BT-Drucksache 17/6491

Wer bestellt, bezahlt - Konnexität der Kommunen im Grundgesetz verankern

Vom 5. Juli 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6491
17. Wahlperiode 05. 07. 2011

Antrag
der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Dietmar Bartsch, Diana Golze, Jan Korte,
Herbert Behrens, Karin Binder, Matthias W. Birkwald, Heidrun Bluhm,
Steffen Bockhahn, Eva Bulling-Schröter, Roland Claus, Heidrun Dittrich,
Dr. Dagmar Enkelmann, Klaus Ernst, Dr. Rosemarie Hein, Dr. Barbara Höll,
Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Katja Kipping, Harald Koch, Jutta Krellmann,
Caren Lay, Sabine Leidig, Ralph Lenkert, Michael Leutert, Ulla Lötzer,
Dr. Gesine Lötzsch, Thomas Lutze, Dorothee Menzner, Cornelia Möhring,
Kornelia Möller, Petra Pau, Jens Petermann, Richard Pitterle, Yvonne Ploetz,
Ingrid Remmers, Michael Schlecht, Dr. Ilja Seifert, Raju Sharma, Kersten Steinke,
Sabine Stüber, Alexander Süßmair, Dr. Kirsten Tackmann, Frank Tempel,
Dr. Axel Troost, Johanna Voß, Sahra Wagenknecht, Halina Wawzyniak,
Harald Weinberg, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion
DIE LINKE.

Wer bestellt, bezahlt – Konnexität zugunsten der Kommunen im Grundgesetz
verankern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Viele Kommunen leiden derzeit unter einer der schwersten finanziellen Krisen
seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. Im vergangenen Jahr hat das
kommunale Defizit 7,7 Mrd. Euro betragen. Auch für 2011 ist nicht mit einer
nennenswerten Erholung zu rechnen Die kurzfristigen Kassenkredite, die der
Finanzierung fälliger, laufender Verwaltungsaufgaben dienen, haben sich seit
2004 verdoppelt und belaufen sich nunmehr auf über 40 Mrd. Euro.

Das kommunale Rekorddefizit zwingt bereits jetzt viele Kommunen zu einem
harten Sparkurs und die Spielräume für freiwillige Aufgaben schwinden. In
letzter Konsequenz gefährdet dies die in Artikel 28 Absatz 2 des Grundgesetzes
(GG) verankerte kommunale Selbstverwaltungsgarantie.

Wenn der Bund jetzt die Kosten im Bereich der Grundsicherung im Alter
schrittweise übernimmt, ist dies zu begrüßen. Es löst jedoch nicht die grund-
sätzlichen Probleme.
Einer der Hauptgründe für die finanzielle Situation der Kommunen ist der Um-
stand, dass der Bund den Kommunen in der Vergangenheit immer wieder kos-
tenträchtige Aufgaben übertragen und seit Inkrafttreten der Föderalismusre-
form bestehende Aufgaben erweitert hat, ohne Regelungen über einen finan-
ziellen Ausgleich zu schaffen.

Das mit der Föderalismusreform I unter dem Motto: „Politische Lösung statt
Konnexität“ eingeführte Lösungsmodell stellt keinen wirksamen Schutz der

Drucksache 17/6491 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Kommunen dar. Zwar dürfen gemäß Artikel 84 Absatz 1 Satz 7 GG grundsätz-
lich gar keine Aufgaben mehr vom Bund auf die Kommunen übertragen werden;
diese Regelung erfasst gemäß Artikel 125a Absatz 1 Satz 1 GG jedoch nicht die
Gesetze, die vor der Föderalismusreform in Kraft getreten sind. Zuständigkeiten
der Kommunen, die vor der Föderalismusreform statuiert wurden, gelten fort.
Betroffen hiervon sind u. a. das Zweite (§ 6 Absatz 1) und das Zwölfte (§ 3 Ab-
satz 2) Buch Sozialgesetzbuch (SGB II, SGB XII). Gerade in diesem für die
Kommunen sehr kostenträchtigen Bereich macht sich der Regelungsmechanis-
mus des Artikels 84 Absatz 1 Satz 7 und des Artikels 125a Absatz 1 Satz 1 GG
besonders stark bemerkbar.

Von Seiten der Bundesländer können die Kommunen ebenfalls keinen wirksa-
men Schutz erwarten. Zwar bedürfen Gesetze mit finanziellen Auswirkungen
auf die Kommunen grundsätzlich der Zustimmung des Bundesrates, die Länder
haben jedoch oftmals mit eigenen Haushaltsproblemen zu kämpfen. Dies führt
im Ergebnis häufig dazu, dass Bund und Länder Einigungen zu Lasten der
Kommunen treffen. Mit Inkrafttreten der Schuldenbremse ist zu befürchten,
dass sich das Interesse von Bund und Ländern, kostenträchtige Aufgaben nicht
ihren eigenen Haushalten aufzubürden, noch zusätzlich erhöht.

Bisher wurde Kommunen mit einem hohen Defizit oftmals eigenes Verschul-
den vorgeworfen. Der Umstand, dass die Kommunen in der Bundesrepublik
Deutschland, abgesehen von einigen Ausnahmen in ihrer Gesamtheit, von dem
Defizit betroffen sind, deutet jedoch darauf hin, dass dessen Ursachen grund-
sätzlicher Natur sind. Gerade bei den Ausgaben im sozialen Bereich handelt es
sich um eine gesamtstaatliche Aufgabe und die Faktoren, die die Höhe dieser
Ausgaben bestimmen, sind für die Kommunen nicht beeinflussbar.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Entwurf zur Änderung des Grundgesetzes vorzulegen, der ein striktes
Konnexitätsprinzip verankert.

Berlin, den 6. Juli 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Die Einführung eines strikten Konnexitätsprinzips in das Grundgesetz ist seit
Jahren Gegenstand der kommunalpolitischen Debatte. Eine breitere Diskussion
fand zuletzt im Rahmen der Föderalismusreform I statt. Die Entscheidung fiel
damals allerdings gegen ein Konnexitätsprinzip im Verhältnis zwischen Bund
und Kommunen. Zum Schutz der Kommunen vor der weiteren Übertragung
von kostenträchtigen Aufgaben durch den Bund wurde ein grundsätzliches
Aufgabenübertragungsverbot (Artikel 84 Absatz 1 Satz 7 GG) eingefügt,
welches gemäß Artikel 125a Absatz 1 Satz 1 GG für die Gesetze gilt, die nach
Inkrafttreten der Föderalismusreform I (2006) erlassen werden. Für Gesetze,
die vor Inkrafttreten der Föderalismusreform I erlassen wurden, werden die
Länder gemäß Artikel 125a Absatz 1 Satz 2 GG ermächtigt, diese zu ersetzen.

Die Wirkung der Regelung ist zunächst dadurch begrenzt, dass eine Reihe von
kostenträchtigen Aufgaben im Sozialbereich bereits vor Inkrafttreten der Föde-
ralismusreform auf die Kommunen übertragen worden sind. Soweit es in die-

sem Bereich zur Erweiterung bestehender Aufgaben kommt, greift Artikel 84

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6491

Absatz 1 Satz 7 GG wohl nicht. Darüber hinaus kann die Abgrenzung zwischen
einer neuen Aufgabe und der Erweiterung einer bestehenden Aufgabe unklar
sein. Dies zeigen zum Beispiel die unterschiedlichen Ansichten dazu, ob die
Regelungen über das Bildungs- und Teilhabepaket in den §§ 34, 34a SGB XII
eine neue Aufgabe darstellen und insoweit gegen das Aufgabenübertragungs-
verbot des Artikels 84 Absatz 1 Satz 7 GG verstoßen. Während der Hauptge-
schäftsführer des Deutschen Landkreistages, Prof. Dr. Hans- Günter Henneke,
hierin eine neue Aufgabe sieht, die gemäß Artikel 84 Absatz 1 Satz 7 GG nicht
auf die Kommunen übertragen werden darf (Der Landkreis 2011, 155), geht die
Bundesregierung davon aus, dass die §§ 34, 34a SGB XII lediglich die verfas-
sungskonforme Ausgestaltung einer bereits bestehenden Aufgabe darstellen
(vgl. Bundestagsdrucksache 17/5633).

Die Hoffnung, dass die Länder in nennenswertem Umfang von der Ermächti-
gung in Artikel 125a Absatz 1 Satz 2 GG zur Ersetzung von Bundesrecht Ge-
brauch machen, dürfte sich nicht erfüllen, da die Länder hierdurch ihre eigene
Zuständigkeit und wegen des auf Landesebene verfassungsrechtlich veranker-
ten Konnexitätsprinzips auch ihre eigene Finanzierungsverantwortung begrün-
den würden.

Durch die Einführung des strikten Konnexitätsprinzips, das auch im Verhältnis
zwischen Bund und Kommunen gilt, in das Grundgesetz soll sichergestellt wer-
den, dass immer dann, wenn Kommunen durch Gesetze oder Verordnungen des
Bundes zur Erfüllung staatlicher Aufgaben verpflichtet werden (soweit das we-
gen Artikel 84 Absatz 1 Satz 7 GG noch möglich ist) oder bestehende Aufga-
ben der Kommunen erweitert werden, Regelungen über die Kostenfolgen zu
treffen sind. Führt die Übertragung neuer oder die Veränderung bestehender
Aufgaben zu einer Mehrbelastung der Gemeinden, ist ein entsprechender Aus-
gleich zu schaffen.

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