Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.05.2021, Az. VIII ZB 55/19

8. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 5549

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Gegenstand

Rechtsanwaltsverschulden bei Fristversäumung: Anforderungen an die abendliche Ausgangskontrolle für fristgebundene Schriftsätze


Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des 30. Zivilsenats des [X.] vom 14. August 2019 wird als unzulässig verworfen.

Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.

Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde: 14.847,66 €

Gründe

I.

1

1. Die Klägerin nimmt den Beklagten mit ihrer Klage in der Folge eines vorzeitig beendeten Leasingvertrags auf Zahlung offener Leasingraten und Schadensersatz, zusammen 5.920,61 € nebst Zinsen, in Anspruch. Der Beklagte macht gegen die Klägerin widerklagend ein seiner Meinung nach bestehendes Abrechnungsguthaben in Höhe von 8.927,05 €, zuzüglich Ersatz außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten, geltend.

2

Das [X.] hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen.

3

Gegen das ihm am 11. März 2019 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 15. März 2019 (fristgemäß) Berufung eingelegt.

4

Mit Schriftsatz vom 21. Mai 2019, eingegangen beim Berufungsgericht am selben Tag, hat der Beklagte beantragt, die am 13. Mai 2019 abgelaufene Frist für die Begründung des Rechtsmittels um einen Monat, also bis zum 13. Juni 2019, zu verlängern. Zugleich hat er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und - unterlegt durch zwei eidesstattliche Versicherungen der in der Kanzlei seines zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten angestellten Mitarbeiterinnen [X.]und [X.].   - hierzu im Einzelnen vorgetragen:

5

Sein Anwalt habe sich vom 6. bis 21. Mai 2019 in Urlaub befunden. Vorher habe dieser die über viele Jahre zuverlässig arbeitende [X.]beauftragt, beim [X.] die Berufungsbegründungsfrist um einen Monat verlängern zu lassen. Am Montag, dem 13. Mai 2019, habe Frau [X.]den Verlängerungsantrag am Vormittag gefertigt und als Word-Dokument in der [X.] abgespeichert. Noch bevor sie ihn habe ausdrucken und von einem anwesenden Anwalt unterschreiben lassen können, sei ihr so schlecht geworden, dass sie sofort habe nach [X.] fahren müssen. Dabei habe sie vor Verlassen der Kanzlei vergessen, den unerledigten Vorgang einer anderen Kanzleiangestellten zur endgültigen Erledigung zu überlassen. Hinzu sei ein Fehler einer anderen, ebenfalls über viele Jahre zuverlässig arbeitenden [X.], Frau [X.].   , gekommen. Diese sei für die Kontrolle des in Papierform geführten [X.]s zuständig. In Bezug auf den [X.] gebe es die allgemeine Kanzleianweisung an Frau [X.].   , eine Frist erst zu streichen, wenn die Erledigung der Frist entweder aus einem entsprechenden Vermerk im elektronischen [X.] hervorgehe oder vom betreffenden Sachbearbeiter oder der zuständigen Fachangestellten mitgeteilt worden sei. Frau [X.].   habe jedoch - anweisungswidrig - allein aufgrund der Existenz des Schriftsatzes in der [X.] angenommen, die Frist sei erledigt und habe die Frist daher im papiergeführten [X.] als erledigt (rot) abgehakt. Seinen Anwalt treffe daher keine Schuld, denn dieser habe eine korrekte, eine Fristversäumnis verhindernde allgemeine Anweisung erteilt, die jedoch bedauerlicherweise von den beiden über Jahre absolut zuverlässigen Mitarbeiterinnen in diesem Einzelfall nicht umgesetzt worden sei.

6

Die Berufungsbegründung ist am 13. Juni 2019 beim [X.] eingegangen.

7

2. Das Berufungsgericht hat in dem angefochtenen Beschluss vom 14. August 2019 den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und angekündigt, die Berufung wegen Versäumung der Begründungsfrist verwerfen zu wollen.

8

Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass den Prozessbevollmächtigten des Beklagten hier deshalb ein dem Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden an der Fristversäumung treffe, weil die geschilderte allgemeine Anweisung zur Fristenkontrolle nicht ausreiche, um eine Fristversäumung zuverlässig zu verhindern. Selbst wenn ein Erledigungsvermerk im elektronischen [X.] vorhanden gewesen wäre, hätte es einer Weisung des Rechtsanwalts an eine dazu beauftragte Bürokraft bedurft, die Erledigung fristgebundener Sachen am Abend eines jeden [X.] anhand des [X.]s und gegebenenfalls der Akten nochmals selbständig zu überprüfen, insbesondere dahingehend, ob die für die im [X.] als erledigt gekennzeichneten [X.]n erstellten Schriftsätze auch tatsächlich abgesandt worden seien. Denn die erneute und abschließende Überprüfung diene auch dazu festzustellen, ob möglicherweise in einer als erledigt gekennzeichneten Sache, die fristwahrende Handlung noch ausstehe. Zu letzterem sei im Wiedereinsetzungsantrag nichts vorgetragen worden; auch die eidesstattlichen Versicherungen verhielten sich dazu nicht.

9

Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.

II.

Die nach § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, da es an einem in § 574 Abs. 2 ZPO genannten Zulassungsgrund fehlt. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf noch erfordert sie eine Entscheidung des [X.] zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung.

Das Berufungsgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung an die anwaltlichen Organisationspflichten bei der Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze mit [X.] Begründung zurückgewiesen. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat es dabei den in Art. 103 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht verletzt. Insbesondere hat es bei seiner Beurteilung [X.] des [X.] in dem Wiedereinsetzungsgesuch des Beklagten zutreffend erkannt.

1. Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierbei hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von [X.] auszuschließen. Hierzu gehört unter anderem die Anordnung des Rechtsanwalts, dass die Erledigung von fristgebundenen Schriftsätzen am Abend eines jeden [X.] anhand des [X.]s durch eine beauftragte Bürokraft überprüft wird (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschlüsse vom 4. November 2014 - [X.], NJW 2015, 253 Rn. 8; vom 25. Februar 2016 - [X.]/15, NJW 2016, 1742 Rn. 10; vom 24. Januar 2019 - [X.]/18, juris Rn. 10; jeweils mwN). Eine wirksame Ausgangskontrolle hat sich dabei auch darüber Gewissheit zu verschaffen, dass die fristwahrende Handlung in einer im [X.] als erledigt vermerkten Sache auch tatsächlich vorgenommen wurde. Deshalb ist die Bürokraft anzuweisen, gegebenenfalls anhand der Akten zu prüfen, ob die im [X.] als erledigt gekennzeichneten Schriftsätze auch abgesandt worden sind (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Beschlüsse vom 24. Januar 2019 - [X.]/18 aaO; vom 25. Februar 2016 - [X.]/15 aaO; vom 4. November 2014 - [X.], aaO Rn. 9; jeweils mwN).

2. Gemessen hieran hat der Beklagte nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass im Büro seines zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten hinreichende organisatorische Vorkehrungen getroffen wurden, um eine effektive Ausgangskontrolle zu gewährleisten. Den Darlegungen lässt sich nicht entnehmen, dass eine Anweisung an die mit der Ausgangskontrolle betraute [X.] dahingehend bestand, am Abend eines jeden Arbeitstags zu prüfen, ob eine im [X.] als erledigt gekennzeichnete [X.] auch tatsächlich erledigt ist, insbesondere ob die fristgebundenen Schriftsätze die Kanzlei auch tatsächlich an den richtigen Adressaten verlassen haben.

a) Die im Wiedereinsetzungsgesuch wiedergegebene allgemeine Anweisung an die mit der Fristenkontrolle betraute Kanzleimitarbeiterin [X.].    , eine Frist erst zu streichen, wenn die Erledigung der Frist entweder aus einem entsprechenden Vermerk im elektronischen [X.] hervorgehe oder vom betreffenden Sachbearbeiter oder der zuständigen Fachangestellten mitgeteilt worden sei, gewährleistet eine effektive Ausgangskontrolle nicht, da auch bei deren Befolgung ungeprüft bleibt, ob die fristwahrende Handlung auch tatsächlich vorgenommen wurde.

Da die Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine wirksame Ausgangskontrolle stellt, einem Rechtsanwalt bekannt sein müssen, erlaubt der Umstand, dass sich der Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten zu dem letztgenannten Punkt nicht verhält, ohne weiteres den Schluss darauf, dass entsprechende organisatorische Maßnahmen gefehlt haben (vgl. [X.], Beschlüsse vom 25. Februar 2016 - [X.]/15, aaO Rn. 11; vom 3. Dezember 2015 - [X.], NJW 2016, 874 Rn. 16; vom 15. Dezember 2015 - [X.], NJW 2016, 873 Rn. 13; jeweils mwN).

b) Die Rechtsbeschwerde meint, die im Wiedereinsetzungsgesuch im Wortlaut wiedergegebene Anweisung, eine Frist (unter anderem) nur dann zu streichen, wenn deren Erledigung aus einem Vermerk im elektronischen [X.] hervorgehe, sei bei verständiger Würdigung so zu verstehen, dass vor dem Streichen der Frist zu prüfen sei, ob der fristwahrende Schriftsatz die Kanzlei auch verlassen habe. Der Vortrag des Beklagten zum [X.] habe sich daher allenfalls als ungenau dargestellt. Dann aber hätte das Berufungsgericht den Beklagten nach § 139 ZPO zur näheren Erläuterung des Wortlauts auffordern müssen.

Diese Auffassung geht fehl. Zwar trifft es zu, dass erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben in einem Wiedereinsetzungsgesuch, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, auch nach Ablauf der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO - und auch noch in der Rechtsbeschwerde - erläutert und vervollständigt werden dürfen (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Beschlüsse vom 2. Juni 2016 - [X.], NJW-RR 2016, 1022 Rn. 12; vom 16. Oktober 2018 - [X.]/16, NJW-RR 2019, 502 Rn. 7; vom 28. April 2020 - [X.], NJW-RR 2020, 818 Rn. 26; vom 11. Mai 2021 - [X.]/20 unter [X.], zur [X.] bestimmt; jeweils mwN).

Um "erkennbar" unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben handelt es sich bei der hier im Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten im Wortlaut wiedergegebenen Anweisung indes ersichtlich nicht. Es fehlt vielmehr schlicht an dem Vortrag, dass es zur Verhinderung möglicher Fristversäumnisse in der Kanzlei eine allgemeine Anweisung gegeben hat, anhand der Akte zu prüfen, ob der fristgebundene Schriftsatz die Kanzlei an den richtigen Adressaten verlassen hat.

In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der Fristverlängerungsantrag per Fax versendet werden sollte, genügt der Rechtsanwalt seiner Pflicht zur Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze nur dann, wenn er die mit der Endkontrolle beauftragte [X.] anweist, nach einer Übermittlung des Schriftsatzes per Telefax anhand des [X.] zu überprüfen, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist. Dabei ist ein Vergleich der Anzahl der zu übermittelnden mit den laut [X.] versandten Seiten vorzunehmen. Erst danach darf die Frist im [X.] gestrichen werden ([X.], Beschluss vom 4. April 2019 - [X.], juris Rn. 8 f. mwN; vgl. ferner [X.], Beschlüsse vom 24. Januar 2019 - [X.]/18 aaO; vom 25. Februar 2015 - [X.]/15, aaO Rn. 10; vom 3. Dezember 2015 - [X.], NJW 2016, 874 Rn. 12; jeweils mwN). Diese notwendigen Kontrollmaßnahmen können auch nicht etwa - wie es die Rechtsbeschwerde versucht - durch eine nach ihrer Ansicht "gebotene verständige Auslegung" in den hier wiedergegebenen, in sich geschlossenen, aus sich heraus verständlichen Wortlaut der Anweisung hineingelesen werden.

Dr. Milger     

        

Dr. Schneider     

        

Dr. Bünger

        

Kosziol     

        

Dr. Schmidt     

        

Meta

VIII ZB 55/19

26.05.2021

Bundesgerichtshof 8. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Hamm, 14. August 2019, Az: I-30 U 59/19

§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 520 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.05.2021, Az. VIII ZB 55/19 (REWIS RS 2021, 5549)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 5549


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. VIII ZB 55/19

Bundesgerichtshof, VIII ZB 55/19, 26.05.2021.


Az. 30 U 59/19

Oberlandesgericht Hamm, 30 U 59/19, 14.08.2019.


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