 58 S 2 Nr 1 StVollzG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 05.05.2014, Az. 2 BvR 1823/13 (REWIS RS 2014, 5913)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 5913

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