BT-Drucksache 17/11430

Entwurf eines Gesetzes über den Umfang der Personensorge und die Rechte des männlichen Kindes bei einer Beschneidung

Vom 8. November 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11430
17. Wahlperiode 08. 11. 2012

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Marlene Rupprecht (Tuchenbach), Katja Dörner, Diana Golze,
Caren Marks, Rolf Schwanitz, Ingrid Arndt-Brauer, Bärbel Bas, Dirk Becker, Karin
Evers-Meyer, Elke Ferner, Petra Hinz (Essen), Christel Humme, Angelika Krüger-
Leißner, Ute Kumpf, Steffen-Claudio Lemme, Kirsten Lühmann, Hilde Mattheis,
Gerold Reichenbach, René Röspel, Karin Roth (Esslingen), Annette Sawade,
Bernd Scheelen, Dr. Carsten Sieling, Ute Vogt, Andrea Wicklein, Dagmar Ziegler,
Katja Keul, Maria Klein-Schmeink, Ulrich Schneider, Memet Kilic, Dr. Harald Terpe,
Monika Lazar, Sylvia Kotting-Uhl, Dorothea Steiner, Dr. Valerie Wilms, Friedrich
Ostendorff, Bettina Herlitzius, Uwe Kekeritz, Arfst Wagner (Schleswig), Agnes
Krumwiede, Agnes Alpers, Matthias W. Birkwald, Steffen Bockhahn, Dr. Dagmar
Enkelmann, Wolfgang Gehrcke, Inge Höger, Dr. Barbara Höll, Andrej Hunko, Ulla
Jelpke, Katrin Kunert, Ralph Lenkert, Michael Leutert, Wolfgang Neskovic, Jens
Petermann, Richard Pitterle, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, Raju Sharma,
Dr. Petra Sitte, Kersten Steinke, Alexander Süßmair, Frank Tempel, Halina
Wawzyniak, Harald Weinberg, Katrin Werner, Jörn Wunderlich

Entwurf eines Gesetzes über den Umfang der Personensorge und die Rechte
des männlichen Kindes bei einer Beschneidung

A. Problem

Mit rechtskräftigem Urteil vom 7. Mai 2012 hat die Strafkammer des Landge-
richts Köln (Aktenzeichen: 151 Ns 169/11; NJW 2012, 2128) entschieden, dass
es sich bei der religiös begründeten, aber nach den Regeln der ärztlichen Kunst
mit Zustimmung der sorgeberechtigten Eltern durchgeführten Beschneidung
eines minderjährigen (vierjährigen) Jungen um eine rechtswidrige Körperver-
letzung im Sinne von § 223 Absatz 1 des Strafgesetzbuchs (StGB) handelt. Die
Einwilligung der Eltern ist nach dem Urteil des Gerichts unbeachtlich, weil die
Beschneidung entgegen den Anforderungen des Kindschaftsrechts nicht dem
Kindeswohl dient. Durch diese Entscheidung des Landgerichts Köln ist erhebli-
che Rechtsunsicherheit entstanden, denn bis zu deren Bekanntwerden Ende Juni
2012 war zumindest in der strafrechtlichen Rechtspraxis weitgehend unbestrit-
ten, dass Eltern grundsätzlich auch in eine nicht medizinisch indizierte, zum

Beispiel religiös motivierte Beschneidung rechtswirksam einwilligen können.
In der juristischen und auch in der medizinischen Fachliteratur wird die Be-
schneidung des männlichen Kindes hingegen bereits seit geraumer Zeit tenden-
ziell als rechtswidrige Körperverletzung bewertet. Der Deutsche Bundestag hat
mit Beschluss vom 19. Juli 2012 (Bundestagsdrucksache 17/10331) die Bundes-
regierung aufgefordert, „unter Berücksichtigung der grundgesetzlich geschütz-
ten Rechtsgüter des Kindeswohls, der körperlichen Unversehrtheit, der Religions-

Drucksache 17/11430 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

freiheit und des Rechts der Eltern auf Erziehung, einen Gesetzentwurf vorzule-
gen, der sicherstellt, dass eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jun-
gen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich zulässig ist“.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll unter Berücksichtigung und Abwä-
gung verschiedener grundgesetzlich geschützter Rechtsgüter, insbesondere des
Schutzes der körperlichen Unversehrtheit der minderjährigen Jungen, dem Er-
ziehungsrecht der Eltern, welches auf das Kindeswohl verpflichtet ist, und der
Religionsfreiheit Rechtssicherheit geschaffen werden. Die Regelung orientiert
sich daran, dass die körperliche Unversehrtheit des Kindes ein hohes verfas-
sungsrechtlich geschütztes Gut ist. Der Gesetzentwurf folgt damit dem Leitbild
des Kindes als Träger von Grundrechten, wie es vom Bundesverfassungsge-
richt und der UN-Kinderrechtskonvention geprägt worden ist.

B. Lösung

Vorgesehen ist, im Recht der elterlichen Sorge (§§ 1626 ff. des Bürgerlichen
Gesetzbuchs – BGB) klarzustellen, dass die Personensorge der Eltern grund-
sätzlich auch das Recht umfasst, bei Einhaltung bestimmter Anforderungen in
eine nicht medizinisch indizierte Beschneidung ihres Sohnes einzuwilligen. Vo-
raussetzung hierfür ist wegen der Schwere und Irreversibilität des Eingriffs
aber die Einwilligung des einsichts- und urteilsfähigen Sohnes, der das 14. Le-
bensjahr vollendet haben muss. Dies soll nur dann nicht gelten, wenn im Ein-
zelfall durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das
Kindeswohl gefährdet wird.

Die Durchführung der Beschneidung erfolgt lege artis durch eine Ärztin oder
einen Arzt mit der Befähigung zum Facharzt für Kinderchirurgie oder Urolo-
gie.

C. Alternativen

Keine. Nicht vorgeschlagen wird insbesondere eine Regelung im Strafrecht, denn
das Landgericht Köln hat seine Auffassung, die Einwilligung der Eltern könne
die Beschneidung als tatbestandsmäßige Körperverletzung (§ 223 StGB) nicht
rechtfertigen, nicht mit besonderen strafrechtlichen Aspekten (Verstoß gegen die
guten Sitten, § 228 StGB) begründet, sondern mit einer Überschreitung der durch
das Kindeswohl bestimmten Grenzen des Sorgerechts. Die im Interesse der Rechts-
sicherheit erforderliche Konkretisierung dieser Grenzen soll im Kindschaftsrecht
erfolgen.

D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand

Keine.

E. Erfüllungsaufwand

E.1 Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger

Für die Bürgerinnen und Bürger entsteht oder entfällt kein Erfüllungsaufwand.

E.2 Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft

Für die Wirtschaft entsteht oder entfällt kein Erfüllungsaufwand.

Davon Bürokratiekosten aus Informationspflichten
Für Unternehmen werden keine Informationspflichten eingeführt, vereinfacht
oder abgeschafft.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11430

E.3 Erfüllungsaufwand der Verwaltung

Für die Verwaltung entsteht oder entfällt kein Erfüllungsaufwand.

F. Weitere Kosten

Den Bürgerinnen und Bürgern sowie der Wirtschaft entstehen keine sonstigen
Kosten. Auswirkungen auf das Preisniveau, insbesondere das Verbraucher-
preisniveau, sind nicht zu erwarten.

Dagmar Ziegler
Katja Keul
Maria Klein-Schmeink
Ulrich Schneider
Memet Kilic
Dr. Harald Terpe

Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Alexander Süßmair
Frank Tempel
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Petra Hinz (Essen)
Christel Humme
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Steffen-Claudio Lemme
Kirsten Lühmann
Hilde Mattheis
Gerold Reichenbach
René Röspel
Karin Roth (Esslingen)
Annette Sawade
Bernd Scheelen
Dr. Carsten Sieling
Ute Vogt
Andrea Wicklein

Dr. Dagmar Enkelmann
Wolfgang Gehrcke
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Katrin Kunert
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Wolfgang Neskovic
Jens Petermann
Richard Pitterle
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Drucksache 17/11430 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Entwurf eines Gesetzes über den Umfang der Personensorge und die Rechte
des männlichen Kindes bei einer Beschneidung

Vom ...

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs

Nach § 1631c des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der Fas-
sung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I
S. 42, 2909; 2003 I S. 738), das zuletzt durch Artikel ... des
Gesetzes vom ... (BGBl. I S. ...) geändert worden ist, wird
folgender § 1631d eingefügt:

㤠1631d
Beschneidung des männlichen Kindes

Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medi-
zinisch nicht erforderliche Beschneidung des männlichen

Kindes einzuwilligen, wenn es das 14. Lebensjahr vollendet
hat, einsichts- und urteilsfähig ist, der Beschneidung zuge-
stimmt hat und diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst
von einer Ärztin oder einem Arzt mit der Befähigung zum
Facharzt für Kinderchirurgie oder Urologie durchgeführt
werden soll. Dies gilt nicht, wenn durch die Beschneidung
auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl
gefährdet wird.“

Artikel 2

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Berlin, den 8. November 2012

Marlene Rupprecht (Tuchenbach)
Katja Dörner
Diana Golze
Caren Marks
Rolf Schwanitz
Ingrid Arndt-Brauer
Bärbel Bas
Dirk Becker
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner

Dorothea Steiner
Dr. Valerie Wilms
Friedrich Ostendorff
Bettina Herlitzius
Uwe Kekeritz
Arfst Wagner (Schleswig)
Agnes Krumwiede
Agnes Alpers
Matthias W. Birkwald
Steffen Bockhahn
Monika Lazar
Sylvia Kotting-Uhl

Katrin Werner
Jörn Wunderlich

Unversehrtheit, der Religionsfreiheit und des Rechts der El- Schleimhaut. Unter der Vorhaut befindet sich eine Schicht

tern auf Erziehung, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der si-
cherstellt, dass eine medizinisch fachgerechte Beschneidung
von Jungen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich zulässig

glatten Muskelgewebes, die an der Vorhautspitze wirbelför-
mig angeordnet ist. So wird ein Schließmuskel gebildet, wel-
cher dafür sorgt, dass die Vorhaut die Eichel bedeckt. Die
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/11430

Begründung

A. Allgemeiner Teil

Vorbemerkung

Der Gesetzentwurf verwendet für die Zirkumzision auch den
umgangssprachlichen Begriff der Beschneidung, ohne sich
damit die diesem Begriff innewohnende Relativierung der
Schwere des medizinischen Eingriffs zu eigen zu machen.
Tatsächlich handelt es sich bei der Beschneidung jedoch um
eine Amputation der Vorhaut, also eine irreversible Entfer-
nung eines mit eigenen Funktionen ausgestatteten Teils des
männlichen Körpers auf operativem Wege.

I. Anlass und Ziel des Gesetzentwurfs

Die 1. kleine Strafkammer des Landgerichts (LG) Köln hat in
einem Berufungsverfahren entschieden, dass die Beschnei-
dung der Vorhaut eines minderjährigen (vierjährigen) Jungen
(Zirkumzision), die nach den Regeln der ärztlichen Kunst
und mit Einwilligung der sorgeberechtigten Eltern aus reli-
giösen Gründen vorgenommen wurde, eine rechtswidrige
Körperverletzung im Sinne von § 223 Absatz 1 des Strafge-
setzbuchs (StGB) darstellt (Urteil vom 7. Mai 2012, Akten-
zeichen: 151 Ns 169/11; NJW 2012, 2128). Die Einwilligung
der Eltern ist demnach unbeachtlich, weil die Beschneidung
entgegen den Anforderungen des Kindschaftsrechts nicht
dem Kindeswohl dient. Das LG Köln sprach den angeklagten
Arzt jedoch frei, weil sich dieser aufgrund der unterschied-
lichen Rechtsauffassungen zu dieser Problematik in einem
unvermeidbaren Verbotsirrtum (§ 17 Satz 1 StGB) befunden
habe. Das Urteil ist rechtskräftig.

Durch dieses Urteil ist bei vielen Eltern Rechtsunsicherheit
entstanden, denn bis zu dessen Bekanntwerden Ende Juni
2012 war in der medizinischen und juristischen Praxis oft
unbestritten, dass Eltern grundsätzlich auch in eine nicht
medizinisch indizierte, zum Beispiel religiös motivierte, Zir-
kumzision rechtswirksam einwilligen können. Ärztliche Be-
rufsorganisationen haben ihren Mitgliedern empfohlen, nicht
medizinisch indizierte Beschneidungen zur Vermeidung
einer Strafbarkeit vorerst nicht mehr durchzuführen. Auch
zahlreiche Krankenhäuser haben angekündigt, solche Ein-
griffe vorerst nicht mehr vorzunehmen. Im Gegensatz dazu
lehnen die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedi-
zin (Dachverband der kinder- und jugendmedizinischen Ge-
sellschaften) und der Berufsverband der Kinder- und Jugend-
ärzte solche Eingriffe bereits seit längerem generell ab. El-
tern, die eine Beschneidung ihres Kindes wünschen, sehen
sich andererseits in ihrem Erziehungsrecht beeinträchtigt.
Religionsgesellschaften wie Judentum und Islam, für die die
Beschneidung eine zentrale religiöse Bedeutung entfaltet, se-
hen in dem Urteil eine Beeinträchtigung des religiösen Le-
bens. Der Deutsche Bundestag hat die Bundesregierung auf-
gefordert, „unter Berücksichtigung der grundgesetzlich ge-
schützten Rechtsgüter des Kindeswohls, der körperlichen

entwurfs nachgekommen, in welchem die Rechte des männ-
lichen Kindes allerdings nur unzureichend Berücksichtigung
finden.

Mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf soll die beste-
hende Rechtsunsicherheit beseitigt werden. Der Gesetzent-
wurf stellt klar, dass und unter welchen Voraussetzungen El-
tern im Rahmen ihrer elterlichen Sorge berechtigt sind, in
eine nicht medizinisch indizierte Beschneidung ihres Sohnes
einzuwilligen. Dies bedeutet Rechtssicherheit für alle Be-
troffenen.

II. Medizinische Aspekte der Beschneidung
des männlichen Kindes

1. Gründe der Zirkumzision

Die Zirkumzision ist ein alter und häufig durchgeführter chi-
rurgischer Eingriff beim männlichen Kind bzw. Erwachse-
nen. Schätzungen gehen davon aus, dass weltweit etwa 30
Prozent aller Männer beschnitten sind. Die Zirkumzision
kann aus verschiedenen Gründen durchgeführt werden: Aus
medizinischen Gründen bei Vorliegen einer Phimose (Vor-
hautverengung) sowie aus religiösen, kulturellen und sozia-
len Gründen. Die Beschneidung aus religiösen oder kulturel-
len Gründen ist besonders in den islamisch geprägten Staaten,
im nördlichen und westlichen Afrika sowie in Israel üblich.
Insbesondere in den angelsächsischen Ländern wurde lange
Zeit eine Routinezirkumzision bei Neugeborenen vorge-
nommen, denn im 19. Jahrhundert war hier die Ansicht, die
Beschneidung sei eine geeignete Präventionsmaßnahme ge-
gen Masturbation, weit verbreitet. Die seitdem gewonnenen
Erkenntnisse über die menschliche Sexualität haben jedoch
in den vergangenen Jahrzehnten zu einem Umdenken ge-
führt. Zudem hat sich die Annahme, dass Neugeborene kein
oder nur ein unterentwickeltes Schmerzempfinden hätten, als
falsch erwiesen. So ist die routinemäßige Beschneidung von
Neugeborenen in Australien und Kanada stark zurückgegan-
gen und in Großbritannien und Neuseeland kaum noch anzu-
treffen. Auch in den USA ist ein Rückgang zu beobachten,
auch wenn derzeit immer noch rund 55 Prozent aller männ-
lichen Neugeborenen routinemäßig beschnitten werden. In
Deutschland wird die Zirkumzision hauptsächlich aus reli-
giösen oder kulturellen Gründen und häufig auch mit einer
vorgeschobenen medizinischen Indikation durchgeführt. Die
Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin und der
Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte lehnen die nicht
medizinisch indizierte Zirkumzision schon seit längerem ab.

2. Aufbau und Funktion der Vorhaut

Die männliche Vorhaut ist nach dem Stand des heutigen
medizinischen Wissens einzigartig aufgebaut. Während die
Oberfläche der Vorhautaußenseite aus normaler Haut be-
steht, ist die Oberfläche der Vorhautinnenseite dagegen eine
ist“ (Bundestagsdrucksache 17/10331). Die Bundesregie-
rung ist dieser Aufforderung durch die Vorlage eines Gesetz-

Vorhaut ist nicht nur dicht mit Blutgefäßen, sondern auch mit
Nerven durchzogen, insbesondere nahe der Vorhautspitze im

Drucksache 17/11430 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Bereich des Übergangs von der normalen Haut zur Schleim-
haut. Diese Übergangsstelle ist der empfindlichste und ero-
genste Teil des Penis (Sorrells/Snyder/Reiss/Eden/Milos/
Wilcox/Van Howe, Fine-touch pressure thresholds in the
adult penis, BJU International 99 (4) <2007>, 864 ff.). Grund
dafür ist nicht nur die hohe Anzahl der Nervenendigungen,
sondern auch deren Art. So wurden in der Vorhaut Mechano-
rezeptoren, Schmerzrezeptoren und Nerven für die Wahrneh-
mung von Druckreizen, Vibrationen sowie von leichten Be-
rührungen nachgewiesen. Die Eichel ist im Vergleich mit der
Vorhaut weit weniger mit Nerven durchsetzt und deshalb
deutlich unempfindlicher gegenüber bestimmten Reizen.

Die männliche Vorhaut hat eine wichtige Funktion als Schutz
der Eichel vor Verletzungen, mechanischen Einflüssen wie
Reibung, Schmutz und Schadstoffen. Besonders bei Babys
und kleinen Kindern bildet die noch fest mit der Eichel ver-
klebte Vorhaut eine natürliche Schutzbarriere für den Harn-
trakt. Die Vorhaut hält die Eichel feucht und schützt sie vor
Austrocknung (Verhornung). Daneben hat die innen liegende
Schleimhaut durch die Absonderung u.a. von Lysozym und
die dadurch verursachte Abtötung schädlicher Bakterien eine
wichtige Funktion bei der Infektprophylaxe. Die männliche
Vorhaut hat zudem essentielle sexuelle Funktionen (Cold/
Taylor, The prepuce, BJU International 83 (Suppl. 1) <1999>,
34 ff.). Das hochsensible Vorhautgewebe, dessen innerer Teil
bei einer Erektion zurückgezogen ist und außen liegt, bildet
eine großflächige erogene Zone, die für eine normale, inten-
sive Gefühlswahrnehmung beim Geschlechtsverkehr wich-
tig und damit wesentlich für das männliche Lustempfinden
insgesamt ist. Darüber hinaus erleichtert die Vorhaut die Pe-
netration der Vagina, da der Penis teilweise innerhalb seiner
eigenen Vorhaut gleitet, was zu einer Reduktion von Reibung
und vaginaler Trockenheit führt. Die Vorhaut stellt ausrei-
chend Hautfläche für eine vollständige Erektion zur Verfü-
gung und schützt zudem beim vaginalen Geschlechtsverkehr
den Eichelkranz vor direkter Stimulation, was wiederum
vorzeitigen und ungewollten Ejakulationen vorbeugt.

3. Die Zirkumzision

Unter Zirkumzision bzw. männlicher Beschneidung wird die
komplette oder teilweise Entfernung der männlichen Vorhaut
verstanden. Dabei gibt es verschiedene Schweregrade des
Eingriffs. So kann die Vorhaut komplett entfernt werden, so
dass die Eichel freiliegt. Bei einer partiellen Entfernung wird
die Eichel dagegen teilweise noch von der Vorhaut bedeckt.
Häufig wird im Zuge des Eingriffes gleichzeitig das Vorhaut-
bändchen (Frenulum), welches ebenfalls eine wichtige sexu-
elle Funktion hat, mit entfernt. Bei Babys und Kleinkindern
muss zudem die natürliche Verklebung der Vorhaut mit der
Eichel gewaltsam gelöst werden.

In Deutschland werden Zirkumzisionen ohne medizinische
Indikation bei Kindern vom Neugeborenenalter an bis zum
Eintreten der Pubertät vorgenommen. Die Eingriffe werden
überwiegend durch Ärzte aber auch durch traditionelle Be-
schneider vorgenommen und finden unter Vollnarkose, loka-
ler Anästhesie und sogar ohne Betäubung statt. Medizinische
Standards wie eine umfassende Aufklärung über Folgen und
Risiken des Eingriffs, gründliche Voruntersuchungen, ad-
äquate Schmerzbehandlung, sterile Umgebung und Vorhal-

4. Medizinische Risiken und gesundheitliche Folgen

Wie bei jedem chirurgischen Eingriff kann es auch bei der
Zirkumzision zu Komplikationen kommen. Typische Kom-
plikationen bei der männlichen Beschneidung sind Blutun-
gen, Wundinfektionen, Verletzungen der Eichel, Verengun-
gen der Harnröhre, Blutergüsse, Schwellungen, Narbenbil-
dungen und postoperative Schmerzen. Zu beachten ist auch,
dass die Zirkumzision in Deutschland auch ohne hinrei-
chende Schmerzbehandlung vorgenommen wird. Dies kann
zu psychischen Folgeschäden führen.

Die irreversible Entfernung der Vorhaut führt zu einem Ver-
lust von großen Teilen der gesamten Penishaut, insbesondere
der sensorisch wichtigsten Teile. Dies bedingt einen wahr-
nehmbaren Sensibilitätsverlust und beeinflusst so das sexu-
elle Empfinden von Männern. Zudem wird der Eichel durch
die Entfernung der schützenden Vorhaut ihr natürlicher
Schutz genommen, was im Laufe des Lebens zu einer zuneh-
menden Keratinisierung (Verhornung) der Eicheloberfläche
und damit zu einem zusätzlichen Sensibilitätsverlust führt.
Männer, die erst als Erwachsene beschnitten wurden und aus
diesem Grund sexuelle Erfahrungen vor der Zirkumzision
hatten, berichten über fühlbare Einschränkungen ihres se-
xuellen Lustempfindens (Kim/Pang, The effect of male cir-
cumcision on sexuality, BJU International 99 (3) <2007>,
619 ff.). Die Zirkumzision kann darüber hinaus nicht nur bei
den betroffenen Männer, sondern auch bei deren Partnerin-
nen zu sexuellen Problemen führen (Frisch/Lindholm/Grøn-
bæk, Male circumcision and sexual function in men and wo-
men: a survey-based, cross-sectional study in Denmark, In-
ternational Journal of Epidemiology 2011, 1ff.). So berichten
betroffene Paare über Schwierigkeiten und Probleme bei
Erektion, Penetration sowie Orgasmus bis hin zur Dyspareu-
nie (schmerzhafter Geschlechtsverkehr).

5. Folgerungen

Bei der Zirkumzision handelt es sich um einen schmerzvol-
len, mit Risiken behafteten chirurgischen Eingriff, der zu ei-
ner irreversiblen Entfernung eines hochsensiblen, erogenen
und funktional wichtigen Körperteils führt.

III. Rechtliche Rahmenbedingungen

Für ärztliche Behandlungen, die in die körperliche Unver-
sehrtheit eines Menschen eingreifen, wird nach ständiger
Rechtsprechung der Tatbestand der Körperverletzung (§ 223
StGB) als erfüllt angesehen. Dabei ist unbeachtlich, ob der
Eingriff der Diagnose, Therapie oder anderen Zwecken
dient, ob er medizinisch indiziert oder nicht indiziert ist. Die
Vornahme solcher ärztlichen Eingriffe in die körperliche In-
tegrität dürfen regelmäßig jedoch dann vorgenommen wer-
den, wenn die Patienten erwachsen und einwilligungsfähig
sind, sie zuvor ordnungsgemäß aufgeklärt wurden und wirk-
sam eingewilligt haben. In diesen Fällen handelt der Arzt
zwar tatbestandlich, nicht aber rechtswidrig. Insbesondere
die Einwilligung des Betroffenen bewirkt, dass sich der in
die körperliche Integrität eingreifende Arzt nicht strafbar
macht. Handelt es sich bei der vom Eingriff betroffenen Per-
son um einen nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen, so
müssen zuvor die Sorgeberechtigten (in der Regel die Eltern,
ten einer Notfallversorgung werden dabei nicht immer ein-
gehalten.

§ 1626 Absatz 1 BGB) im Rahmen ihres Sorgerechts in me-
dizinischen Fragen rechtswirksam eingewilligt haben.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/11430

In Deutschland gibt es bisher kein spezielles Gesetz, in wel-
chem die medizinisch nichtindizierte Beschneidung des
männlichen Kindes besonders geregelt ist. Lange galt als
herrschende Meinung der Rechtswissenschaft, dass die reli-
giös motivierte Beschneidung des männlichen Kindes durch
einen Arzt nicht den Tatbestand der Körperverletzung erfüllt.
Dies wurde jedoch nicht erst seit dem Urteil des Kölner
Landgerichts, sondern bereits seit geraumer Zeit in der
Rechtswissenschaft kontrovers diskutiert. Tendenziell ist in
der juristischen Literatur eine Abkehr von der Auffassung zu
erkennen, welche die medizinisch nichtindizierte Beschnei-
dung des männlichen Kindes vom Anwendungsbereich des
§ 223 StGB ausnimmt (so Dettmeyer/Laux/Friedl/Zedler/
Bratzke/Parzeller, ArchKrim 227 <2011>, 85 <90>). Diese
Auffassung kann hinsichtlich der Tatbestandsmäßigkeit mitt-
lerweile als herrschend angesehen werden. Bezüglich der
Wirksamkeit der elterlichen Einwilligung zur medizinisch
nichtindizierten Beschneidung des männlichen Kindes wer-
den bis heute verschiedene, kontroverse Auffassungen ver-
treten. Hier soll der Gesetzentwurf rechtliche Klarheit schaf-
fen.

In dieser Diskussion zur Strafbarkeit der Beschneidung von
männlichen Kindern wurden in der deutschen Rechtswissen-
schaft unterschiedliche Ansichten vertreten. Nach einer Mei-
nung ist die religiös motivierte Beschneidung schon als „so-
zialadäquates Verhalten“ nicht vom Straftatbestand der Kör-
perverletzung erfasst. Der Eingriff sei zwar vom möglichen
Wortlaut der Körperverletzungsvorschriften, nicht aber von
deren tatsächlichem Wortsinn erfasst (so Exner, Sozial-
adäquanz im Strafrecht – Zur Knabenbeschneidung, 2011,
S. 187 f.; ebenso Rohe, Das islamische Recht, 2009, S. 342;
Tröndle, StGB, 49. Auflage, 1997, § 223 Rn. 16a; ähnlich
Schwarz, JZ 2008, 1125 <1127>). Diese Ansicht wurde noch
2008 in der strafrechtlichen Kommentarliteratur als „wohl
herrschende Meinung“ bezeichnet (vgl. Fischer, StGB,
55. Auflage, 2008, § 223 Rn. 6b). Eine andere Ansicht bejaht
zwar die Tatbestandsmäßigkeit, kommt aber ebenfalls zur
Straflosigkeit, weil die Rechtswidrigkeit nicht medizinisch
indizierter Beschneidungen grundsätzlich dann entfalle,
wenn die Einwilligung der Eltern vorliege (Zähle, AöR 134
<2009>, 434 <451 f.>; Valerius, JA 2010, 481 <485>; Fateh-
Moghadam, RW 2010, 115 <138>; Schramm, Ehe und Fami-
lie im Strafrecht, 2011, S.229; Beulke/Dießner, ZIS 2012,
338 <345>). Im Unterschied dazu wird die rechtswidrige
Körperverletzung in verschiedenen rechtswissenschaftlichen
Publikationen bejaht, weil die Beschneidung weder sozial-
adäquat sei noch durch eine elterliche Einwilligung gerecht-
fertigt werden könne (Putzke, FS f. Herzberg, 2008, S. 669
<682 ff.>; Jerouschek, NStZ 2008, 313; Herzberg, JZ 2009,
332, <333 ff.>; Dettmeyer/Laux/Friedl/Zedler/Bratzke/Parzel-
ler, ArchKrim 227 <2011>, 85 <96>).

Die unterschiedlichen strafrechtlichen Bewertungen der me-
dizinisch nichtindizierten Beschneidung des männlichen
Kinders stehen auch im Zusammenhang mit der Anerken-
nung und der rechtlichen Weiterentwicklung unseres Bildes
vom Kind als eigenständigem Träger von Grundrechten.
Nach Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes (GG) hat jeder,
auch das Kind, das Recht auf Leben und körperliche Un-
versehrtheit. Das Recht des Kindes auf körperliche Unver-
sehrtheit wird nach unserer Verfassungsordnung treuhän-

Das Recht auf körperliche Unversehrtheit des Kindes besitzt
Vorrang gegenüber dem elterlichen Erziehungsrecht aus Ar-
tikel 6 Absatz 2 Satz 1 GG sowie gegenüber dem Recht auf
Religionsausübungsfreiheit aus Artikel 4 Absatz 1, 2 GG.
Dieses Grundrecht schützt sowohl die physische als auch die
psychische Gesundheit des Kindes. Bereits die Reform des
Kindschaftsrechts von 1998 räumte dem Kind ein Recht auf
gewaltfreie Erziehung ein und schützte es vor körperlicher
Bestrafung, seelischer Verletzung, psychischer Beeinträchti-
gung und anderen entwürdigenden Maßnahmen. Mit seiner
Entscheidung für die Gewährleistung eines Rechts auf ge-
waltfreie Erziehung (§ 1631 Absatz 2 BGB) im Rahmen des
Gesetzes zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur
Änderung des Unterhaltsrechts vom 2. November 2000 hat
der Gesetzgeber darüber hinaus deutlich gemacht, dass das
Kind „als Person mit eigener Würde und als Träger von
Rechten und Pflichten die Achtung seiner Persönlichkeit
auch von den Eltern verlangen kann“ (Bundestagsdruck-
sache 14/1247, S. 5). Mit dieser Gesetzesänderung wollte der
Gesetzgeber in erster Linie auf eine Bewusstseinsänderung
der Eltern hinwirken. Auch wenn dieses Recht des Kindes
nicht unmittelbar einklagbar ist und ein Verstoß dagegen
nicht automatisch sanktioniert wird, so hat der Gesetzgeber
damit doch eine Grenze für den Schutzbereich der Eltern-
verantwortung markiert, die weder unter Bezugnahme auf
soziokulturelle, ethische oder religiöse Überzeugungen der
Eltern noch im Hinblick auf die Ausübung der Religionsfrei-
heit des Kindes überschritten werden darf. Zwar ist auch der
Gewaltbegriff im Sinne des § 1631 BGB auslegungsfähig
und auslegungsbedürftig; Eingriffe in die körperliche Inte-
grität des Kindes, wie sie mit der Beschneidung verbunden
sind, lassen sich aber ohne dessen Zustimmung nicht mit
dem Verweis auf rituelle bzw. religiöse Übungen legitimie-
ren, sondern erfüllen den Tatbestand der Körperverletzung.

Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit setzen die Ein-
willigung der betroffenen Person voraus. Solange Kinder im
Hinblick auf ihr Alter und ihren Entwicklungsstand nicht
über die nötige Einsichtsfähigkeit verfügen, obliegt diese
Einwilligung den Eltern und ist zur Wahrnehmung des Kin-
deswohls zulässig und zur Abwehr einer Gefährdung sogar
geboten. Ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit eines
Kindes dient immer dann seinem Kindeswohl, wenn er aus
einem medizinischen Grund erforderlich ist. Andere Gründe,
die von den Eltern im Rahmen ihrer treuhänderischen Ver-
antwortung für das Kind geltend gemacht werden, setzen
eine Zustimmung des betroffenen Kindes voraus.

Die Einwilligung in einen Eingriff in die körperliche Unver-
sehrtheit des Kindes ist deshalb, soweit er nicht medizinisch
begründet ist, nicht mehr allein an eine Entscheidung der El-
tern im Rahmen ihrer Erziehungsverantwortung gebunden,
sondern muss die Entscheidung des einsichts- und urteilsfä-
higen Kindes zur Voraussetzung haben. Voraussetzung dabei
ist die umfassende Aufklärung und Beratung des Kindes und
der Eltern durch den behandelnden Arzt. Wegen der Dyna-
mik und Individualbezogenheit jedes Entwicklungs- und
Reifungsprozesses lässt sich die Einsichtsfähigkeit des Kin-
des grundsätzlich nicht abstrakt und generell, sondern regel-
mäßig nur konkret und individuell feststellen. Andererseits
kennt das geltende Recht aber auch typisierende Regelungen
wie etwa die Teilmündigkeitsregelungen im Hinblick auf die
derisch von seinen Eltern im Rahmen ihrer Erziehungsver-
antwortung (Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 GG) wahrgenommen.

Ausübung der Religionsfreiheit (§ 2 Absatz 3; § 5 RKEG).
Im Interesse der Rechtssicherheit scheint es geboten, für

Drucksache 17/11430 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

nicht medizinisch indizierte Eingriffe in die körperliche Un-
versehrtheit eine generelle Altersgrenze gesetzlich festzule-
gen, die bei der Vollendung des 14. Lebensjahres angesetzt
werden soll.

Die Bindung der medizinisch nichtindizierten Beschneidung
an die Zustimmung des einsichts- und urteilsfähigen männ-
lichen Kindes ist auch keine Beschränkung seiner Glaubens-
und Religionsfreiheit. Solange die Religionsmündigkeit
nicht besteht, handeln die Eltern kraft ihrer Elternverantwor-
tung für das noch religionsunmündige Kind. Sie können über
diejenigen Riten entscheiden und diese auch an ihrem Kind
vornehmen lassen, welche sie für die Religionsausübung für
wichtig halten. Dies gilt im Blick auf das Recht auf körperli-
che Unversehrtheit jedoch nur für solche Riten, deren Gehalt
sich auf einen rein symbolischen Akt beschränkt, für solche
Riten, denen es an jeder beeinträchtigenden rechtlichen Re-
levanz fehlt, wie etwa die Taufe, die Kommunion, die Fas-
tentage oder die Begehung des Pessach-Festes im jüdischen
Ritus, mit selbst gesetzten Einschränkungen mitunter auch
das Fasten minderjähriger Muslime im Ramadan. Die Aus-
übung des alleinigen Entscheidungsrechts der Eltern ist hin-
gegen richtigerweise zu verneinen, für solche Riten, die das
Kind dauerhaft physisch schädigen oder kennzeichnen, was
bei irreversiblen Eingriffen in die körperliche Integrität der
Fall ist (so Dettmeyer/Laux/Friedl/Zedler/Bratzke/Parzeller,
ArchKrim 227 <2011>, 85 <93>). Auch das Argument eines
möglichen sozialen Nutzens der rituellen Beschneidung
kann in der Abwägung zum eigenständigen Recht des Kindes
auf körperliche Unversehrtheit nicht überzeugen. Hierfür
spricht neben dem Vorrang des Grundrechts auch Artikel 24
Absatz 3 der UN-Kinderrechtskonvention, nach der „alle
wirksamen und geeigneten Maßnahmen, um überlieferte
Bräuche, die für die Gesundheit der Kinder schädlich sind,
abzuschaffen“ sind.

IV. Abgrenzungen von der Verstümmelung weiblicher
Genitalien

Das Gesetz erstreckt sich nur auf die Beschneidung des
männlichen Kindes. Die geltenden gesetzlichen Regelungen,
die bei der Verstümmelung weiblicher Genitalien zur An-
wendung kommen, bleiben davon unberührt.

V. Wesentlicher Inhalt des Entwurfs

Vorgesehen ist, im Recht der elterlichen Sorge (§§ 1626 ff.
BGB) klarzustellen, dass die Personensorge der Eltern
grundsätzlich auch das Recht umfasst, bei Einhaltung be-
stimmter Anforderungen in eine Beschneidung ihres ein-
sichts- und urteilsfähigen Sohnes einzuwilligen, sofern er
das 14. Lebensjahr vollendet hat. Dies soll nur dann nicht
gelten, wenn sich aus den Umständen des Einzelfalls auch
unter Berücksichtigung des Beschneidungszwecks eine Ge-
fahr für das Kindeswohl ergibt.

Die Durchführung der Beschneidung erfolgt lege artis durch
eine Ärztin oder einen Arzt mit der Befähigung zum Facharzt
für Kinderchirurgie oder Urologie.

VI. Gesetzgebungskompetenz

Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für § 1631d

VII. Gesetzesfolgen

1. Nachhaltigkeitsaspekte

Der Gesetzentwurf steht im Einklang mit den Leitgedanken
zur nachhaltigen Entwicklung im Sinne der nationalen Nach-
haltigkeitsstrategie.

2. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand

Keine.

3. Erfüllungsaufwand

Für die Bürgerinnen und Bürger und für die Wirtschaft ent-
steht oder entfällt kein Erfüllungsaufwand. Für Unternehmen
werden keine Informationspflichten eingeführt, vereinfacht
oder abgeschafft. Auch für die Verwaltung entsteht oder ent-
fällt kein Erfüllungsaufwand.

4. Weitere Kosten

Den Bürgerinnen und Bürgern sowie der Wirtschaft entste-
hen keine sonstigen Kosten. Auswirkungen auf das Preis-
niveau, insbesondere das Verbraucherpreisniveau, sind nicht
zu erwarten.

5. Weitere Gesetzesfolgen

Der Gesetzentwurf hat keine Auswirkungen von gleichstel-
lungspolitischer Bedeutung.

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Änderung des Bürgerlichen Gesetz-
buchs)

Zu § 1631d – neu – (Beschneidung des männlichen Kindes)

Mit der Regelung wird klargestellt, dass die Personensorge
der Eltern auch das Recht umfasst, unter Einhaltung be-
stimmter Anforderungen in die Beschneidung ihres ein-
sichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen,
sofern er das 14. Lebensjahr vollendet hat. Dies soll nur dann
nicht gelten, wenn sich aus den Umständen des Einzelfalls
auch unter Berücksichtigung des Beschneidungszwecks eine
Gefahr für das Kindeswohl ergibt.

1. Regelungsstandort

Die Frage, ob Eltern in Eingriffe in die körperliche Unver-
sehrtheit ihres Kindes einwilligen können, ist grundsätzlich
eine kindschaftsrechtliche Frage und daher primär dort zu
verorten.

Nach dem Grundgesetz sind Pflege und Erziehung der Kin-
der das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen
obliegende Pflicht (Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 GG). Das
Grundgesetz geht davon aus, dass diejenigen, die einem Kind
das Leben geben, von Natur aus bereit und berufen sind, die
Verantwortung für seine Pflege und Erziehung zu überneh-
men (BVerfGE 24, 119, 150). Die Eltern dürfen daher grund-
sätzlich frei von staatlichen Einflüssen und Eingriffen nach
eigenen Vorstellungen entscheiden, wie sie die Pflege und
Erziehung ihrer Kinder gestalten und ihrer Elternverantwor-
BGB-E folgt aus Artikel 74 Absatz 1 Nummer 1 GG („das
bürgerliche Recht“).

tung gerecht werden (BVerfGE 59, 360, 376). Dementspre-
chend enthält sich der Staat – in den Grenzen des staatlichen

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9 – Drucksache 17/11430

Wächteramtes – ganz bewusst einer Bewertung und Sank-
tionierung von Entscheidungen im Rahmen der elterlichen
Sorge.

Inhalt und Grenzen der elterlichen Sorge sind vorrangig im
Familienrecht definiert. Daher ist auch die Frage, ob und un-
ter welchen Voraussetzungen das Sorgerecht die Eltern im
Verhältnis zu ihrem männlichen Kind berechtigt, in eine
nicht medizinisch indizierte Beschneidung einzuwilligen, im
Recht der elterlichen Sorge zu beantworten (§§ 1626 ff.
BGB). Für diesen Regelungsstandort spricht auch, dass das
LG Köln in seinem Urteil vom 7. Mai 2012 (Aktenzeichen:
151 Ns 169/11; NJW 2012, 2128) die von ihm angenommene
Rechtswidrigkeit der Beschneidung ganz zentral damit be-
gründet hat, Eltern könnten im Rahmen ihres Sorgerechts
nicht in eine nicht medizinisch indizierte Beschneidung ihres
vierjährigen Sohnes einwilligen.

Durch die Stellung des § 1631d BGB-E im Recht der elter-
lichen Sorge und seine Eingangsformulierung „Die Perso-
nensorge umfasst auch […]“ wird verdeutlicht, dass die El-
tern berechtigt sind, in Ausübung ihres Sorgerechts unter be-
stimmten Voraussetzungen in die Beschneidung ihres männ-
lichen Kindes einzuwilligen, dass mithin auch die Einwilli-
gung in eine solche Beschneidung zur Ausübung der elter-
lichen Sorge gehört. Eine aus dem Recht der elterlichen
Sorge folgende Befugnis der Eltern zur Einwilligung in die
Beschneidung ihres Sohnes ist auch in allen anderen Rechts-
gebieten, insbesondere im Straf- und Deliktsrecht, zu beach-
ten, soweit es dort für die Rechtmäßigkeit des Eingriffs am
Kind auf die elterliche Einwilligung ankommt. Eine im Rah-
men der Personensorge erteilte Einwilligung nimmt dem
Eingriff in die körperliche Unversehrtheit die Rechtswidrig-
keit.

2. Allgemeine Regelung ohne Religionsbezug

Den Eltern wird im Rahmen ihrer primären Erziehungsver-
antwortung ein Vertrauensvorschuss entgegengebracht, so-
lange die Grenze der Kindeswohlgefährdung nicht erreicht
ist (vgl. § 1666 BGB). Eltern können die nicht medizinisch
indizierte Beschneidung ihres männlichen Kindes, die welt-
weit stark verbreitet ist, aus unterschiedlichen Gründen für
kindeswohldienlich halten.

Häufig ist die Vornahme der Beschneidung Ausdruck einer
religiösen Überzeugung. Insbesondere im Judentum und im
Islam hat die Beschneidung eine wichtige religiöse Bedeu-
tung. Mit ihrer Einwilligung wollen die Eltern in diesen Fäl-
len von ihrem Recht zur Kindererziehung in religiöser und
weltanschaulicher Hinsicht Gebrauch machen.

Die Beschneidung männlicher Kinder kann jedoch auch an-
deren Zwecken dienen. Beispielsweise hat die Alevitische
Gemeinde darauf hingewiesen, dass die von ihren Mitglie-
dern praktizierte Knabenbeschneidung nicht in erster Linie
Ausdruck einer religiösen Pflicht, sondern ein auf langer Tra-
dition beruhender kultureller Ritus sei.

Überdies wird die Beschneidung verschiedentlich als pro-
phylaktische Maßnahme empfohlen. Obwohl unter deut-
schen Medizinern weitgehend Einigkeit besteht, dass jeden-
falls für Deutschland eine vorbeugende routinemäßige Be-

eine solche Zwecksetzung Ausdruck von im Interesse des
Kindes gelebter Elternverantwortung sein.

In all diesen Fällen unterfällt die Beschneidung keiner der
nach § 1631 BGB verbotenen Kategorie, da es den Eltern
nicht um eine (verbotene) Erziehungsmaßnahme als Sank-
tion für ein Fehlverhalten des Kindes geht, sondern, je nach
Zielrichtung, um das körperliche (z. B. Gesundheitsvorsorge)
oder geistige (z. B. Aufnahme in eine Religionsgesellschaft)
Wohlbefinden des Kindes.

Die vorgeschlagene Regelung differenziert deshalb nicht
nach der Motivation der Eltern; insbesondere enthält sie
keine Sonderregelung für religiös motivierte Beschneidun-
gen, wenngleich diese in der Praxis die größte Fallgruppe der
nicht medizinisch indizierten Beschneidungen in Deutsch-
land bilden dürften. Ein „Sonderrecht“ allein für religiös mo-
tivierte Beschneidungen männlicher Kinder würde den mög-
lichen unterschiedlichen Zwecksetzungen von Beschneidun-
gen nicht gerecht.

Klarstellung zum Inhalt der Personensorge

§ 1631 d präzisiert den Inhalt der Personensorge und ver-
deutlicht ihn dahingehend, dass die Personensorge bei Be-
achtung bestimmter Anforderungen grundsätzlich die elter-
liche Einwilligung in eine Beschneidung des einsichts- und
urteilsfähigen Jungen umfasst.

Zu Satz 1 (Einwilligungsrecht der Eltern)

Nach Satz 1 sind die Eltern im Rahmen der Personensorge
berechtigt, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschnei-
dung des männlichen Kindes einzuwilligen. Dieses Recht
steht unter dem Vorbehalt, dass das männliche Kind das
14. Lebensjahr vollendet hat sowie einsichts- und urteils-
fähig ist. Die Eltern dürfen des Weiteren das Recht nur aus-
üben, wenn das männliche Kind in die Vornahme der Be-
schneidung eingewilligt hat und diese nach den Regeln der
ärztlichen Kunst von einer Ärztin oder einem Arzt mit der
Befähigung zum Facharzt für Kinderchirurgie oder Urologie
vorgenommen werden soll.

1. Anwendungsbereich

Die Regelung beschränkt sich auf diejenigen Fallkonstella-
tionen, für die nach dem Urteil des LG Köln und der anschlie-
ßenden öffentlichen Diskussion Klarstellungsbedarf besteht.
Für von der Regelung nicht erfasste Fallgruppen bleibt es da-
gegen unverändert bei der bisher geltenden Rechtslage; dies
folgt aus der engen Fassung des Tatbestandes der Regelung.

Die Vorschrift erfasst insbesondere nicht die Einwilligung
der Eltern in eine medizinisch indizierte Beschneidung ihres
Sohnes. Für die medizinisch indizierte Beschneidung besteht
nach der Entscheidung des LG Köln – wie auch für andere
medizinisch indizierte Heileingriffe beim Kind – kein An-
lass, die geltende Rechtslage in Frage zu stellen.

Zudem greift die Regelung nur, wenn es um die Beschnei-
dung eines einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes
geht, das das 14. Lebensjahr vollendet hat. Aufgrund der
Schwere des Eingriffs, der damit verbundenen gesundheit-
lichen Risiken und der nicht gegebenen Reversibilität ist die
Zustimmung des Kindes zur Beschneidung Voraussetzung
schneidung nicht indiziert ist, kann angesichts der weltweit
unterschiedlichen Fachmeinungen und -empfehlungen auch

für die Ausübung des Einwilligungsrechts der Eltern. Es gilt
deshalb künftig der Grundsatz: Keine Beschneidung ohne

Drucksache 17/11430 – 10 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

vorherige Zustimmung des männlichen Kindes. Das An-
knüpfen an die Vollendung des 14. Lebensjahres ist auch des-
halb sachgerecht, weil das männliche Kind nach dem Gesetz
über die religiöse Kindererziehung ab diesem Lebensalter
die volle Religionsmündigkeit besitzt. Voraussetzung für die
Einwilligung bleibt daneben aber auch die volle Einsichts-
und Urteilsfähigkeit des Kindes. Sie muss zusätzlich zum er-
reichten Lebensalter gegeben sein. Nur wenn beide Voraus-
setzungen erfüllt sind, kann das männliche Kind rechtswirk-
sam in die Beschneidung einwilligen und das Einwilligungs-
recht der Eltern Wirksamkeit erlangen.

Wenn das Kind nicht selbst einwilligungsfähig ist, eröffnet
Satz 1 den Eltern kein Einwilligungsrecht zur Beschneidung.
Ihr Sorgerecht bleibt insoweit begrenzt. Im Übrigen bleibt
die geltende Rechtslage unberührt.

In eine Genitalverstümmelung ihrer Tochter können Eltern
weiterhin keinesfalls einwilligen. Die Genitalverstümme-
lung ist mit keinerlei medizinischen Vorteilen verbunden, es
besteht aber die Gefahr schwerwiegender Gesundheitsrisi-
ken und weitreichender Folgen. Es bleibt insoweit bei der
bisherigen Rechtslage, wonach die Genitalverstümmelung
als gefährliche oder sogar schwere Körperverletzung (§§ 224,
226 StGB) und ggf. Misshandlung von Schutzbefohlenen
(§ 225 StGB) strafbar ist. Eine rechtfertigende Einwilligung
von Sorgeberechtigten kommt in keinem Fall in Betracht.

2. Weitere Voraussetzungen für die Befugnis
zur Einwilligung

Zur Erfüllung der Vorgaben des staatlichen Wächteramtes
(Artikel 6 Absatz 2 Satz 2 GG) und der grundrechtlichen
Schutzpflicht für die körperliche Unversehrtheit (Artikel 2
Absatz 2 Satz 1 GG) des Kindes wird die Berechtigung der
Eltern zur Einwilligung in eine Beschneidung von weiteren
Voraussetzungen abhängig gemacht. Diese ergeben sich teil-
weise bereits aus anderen Normen und allgemeinen Grund-
sätzen, so dass insoweit eine zusätzliche Erwähnung in
§ 1631d Satz 1 BGB-E nicht erforderlich ist.

Im Rahmen des dargestellten Anwendungsbereichs sollen
die Eltern berechtigt sein, in die Beschneidung ihres Sohnes
einzuwilligen, wenn die nachfolgenden Voraussetzungen er-
füllt sind:

a) Fachgerechte Durchführung

Zentral und unabdingbar für die Berechtigung der Eltern zur
Einwilligung ist, dass die Beschneidung des männlichen
Kindes fachgerecht durchgeführt werden soll. Dies haben
auch der Deutsche Bundestag (Beschluss vom 19. Juli 2012:
„medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen“) so-
wie der Deutsche Ethikrat (Pressemitteilung vom 23. August
2012: „fachgerechte Durchführung des Eingriffs“) betont.
Zur Rechtfertigung eines jeden medizinischen Eingriffs in
die körperliche Unversehrtheit ist es erforderlich, dass bei
seiner Durchführung die den aktuellen Erkenntnissen ent-
sprechenden ärztlichen Standards eingehalten werden. Aus
diesem Grund obliegt hier die Vornahme des Eingriffs aus-
schließlich Ärztinnen und Ärzten mit einer Befähigung zum
Facharzt für Kinderchirurgie oder Urologie. Die Formulie-
rung „nach den Regeln der ärztlichen Kunst“ ist seit langem
etabliert und wird bereits in zahlreichen anderen Normen

Buches Sozialgesetzbuch, § 81a Absatz 1 Satz 2 der Straf-
prozessordnung). Mit der Formulierung „durchgeführt wer-
den soll“ wird berücksichtigt, dass die Einwilligung vor dem
Eingriff zu erteilen ist.

b) Effektive Schmerzbehandlung

Da es sich bei der Beschneidung der männlichen Vorhaut um
einen Schmerzen verursachenden Eingriff in die körperliche
Unversehrtheit handelt, ist als weitere Voraussetzung für die
Berechtigung der Eltern zur Einwilligung eine effektive
Schmerzbehandlung zu fordern – so auch der Deutsche
Bundestag (Beschluss vom 19. Juli 2012: „ohne unnötige
Schmerzen“), der Deutsche Ethikrat (Pressemitteilung vom
23. August 2012: „qualifizierte Schmerzbehandlung“) und
die Deutsche Schmerzgesellschaft e. V. (Presseinformation
vom 3. August 2012: „nur unter adäquater Schmerzbehand-
lung“). Der Regelungsvorschlag deckt diese Anforderung
mit der Formulierung „nach den Regeln der ärztlichen
Kunst“ ab, denn diese Regeln gebieten eine im Einzelfall
angemessene und wirkungsvolle Betäubung und grundsätz-
lich eine für den Patienten möglichst schonende Durchfüh-
rung der Beschneidung (vgl. Stellungnahme der Deutschen
Schmerzgesellschaft e. V. vom 3. August 2012; zum An-
spruch des Patienten auf eine postoperative Schmerztherapie
vgl. Uhlenbruck, MedR 1993, 296 <297>).

c) Erfordernis der umfassenden Aufklärung

Dem Erfordernis einer umfassenden Aufklärung des Kindes
und der Eltern als Wirksamkeitsvoraussetzung für deren Ein-
willigung in eine Beschneidung des männlichen Kindes (so
auch der Deutsche Ethikrat, Pressemitteilung vom 23. Au-
gust 2012: „umfassende Aufklärung […] der Sorgeberech-
tigten“) trägt bereits das geltende Recht Rechnung, ohne dass
es insoweit zusätzlich einer ausdrücklichen Regelung bedarf.
Denn bereits nach geltender Rechtslage setzt die rechtfer-
tigende Einwilligung in einen nicht medizinisch indizierten
Eingriff in die körperliche Unversehrtheit zwingend eine
ordnungsgemäße und besonders umfassende Aufklärung des
Rechtsgutinhabers bzw. seines gesetzlichen Vertreters vo-
raus, die von dem den Eingriff vornehmenden Arzt vorge-
nommen werden muss (vgl. für das Deliktsrecht Palandt/
Sprau, BGB, 71. Auflage, 2012, § 823 Rn. 154b und für das
Strafrecht Fischer, StGB, 59. Auflage, 2012, § 223 Rn. 13,
13a). Soweit die Beschneidung des männlichen Kindes auf
der Grundlage eines Behandlungsvertrages erfolgt, ergibt
sich die vertragliche Pflicht zur Aufklärung auf der Grund-
lage des derzeit geltenden Rechts aus den allgemeinen
Grundsätzen, insbesondere aus Richterrecht (vgl. BGH,
VersR 1984, 538, 539; OLG Karlsruhe, VersR 1989, 1053).
Im Übrigen wird sich die Pflicht zur Aufklärung ab Inkraft-
treten des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patien-
tinnen und Patienten (Bundestagsdrucksache 17/10488) auch
aus § 630e BGB-E ergeben.

Zu Satz 2 (Kindeswohlgefährdung)

Im Verhältnis zum Staat ist das grundrechtlich geschützte El-
ternrecht ein Abwehrrecht, in das der Staat grundsätzlich nur
eingreifen darf, wenn das ihm zukommende Wächteramt ge-
mäß Artikel 6 Absatz 2 Satz 2 GG dies gebietet (BVerfGE 61,
verwendet (vgl. nur § 4 Absatz 2 Satz 2 der Bundesärzteord-
nung, § 28 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 Satz 1 des Fünften

358, 372). Insbesondere greift der Staat aufgrund seines
Wächteramtes ein, wenn das körperliche, geistige oder seeli-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 11 – Drucksache 17/11430

sche Wohl des Kindes gefährdet und andere Abhilfe nicht
möglich ist (vgl. §§ 1666 f. BGB).

Es gehört nicht zum Wächteramt des Staates, gegen den Wil-
len der Eltern für eine aus seiner Sicht bestmögliche Ent-
wicklung des Kindes zu sorgen. Vielmehr muss der Staat den
Vorrang der elterlichen Erziehung achten (BVerfGE 107,
104, 118). Den Eltern wird damit – in den Grenzen des staat-
lichen Wächteramtes – bei der Ausübung des Sorgerechts ein
Vertrauensvorschuss entgegengebracht.

Bei einer aus kindeswohlgetragenen Gründen und fachge-
recht durchgeführten Beschneidung ohne besondere Risiken
für das männliche Kind ist der Staat regelmäßig nicht in sei-
nem Wächteramt berufen. Eltern sind aber nicht berechtigt,
in Ausübung ihrer elterlichen Sorge in die Beschneidung
ihres Sohnes einzuwilligen, wenn durch die Beschneidung
auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks im Einzelfall das
Kindeswohl gefährdet wird.

Im Rahmen des geltenden § 1666 BGB versteht die Recht-
sprechung unter einer Gefährdung des Kindeswohls „eine
gegenwärtige, in einem solchen Maße vorhandene Gefahr,

dass sich bei der weiteren Entwicklung eine erhebliche Schä-
digung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt“ (stän-
dige Rechtsprechung des BGH seit NJW 1956, 1434 – zu-
letzt NJW 2012, 151). Ob eine solche Gefahr begründet ist,
ist aufgrund der Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu be-
urteilen.

Ergibt sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalls
eine Gefährdung des Kindeswohls, steht § 1631d Satz 2
BGB-E der elterlichen Einwilligung entgegen. Im Rahmen
der Kindeswohlprüfung muss auch der Zweck der Beschnei-
dung in den Blick genommen werden (etwa bei einer Be-
schneidung aus rein ästhetischen Gründen oder mit dem Ziel,
die Masturbation zu erschweren oder zu sanktionieren).

Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)

Artikel 2 bestimmt, dass das Gesetz über den Umfang der
Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kin-
des am Tag nach seiner Verkündung im Bundesgesetzblatt in
Kraft tritt.

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