Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.09.2023, Az. 1 StR 187/23

1. Strafsenat | REWIS RS 2023, 6553

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Gegenstand

Verurteilung wegen Steuerhinterziehung und Auslieferungsbewilligung


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 13. Dezember 2022 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Ergänzend ist auszuführen:

1. Ein Verfahrenshindernis steht der Verurteilung nicht entgegen. Das [X.] hat den Angeklagten wegen der Taten verurteilt, die der Auslieferung zugrunde lagen.

a) Nach Art. 14 Abs. 1 EuAlÜbk darf der Ausgelieferte wegen einer anderen, vor der Übergabe begangenen Handlung als derjenigen, die der Auslieferung zugrunde liegt, nur abgeurteilt werden, wenn der Staat, der ihn ausgeliefert hat, zustimmt (Art. 14 Abs. 1 Buchst. a EuAlÜbk) oder wenn nach Verstreichen der Schonfrist des Art. 14 Abs. 1 Buchst. [X.] die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Eine „andere Tat“ ist nicht anzunehmen, wenn sich die Angaben in der [X.] und diejenigen im späteren Urteil hinreichend entsprechen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 2. November 2010 – 1 [X.] Rn. 14 und vom 4. Dezember 2013 – 1 [X.], [X.]St 59, 105 Rn. 14). Der dem Spezialitätsgrundsatz zugrunde liegende Tatbegriff umfasst den gesamten dem [X.] mitgeteilten Lebenssachverhalt, innerhalb dessen der Verfolgte einen oder mehrere Straftatbestände erfüllt haben soll (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Beschluss vom 9. Februar 2012 – 1 [X.] Rn. 15). Zwar sind die Gerichte des ersuchenden Staates im Rahmen dieses historischen Vorgangs nicht gehindert, die Tat abweichend rechtlich oder tatsächlich zu würdigen; dies setzt aber voraus, dass insofern ebenfalls Auslieferungsfähigkeit besteht. Eine Änderung in der Rechtsauffassung berührt die Hoheitsinteressen des um Auslieferung ersuchten Staates regelmäßig nicht (vgl. [X.], Beschlüsse vom 9. Februar 2012 – 1 [X.], [X.]St 57, 138 Rn. 14 und vom 2. November 2010 – 1 [X.] Rn. 13).

b) Nach diesen Grundsätzen besteht – anders als die Revision meint – im Hinblick auf den Grundsatz der Spezialität kein Verfahrenshindernis. Der der Verurteilung zugrunde liegende Lebenssachverhalt entspricht demjenigen, der dem ersuchten Staat in dem ausschließlich auf den Vorwurf der Steuerhinterziehung gestützten Auslieferungsersuchen mitgeteilt und auf dessen Grundlage die Auslieferung des Angeklagten bewilligt wurde. Die Erwähnung der arglistigen Täuschung von Anlegern in dem mit dem Auslieferungsersuchen vom 23. Februar 2021 übersandten Haftbefehl des [X.]s B.   vom 25. November 2020 lässt die Identität der Tat unberührt. Denn die durch spätere Beschwerdeentscheidungen bestätigte [X.] der [X.] wurde allein auf den Vorwurf gestützt, dass der Angeklagte aus eigenem Antrieb gemäß vorgefasster Bereicherungsabsicht ein raffiniertes System aufgebaut habe, um mit der Einreichung von fingierten Kapitalertragsteuerbescheinigungen ungerechtfertigte Rückerstattungen durch den [X.] in Millionenhöhe zu erschleichen und somit das fiskalische Rückerstattungssystem der [X.] Kapitalertragsteuer planmäßig auszunutzen. Die arglistige Täuschung der Fondsanleger war – wie der [X.] zutreffend ausgeführt hat – für die [X.] ohne Belang.

c) Dass das im Auslieferungsersuchen beschriebene Verhalten des Angeklagten nach den Wertungen der [X.] nicht dem Tatbestand des dem [X.] Fiskalstrafrecht zuzuordnenden Abgabebetrugs unterfällt, weil der Angeklagte nicht „von ihm selbst geschuldete Steuern durch unrichtige Angaben (Steuerhinterziehung) oder arglistige Machenschaften (Steuerbetrug) im Veranlagungsverfahren verkürzt“ habe (vgl. [X.] vom 20. August 2021), sondern dem gemeinrechtlichen Betrug im Sinne des Art. 146 des [X.] Strafgesetzbuchs, ist unerheblich. Für die Wahrung der Identität der Tat ist weder erforderlich, dass der Straftatbestand im Recht des ersuchten Staates seiner Bezeichnung nach dem des ersuchenden Staates entspricht, noch kommt es darauf an, dass er nach seinen Tatbestandsmerkmalen vergleichbar ist (vgl. auch [X.], Beschluss vom 4. Dezember 2013 – 1 [X.], [X.]St 59, 105 Rn. 16). Die Rechtmäßigkeit der Auslieferung durch ein anderes Land ist – verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. [X.], Beschluss vom 20. Oktober 1977 – 2 BvR 631/77, [X.]E 46, 214, 219) – von inländischen Gerichten nicht zu überprüfen (vgl. [X.], Urteil vom 16. Januar 1963 – 2 [X.], [X.]St 18, 218, 220). Fragen der Auslegung und Anwendung des [X.] Rechts muss der Senat daher genauso wenig nachgehen wie der Frage, ob die [X.] den Angeklagten auch ausgeliefert hätte, wenn sie das ihm vorgeworfene Verhalten allein als fiskalische strafbare Handlung (vgl. Art. 5 EuAlÜbk) gewertet hätte.

d) Entgegen der Revision ist auch der Fall einer abweichenden rechtlichen Würdigung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 EuAlÜbk nicht gegeben. Die rechtliche Würdigung als Steuerhinterziehung (§ [X.]) ist gegenüber dem Auslieferungsersuchen unverändert. Einwendungen, die allein das gegen den Angeklagten wegen eines anderen Sachverhalts vor dem [X.] W.        geführte Steuerstrafverfahren und das dortige Auslieferungsverfahren betreffen, bedürfen hier keiner Erörterung.

2. [X.] ist – wie der [X.] im Ergebnis in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat – bereits unzulässig. Das vorgelegte Schreiben vom 20. Juli 2007 an das Finanzamt [X.]hat keinen Bezug zu den verfahrensgegenständlichen Taten. Im Übrigen sind keine Tatsachenbehauptungen erkennbar.

3. Auch die sachlich-rechtlichen Einwendungen der Revision gehen fehl.

Die Revision meint, die nach den Feststellungen des [X.]s unrichtigen Angaben zur einbehaltenen Kapitalertragsteuer seien nicht steuerlich erheblich im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 1 [X.]. Sie geht davon aus, die Finanzbehörden hätten schon aufgrund der Bezugnahme auf § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG erkennen müssen, dass keine Kapitalertragsteuer hätte angerechnet werden dürfen. Diese Auffassung trifft nicht zu. Der Senat hat in seiner Grundsatzentscheidung vom 28. Juli 2021 – 1 [X.], [X.]St 66, 182 nicht ausgeführt, dass bei [X.] eine Kapitalertragsteuererstattung schlechthin ausgeschlossen ist. Vielmehr waren derartige Zahlungen gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG (in der für die [X.]-2011 geltenden Fassung) – ebenso wie Dividenden – der Erhebung von Körperschaftsteuer durch Steuerabzug in Form von Kapitalertragsteuern nebst Solidaritätszuschlag unterworfen, welche grundsätzlich zur Anrechnung gebracht werden konnten. Indes fehlte es in den hier wie in den der Grundsatzentscheidung zugrunde liegenden Fällen an der im Gesetz (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG [X.]. § 31 [X.] [in der für die [X.]-2011 geltenden Fassung] bzw. § 11 Abs. 2 Satz 1 InvStG [in der für die [X.], 2010 geltenden Fassung]) vorausgesetzten Erhebung von Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag auf die [X.], so dass die tatsächlichen Voraussetzungen für die Steueranrechnung nicht erfüllt waren (vgl. [X.], Urteil vom 28. Juli 2021 – 1 [X.], [X.]St 66, 182 Rn. 62 ff.).

Eine Divergenz zu der Rechtsprechung des [X.] besteht nicht. In dem Urteil vom 2. Februar 2022 – [X.], [X.], 20 hat sich der [X.] vielmehr ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Senats bezogen und die darin aufgestellten Grundsätze bestätigt (Rn. 26, 62 ff.). Das [X.] gibt keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung. Das von der Revision angeführte Urteil vom 15. November 2022 – [X.], [X.], 501 erging zu einem anders gelagerten Sachverhalt und zu § 20 Abs. 2 EStG, so dass eine Divergenz von vornherein ausscheidet.

Jäger     

  

Bellay     

  

Bär

  

Leplow     

  

Munk     

  

Meta

1 StR 187/23

20.09.2023

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bonn, 13. Dezember 2022, Az: 62 KLs 2/20

Art 14 Abs 1 Buchst a EUAuslÜbk, Art 14 Abs 1 Buchst b EUAuslÜbk, Art 14 Abs 3 EUAuslÜbk, § 370 Abs 1 AO, § 36 Abs 2 Nr 2 EStG, § 31 KStG, § 11 Abs 2 S 1 InvStG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.09.2023, Az. 1 StR 187/23 (REWIS RS 2023, 6553)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 6553


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 1 StR 187/23

Bundesgerichtshof, 1 StR 187/23, 15.11.2023.

Bundesgerichtshof, 1 StR 187/23, 20.09.2023.


Az. 2 BvR 1816/23

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 1816/23, 14.02.2024.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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