Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.07.2021, Az. V ZB 71/20

5. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 4413

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Versäumte Berufungsfrist nach Einlegung der Berufung bei einem unzuständigen Gericht aufgrund fehlerhafter Rechtsmittelbelehrung und nach Hinweis des angerufenen Gerichts auf seine Unzuständigkeit


Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des [X.] vom 17. August 2020 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 2.500 €.

Gründe

I.

1

Die [X.]en sind die Mitglieder einer Teileigentümergemeinschaft. Das [X.] hat die von der Klägerin erhobene Beschlussanfechtungsklage abgewiesen. Das Urteil ist der Klägerin am 22. Januar 2020 zugestellt worden. In der Rechtsmittelbelehrung wird das [X.] als zuständiges Berufungsgericht bezeichnet. Dorthin hat die Klägerin ihre Berufung gerichtet und innerhalb verlängerter Frist begründet. Nachdem die Beklagten auf die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts hingewiesen hatten, hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 2. April 2020 vorsorglich Verweisung an das für [X.] zuständige [X.] und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. In einer der Klägerin am 22. April 2020 zugegangenen Verfügung hat das [X.] darauf hingewiesen, dass das [X.] gemäß § 72 Abs. 2 [X.] (aF) zuständiges Berufungsgericht sein dürfte, da es sich um eine Wohnungseigentumssache handele. Die Klägerin solle kurzfristig mitteilen, ob das Berufungsverfahren an das [X.] abgegeben werden solle; andernfalls dürfte die Berufung als unzulässig zu verwerfen sein. Zugleich wurde den [X.]en eine Frist zur Stellungnahme von vier Wochen eingeräumt. Die Klägerin möge, sofern sie die Abgabe beantrage, mitteilen, ob die Stellungnahme abgewartet werden solle. Mit Schriftsatz vom 23. April 2020 hat die Klägerin Verweisung an das [X.] beantragt und mitgeteilt, dass eine Stellungnahme nicht abgewartet werden solle. Nach der Abgabe sind die Akten am 10. Juni 2020 bei dem [X.] eingegangen. Dort ist das Rechtsmittel durch Beschluss als unzulässig verworfen worden. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde, mit der sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Durchführung der Berufung erreichen will.

II.

2

Das [X.] hält sich für zuständig, sieht aber die Berufungsfrist nicht als gewahrt an. Weder Wiedereinsetzung in den vorigen Stand noch Wiedereinsetzung in die [X.] sei zu gewähren. Die Klägerin habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass das [X.] die Akten innerhalb der am 6. Mai 2020 endenden [X.] an das [X.] weiterleiten werde.

III.

3

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil es an den besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Eine Entscheidung des [X.] ist weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Insbesondere ist der Zugang zur Rechtsmittelinstanz nicht in unzumutbarer, aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert worden (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 20. Januar 2011 - [X.], [X.], 488 Rn. 7 mwN).

4

1. Zutreffend ist zunächst die Annahme, dass die Berufung fristwahrend nur bei dem [X.] als dem von der Regelung des § 72 Abs. 2 [X.] aF vorgegebenen Berufungsgericht eingelegt werden konnte (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Oktober 2020 - [X.]/20, NJW-RR 2021, 140 Rn. 4 mwN); denn bei einer Beschlussanfechtungsklage handelt es sich unzweifelhaft um eine Wohnungseigentumssache gemäß § 72 Abs. 2 [X.] aF i.V.m. § 43 Nr. 1 WEG aF. Bei dem [X.] ist die Berufung erst am 10. Juni 2020 und damit nach Ablauf der Berufungsfrist eingegangen.

5

2. Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist hat das [X.] rechtsfehlerfrei versagt. Die zweiwöchige [X.] (§ 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO) endete am 6. Mai 2020, denn sie begann durch den am 22. April 2020 zugegangenen Hinweis des [X.] zu laufen (§ 234 Abs. 2 ZPO; vgl. Senat, Beschluss vom 21. Februar 2020 - [X.], NJW 2020, 1525 Rn. 17). Innerhalb der Frist ist bei dem für die Entscheidung über die Wiedereinsetzung gemäß § 237 ZPO zuständigen [X.] weder ein Wiedereinsetzungsantrag eingegangen noch ist die versäumte [X.] nachgeholt worden; die Berufungsschrift ist dort erst am 10. Juni 2020 mit den Akten eingetroffen.

6

3. Nicht zu beanstanden ist schließlich, dass der Klägerin auch die Wiedereinsetzung in die [X.] (§ 233 Satz 1, § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO) versagt worden ist. Die Klägerin war nicht im Sinne von § 233 Satz 1 ZPO ohne ihr Verschulden an der Fristwahrung gehindert. Wie das Berufungsgericht zu Recht annimmt, durfte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nicht darauf vertrauen, dass das [X.] das Verfahren so rechtzeitig abgeben werde, dass die Akten vor Ablauf des 6. Mai 2020 bei dem [X.] eintrafen. Diese Fristversäumnis ist nicht durch die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung verursacht worden, sondern sie ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin (§ 85 Abs. 2 ZPO) anzulasten.

7

a) Geklärt ist in der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, zu deren Ergänzung der Sachverhalt keinen Anlass gibt, dass der gerichtlichen Fürsorgepflicht im Interesse der Funktionsfähigkeit der Justiz enge Grenzen gesetzt sind. Nur unter besonderen Umständen kann ein Gericht gehalten sein, einer drohenden Fristversäumnis seitens der [X.] entgegenzuwirken. So darf es nicht sehenden Auges zuwarten, bis die [X.] Rechtsnachteile erleidet (vgl. [X.], Beschluss vom 20. Juni 2012 - [X.], NJW-RR 2012, 1269 Rn. 13; Beschluss vom 15. Juni 2004 - [X.], NJW-RR 2004, 1364 mwN). Deshalb darf ein Rechtssuchender darauf vertrauen, dass ein mit der Sache bereits befasstes Gericht einen bei ihm eingereichten, aber für das Rechtsmittelgericht bestimmten Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang dorthin weiterleiten wird. Geht der Schriftsatz dabei so zeitig ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, darf die [X.] auch darauf vertrauen, dass er noch fristgerecht bei dem Rechtsmittelgericht eingeht. Geschieht dies tatsächlich nicht, ist der [X.] Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unabhängig davon zu gewähren, auf welchen Gründen die fehlerhafte Einreichung beruht (vgl. Senat, Beschluss vom 1. Oktober 2015 - [X.], juris Rn. 7; Beschluss vom 28. Juni 2007 - [X.], [X.], 1640 Rn. 9 mwN).

8

b) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde sind solche besonderen Umstände, die zu einer Wiedereinsetzung in die [X.] führen könnten, nicht gegeben.

9

aa) Dem an das [X.] gerichteten Schreiben der Klägerin vom 23. April 2020 ließ sich schon nicht entnehmen, dass es dazu dienen sollte, eine fristgebundene Entscheidung des [X.] herbeizuführen. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin teilte lediglich dem [X.] mit, dass das Verfahren an das [X.] abgegeben und eine Stellungnahme nicht abgewartet werden solle. Daraus ging weder ein an das [X.] gerichteter Wiedereinsetzungsantrag hervor noch war die Eilbedürftigkeit der Abgabe durch andere Ausführungen erkennbar; auch wurde nicht auf den Schriftsatz vom 2. April 2020, der einen Wiedereinsetzungsantrag enthielt, hingewiesen und klargestellt, dass dieser Antrag nunmehr fristwahrend an das [X.] weitergeleitet werden sollte. Infolgedessen war für das [X.] in keiner Weise ersichtlich, dass die Abgabe (auch) der Wahrung der [X.] dienen sollte; es konnte davon ausgehen, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nur die formlose (und nicht eilbedürftige) Abgabe des Verfahrens (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 26. November 2020 - [X.] 151/19, [X.] 2021, 161 Rn. 11) erreichen wollte, nachdem er sich - wie es anwaltlicher Sorgfalt entsprochen hätte - direkt an das für die Wiedereinsetzung und die Berufung zuständige [X.] gewandt und die erforderlichen Anträge dort gestellt hatte.

bb) Nichts anderes ergibt sich aus dem Hinweis des [X.], wonach die Berufung als unzulässig zu verwerfen sei, wenn die Abgabe nicht beantragt werde. Das lässt sich - anders als die Rechtsbeschwerde meint - nicht so verstehen, dass das [X.] es sich zur Aufgabe machen wollte, nach beantragter Abgabe anstelle der [X.] für den fristwahrenden Eingang bei dem [X.] zu sorgen. Der Hinweis diente lediglich der gebotenen Wahrung rechtlichen Gehörs im Hinblick auf das vor dem [X.] eingeleitete Berufungsverfahren. Wäre die Abgabe nicht beantragt worden und hätte das [X.] auch keine Kenntnis von einem vor dem [X.] eingeleiteten Berufungsverfahren erlangt, hätte es die Berufung als unzulässig verwerfen müssen (vgl. Senat, Beschluss vom 26. November 2010 - [X.] 151/19, [X.] 2021, 161 Rn. 10), worauf es - wie geschehen - zuvor hinweisen musste (vgl. [X.], Beschluss vom 24. Februar 2010 - [X.] 168/08, NJW-RR 2010, 1075 Rn. 7 mwN).

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Den Gegenstandswert hat der Senat gemäß § 3 ZPO in Anlehnung an die Entscheidung des Berufungsgerichts festgesetzt.

Schmidt-Räntsch     

      

Brückner     

      

Weinland

      

Kazele     

      

[X.]     

      

Meta

V ZB 71/20

01.07.2021

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Koblenz, 17. August 2020, Az: 2 S 38/20 WEG

§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 S 1 ZPO, § 234 Abs 1 S 1 ZPO, § 234 Abs 2 ZPO, § 237 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.07.2021, Az. V ZB 71/20 (REWIS RS 2021, 4413)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 4413

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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