Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 20.11.2012, Az. 2 B 56/12

2. Senat | REWIS RS 2012, 1210

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Gegenstand

Disziplinarklageverfahren; außerdienstliche Verfehlung; Berücksichtigung des Verteidigungsverhaltens


Leitsatz

Das Gericht darf strafprozessual zulässiges Verteidigungsverhalten des angeschuldigten Beamten im Strafverfahren nicht als belastenden Umstand bei der disziplinarrechtlichen Maßnahmebemessung berücksichtigen.

Will das Gericht ein bestimmtes Verteidigungsverhalten als belastenden Umstand berücksichtigen, muss es den Beamten zur Gewährung rechtlichen Gehörs rechtzeitig darauf hinweisen.

Gründe

1

[X.]ie [X.]eschwerde des [X.]n hat mit der Maßgabe Erfolg, dass die Sache nach § 133 Abs. 6 VwGO, § 67 Satz 1 [X.] NRW unter Aufhebung des [X.]erufungsurteils an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen ist. [X.]as [X.]erufungsurteil beruht auf einem Verstoß gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO).

2

[X.]er [X.], ein Polizeibeamter, wurde durch rechtskräftiges Strafurteil wegen gefährlicher Körperverletzung in einem minderschweren Fall zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur [X.]ewährung ausgesetzt wurde. Nach den bindenden strafgerichtlichen Feststellungen schlugen der [X.] und ein Kollege in der Nacht vom 19. auf den 20. Mai 2005 außerhalb des [X.]ienstes einen Passanten zusammen, der sie nach ihren nicht zu widerlegenden [X.]arstellungen tätlich angegriffen hatte, und traten auf ihn ein, als er bereits am [X.]oden lag. [X.]anach riefen sie einen Streifenwagen; der Geschädigte wurde auf die Wache verbracht und dort mehrere Stunden festgehalten.

3

Auf die [X.] hat das Verwaltungsgericht die [X.]ienstbezüge des [X.]n gekürzt, weil die für geboten erachtete Zurückstufung aus laufbahnrechtlichen Gründen ausgeschlossen sei. Auf die [X.]erufung des [X.] hat das Oberverwaltungsgericht den [X.]n aus dem [X.]eamtenverhältnis entfernt. Zur [X.]egründung hat es angeführt, die Straftat wiege aufgrund der [X.] besonders schwer. Auch stehe sie einer Körperverletzung im Amt gleich, weil der [X.] und sein Kollege den Eindruck erweckt hätten, sie handelten als Polizeibeamte im [X.]ienst. Erschwerend komme das Nachtatverhalten des [X.]n hinzu. Er habe sich im Strafverfahren zu Unrecht auf eine Notwehrlage berufen und noch im [X.]isziplinarverfahren durchgehend versucht, die Tat zu beschönigen. Auch habe er den Geschädigten psychisch erheblich belastet, etwa durch die Stellung eines Strafantrags. [X.]er [X.] habe das von ihm begangene Unrecht bis zuletzt nicht eingesehen und keinen Willen zur Aussöhnung gezeigt. [X.]emgegenüber fielen mildernde Umstände wie die freiwillige Tätigkeit als Helfer in einem Alterswohnheim nicht ins Gewicht.

4

1. Mit der [X.]eschwerdebegründung rügt der [X.], mit der [X.]erücksichtigung seines [X.] in Straf- und [X.]isziplinarverfahren zu seinem Nachteil habe das Oberverwaltungsgericht gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz "nemo tenetur" verstoßen. Aus diesem Vortrag ergibt sich, dass das [X.]erufungsurteil auf einem Verstoß gegen das Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO beruht. [X.]as Oberverwaltungsgericht hat es versäumt, den [X.]n rechtzeitig vor der Verkündung des [X.]erufungsurteils darauf hinzuweisen, dass es die Entfernung aus dem [X.]eamtenverhältnis ausschlaggebend auch auf dessen [X.] in Straf- und [X.]isziplinarverfahren stützen würde. Mit dieser Rechtsansicht hat der [X.] angesichts der Rechtsprechung des [X.] in Strafsachen und des Meinungsstandes zur Wahrheitspflicht im [X.]isziplinarverfahren nicht rechnen müssen.

5

[X.]er Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs soll sicherstellen, dass ein Verfahrensbeteiligter Einfluss auf den Gang des gerichtlichen Verfahrens und dessen Ausgang nehmen kann. Zu diesem Zweck muss er Gelegenheit erhalten, sich zu allen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten zu äußern, die entscheidungserheblich sein können. Zwar korrespondiert mit diesem [X.] keine umfassende Frage-, Aufklärungs- und Hinweispflicht des Gerichts. Vielmehr kann regelmäßig erwartet werden, dass die [X.]eteiligten von sich aus erkennen, welche Gesichtspunkte [X.]edeutung für den Fortgang des Verfahrens und die abschließende Sachentscheidung des Gerichts erlangen können, und entsprechend vortragen. Jedoch verlangt der Schutz vor einer Überraschungsentscheidung, dass das Gericht rechtzeitig mitteilt, dass es auf eine Rechtsauffassung abstellen will, mit der die [X.]eteiligten angesichts des Standes von Rechtsprechung und Schrifttum nicht zu rechnen brauchen. Nur durch einen solchen Hinweis erhalten sie Gelegenheit, sich zu dieser Auffassung zu äußern, und damit auf die Entscheidungsfindung des Gerichts einzuwirken ([X.], [X.]eschluss vom 19. Mai 1992 - 1 [X.]vR 986/91 - [X.]E 86, 133 <144 f.>; [X.]VerwG, Urteil vom 19. August 2010 - [X.]VerwG 2 C 5.10 - [X.] L[X.]isziplinarG Nr. 12 Rn. 28).

6

[X.]as Oberverwaltungsgericht hat das [X.] des [X.]n im Strafverfahren erschwerend in die Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände nach § 13 Abs. 2 Satz 1 bis 3 [X.] NRW einbezogen, ohne auf die Rechtsprechung des [X.] in Strafsachen zu den Grenzen zulässigen [X.] einzugehen. Es hat dem [X.]n angelastet, er habe die Straftat als Notwehrhandlung gerechtfertigt, sie zu verharmlosen versucht und den Geschädigten als Schuldigen dargestellt. [X.]ies war für den [X.]n ohne vorherigen Hinweis überraschend, weil das ihm angelastete [X.] strafprozessual zulässig war und vom Verwaltungsgericht erstinstanzlich nicht erschwerend berücksichtigt worden ist.

7

In der Rechtsprechung des [X.] ist anerkannt, dass das [X.] des Angeklagten bei der Strafzumessung nur dann strafschärfend berücksichtigt werden darf, wenn die Grenze angemessener Verteidigung eindeutig überschritten ist und sein Verhalten eine selbstständige Rechtsgutsverletzung enthält. [X.]iese Grenze ist nicht erreicht, wenn der Angeklagte die Tat wahrheitswidrig leugnet, einen unzutreffenden Tathergang schildert oder die Tat und ihre Folgen beschönigt. [X.]em Angeklagten darf aber auch nicht zum Nachteil gereichen, dass er anderen die Schuld an der Tat zuschiebt und sich diese Vorwürfe als haltlos erweisen. Gleiches gilt, wenn er [X.]elastungszeugen, insbesondere das Tatopfer, mit unzutreffenden [X.]ehauptungen angreift oder gar der Lüge bezichtigt, um ihre Glaubwürdigkeit oder die Glaubhaftigkeit der belastenden Angaben zu erschüttern. [X.]agegen ist eine Herabwürdigung von Zeugen, die keinen [X.]ezug zur Tat aufweist, von dem Recht auf Verteidigung nicht mehr gedeckt ([X.], [X.]eschluss vom 7. März 2001 - 2 StR 21/01 - NStZ 2001, 419 <420>; Urteil vom 8. April 2004 - 4 StR 576/03 - NStZ 2004, 616 <617>, [X.]eschluss vom 22. März 2007 - 4 StR 60/07 - NStZ 2007, 463; [X.]eschlüsse vom 6. Juli 2010 - 3 StR 219/10 - NStZ 2010, 692 und vom 15. Mai 2012 - 3 [X.] - NStZ 2012, 626).

8

Ungeachtet des gebotenen rechtlichen Hinweises auf die abweichende Rechtsprechung des [X.] liegt auch die Annahme nahe, dass ein Verhalten, das die Rechtsordnung im Strafverfahren hinnimmt, um eine wirkungsvolle Verteidigung zu gewährleisten, dem [X.]eamten nachträglich im sachgleichen [X.]isziplinarverfahren nicht als erschwerender Umstand bei der Maßnahmebemessung zur Last gelegt werden darf, vielmehr bewertungsneutral zu behandeln ist. Es dient jedenfalls der Wahrung der Einheit der Rechtsordnung, an die Wahrnehmung des Rechts auf Verteidigung auch außerhalb des Strafverfahrens keine staatlichen Sanktionen zu knüpfen. [X.]ies wäre der Fall, wenn dem [X.]eamten disziplinarrechtlich zum Nachteil gereichen könnte, dass er die Verteidigungsmöglichkeiten ausgeschöpft hat, die das Strafprozessrecht zulässt. Ein zulässiges [X.] des [X.]eamten im Strafverfahren kann insbesondere nicht herangezogen werden, um dessen ansonsten nicht gebotene Entfernung aus dem [X.]eamtenverhältnis zu rechtfertigen. [X.]araus folgt, dass das Gericht auch dann einen rechtlichen Hinweis geben muss, wenn es die Grenzen des zulässigen [X.] für überschritten hält.

9

Auch das [X.] des [X.]n im [X.]isziplinarverfahren hat das Oberverwaltungsgericht nicht als bewertungsneutral behandelt, sondern zum Nachteil des [X.]n in die Gesamtwürdigung nach § 13 Abs. 2 Satz 1 bis 3, Abs. 3 Satz 1 [X.] NRW einbezogen. Auf Inhalt und Reichweite der dienstrechtlichen Wahrheitspflicht eines angeschuldigten [X.]eamten ist es nicht eingegangen. Es hat dem [X.]n zur Last gelegt, selbst nach der rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung nicht aufgehört zu haben, seine Straftat mit einer Notwehrlage zu rechtfertigen und zu beschönigen. Es sei deutlich geworden, dass der [X.] weder den Unrechtsgehalt seines Fehlverhaltens noch deren Folgen für den Geschädigten erfasst habe. Auch diese Rechtsauffassung des [X.] war für den [X.]n ohne vorherigen Hinweis überraschend, weil sie von einer unbegrenzten Wahrheitspflicht des aussagebereiten [X.]eamten im [X.]isziplinarverfahren ausgeht und das [X.] vom Verwaltungsgericht erstinstanzlich nicht erschwerend berücksichtigt worden ist.

Im Übrigen setzt die [X.]erücksichtigung des [X.] des [X.]eamten im [X.]isziplinarverfahren als belastenden Umstand bei der Maßnahmebemessung notwendigerweise voraus, dass der angeschuldigte [X.]eamte einer uneingeschränkten dienstrechtlichen Pflicht zur wahrheitsgemäßen Aussage unterliegt, wenn er von seinem Schweigerecht keinen Gebrauch macht. [X.]ei Annahme einer derartigen Pflicht begeht der [X.]eamte im [X.]isziplinarverfahren schon dann weitere disziplinarrechtlich relevante Pflichtenverstöße, wenn er das ihm vorgeworfene Fehlverhalten in Abrede stellt oder beschönigt. Eine derart weit reichende dienstrechtliche Wahrheitspflicht ist schon deshalb fragwürdig, weil sie das Recht auf angemessene Verteidigung gegen disziplinarische Vorwürfe erheblich einschränkt. [X.]er [X.]eamte, der das angelastete Fehlverhalten schuldhaft begangen hat, wäre dienstrechtlich auf die Wahl beschränkt, entweder zu schweigen oder zu gestehen. Jede nicht der Wahrheit entsprechende Einlassung, insbesondere eine verharmlosende [X.]arstellung des Fehlverhaltens oder seiner Folgen, wäre als weitere [X.]ienstpflichtverletzung erschwerend bei der Maßnahmebemessung zu berücksichtigen und könnte sich als ausschlaggebend für die Entfernung aus dem [X.]eamtenverhältnis erweisen.

Es liegt nahe, die Grenzen der dienstrechtlichen Wahrheitspflicht im [X.]isziplinarverfahren grundsätzlich an den Grenzen des zulässigen [X.] im Strafverfahren zu orientieren. [X.]amit wäre die Grenze des dienstrechtlich Zulässigen erst überschritten, wenn der [X.]eamte im [X.]isziplinarverfahren wider besseres Wissen [X.]ritte diffamiert oder sonst vorsätzlich gegen Strafbestimmungen verstößt (zum Ganzen [X.], [X.] 2012, 331 <339 ff.>). [X.]em entspricht, dass ein [X.]eamter erst bei Überschreitung dieser Grenzen oder bei grob schuldhaftem Aufstellen unwahrer [X.]ehauptungen dienstlich gemaßregelt oder benachteiligt werden darf, wenn er von seinem Recht Gebrauch macht, [X.]eschwerden vorzubringen oder Rechtsschutz zu beantragen (Urteil vom 15. [X.]ezember 2005 - [X.]VerwG 2 A 4.04 - NVwZ-RR 2006, 485 <486>, insoweit nicht in [X.] 235.1 § 24 [X.] Nr. 1 abgedruckt).

2. [X.]ie vom [X.]n gerügte [X.]ivergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt nicht vor. [X.]er [X.] hat nicht dargelegt, dass das Oberverwaltungsgericht in dem [X.]erufungsurteil einen abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, der einem Rechtssatz widerspricht, den der [X.]isziplinarsenat des [X.] in den bezeichneten Urteilen vom 15. März 1994 ([X.]VerwG 1 [X.] 19.93), vom 26. Februar 1997 ([X.]VerwG 1 [X.] 16.96) und vom 19. Februar 2003 ([X.]VerwG 1 [X.] 14.02) zu derselben Rechtsnorm oder demselben Rechtsgrundsatz aufgestellt hat (vgl. zur [X.]ivergenz: [X.]eschlüsse vom 19. August 1997 - [X.]VerwG 7 [X.] 261.97 - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14 und vom 25. Mai 2012 - [X.]VerwG 2 [X.] 133.11 - NVwZ-RR 2012, 607 Rn. 5). [X.]ie Ausführungen in diesen Urteilen, auf die der [X.] abstellt, behandeln die fallbezogene Würdigung des Nachtat- und [X.] des angeschuldigten [X.]eamten. Ihnen lässt sich kein Rechtssatz entnehmen, der eine generelle Aussage zur Verwertung wahrheitswidriger Angaben des [X.]eamten bei der Maßnahmebemessung enthält.

3. Für das weitere Vorgehen weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Nach der gebotenen materiellen [X.]etrachtung richtet sich die [X.]ewertung eines Verhaltens als inner- oder außerdienstlich danach, ob es dem dienstlichen Aufgabenbereich des [X.]eamten oder dem [X.]ereich privater Lebensgestaltung zuzuordnen ist. [X.] ist ein Verhalten, das sich als dasjenige einer Privatperson darstellt (Urteil vom 20. Februar 2001 - [X.]VerwG 1 [X.] 55.99 - [X.]VerwGE 114, 37 <48> = [X.] 232 § 52 [X.][X.]G Nr. 12 S. 19 f.; stRspr). [X.]anach kann nicht zweifelhaft sein, dass es sich bei der Straftat des [X.]n um einen außerdienstlichen Pflichtenverstoß handelte. Weder war er zur Tatzeit im [X.]ienst noch bestand funktionell ein dienstlicher [X.]ezug. [X.]er [X.] hat sich erst nach [X.]egehung der Straftat geriert, als sei er im [X.]ienst. [X.]ies kann erschwerend berücksichtigt werden, macht das Fehlverhalten aber nicht zu einem innerdienstlichen.

[X.]ie Schwere disziplinarrechtlich relevanter außerdienstlicher Straftaten richtet sich in erster Linie nach dem gesetzlichen Strafrahmen. [X.]adurch bringt der Gesetzgeber den Unrechtsgehalt verbindlich zum Ausdruck. [X.]iese gesetzliche Wertung ist richtungweisend für die Schwere des [X.]ienstvergehens im Sinne von § 13 Abs. 2 Satz 1 [X.] NRW und damit für die [X.]estimmung der erforderlichen [X.]isziplinarmaßnahme durch die Verwaltungsgerichte (Urteil vom 19. August 2010 a.a.[X.] Rn. 22 f.). Eine aus dem Strafrahmen hergeleitete Regelmaßnahme oder ein Orientierungsrahmen für die Maßnahmebemessung darf regelmäßig nicht deshalb überschritten werden, weil dem [X.]eamten Umstände zur Last fallen, die bereits den Unrechtsgehalt der Straftat kennzeichnen ([X.]eschluss vom 14. Mai 2012 - [X.]VerwG 2 [X.] 146.11 - NVwZ-RR 2012, 658 Rn. 10). [X.]er [X.] ist rechtskräftig wegen einer gefährlichen Körperverletzung in einem minder schweren Fall nach § 224 Abs. 1 StG[X.] zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt worden. [X.]er gesetzliche Strafrahmen reicht von drei Monaten bis zu fünf Jahren.

b) [X.]ie Verfahrensdauer kann nur dann als mildernder Umstand in die Gesamtwürdigung nach § 13 Abs. 2 Satz 1 bis 3, Abs. 3 Satz 1 [X.] NRW einfließen, wenn die Entfernung aus dem [X.]eamtenverhältnis nicht geboten ist. [X.]agegen kann auch eine unangemessen lange Verfahrensdauer nicht dazu führen, dass der [X.]eamte im [X.]eamtenverhältnis verbleibt, wenn er als [X.]eamter nicht mehr tragbar sein sollte. In diesem Fall lässt sich die [X.]erücksichtigung der Verfahrensdauer bei der Maßnahmebemessung nicht mit dem Zweck der [X.]isziplinarbefugnis vereinbaren. [X.]ie Funktionsfähigkeit des öffentlichen [X.]ienstes wäre nicht mehr gewährleistet, wenn [X.]eamte, deren berufliche Integrität dauerhaft beschädigt ist, weiterhin [X.]ienst leisten würden ([X.]eschluss vom 16. Mai 2012 - [X.]VerwG 2 [X.] 3.12 - NVwZ-RR 2012, 609 Rn. 9 f.).

Aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 [X.], der einen Anspruch auf gerichtliche Entscheidung innerhalb angemessener [X.] auch im [X.]isziplinarverfahren statuiert ([X.], Urteil vom 16. Juli 2009 - Nr. 8453/04 - NVwZ 2010, 1015 <1017>), folgt nicht, dass dem [X.]etroffenen aufgrund einer unangemessen langen Verfahrensdauer eine Rechtsstellung eingeräumt werden muss, die in Widerspruch zum innerstaatlichen materiellen Recht steht. Vielmehr kann dieser Umstand nur dann für den Ausgang des zu lange dauernden Rechtsstreits berücksichtigt werden, wenn das innerstaatliche Recht dies vorsieht oder zulässt. [X.]ementsprechend hat der [X.]undesgesetzgeber als Ausgleich für eine unangemessen lange Verfahrensdauer einen Anspruch auf angemessene Entschädigung für verzögerungsbedingte Vermögensnachteile und immaterielle Folgen geschaffen. Er hat davon abgesehen, einen inhaltlichen [X.]ezug zwischen der unangemessenen [X.]auer des Verfahrens und den geltend gemachten materiell-rechtlichen Position herzustellen (§§ 198 f. GVG, § 173 Satz 2 VwGO, § 3 Abs. 1 [X.] NRW; vgl. [X.]eschluss vom 16. Mai 2012 a.a.[X.] Rn. 14).

c) [X.]ie Weiterbeschäftigung des [X.]n nach der Tat muss bei der Maßnahmebemessung nicht mildernd berücksichtigt werden. Über die Frage des Verbleibs im [X.]eamtenverhältnis haben nicht die einzelnen [X.]ienstvorgesetzten, sondern unter [X.]eachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes die Verwaltungsgerichte zu entscheiden. [X.]iese haben zu beurteilen, ob auf Grund des [X.]ienstvergehens die Entfernung aus dem [X.]eamtenverhältnis geboten ist. Ist dies der Fall, so vermag daran auch die Weiterverwendung während des [X.]isziplinarverfahrens nichts zu ändern. [X.]as Vertrauensverhältnis, dessen Fortbestand für den Verbleib im [X.]eamtenverhältnis erforderlich ist, bezieht sich auf den allgemeinen Status als [X.]eamter, nicht auf die [X.]ienstleistung (Urteile vom 20. Januar 2004 - [X.]VerwG 1 [X.] 33.02 - [X.]VerwGE 120, 33 <53> = [X.] 232 § 54 Satz 3 [X.][X.]G Nr. 35 S. 79 und vom 8. Juni 2005 - [X.]VerwG 1 [X.] 3.04 - juris Rn. 26; stRspr).

Meta

2 B 56/12

20.11.2012

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 29. Februar 2012, Az: 3d A 2789/10.O, Urteil

Art 103 Abs 1 GG, § 108 Abs 2 VwGO, § 13 Abs 2 DG NW, § 13 Abs 3 DG NW, Art 6 Abs 1 S 1 MRK

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 20.11.2012, Az. 2 B 56/12 (REWIS RS 2012, 1210)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1210

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